Helene Sonnemann Dr. Helene Sonnemann (später Darges-Sonnemann)
(13. März 1911 Flensburg - 1998 oder 2000 in Celle)
Ärztin und stellvertretende Leiterin des Kinderkrankhenauses in Rothenburgsort
Adresse: nicht bekannt
Wirkungsstätte: Kinderkrankenhaus Rothenburgsort Marckmannstraße 129/135
Sonnemann studierte Medizin in Bonn, Gießen und München. Zwischen 1936 und 1937 promovierte sie in Hamburg und arbeitete am Universitätskrankenhaus Eppendorf und im Städtischen Krankenhaus Altona. Danach fand sie eine Stelle in Kinderkrankenhaus Rothenburgsort. Sonnemann wurde 1939 Mitglied in der NSDAP und trat 1941 dem NS-Ärztebund bei. Sie wurde bereits früh in Pläne eingeweiht, die das Töten von Kindern aufgrund ihrer (angeblichen) Behinderung oder Erkrankung vorsahen. In Rothenburgsort, wo eine der sogenannten „Kinderfachabteilungen“ eingerichtet wurde, wurden von Juni 1940 bis zum April 1945 mindestens 56 sogenannte „Reichsausschusskinder“ durch tödlich wirkende Medikamente ermordet. Nach den Bombardierungen Hamburgs im Sommer 1943 wurde die Kinderstation unter der Verantwortung von Dr. Helene Sonnemann nach Celle in eine Notunterkunft, in ein sogenanntes Hilfskrankenhaus, evakuiert. Sonnemann verblieb in Celle, bis Oktober 1943 kehrten die Kinder nach Hamburg zurück.
Im Rahmen der Entnazifizierung wurde Sonnemann im Jahr 1948 als entlastet eingestuft. Zwar wurde sie von der Hamburger Staatsanwaltschaft angeschuldigt, zwölf Kinder in Hamburg Rothenburgsort getötet zu haben, verurteilt wurde sie jedoch nicht. Sonnemann war bis zu ihrer Pensionierung in Celle als Kinderärztin tätig.
Text: Katharina Tenti
Hildegard Thevs schreibt in ihrem Buch: „Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. Biographische Spurensuche“ über die gerichtlichen Schritte, die nach dem Krieg gegen die Ärzte Wilhelm Bayer, Friedrich Knigge, Helene Sonnemann und andere eingeleitet wurden: „Schon im Mai 1945 hatten Medizinstudenten, die mit [dem Kinderarzt Rudolf] Degkwitz in Verbindung standen, Anzeige gegen Bayer und Knigge bei der britischen Militärregierung erstattet (Degkwitz war von der britischen Militärregierung zum Leiter des Hamburger Gesundheitswesens ernannt worden). Die Angeschuldigten leugneten ihre Taten nicht, sondern rechtfertigten sie als Akte der Menschen- und Nächstenliebe. Bayer führte an, er habe die Familien, insbesondere die Mütter, von diesen Kindern befreit, die ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht, aber ihnen zudem die Missachtung durch die Mitmenschen, die das Ideal der gesunden reinen Rasse verträten, eingetragen hätten. Die Wesen, um die es ginge, seien nicht als Menschen zu betrachten, und, da sie sich selbst eine Last seien, sei ihre Tötung ihre Erlösung. Knigge argumentierte damit, er habe – im strikten Rahmen der von Binding und Hoche genannten Kriterien – lediglich den ohnehin bevorstehenden Tod der Kinder vorgezogen.
Die britische „Legal Division“ ging von Ermittlungen wegen „Mord und Totschlag in zusammen ca. 60 Fällen“ aus. Sie übergab den Fall der deutschen Kriminalpolizei. Bayer und Knigge rechtfertigten ihre Taten weiter. Sie drängten 1947 auf Abschluss der Voruntersuchung in der Annahme, dann an ihre früheren Arbeitsplätze zurückkehren zu können.
Im August 1948 empfahl der Oberstaatsanwalt, die Voruntersuchung abzuschließen und die Strafverfolgung einzustellen, denn die Angeschuldigten seien ja Ärzte und keine Juristen gewesen, hätten die Kinder (bis zur Tötung) sachgerecht behandelt und im Rahmen „eines amtlichen Verfahrens“ (Knigge) getötet. Dass diese Entscheidung noch nicht zur Einstellung der Ermittlungen führte, liegt vermutlich am Interesse der britischen Militärjustiz.
Im Juli 1948 wurden die Voruntersuchungen gegen Bayer und Knigge ausgeweitet, sie betrafen jetzt auch die Assistenzärztinnen, Krankenschwestern, die beteiligten Verwaltungsjuristen wie Kurt Struve sowie die Gutachter Wentzler und Catel. Außer den Genannten waren angeschuldigt: die Ärztinnen Freiin Ortrud von Lamezan, Ursula Bensel, Emma Lüthje, Ursula Petersen, Ingeborg Wetzel, Gisela Schwabe, Helene Sonnemann, Lotte Albers, Maria Lange-de la Camp, Ilse Breitfort, Hans Schmidt, Hermann Sieveking, Walter Stuhlmann und Hans Grieve.
