Dr. Ernst Finder
(16.2.1865 – 11.7.1940)
Lehrer (Realschule Hamburg-Eilbeck)
und niederdeutscher Volkskundler,
seit 1918 wohnhaft in Hamburg-Hamm;
„Ernst-Finder-Weg“ (Lohbrügge)
Ernst Finder (geboren am 16. Februar 1865 in Moorfleet bei Hamburg, gestorben am 11. Juli 1940 in Hamburg) war der Sohn des in Billwärder (damalige Schreibweise) ansässigen, „nicht unbetugten [sic!] Milchbauern“[1] Eggert Finder (1834-1914). Nach Schulbesuch, kaufmännischer Lehre und nachgeholtem Abitur studierte er von 1889 an in Berlin, Heidelberg und Göttingen. Ab 1896 absolvierte er sein Anleitungs- und ein Probejahr an Hamburger Schulen und promovierte 1898 an der Universität Rostock mit einem Beitrag zur niederdeutschen Geschichte: „Der Anteil des Grafen Anton I. von Oldenburg am Schmalkaldischen Kriege und die Eroberung von Delmenhorst 1547“. Ab Oktober 1899 war er Oberlehrer (seit 1915 „Professor“) an der Realschule Eilbeck (damalige Schreibweise) – bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1930. Seine Hauptfächer waren Geschichte, Erdkunde, Deutsch und Französisch. In Hamburg ließ er sich schließlich in Hamm nieder; seine Wohnung befand sich seit 1918 lange Jahre in der Meridianstraße 5, von 1933 bis 1940 im Dimpfelsweg 14.[2]
Der Dimpfelsweg wurde im Bombardement der „Operation Gomorrha“ 1943 vollständig zerstört.[3] Als Finder dort zu Beginn des „Dritten Reichs“ einzog, galt die Straße als „gutbürgerliche“ Wohnadresse. Die Hammer Landstraße mit der Eiffestraße verbindend, lag sie „auf der Grenze zwischen 'Oben' und 'Unten Hamm', dem Hamm der 'Bürger' und dem der Arbeiter.“[4]Im Dimpfelsweg Nr. 1 befand sich (bis 1936) zum Beispiel die Praxis des Hausarztes Dr. Max Besser[5], das gleiche Haus war die Adresse des Kinderarztes Dr. Moritz Heidemann und seiner Frau, der Frauen- und Kinderärztin Dr. Charlotte Heidemann (bis 1938). Im Haus Nummer 5 wohnte Professor Dr. Reinhold Mayer, Oberregierungsrat a.D., Landestierarzt in Hamburg[6], ebenso Professor Dr. Erich Titschak, Kustos am Zoologischen Museum[7]. Bis 1943 wohnte in dieser Straße auch Pastor Walther Hunzinger, in der NS-Zeit für die Bekennende Kirche engagiert. (1930 erschien seine Dissertationsschrift „Der Begriff des Gefühls und seine Wandlungen in Schleiermachers Religionsauffassung“ zunächst im Eigenverlag im Dimpfelsweg 22.)[8] Wenige Häuser weiter, Nr. 26, hatte bis 1943 ein Ex- und Importkaufmann, F. S. Hockenheimer, seine Wohnung.[9]
Moritz Heidemann und seiner Frau Charlotte gelang es noch, 1938 nach Argentinien zu emigrieren; Max Besser beging vor der Deportation nach Minsk 1941 mit seiner Frau Käthe Selbstmord; Fred Sally Hockenheimer, nachdem seine Frau Helene und ihr Sohn Karl-Heinz im Feuersturm 1943 umgekommen waren, wurde 1944 nach Theresienstadt und von da nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Dr. Ernst Finder hatte kein solches Schicksal zu befürchten. Seit seiner Promotion, während seiner Zeit als Lehrer in Eilbeck , aber auch in den Jahren nach seiner Pensionierung konnte er sich unbeirrbar dem einem Thema widmen, das ihn umtrieb: dem niederdeutschen „Volkstum“. Ausgehend von seiner „Heimat“, Billwärder und die Vierlande, entwickelte er eine rege volkskundliche Tätigkeit. Grundlegend war für ihn das Verständnis seiner engeren und weiteren „Heimat“ als Teil einer großen „niedersächsischen“ (oder „niederdeutschen“) Region, die nach Ansicht der Niederdeutschen Bewegung von Flandern bis über Ostpreußen hinaus ins Baltikum reichte. Es ging um die Verteidigung und Stärkung der plattdeutschen Sprache, einer angeblich damit verbundenen „niederdeutsche Wesensart“ und eines entsprechenden „Volkstums“. Dieses sollte letztendlich dem „Germanentum“ und, wie es später auch hieß, einer vermeintlichen „nordischen Rasse“ verpflichtet sein. „Wesentlicher Antrieb Finders war seine Auffassung, dass die kulturellen Zeugnisse der alten Zeit mehr und mehr durch die Veränderungen der Moderne verloren gingen. Er sah sich daher dazu berufen, die noch vorhandenen Spuren der urständigen Kultur jener Gebiete für die Nachwelt zu sichern.“[10]
