Friedrich Knigge Dr. Friedrich Knigge
(11. August 1900 Jever - 2. Dezember 1947 Hamburg)
Psychiater
Adresse: identische Adresse s.u.
Wirkungsstätte: Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, Langenhorner Chaussee o. Nr.
Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums wurde Knigge 1929 als Assistenzarzt in der Heil- und Pflegeanstalt in Hamburg Langenhorn eingestellt. Anfang Mai 1937 trat er in die NSDAP ein und wurde im Oktober 1939 Mitglied des NS-Ärztebundes.
In Hamburg wurden 1941 zwei sog. Kinderfachabteilungen zur Tötung von Kindern unter dem Deckmantel der NS-Euthanasie errichtet. Eine der Stationen befand sich im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort, die andere wurde in Langenhorn unter der Leitung von Knigge aufgebaut. Beide Stationen arbeiteten engmaschig mit der Hamburger Gesundheitsbehörde unter Leitung von Friedrich Ofterdinger wie auch mit dem „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ in Berlin zusammen.
Von den 69 in Langenhorn aufgenommenen Kindern wurden mindestens 22 durch tödlich wirkende Spritzen und unzureichende Ernährung durch Knigge selbst ermordet. Rund 15 Kinder wurden in andere Anstalten verlegt und dort getötet, 32 Kinder wurden entlassen. Knigge führte an sechs ermordeten Kindern Sektionen durch. Die Gehirne wurden am Neuroanatomischen Institut der Hansischen Universität Hamburg durch Dr. Hans Jacob untersucht.
1943 wurde die sog. Kinderfachabteilung aufgelöst, Knigge wurde Anfang Dezember 1943 ärztlicher Direktor der Anstalt.
Nach Kriegsende wurde gegen Wilhelm Bayer, Knigge und weiteres Personal der zwei Hamburger Kinderfachabteilungen ermittelt. Knigge, der wie Bayer auch eigenhändig durchgeführte Kindstötungen nicht bestritt, unterlag während der Voruntersuchungen einem Berufsverbot. Es wurde deutlich, dass beide in ihren Kindstötungen keine Straftat erkannten.
In einem weiteren Verfahren, das 1946 gegen Knigge und drei weitere Ärzte des Krankenhauses Langenhorn eröffnet wurde, ging es um die Verlegung zahlreicher Patienten in weitere NS-Euthanasie-Anstalten. Die Ärzte wurden wegen der Beihilfe zum Mord angeklagt. Das Verfahren musste jedoch eingestellt werden, da nicht bewiesen werden konnte, dass die Ärzte über das weitere Schicksal der Patienten, der Ermordung, Bescheid wussten.
Text: Katharina Tenti
Hildegard Thevs schreibt in ihrem Buch: „Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. Biographische Spurensuche“ über die gerichtlichen Schritte, die nach dem Krieg gegen Knigge und Wilhelm Bayer eingeleitet wurden:
„Schon im Mai 1945 hatten Medizinstudenten, die mit [dem Kinderarzt Rudolf] Degkwitz in Verbindung standen, Anzeige gegen Bayer und Knigge bei der britischen Militärregierung erstattet (Degkwitz war von der britischen Militärregierung zum Leiter des Hamburger Gesundheitswesens ernannt worden). Die Angeschuldigten leugneten ihre Taten nicht, sondern rechtfertigten sie als Akte der Menschen- und Nächstenliebe. Bayer führte an, er habe die Familien, insbesondere die Mütter, von diesen Kindern befreit, die ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht, aber ihnen zudem die Missachtung durch die Mitmenschen, die das Ideal der gesunden reinen Rasse verträten, eingetragen hätten. Die Wesen, um die es ginge, seien nicht als Menschen zu betrachten, und, da sie sich selbst eine Last seien, sei ihre Tötung ihre Erlösung. Knigge argumentierte damit, er habe – im strikten Rahmen der von Binding und Hoche genannten Kriterien – lediglich den ohnehin bevorstehenden Tod der Kinder vorgezogen.
Die britische ‚Legal Division‘ ging von Ermittlungen wegen ‚Mord und Totschlag in zusammen ca. 60 Fällen‘ aus. Sie übergab den Fall der deutschen Kriminalpolizei. Bayer und Knigge rechtfertigten ihre Taten weiter. Sie drängten 1947 auf Abschluss der Voruntersuchung in der Annahme, dann an ihre früheren Arbeitsplätze zurückkehren zu können.
