Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Altona


Stadtteil Altona in der NS-Zeit

Stolpersteine halten die Erinnerung an Menschen wach, die während der NSHerrschaft gewaltsam zu Tode gekommen sind, die im Holocaust ermordet wurden, die hingerichtet wurden, die in der Haft starben oder nur noch im Freitod einen Ausweg sahen. Die Steine mahnen uns jeden Tag, vor Ort, mitten im heutigen Altona, diese Menschen nicht zu vergessen, die hier gewohnt, gelebt und gearbeitet haben.

Mittelbar erinnern die Steine aber auch an die Täter, ihre Helfer wie auch Zuschauer und Zuschauerinnen, die bei der biographischen Spurensuche auftauchen. An den Wachmann, der in Auschwitz den Altonaer Dr. Günther Brann erschoss, weil er sich weigerte, seine goldgefasste Brille abzugeben. An den Gestapobeamten, der den 19-jährigen Walter Lichtheim, als er das rettende England schon erreicht hatte, zurück zwang mit der Drohung, seine Mutter ins KZ zu bringen. An den Richter des Landgerichts Altona, der Bruno Tesch, Walter Möller, August Lütgens und Karl Wolff in einem Schauprozess zum Tode verurteilte. An den SS- und Polizeiführer Graf Bassewitz-Behr, der den Befehl gab, 71 politische Gefangene im KZ Neuengamme zu ermorden, darunter Margarethe Mrosek aus Altona. An Beamte, die „Arisierungen“ betrieben, an Polizisten, die Verhaftungen vornahmen, an Gestapobeamte, die Verhöre durchführten, an Henker, die ihr „Handwerk“ ausübten. An den Denunzianten oder die Denunziantin, die Melanie Johannsen aus Othmarschen bei der Gestapo anzeigte, weil sie als Jüdin ein Kino besucht und etwas gegen Hitler gesagt hatte. An die Leiterin eines Zwangsarbeiterlagers, die als Spitzel der Gestapo den Lagerarzt Dr. Hermann da Fonseca-Wollheim verriet, weil er ukrainischen Zwangsarbeiterinnen zur Seite stand. An den Mann, der seinen homosexuellen Bruder bei den Behörden anzeigte und dessen Partner Alfred Beckmann der Verfolgung preisgab. An den Firmenangehörigen, der meldete, dass der Arbeiter Paul Goldstein den Beitrag für die Deutsche Arbeitsfront nicht zahlte. An den Altonaer Gestapobeamten, der die Bibelforscher Maria und Paul Chrupalla ins KZ einlieferte, weil sie den „deutschen Gruß“ verweigerten. An den Denunzianten, der Josef Feiner der „Rassenschande“ bezichtigte, weil er als Jude eine ehemalige „arische“ Schülerin in Blankenese auf der Straße angesprochen hatte. An Eltern, die ihren Kindern plötzlich den Umgang mit jüdischen Freunden verboten, an Schülerinnen und Schüler, die jüdische Mitschüler beschimpften und schlugen, an Schulleiter, die Lehrerinnen und Lehrer jüdischer Herkunft entließen. An Altonaer und Altonaerinnen, die wegschauten, wenn ihnen ihre Nachbarn mit dem Koffer in der Hand auf den Weg zur Deportation begegneten – und sich dann Hausrat und Wertgegenstände der Abtransportierten sicherten.

Dies alles geschah im weltoffenen Altona, das bis zu seiner Eingemeindung nach „Groß-Hamburg“ durch die Nationalsozialisten im Jahr 1937 selbstständige und größte Stadt der preußischen Provinz Schleswig-Holsteins war und das in seinem Wappen ein offenes Stadttor trug (und trägt): als Symbol für Toleranz gegenüber religiös Verfolgten und Ausgegrenzten, die seit Jahrhunderten hier Zuflucht gefunden hatten.

Altona, so hieß es noch 1932, war „rot“: In den Arbeitervierteln Altona-Altstadt, Altona-Nord und im Arbeiterquartier von Ottensen wurde sozialistisch und kommunistisch agitiert, SS-Propagandamärsche stießen auf Gegenwehr.

Die westlichen gutbürgerlichen Elbvororte waren gegen den Widerstand der dort mehrheitlich gewählten bürgerlichen Parteien vom sozialdemokratischen Altonaer Oberbürgermeister Max Brauer 1927 nach Groß-Altona eingemeindet worden. In Altona konnte die NSDAP bis März 1933 keine Mehrheit bei den Reichstagswahlen erringen, die SPD stellte im Stadtparlament die größte Fraktion. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Deutschen Reich änderten sich die Verhältnisse. Am 11. März 1933 besetzte die SS das Altonaer Rathaus, und bei den Kommunalwahlen am Tag darauf kam die NSDAP zusammen mit ihren bürgerlichen Bündnispartnern von der Deutschnationalen Volkspartei an die Macht. Altona wurde Gau-Hauptstadt der NSDAP in Schleswig-Holstein. Im ersten Sondergerichtprozess der NS-Justiz, der im Mai 1933 begann, wurden diejenigen abgeurteilt, die den SS-Schlägertrupps beim „Altonaer Blutsonntag“ Widerstand entgegengesetzt hatten.

Altona war auch jüdisch: Im Zentrum nah der Elbe und später auch am nordöstlichen Stadtrand hatte sich seit über vierhundert Jahren eine blühende jüdische Gemeinde mit einer großen Synagoge, kleineren Synagogen und Betstuben, Friedhöfen, Gemeindehäusern, religiösen und sozialen Einrichtungen, Schulen und Kindergärten entwickelt, die alteingesessene zumeist assimilierte Jüdinnen und Juden und aus Osteuropa zugewanderte zumeist orthodoxe Jüdinnen und Juden umfasste und bedeutend zur kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt beitrug.

Am 1. April 1933 begann mit dem Boykott jüdischer Geschäfte die Verfolgung der Altonaer Juden. Eine Auswanderungswelle folgte, rund ein Fünftel der 2006 Altonaer und Altonaerinnen, die sich bei der Volkszählung von 1933 als „Glaubensjuden“ definiert hatten, flohen aus der Stadt.

Nach dem „Groß-Hamburg-Gesetz“ schlossen sich Ende 1937 die Gemeinden von Altona, Wandsbek und Harburg mit der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg unter dem Namen Jüdischer Religionsverband Hamburg zusammen. Das war das Ende der traditionsreichen Altonaer jüdischen Gemeinde. Der Auftakt der Deportationen fand am 28. Oktober 1938 in Altona statt, als Groß-Hamburg ca. 1000 Juden polnischer Herkunft vom Altonaer Bahnhof in Richtung polnische Grenze abschob. Nach dem Novemberpogrom 1938 lebten nach nationalsozialistischer Definition noch 708 „Glaubensjuden“ und 1007 „jüdische Mischlinge“ in Altona. Mit der „Arisierung“ des Gemeindebesitzes und mit den systematischen Deportationen der Menschen wurde das jüdische Leben gewaltsam beendet.

Text von Birgit Gewehr
entnommen aus ihrem Buch „Stolpersteine in Hamburg-Altona mit Elbvororten. Biographische Spurensuche. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Hamburg 2015.