So begann er zunächst, sich mit den Vierlanden zu beschäftigen. 1907 erschien als „wissenschaftliche Beilage zum Bericht über das Schuljahr 1906/07“ seiner Eilbecker Schule die Schrift „Die Vierlande um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Niedersachsens.“[11]Kurz danach ergänzte er dies um ein Heft mit dem Titel „Kirche und Schule in den Vierlanden von 1550 bis 1650“.[12] Als er 1910 ein Buch über „Tracht, Haus und Hof der Vierländer“ für den „Verein für Hamburgische Geschichte“ rezensierte (er gehörte dem Verein seit 1905 an), sprach er zwar von einem „einzigartigen Werke“, breitete dann aber eine ausführliche Liste kritischer Einwände aus eigener Detailkenntnis aus.[13] 1914 veröffentlichte die „Pädagogische Vereinigung von 1905 in Hamburg“ ein „Heimatbuch“ mit Beiträgen verschiedener Autoren. Im Vorwort wurde als „großes Ziel“ genannt: „Liebe zu wecken zur Heimat!“ Dort hieß es: „Wer kann die hehre Erhabenheit, das tiefstinnere Wesen seiner Heimat ganz erfassen? Aber versuchen, ihr näherzukommen, die vielen feinen Fäden, die ins Innere führen, zu verfolgen, die reichen Schätze, die vielfach verborgen liegen, zu heben, den innigen Zusammenhang zwischen der mütterlichen Erde und unserer Wesensart zu ergründen – versuchen sollten es alle (…).“[14] Was konnte Finder zu einer solchen Ergründung des „Zusammenhangs zwischen mütterlicher Erde und Wesensart“ beisteuern? Er schrieb über „Die Vierlande“.[15]
Zur gleichen Zeit, kurz vor Kriegsbeginn, lag dem „Verein für Hamburgische Geschichte“ Finders Manuskript für ein Vierlande-Buch vor. (Der Druck verzögerte sich aber durch den Krieg und die nachfolgenden politischen und finanziellen Turbulenzen.) Zwei Jahre später, 1916, hielt Finder bei der „Deutschen Gesellschaft in Hamburg“, initiiert von dem Germanistik- und speziell Niederdeutsch-Professor Conrad Borchling vom „Allgemeinen Vorlesungswesen“, dem Vorläufer der Hamburger Universität, einen Vortrag über „Das Jahr und seine Feste in den Vierlanden“. Im „Verein für Hamburgische Geschichte“ sprach er im Juni 1918. Mochte außerhalb der Vereinsmauern auch die wilhelminische Welt ihrem Ende gerade rasant entgegengehen, Finder referierte über „Die Reformation und evangelisches Kirchenleben in den Vierlanden“.[16]
Erst 1922, nachdem eine private Spende die Drucklegung ermöglicht hatte, war es dann so weit: In zwei Bänden erschienen Finders langjährig und vielfältig zusammengetragenen Vierlandensien unter dem Titel „Die Vierlande. Beiträge zur Geschichte, Landes- und Volkskunde Niedersachsens“ als Veröffentlichung des „Vereins für Hamburgische Geschichte“.[17] Spätestens seitdem galt Finder in Hamburg und darüber hinaus als Experte in Sachen Vierlande, aber überhaupt als engagierter Parteigänger des Niederdeutschtums.
Bereits 1918 hatte er anlässlich der Rezension eines Buches von Hamburgs führendem Volkskundler, Otto Lauffer (1874-1949), dessen Konzept „der deutschen Volkskunde“ dargestellt. Lauffer wurde 1919 Professor an der Hamburger Universität und war ab 1908 Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, bis 1946; im Jahr 1933 gehörte er zu den Unterzeichnern des „Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ (übrigens wie auch der genannte Germanistik-Professor Conrad Borchling und der Rassenbiologe Professor Walter Scheidt, von dem noch zu sprechen sein wird.)
Lauffers Buch, so Finder, berichte „über niederdeutsche Stammeskunde und Stammesveranlagung, über die äußeren Lebensformen des niederdeutschen Volkstums, über die Sprache und die volkstümliche Dichtung, den volkstümlichen Glauben und die volkstümliche Sitte. (…) Der Leser wird belehrt über Siedelungsverhältnisse, Hausbau, Hausrat, Tracht, über die Stellung des Hochdeutschen zum Niederdeutschen, über die Äußerungen der Volksseele, wie sie zum Ausdruck kommen in Sprichwörtern, Volksrätseln, Abzählreimen, Kinderreimen, Spottreimen, volkstümlichen Liedern u. a. m., über das Gebiet des sog. Aberglaubens, der mit der Volkssitte aufs innigste verwachsen, in unsere Urzeit zurückweist, über die in unsern Tagen wieder zu Ehren kommende Volksheilkunde, über die volkstümlichen Gebräuche, die vornehmlich den Kreislauf des Jahres sinnig schmücken und die Hauptstufen des menschlichen Daseins (Geburt, Jugend, Hochzeit, Ehe, Tod) verklären und adeln.“
Eine solche Ansammlung volkskundlicher Fundsachen füge sich dann „zu einem einheitlichen Bilde des niedersächsischen Volkstums“ zusammen.[18]
Dies war genau die Art von Volkskunde, die Finder vertrat und praktizierte – nicht nur in seinem Vierlande-Buch, sondern in allen weiteren Veröffentlichungen. Gleich, mit welcher Region er sich beschäftigte, der Blick ging zurück in die Vergangenheit, richtete sich auf Lebensformen, denen ein Wert zugesprochen wurde, welcher sich aus Distanz und Gegnerschaft zur Moderne - zu Aufklärung, Großstadt, Technik und Industrie, Demokratie und Weltoffenheit - rechtfertigte. Anhand der Veröffentlichungen Finders lässt sich zeigen, wie von dieser Position aus der Anschluss an die nationalsozialistische Blut- und Boden-Ideologie gesucht und gefunden werden konnte[19] und wie dies bei Finder tatsächlich auch geschah.