Im Februar 1949 – der Oberstaatsanwalt hatte 162 Zeuginnen und Zeugen vernommen und war zu dem Schluss gekommen, dass Bayer 56 Kinder getötet hatte – legte er eine Anklageschrift vor (die Schwestern befanden sich nicht mehr unter den Beschuldigten), da „die Tötungen der Kinder objektiv rechtswidrig war“. Bayer und Knigge hätten sich des Mordes bzw. Totschlags schuldig gemacht, Bayers Assistenzärztinnen seien zu Mittäterinnen geworden, Catel und Wentzler hätten Beihilfe geleistet, Struve sei mitschuldig, weil er die rechtliche Seite außer acht gelassen habe.
Doch das Landgericht Hamburg eröffnete die Hauptverhandlung gar nicht erst: Es setzte die Angeschuldigten am 19. April 1949 außer Strafverfolgung. Sie hätten zwar gegen das allgemein anerkannte Sittengesetz verstoßen – denn die Pflicht zur Geheimhaltung hätte sie misstrauisch machen müssen –, gegen die medizinische Ethik und gegen das allgemeine Strafgesetz, denn „die Tötungen der Kinder [seien] objektiv rechtswidrig“, aber ein Nachweis ihrer Schuld werde nicht möglich sein. Gegen diesen Beschluss erhob die Staatsanwaltschaft (aufgrund einer Weisung durch die Senatskommission für die Justizverwaltung) keine Beschwerde. Zwar setzte sich die KPD für die Einleitung eines Strafverfahrens ein, doch der Senat lehnte ab.
1960 stand eine Wiederaufnahme des Verfahrens zur Diskussion. In Kiel lief ein Verfahren gegen den Mediziner Heyde-Sawade, der Obergutachter in der „T4“-Aktion gewesen war. Degkwitz bemühte sich, auch den Gutachter des „Reichsausschusses“ Catel vor Gericht zu bringen, der seit 1954 unbehelligt die Universitätskinderklinik in Kiel leitete.
Inzwischen hatte sich auch der Organisator des „Reichsausschussverfahrens“ Hefelmann, der aus Angst vor Strafverfolgung untergetaucht war, gestellt und ausgesagt. Das öffentliche Interesse richtete sich deshalb auf die Gutachter des „Reichsausschusses“. Auf einer Pressekonferenz entlastete der damalige Kulturminister von Schleswig-Holstein, Edo Osterloh, Catel mit dem Hinweis, dieser habe beim „Reichsausschuss“ mitgearbeitet, „um Schlimmeres zu verhüten“. Wegen „möglicher Missverständnisse“ bei den anwesenden Journalisten unterließ die Hamburger Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen. Auch Belege, die Rudolf Degkwitz’ für Catels Rolle bei der „Massen-Euthanasie“ vorlegte, und weitere Tatsachen wertete die Staatsanwaltschaft nicht als hinreichend neu, um das Verfahren wieder aufzunehmen.
1961 prüften die Gesundheitsbehörde und die Ärztekammer gemeinsam, ob Bayer und den in Hamburg praktizierenden früheren Assistenzärztinnen die Approbation zu entziehen sei. Mit der Begründung, ihre Handlungen seien „‚unter den damaligen Umständen’ keine schweren sittlichen Verfehlungen im Sinne der Reichsärzteordnung (von 1935)“, wurde ihnen jedoch das Recht zur weiteren Berufsausübung belassen. Gegen diese Entscheidung protestierten Hamburger Medizinstudenten unter Hinweis auf die Unveränderlichkeit sittlicher Grundsätze. Sie riefen die Bundesärztekammer auf, sich von allen ärztlichen Handlangern des NS-Systems zu distanzieren. Der Allgemeine Studentenausschuss der Universität erstattete Anzeige aufgrund der „in der Erklärung der Gesundheitsbehörde und der Ärztekammer enthaltenen Begünstigung und Billigung der Tötung von geisteskranken Kindern im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort“ gegen den Vorstand der Ärztekammer. Dennoch erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage, da sie weder den „objektiven Tatbestand der Begünstigung“ noch den der „Billigung eines Verbrechens“ als gegeben ansah.
1973 eröffnete die Hamburger Staatsanwaltschaft ein Untersuchungsverfahren gegen den Leiter der damaligen Alsterdorfer Anstalten, Pastor Friedrich Lensch, und den ehemaligen Leiter des Hauptgesundheitsamtes, Kurt Struve. Ihnen wurde die Ermordung von 652 Personen in der „Euthanasie“ zur Last gelegt, darunter die Kinder aus der „Kinderfachabteilung“ Langenhorn. Struve hatte seine Karriere in der Hamburger Verwaltung nach dem Krieg fortgesetzt und es zum Leiter der Liegenschaftsabteilung gebracht, führte den Titel des Senatsdirektors und war Mitglied des Planungsstabs in der Senatskanzlei. 1968 ging er in den Ruhestand. Struve wurde noch im Monat der Prozesseröffnung für verhandlungsunfähig erklärt, die Anklage gegen Lensch nicht zugelassen.