Im Juli 1948 wurden die Voruntersuchungen gegen Bayer und Knigge ausgeweitet, sie betrafen jetzt auch die Assistenzärztinnen, Krankenschwestern, die beteiligten Verwaltungsjuristen wie Kurt Struve sowie die Gutachter Wentzler und Catel. Außer den Genannten waren angeschuldigt: die Ärztinnen Freiin Ortrud von Lamezan, Ursula Bensel, Emma Lüthje, Ursula Petersen, Ingeborg Wetzel, Gisela Schwabe, Helene Sonnemann, Lotte Albers, Maria Lange-de-la-Camp, Ilse Breitfort, Hans Schmidt, Hermann Sieveking, Walter Stuhlmann und Hans Grieve.
Im August 1948 empfahl der Oberstaatsanwalt, die Voruntersuchung abzuschließen und die Strafverfolgung einzustellen, denn die Angeschuldigten seien ja Ärzte und keine Juristen gewesen, hätten die Kinder (bis zur Tötung) sachgerecht behandelt und im Rahmen ‚eines amtlichen Verfahrens‘ (Knigge) getötet. Dass diese Entscheidung noch nicht zur Einstellung der Ermittlungen führte, liegt vermutlich am Interesse der britischen Militärjustiz.
Im Februar 1949 – der Oberstaatsanwalt hatte 162 Zeuginnen und Zeugen vernommen und war zu dem Schluss gekommen, dass Bayer 56 Kinder getötet hatte – legte er eine Anklageschrift vor (die Schwestern befanden sich nicht mehr unter den Beschuldigten), da ‚die Tötungen der Kinder objektiv rechtswidrig war‘. Bayer und Knigge hätten sich des Mordes bzw. Totschlags schuldig gemacht, Bayers Assistenzärztinnen seien zu Mittäterinnen geworden, Catel und Wentzler hätten Beihilfe geleistet, Struve sei mitschuldig, weil er die rechtliche Seite außer acht gelassen habe.
Doch das Landgericht Hamburg eröffnete die Hauptverhandlung gar nicht erst: Es setzte die Angeschuldigten am 19. April 1949 außer Strafverfolgung. Sie hätten zwar gegen das allgemein anerkannte Sittengesetz verstoßen – denn die Pflicht zur Geheimhaltung hätte sie misstrauisch machen müssen –, gegen die medizinische Ethik und gegen das allgemeine Strafgesetz, denn ‚die Tötungen der Kinder [seien] objektiv rechtswidrig‘, aber ein Nachweis ihrer Schuld werde nicht möglich sein. Gegen diesen Beschluss erhob die Staatsanwaltschaft (aufgrund einer Weisung durch die Senatskommission für die Justizverwaltung) keine Beschwerde. Zwar setzte sich die KPD für die Einleitung eines Strafverfahrens ein, doch der Senat lehnte ab.
1960 stand eine Wiederaufnahme des Verfahrens zur Diskussion. In Kiel lief ein Verfahren gegen den Mediziner Heyde-Sawade, der Obergutachter in der ‚T4‘-Aktion gewesen war. Degkwitz bemühte sich, auch den Gutachter des ‚Reichsausschusses‘ Catel vor Gericht zu bringen, der seit 1954 unbehelligt die Universitätskinderklinik in Kiel leitete.
Inzwischen hatte sich auch der Organisator des ‚Reichsausschussverfahrens‘ Hefelmann, der aus Angst vor Strafverfolgung untergetaucht war, gestellt und ausgesagt. Das öffentliche Interesse richtete sich deshalb auf die Gutachter des ‚Reichsausschusses‘. Auf einer Pressekonferenz entlastete der damalige Kulturminister von Schleswig-Holstein, Edo Osterloh, Catel mit dem Hinweis, dieser habe beim ‚Reichsausschuss‘ mitgearbeitet, ‚um Schlimmeres zu verhüten‘. Wegen ‚möglicher Missverständnisse‘ bei den anwesenden Journalisten unterließ die Hamburger Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen. Auch Belege, die Rudolf Degkwitz’ für Catels Rolle bei der ‚Massen-Euthanasie‘ vorlegte, und weitere Tatsachen wertete die Staatsanwaltschaft nicht als hinreichend neu, um das Verfahren wieder aufzunehmen.