Ernst Finder als Elfenbeinturm-Privatgelehrten zu sehen, der seine Bestimmung vornehmlich weltabgewandt in Archiven und Bibliotheken suchte, wäre jedoch eine Fehleinschätzung. Wie schon erwähnt, nahm er an der Arbeit des Hamburger Geschichtsvereins aktiv teil und pflegte überhaupt seine Kontakte zu akademischen Kreisen; ebenso betätigte er sich aber in der Szene der Niederdeutschen Bewegung in Hamburg. Bei seinen volkskundlichen Recherchen sammelte er auch regelmäßig Informationen „vor Ort“, wobei ihm seine Plattdeutschkenntnisse halfen, mündliche Überlieferungen zusammenzutragen.
Schon 1904, als in Hamburg eine „Freie Vereinigung von Freunden der Niederdeutschen Sprache und Literatur“ gegründet wurde, die sich kurz danach den Namen „Quickborn“ zulegte, war Finder unter den Männern der ersten Stunde. Bald war dieser Verein die maßgebliche Gruppierung der Niederdeutschen Bewegung Hamburgs. Zu den entscheidenden „Machern“ des „Quickborn“ gehörten der nachmals langjährige Vorsitzende Paul Wriede (1870-1926), daneben Hinrich Wriede (1882-1958), Volkskundler, plattdeutscher Schriftsteller und Volkschullehrer, aber auch Johann Kinau (1880-1916), der sich als Schriftsteller Gorch Fock nannte. Alle drei hatten ihre familiären Wurzeln oder lebten und arbeiteten in Finkenwerder – und alle drei waren sich auch schon in Hamburg im niederdeutsch inspirierten „Kreis um die Himmelsleiter“ begegnet, wo Gorch Fock inmitten von Künstlern und Literaten eine zentrale Rolle spielte. Hans Friedrich Blunck (1888-1961), der damals auch dazu gehörte (ab 1933 war er erster Präsident der NS-Reichsschrifttumskammer, bis 1935), sprach von diesem Kreis als fast schon „geschlossene Kampfgruppe“ - es ging um „gemeinsamen Widerstand“ gegen „Berlin“.[20]
Als der „Quickborn“ etabliert war, entfaltete er eine rege Veranstaltungstätigkeit, und ab 1907 besaß er eine eigene Zeitschrift: die „Mitteilungen aus dem Quickborn“. Einer der ersten Vorträge im Verein wurde von Dr. Ernst Finder gehalten. Er sprach über „das Eindringen des Hochdeutschen in Hamburg“. Allein in den Anfangsjahren 1904 bis 1909 hielt er dort vier Vorträge; im Jahr 1936 verlieh ihm der „Quickborn“ den Titel „Ehrenmitglied“. (Finder war seit 1905 auch Mitglied im „Verein für Vierländer Kunst und Heimatkunde“; seit 1917 im „Verein zur Pflege der Natur- und Landeskunde in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck“; von 1917 bis 1923 vertrat er den Hamburger Geschichtsverein in der „Theobald-Stiftung zur Förderung der niederdeutschen Sprachforschung“.)[21]
Ernst Finder, Hinrich Wriede und Johann Kinau (Gorch Fock) wirkten dann 1914 auch gemeinsam an der erwähnten Veröffentlichung der „Pädagogischen Vereinigung“ mit.