Bayer und Knigge wurden durch Rudolf Degkwitz, den neuen Leiter der Hamburger Gesundheitsverwaltung, am 25. August 1945 vom Dienst suspendiert. Beide legten vergeblich Widerspruch gegen diese Entscheidung ein.
Friedrich Knigge verstarb Ende 1947 an spinaler Kinderlähmung, eines der Krankheitsbilder, deren Folgen er bis 1943 „behandelt“ hatte.
Bayer setzte seine Bemühungen, ins Amt zurückzukehren, bis 1955 erfolglos fort.
Während des Ermittlungsverfahrens durfte er nicht praktizieren. In dieser Zeit arbeitete er als Lektor für den Hamburger Nölke Verlag. 1952 kehrte er in seine Privatpraxis als Kinderarzt zurück, die er – neben der Tätigkeit als Klinikleiter – schon vor 1945 betrieben hatte. Sie genoss einen guten Ruf und verzeichnete großen Zulauf. 1960 prüfte die Ärztekammer, aufgeschreckt durch Presseberichte über eine mögliche Wiederaufnahme des Verfahrens, ob ihm die Approbation entzogen werden müsse, kam jedoch mit Hinweis auf die Entscheidung des Landgerichts von 1949 zum Ergebnis, dass keine „schweren sittlichen Verfehlungen“ vorlägen. 1962 sollte Bayer wegen seiner Beteiligung an der Ermordung von Säuglingen und Kleinkindern mit Behinderungen aus der „Deutsche[n] Gesellschaft für Kindermedizin“ ausgeschlossen werden. Er kam dem durch Austritt zuvor. Ansonsten blieb er unbehelligt. Als Autor von einschlägigen Zeitschriftenbeiträgen hielt er auch Vorträge, etwa zum Thema „Ernährung und Missbildung“. Er starb 1972.
Über die weiteren Berufskarrieren seiner ehemaligen Assistenzärztinnen ist weniger bekannt. Ingeborg Wetzel hatte ebenfalls eine Kinderärztinnenpraxis eröffnet. Ilse Breitfort arbeitete in der Städtischen Kinderklinik Essen und veröffentlichte Artikel in Fachzeitschriften. Ursula Petersen setzte ihre Arbeit als Ärztin in der Kinderklinik Rothenburgsort fort. Maria Lange de la Camp praktizierte als Allgemeinmedizinerin in Hamburg.
Oberärztin Helene Sonnemann (nach ihrer Heirat 1952: Darges-Sonnemann), die nach der Evakuierung der Kinderklinik 1943 in Celle verblieben war, stieg dort nach dem Krieg zur Chefärztin des Allgemeinen Krankenhauses auf und bildete auch Krankenschwestern und Fachärzte aus. 1961 übernahm sie die Leitung des neuerbauten angeschlossenen Kinderkrankenhauses. In diesem Jahr überprüfte die Hamburger Ärztekammer, ob ihre Approbation wegen der Kindertötungen in Rothenburgsort entzogen werden müsste, hielt aber standesrechtliche Konsequenzen nicht für angebracht. Als Darges-Sonnemann 1974 hochgeehrt in den Ruhestand ging, amtierte sie zudem als stellvertretende ärztliche Direktorin des AKH Celle. Sie starb 1998. Ihr Ehemann, der ehemalige Hitler-Adjutant Fritz Darges, übergab einem Celler Museum einen Teil ihres Nachlasses für eine ehrende Ausstellung. Erst 2009, aufgeschreckt durch die Presseberichterstattung anlässlich Darges‘ Tod über diesen und seine Ehefrau, erwachte ein stärkeres Interesse im AKH Celle und der regionalen Öffentlichkeit an der Beteiligung Sonnemanns an der „Kinder-Euthanasie“, dem wir eine entsprechende Broschüre verdanken. Siehe Literaturangaben unten [1].
Bayer, Catel, Sonnemann und andere Beteiligte gingen nach 1945 nicht nur straffrei aus und arbeiteten in ihren Berufen weiter. Die drei Genannten konnten auch ihre positive Interpretation der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ privat, in der beruflichen Praxis und öffentlich ungehindert verbreiten.
Siehe auch Viten von Wilhelm Bayer und Friedrich Knigge
Verweis: siehe auch die Opferbiografien von Harald Noll, Renate Wilken, Werner Mohr, Ute Conrad, Renate Müller, Andreas Ahlemann, Hermann Bekkhuis unter www.stolpersteine-hamburg.de