1961 prüften die Gesundheitsbehörde und die Ärztekammer gemeinsam, ob Bayer und den in Hamburg praktizierenden früheren Assistenzärztinnen die Approbation zu entziehen sei. Mit der Begründung, ihre Handlungen seien ‚unter den damaligen Umständen’ keine schweren sittlichen Verfehlungen im Sinne der Reichsärzteordnung (von 1935)‘, wurde ihnen jedoch das Recht zur weiteren Berufsausübung belassen. Gegen diese Entscheidung protestierten Hamburger Medizinstudenten unter Hinweis auf die Unveränderlichkeit sittlicher Grundsätze. Sie riefen die Bundesärztekammer auf, sich von allen ärztlichen Handlangern des NS-Systems zu distanzieren. Der Allgemeine Studentenausschuss der Universität erstattete Anzeige aufgrund der ‚in der Erklärung der Gesundheitsbehörde und der Ärztekammer enthaltenen Begünstigung und Billigung der Tötung von geisteskranken Kindern im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort‘ gegen den Vorstand der Ärztekammer. Dennoch erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage, da sie weder den ‚objektiven Tatbestand der Begünstigung‘ noch den der ‚Billigung eines Verbrechens‘ als gegeben ansah.
1973 eröffnete die Hamburger Staatsanwaltschaft ein Untersuchungsverfahren gegen den Leiter der damaligen Alsterdorfer Anstalten, Pastor Friedrich Lensch, und den ehemaligen Leiter des Hauptgesundheitsamtes, Kurt Struve. Ihnen wurde die Ermordung von 652 Personen in der ‚Euthanasie‘ zur Last gelegt, darunter die Kinder aus der ‚Kinderfachabteilung‘ Langenhorn. Struve hatte seine Karriere in der Hamburger Verwaltung nach dem Krieg fortgesetzt und es zum Leiter der Liegenschaftsabteilung gebracht, führte den Titel des Senatsdirektors und war Mitglied des Planungsstabs in der Senatskanzlei. 1968 ging er in den Ruhestand. Struve wurde noch im Monat der Prozesseröffnung für verhandlungsunfähig erklärt, die Anklage gegen Lensch nicht zugelassen.
Bayer und Knigge wurden durch Rudolf Degkwitz, den neuen Leiter der Hamburger Gesundheitsverwaltung, am 25. August 1945 vom Dienst suspendiert. Beide legten vergeblich Widerspruch gegen diese Entscheidung ein.
Friedrich Knigge verstarb Ende 1947 an spinaler Kinderlähmung, eines der Krankheitsbilder, deren Folgen er bis 1943 ‚behandelt‘ hatte. (…)“ [1]
Siehe zum Verfahren 1946 die Stellungnahme des Arztes Max Nonne, nach dem in Hamburg eine Straße benannt ist, die 2015 umbenannt wurde. Er reichte sein 1941 erstelltes „Gutachten“ zur Befürwortung der Euthanasie erneut ein und zwar im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen die Euthanasieärzte Wilhelm Bayer , Leiter des Kinderkrankenhauses Hamburg- Rothenburgsort und Friedrich Knigge, Leiter der zweiten Hamburger Kinderfachabteilung in der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn. Nonne setzte sich für die beiden Ärzte ein und äußerte: „In den Fällen des Herrn Dr. Knigge handelt es sich durchgehend um schwere Idioten. (…) In den Fällen von Herrn Dr. Bayer war das vorliegende Material genau dasselbe. (…) Das sind alles Fälle, für die ich schon seit langen Jahren eine Unterbrechung des Lebens gewünscht hatte.“ (Aly,S.150) Von daher beurteilte Nonne die Handlungen der beiden Ärzte im Rahmen der Kinder-Euthanasie als „erlaubten, nützlichen Akt“. Mit dieser Bewertung hatte Nonne „die Meinung der Juristen unterstützt, wenn nicht sogar geprägt. Er spricht geistig und körperlich Erkrankten das Menschsein ab und schon bestehen auch keine Bedenken sie zu töten.“ (Burlon, S.199) Knigge starb am 2. Dezember 1947 an Kinderlähmung.
Verweis: siehe auch die Opferbiografien von Rita Ahrens, Helga Deede, Rolf Förster, Agnes Petersen, Flora Sänger und Dagmar Schulz unter www.stolpersteine-hamburg.de