Gorch Fock und Hinrich Wriede schrieben über Sagen, die Elbe, das niedersächsische Bauernhaus und Finkenwerder; Wriede bemerkte in diesem „Heimatbuch“ über die in seiner Sicht bedauerlichen Veränderungen in Finkenwerder: „Schon wohnen fremde Arbeiter, Holländer und Süddeutsche, auf unserer Insel; wie lange wird es dauern, dann werden Polen, Tschechen, Galizier und sonstige minderwertige Rassen ihren Einzug halten.“[22]
Finders spätere volkskundliche Beschäftigung mit Finkenwerder hat demnach eine lange Vorgeschichte. Von 1919 an arbeitete er aber – im Auftrag des „Vereins für Hamburgische Geschichte“ - als Nächstes an einer Studie über Billwärder. Daneben widmete er sich ab 1922 einigen Aspekten der Geschichte Hamburgs. „Hamburgisches Bürgertum in der Vergangenheit“ hieß das Ergebnis schließlich; es hörte in seinen Betrachtungen Ende des 18. Jahrhunderts auf. So manche abstoßenden Seiten des städtischen Lebens wurden dabei herausgearbeitet, trotz vieler amüsanter und beeindruckender insgesamt. Der Rezensent des „Vereins für Hamburgische Geschichte“ nannte es eine „erstaunliche wissenschaftliche Leistung“ und meinte, „dem Verfasser hat zweifellos so etwas wie eine s t ä d t i s c h e V o l k s k u n d e vorgeschwebt“. Dass Finder hierbei seinem erprobten volkskundlichen Konzept treu geblieben ist, verdeutlicht die fast schon ironische Besprechung: „Daß der Autor dieser aus einer unübersehbaren Anzahl von historischen Mosaiksteinchen zusammengesetzten Arbeit gerade 'Finder' heißt, scheint nicht nur ein neckisches Spiel des Zufalls, sondern zugleich auch das namentliche Symbol seines heuristischen Erfolgs zu sein. Es überkommt den Leser der Lektüre des Buches sehr bald das Gefühl, als sei auch nicht das kleinste Kulturpartikelchen aus der hamburgischen Vergangenheit übersehen – als könnte das Werk schlechterdings nicht kompletter sein. Wie aus den Bezeichnungen der acht Hauptkapitel hervorgeht (Der Lebenskreis – Nahrungs- und Genußmittel – Gesundheit und Krankheit – Haus und Hausrat – Zeiten und Feste des Jahres – Gartenwesen und Gartenlust – Geselligkeit und Vergnügungen – Wege und Stege) wird ganz vorwiegend die sachliche Kultur behandelt und das Geistige nur gelegentlich im Rahmen von Sitte und Brauch erörtert.“[23] Das Werk war diesmal nicht vom Geschichtsverein, sondern vom Hamburger Staat finanziert worden. Es erschien in dem Jahr, 1930, in dem Finder seine Lehrertätigkeit beendete.
Die folgende, seit 1919 längst vorbereitete Veröffentlichung erschien fünf Jahre später, 1935. Ein weiteres Mal – und nun wieder in gewohnt ländlich-antistädtischer Perspektive – legte Finder eine traditionell volkskundliche Kompilation vor, in diesem Fall unter dem Titel „Die Landschaft Billwärder, ihre Geschichte und ihre Kultur“.[24] Verändert hatten sich inzwischen aber die politischen Verhältnisse. Zuvor war Finders volkskundliche Arbeit auf die im Umkreis der Niederdeutschen Bewegung übliche kulturkritische, anti-modernistische Haltung begrenzt gewesen, wie sie etwa auch im „Quickborn“ gepflegt wurde. Dort, wie in der niederdeutschen Szene überhaupt, wurde 1933 der Beginn einer „neuen Zeit“ freudig begrüßt.[25] Auch im „Verein für Hamburgische Geschichte“, der bis 1937 noch nicht vollends den NS-Erwartungen entsprach, standen die Befürworter der nationalsozialistischen Herrschaft aber bereit, dem Zeitgeist Geltung zu verschaffen.[26]
Finder entschloss sich, in seiner Volkskunde Billwärders die Zeichen der Zeit in deutliche Worte zu fassen. „Seit der Neugestaltung des Reiches“, schrieb er, „ist auch für unsere Marsch eine neue Zeit heraufgezogen, die unter Verwirklichung der Volksgemeinschaft spürbar wird auf dem Gebiete der geistigen und sachlichen Kultur. Das Bauerntum, das von Natur aus für die Ernährung unseres Volkes zu sorgen hat, ist auch der unablässig fließende Quell für den Bestand, die Erneuerung der Lebenskraft unseres Volkes, das, wenn es die Urkräfte des deutschen Seins, Blut und Boden, die in Jahrhunderten deutsche Sonderart geformt haben, verleugnet oder ihr entsagen muß, in der Großstadt nicht selten in wenigen Geschlechterfolgen zu verkümmern pflegt.“ Und er fügte hinzu, was die Botschaft unanfechtbar zu machen versprach: „'Das Deutschland der Zukunft wird ein Bauernreich sein, oder es wird nicht sein.' (Adolf Hitler)“.
An anderer Stelle in diesem Buch bekannte er sich zu der von nationalsozialistischer Seite immer wieder angemahnten Ausrichtung der Heimat- und „Volkstums“-Arbeit auf Gegenwart und Zukunft: „In der starken Bewegtheit der Gegenwart kündet sich an, vollzieht sich eine Zeit- und Volkswende. Das Ziel des Dritten Reiches ist die innere Erneuerung des deutschen Volkes. Heimatliches Brauchtum guter Art soll wieder eine Stütze des Volkstums werden, denn in unserem selbstbewußten nationalen Staate sind die Werte des eigenen Volkstums erkannt, die Heimatbewegung hat kraftvoll eingesetzt: Sie will in allen Bereichen das Vätererbe, das Kulturgut volklich-heimatlichen Lebens, bewahren, soweit es gut und erhaltenswert ist, das Gemeinschaftsleben stärken und mit neuem Geist auf volksmäßiger Grundlage erfüllen. Die Vergangenheit soll wirksam bleiben, damit die Gegenwart sich wieder an ihr belebe und die Zukunft durch sie Kraft und Zuversicht gewinne.“[27]
Auch dieses Buch Finders wurde wegen „seiner Stoffülle“, „seinem reichen und sorgfältigen Quellennachweis“, jetzt aber auch wegen seiner „bewußt und betont reindeutschen Sprache“ gelobt, und dem Verfasser wurde eine tadellose „Haltung“ bescheinigt.[28]
Nach Erscheinen dieser Publikation war Finders nächstes Vorhaben in folgerichtiger Fortsetzung seiner bisherigen Arbeit auf ein besonders prägnantes Objekt niederdeutschen „Volkstums“ gerichtet. Die „Mitteilungen aus dem Quickborn“ zeigten im Jahrgang 1935/1936 an, dass Vereinsmitglied Dr. Ernst Finder an einem neuen Buch über Finkenwerder arbeite. Zugleich wurde angekündigt, dass für Mitte 1936 in Finkenwerder eine große 700-Jahr-Feier zu erwarten und dass der Finkenwerder Volksschullehrer Adolph Albershardt (1892-1969) damit befasst sei.[29] Er war gleichfalls „Quickborn“-Mitglied. Seit 1912 war er in Finkenwerder tätig und hatte sich nach dem Ende des Weltkrieges aktiv in die Gestaltung des Ortes eingeschaltet. Damit hatte er u.a. auch Anschluss an die aus „Himmelsleiter“- und „Quickborn“-Zusammenhängen bekannten Finkenwerder gefunden – Gorch Fock (der allerdings 1916 gestorben war), statt seiner nach dem Weltkrieg sein Bruder Rudolf Kinau (1887-1975) und Hinrich Wriede.
Schnell galt der aus Lübeck stammende Albershardt, der seit 1918 für das Lokalblatt „Norddeutsche Nachrichten“ Beiträge zu Finkenwerder schrieb, als besonders dem Ort bzw., wie es meist hieß, der Insel verbundener Niederdeutscher. Als Finder 1935 für sein neues Buch zu recherchieren begann, habe er Albershardt gefragt, berichtete dieser 1940, „ob ich nicht selbst auf Grund meiner heimatlichen Forschung die Herausgabe eines Finkenwärder Buches plante, da gab es für mich nur eine Antwort: 'Finkenwärder kann keinen besseren Chronisten finden, als Sie es sind.'“ Und Albershardt ergänzte: „Es ist für mich eine herzliche Freude gewesen, daß sich durch die jahrelange Zusammenarbeit eine ehrliche Freundschaft zu dem 27 Jahre älteren Professor entwickelte.“[30]
Finkenwerder (oder „Finkenwärder“, wie der zu Hamburg gehörende Nordteil der Insel geschrieben wurde) war für Volkskundler schon länger von besonderem Interesse gewesen, da auf der relativ isolierten, „reinen“ Bauern- und Fischerinsel der mystifizierte „germanisch-nordische“ Mensch vermutet wurde, was zu einer „Stilisierung Finkenwerders zu einem Musterbeispiel für herausragendes rassisches Erbgut“ führte. So machten sich Volkskundler und Rassenbiologen auf die Suche nach dem „'niederdeutschen Menschen', als dessen Prototyp der Finkenwerder häufig angesehen“ wurde.[31] Hinrich Wriede, seit den „Quickborn“-Anfängen 1904 selbst als Volkskundler Finkenwerders hervorgetreten, tat sich deshalb 1925/1926 mit dem Hamburger Rassenkundler Walter Scheidt zusammen, der schon damals mit Hilfe von Schädelvermessungen usw. die „typische ererbte Eigenart des Finkenwärder Menschenschlages“ herausfinden wollte.[32]
Mit vielfacher Unterstützung Adolph Albershardts konnte Finder bei der Zusammenstellung seines Finkenwerder-Buches auf solche Vorarbeit zurückgreifen. Wie stets befragte er aber auch Finkenwerder Einwohner, „die in immer gern und zuverlässig gewährten Auskünften auf landes- und volkskundlichem Gebiet ein freundliches Entgegenkommen gezeigt haben.“[33] Ebenso trug er, wie gewohnt, zusammen, was sich in Archiven und Chroniken finden ließ. Insofern war das neue Werk, das Ende 1939 ausgeliefert wurde – als Erscheinungsdatum galt 1940 –, ein „typischer“ Finder. Der Verfasser nannte es: „Die Elbinsel Finkenwärder. Ein Beitrag zur Geschichte, Landes- und Volkskunde Niedersachsens.“[34] Auch dieses Buch übernahm der „Verein für Hamburgische Geschichte“ in sein Veröffentlichungsprogramm. In der Vereinszeitschrift
wurde von „einem umfassenden Werk“ gesprochen; der Verfasser habe sich und Finkenwerder damit „ein Denkmal gesetzt, für das ihm nicht nur die Elbinsel, sondern auch die Heimatstadt Hamburg Dank schuldet“. „Jeder Freund der Heimatgeschichte und des heimatlichen Volkstums wird viel Freude an dem Werke haben und man möchte ihm weite Verbreitung in unserem Heimatgebiete wünschen“, schrieb der Rezensent abschließend. Es war Adolph Albershardt.[35]
Nicht störend wurden Passagen empfunden, die an dem Erkenntnisgewinn (auch an der Formulierungssicherheit) solcher Volkskunde eher zweifeln lassen. Beispielsweise: „Die äußere Erscheinung des Menschen ist nicht nur durch die Körperbeschaffenheit bedingt, sie hängt auch zum nicht geringen Teil von der Körperbekleidung ab, ja, Mensch und Tracht können von innen her miteinander verwachsen sein.“ Oder: „Die Zahl der Bewohner ist durch fremdbürtigen Zuzug unaufhörlich gewachsen und ist noch immer im Ansteigen. Die Neusiedler entstammen den verschiedensten Teilen unseres Vaterlandes. Als eigentliche Finkenwärder fühlen sie sich nicht (oder noch nicht) trotz mehrfach eingegangener ehelicher Verbindungen mit alteingesessenen Familien des Landes. Unter den veränderten Zeitverhältnissen droht das Finkenwärder Volksleben seine Besonderheit zu verlieren.“[36]
Bei aller unverändert rückwärtsgewandten niederdeutschen Kulturkritik war Finder jedoch offenbar bewusst, dass Ende 1939/Anfang 1940 niederdeutsche Heimatpflege nicht ohne verstärktes Bekenntnis zu den Erwartungen der nationalen Gegenwart möglich war. Entsprechend wusste er „der Regierung des Dritten Reiches (…) zu danken“ - so etwa für die Aufwertung „der Landbevölkerung (…) im Gemeinschaftsleben“, z.B. durch „Verkehrsverbesserung“.[37] Wenn er die Fotos („Lichtbilder“) Albershardts lobte,
die in großer Zahl das Buch illustrierten, nannte er den Fotografen einen „Finkenwärder Volksgenossen“[38]. Der sprachlichen Anpassung an NS-Gepflogenheiten entsprach, dass Finder, dem es eigentlich um die Bewahrung des Überlieferten ging, nun dennoch die Errungenschaften der „neuen Zeit“ zumindest erwähnte. So registrierte er, dass „ein 50 Hektar großes Fluggelände entsteht, aus dem schon die ersten Hallen für Flugzeuge emporwachsen“ und dass „der Reichsstatthalter die Verlegung des Hamburg-Altonaer Fischereihafens und der mit ihm verbundenen Fischindustrie nach Finkenwärder“ verkündet habe.[39] Schließlich fasste Finder zusammen: „Eine neue Zeit ist für Finkenwärder angebrochen. Große Veränderungen stehen der Insel bevor“[40], und sein Fazit lautete: „Finkenwärder ist in völliger Umgestaltung begriffen. Das Großgewerbe nimmt von der Insel Besitz. Ein Straßennetz, an dem Zehntausende von Volksgenossen ihre Wohnstätte finden sollen, wird gebaut. Der Heimatfreund mag beklagen, daß im Laufe der Entwicklung die stillen landschaftlichen Schönheiten des Eilands verlorengehen. Indes: die Gegenwart fordert gebieterisch ihr Recht.“[41]
Wie sich volkskundliche Vergangenheitsorientierung mit der Anerkennung nationalsozialistischer Gegenwart verbinden ließ, zeigte dann eine Passage am Ende des Abschnitts „Brauchtum im Jahreslaufe“, wo Finder auf ein ganz aktuelles „Brauchtum“ hinwies – und damit zugleich seinem Mitstreiter Adolph Albershardt das Wort überließ: „Ihr verdienter Leiter äußert sich im folgenden über die Finkwarder Speeldeel“, leitete Finder dies ein.[42] Albershardt hatte nämlich 1936 vor der erwähnten 700-Jahr-Feier die niederdeutsche Volkstanz-, Trachten und Laienspielgruppe „Finkwarder Speeldeel“ neu belebt. Ursprünglich war sie 1906 von Gorch Fock und Hinrich Wriede gegründet und dann von Wriede nach dem Weltkrieg einige Jahre - letztlich vergeblich – weitergeführt worden. Nun schrieb Albershardt in Finders Buch über die „Speeldeel“:
„Eine Kampfgruppe für die Erhaltung und Sicherung des Volkstums war notwendig. (…) Als dann Finkenwärder seine 700-Jahrfeier 1936 begehen konnte, gründete Adolph Albershardt (…) die 'Finkwarder Speeldeel' zum dritten Mal. (…) Die 'Finkwarder Speeldeel' fand schon 1936 Anschluß an die NS-Gemeinschaft 'Kraft durch Freude' (Amt Feierabend, Abteilung Volkstum und Brauchtum). Höhepunkt im Dienst von 'Kraft durch Freude' waren eine Fahrt mit der 'Monte Olivia' nach Norwegen (1937), der Tanz vor Frau v. Horthy beim Führerbesuch auf Helgoland (1938), die Teilnahme mehrerer Paare an der Jungfernfahrt des 'Wilhelm Gustloff' nach Italien (1938) und die Mitwirkung auf den KdF-Reichskongressen in der 'Hanseatenhalle' beim 'Volk spielt fürs Volk' (1938 und 1939).“[43]
Das „Brauchtum im Jahreslaufe“, wie Finder formulierte, bot somit eine Gelegenheit, den Bogen in die Gegenwart des „Dritten Reichs“ zu schlagen. 1935 hatte Finder in seinem Billwärder-Buch frohlockt, „die Heimatbewegung hat kraftvoll eingesetzt“. Die „Vergangenheit soll wirksam bleiben“, hatte er NS-konform postuliert, „damit die Gegenwart sich wieder an ihr belebe und die Zukunft durch sie Kraft und Zuversicht gewinne.“ Vier Jahre später war nun deutlich, wo dies endete: bei „Kraft durch Freude“, beim „Dienst“ mit Plattdeutsch, Volkstanz und Trachtenpflege für den nationalsozialistischen Staat, der die „Volksgenossen“ gerade in die Zukunft eines Raub- und Vernichtungskrieges führte.
Finder hat sich auch nicht gescheut, das „Volkstum“ Finkenwerders dort aufzuspüren, wo es von vielen Niederdeutsch Bewegten schon lange vermutet und wo es im NS-Staat programmatisch verortet wurde: in der Rasse. Eine seiner „Erkenntnisse“ über „die“ Finkenwerder lautete, mit bezeichnendem Anfang: „Rassenmäßige Veranlagung, Geschichte, Umwelt und Familienverhältnisse, die von Natur gegebene Bodenform, Witterungsverhältnisse, der die wirtschaftliche Lage bedingende Beruf, auch die Nahrung haben die Wesenszüge der Bewohner geformt, haben ihre Denk- und Sinnesart gelenkt und ihr Volkstum bestimmt.“[44] So konnte er „über die körperlichen Eigenschaften der Finkenwärder“[45] schreiben - bzw. über die „körperlichen Rassenmerkmale, welche die alteingesessene Bevölkerung Finkenwärders kennzeichnen“.[46] Daraus gelang es ihm einen zeitgemäß zufriedenstellenden Befund abzuleiten: „Die meisten Eigenschaften [der Finkenwerder] werden herkömmlicher[-] und wohl auch berechtigterweise der nordischen Rasse zugeschrieben.“[47] Hier bediente er sich der rassenbiologischen Angaben von „Universitätsprofessor Dr. W. Scheidt“ – jenes Scheidt, mit dem Hinrich Wriede schon 1926 das Finkenwerder „Volkstum“ ergründen wollte und der seine Studien inzwischen erweitert hatte.[48] Seit 1933 war er Professor für Rassenbiologie an der Universität, auf der umgewidmeten Stelle des jüdischen Philosophen Ernst Cassirer, der 1933 entlassen und in die Emigration gezwungen wurde. Solche Zusammenhänge zu bedenken, lag Finder offenbar fern. In seiner Volkskunde zählte als „Volk“ nur die „alteingesessene Bevölkerung“, nicht aber irgendwelche „fremdbürtigen Neusiedler“, die gewiss keine „eigentlichen Finkenwärder“ waren. Wie sollte, wer so schrieb, einen Gedanken auf einen jüdischen Philosophen verwenden?
Einige Monate nach Erscheinen des Finkenwerder-Buches starb Ernst Finder im Alter von 75 Jahren. Wie schon von Finders Finkenwerder Mitstreiter, Adolph Albershardt, wurde das Buch – und wurde sein Autor – allerorts geschätzt und empfohlen. Der (vertretungsweise amtierende) Vorsitzende des „Vereins für Hamburgische Geschichte“, Hans Nirrnheim, sprach 1940 anerkennend von einem Buch von „grundlegendem Werte“[49], und der Verein teilte den Mitgliedern und Freunden am 12. Oktober 1939, sechs Wochen nach Kriegsbeginn, mit, dass trotz wohl zu erwartender Finanzprobleme „mit dem Druck des Werkes von Ernst Finder (...) zu unserer Freude eben jetzt begonnen werden konnte. (…) Heil Hitler! Der Vorstand des Vereins für Hamburgische Geschichte.“[50] Dementsprechend zeigten die „Hamburgischen Geschichts- und Heimatblätter“ (ebenfalls vom Geschichtsverein herausgegeben) das Buch als eine der „wertvollen literarischen Neuerscheinungen“ an.[51] Kurz zuvor hatte der „Verein“ seinem „langjährigen Mitglied“ Dr. Finder die Lappenberg-Medaille in Bronze verliehen.[52]
Im Niederdeutsch-Verein „Quickborn“ sah man das alles ähnlich. Schon am 12. Februar 1936 war Finder der Titel „Ehrenmitglied“ verliehen worden – Vorstandsmitglied Hinrich Wriede verkündete den Beschluss -[53], und Otto Specht schrieb 1940 zu dem Finkenwerder-Buch Finders, es sei „besonders wertvoll, daß der Verfasser (…) den Sitten und Gebräuchen nachgegangen ist und das Ergebnis in diesem wertvollen Buche niedergelegt hat.“[54] Hans Bahn bescheinigte Finder zum 75. Geburtstag gar, er habe bereits 1922, in seinem Buch über die Vierlande, „einer späteren Zeit eine Einstellung zur Volkstumspflege vorweg[genommen], die heute nationalsozialistisches Gemeingut geworden ist.“ Von diesem Hans Bahn wurde in der zweiten Auflage dem Finkenwerder-Buch ein ergänzender Artikel als Anhang beigefügt.[55]
Die parteiamtlichen Propagandisten des Niederdeutschtums, die seit 1935 alle einschlägigen Aktivitäten unter dem Dach der „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“(VNH) zu kontrollieren suchten, boten den Vorsitzenden des VNH-Fachausschusses „Heimatliche Geschichte“ auf, Ernst Finder zu würdigen. Sozusagen im Auftrag des 1. Vorsitzender der VNH (NS-Kultursenator v. Allwörden) nutzte Rudolf Schmidt (Schulleiter der Oberschule für Jungen Eppendorf) als vielfältiger NS-Propagandist der Hansestadt das Dezember-Heft der „Niederdeutschen Warte“ 1940 zu einem Schwerpunkt: „Professor Dr. Ernst Finder zum Gedächtnis“. Schmidt selbst schrieb über den Volkskundler und sein letztes Buch über „Gorch Focks Fischerinsel“[56]. Dabei ging es ihm aber „Um eine Volkskunde der Großstadt“, wie er seinen Artikel überschrieb, und er bedauerte: „Allzu sehr hat sich die Wissenschaft von der Volkskunde auf die ländlichen Gebiete eingestellt (…).“ Mit dem Altonaer Volkskundler Otto Lehmann forderte Schmidt dann: „Eine ernsthafte Volkskunde, die das gesamte Volk umfassend sein Brauchtum, seine Kultur und die formenden Kräfte in Stadt und Land untersucht, muß zu Ergebnissen führen, die in ihrer praktischen Auswertung unserem ganzen deutschen Volke zugute kommen. Es handelt sich ja nicht um Erkenntnis. Wir treiben Volkskunde um unserer Zukunft willen, um zu wissen, - was habe ich zu tun!“ Solchen Erwartungen der NS-Partei hatte Finder nicht wirklich genügen können. So fand Schmidt schließlich, der Volkskundler sei „einer von denen“ gewesen, die eine NS-genehme Volkskunde in gewisser Weise vorbereitet hätten, der also den „Boden hat schaffen helfen“[57], mehr nicht, aber auch nicht weniger. Im Anschluss an Schmidts Artikel wurde Adolph Albershardt Gelegenheit gegeben, Finders „Persönlichkeit“ darzustellen.[58]
Für 1943 war eine zweite Auflage des Finkenwerder-Buches vorgesehen; dazu kam es jedoch nicht - in Folge der Bomben- und Feuerschäden im Verlauf der „Operation Gomorrha“ im Juli/August. Daraufhin entschieden der „Verein für Hamburgische Geschichte“ und der Verlag nach 1945, sobald es ging das Buch erneut herauszubringen. Sie bemühten Adolph Albershard für die nötigen Vorbereitungen. Der angeblich unveränderte Neudruck geriet auf diese Weise zu einer „entnazifizierten“ Version[59], in der NS-Vokabular und Passagen, die sich auf das „Dritte Reich“ bezogen, verschwunden waren oder verharmlosend umgeschrieben worden waren. Albershardt sorgte auch dafür, dass in der Darstellung seiner „Finkwarder Speeldeel“ möglichst jeder belastende Hinweis auf ihre NS-Verstrickung getilgt war. Das Gesamtkonzept des Buches, einschließlich der Auswertung der rassenbiologischen Untersuchungen Walter Scheidts, blieb jedoch unangetastet.[60] Kritik an der „deutschen Volkskunde“, die nach 1945 ganz grundsätzlich formuliert wurde, blieb unberücksichtigt.[61] So erschien Finders Buch erneut 1951.
Im Vorwort „Zum Geleit“ erfreute sich der Geschichtsverein unverändert „des vortrefflichen Werks“[62] und im „Quickborn“ fand Ludwig Lahaine, dass die Neuauflage „jedem Heimatfreunde zur wahren Freude“ erschienen sei, widme das Buch sich doch der „Elbinsel vor Hamburgs Toren, deren ursprüngliche Eigenart von der sich ausdehnenden Großstadt immer stärker verwirrt wird. (…) Finders letztes Werk ruft bei uns Älteren liebe Erinnerungen an das alte Finkenwerder wach (...).“[63]
Erinnerungen wohl auch an das alte, seit 1945 vergangene Hamburg, in dem Lahaine Mitarbeiter Rudolf Schmidts im Fachausschuss für „Heimatliche Geschichte“ der VNH gewesen war. Damals, 1940, hatte Ernst Finder noch vom NS-Senat (bzw. Reichsstatthalter und Gauleiter Kaufmann) die „Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes“ bekommen. Und ab dem 1. Januar 1943 war in Lohbrügge eine Straße nach dem Volkskundler benannt, der „Ernst-Finder-Weg“.[64] Bis heute heißt er so.
Text: Ralph Busch, 2015