Conrad Borchling
(20. März 1872 Hitzacker - 1. November 1946 Hamburg)
Germanist
Adresse: Rondeel 43 (1933), Beckmannstraße 1 (1939)
Wirkungsstätte: Germanisches Seminar der Universität Hamburg, Bornplatz 1-3 (heute Joseph-Carlebach-Platz)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof, Grablage: J 13, 381-383.
Seit 1950 gibt es den Borchlingweg in Hamburg-Othmarschen
Borchling studierte Klassische Philologie und Germanistik an der Universität Göttingen und trat der Burschenschaft Alemannia Göttingen bei. Er promovierte sich im Jahr 1897 und habilitierte sich 1903 mit Studien zur Geschichte der niederdeutschen Sprache in Ostfriesland. Danach war er als Privatdozent für Deutsche Philologie in Göttingen tätig, bevor er 1906 eine außerordentliche Professur für Germanische Sprachwissenschaft an der Königlichen Akademie zu Posen annahm. 1910 kam Borchling nach Hamburg und wurde Professor für deutsche Sprachforschung beim Allgemeinen Vorlesungswesen, dem Vorgänger der Universität Hamburg. Nach Gründung der Universität 1919 wurde er ordentlicher Professor für Deutsche Sprachwissenschaft und Deutsche Literatur mit besonderer Berücksichtigung des Niederdeutschen und des Niederländischen am Germanischen Seminar und erster Dekan der Philosophischen Fakultät.
Borchling war Mitglied der national-liberalen, republikkritischen Deutschen Volkspartei (DVP) und trat nach deren Auflösung im Jahr 1933 der NSDAP bei. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten unterzeichnete er das „Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“. In seinen Forschungen zeigte sich Borchling einer großdeutschen und großgermanischen Anschauung verpflichtet, die er auch in Vorträgen für Vereine, Verbände und der Partei kundtat. Damit ging er mit den nationalsozialistischen Ideologie durchaus d’accord. Wie er selbst im Juli 1945 schrieb, hatte er gehofft, dass seine niederdeutsche Volkstumsarbeit besonders gefördert würde. Andererseits kritisierte er die zentralistischen Tendenzen des NS-Regimes und setzte sich vielmehr für eine Pflege von Dialekten und Mundarten ein. Bereits im April 1933 wurde sein Kollege Walter A. Berendsohn aufgrund seines jüdischen Glaubens entlassen. 1934 wurde Agathe Lasch, die erste weibliche Germanistikprofessorin ebenfalls aus der Universität entfernt, da sie Jüdin war. Für ihren Verbleib hatte sich Borchling anfangs eingesetzt, für Berendsohn nicht. Stattdessen „bemühte sich Seminardirektor Borchling bereits eine Woche vor dem Entlassungstermin Berendsohns bei dem damaligen Regierungsdirektor und späteren Rektor Adolf Rein, die freiwerdenden Gelder nutzbringend für das Germanische Seminar zu verwenden.“
„1937 wurde Borchling emeritiert, vertrat den Lehrstuhl aber bis zur Wiederbesetzung der Professur 1938 und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zum Kriegsende. Am 4. Juli 1945 bat Borchling um Belassung im Amt und anschließende Emeritierung. Borchling begründete sein Gesuch damit, daß er sowohl die zentralistische Ausrichtung des Nationalsozialismus auf eine ‚Nationalkultur‘ als auch die Verfolgung der Juden niemals befürwortet habe. Letzteres belegte er mit einem unterstützenden Gutachten für seine jüdische Kollegin Agathe Lasch aus dem Jahr 1939.“ 2) Er verschwieg jedoch, dass er 1941 seiner Ex-Kollegin Agathe Lasch, die auf Grund ihrer jüdischen Herkunft ihre Tätigkeit verloren hatte, die Unterstützung verweigert hatte. Der Historiker Ingo Böhle schreibt dazu in seinem Beitrag über Agathe Lasch: „1941 bat Agathe Laschs ehemalige Schülerin Claudine de L’ Aigle den Leiter der Landesunterrichtsbehörde, Witt, zugunsten der Professorin eine Eingabe bei der Geheimen Staatspolizei Berlin zu machen. Aus den Unterlagen der Staatsverwaltung lässt sich ersehen, wie Schulbehörde, Rektorat der Universität und das Germanische Seminar die Eingabe mit dem Verweis auf die jeweilige Nichtzuständigkeit hin und her schoben. Borchling beendete den Vorgang: ‚Wie die Dinge einmal liegen, bin ich außerstande, von mir persönlich aus Schritte in der Angelegenheit von Frl. Prof. Lasch zu unternehmen, so sehr ich auch ihre wissenschaftliche Arbeit hochschätze und ihr charakterliches Verhalten anerkennen muss.‘“3)
„Borchling wurde – entgegen seinem Antrag – auf Anordnung der Militärregierung entlassen und am 6. Oktober 1945 mit sofortiger Wirkung vom Bürgermeister in den Ruhestand versetzt. Am 1. November 1946 starb er, ohne rehabilitiert worden zu sein.“4)
„1948 hatte die Bibliothekarin des Germanischen Seminars, Marie Luise Winter, vorgeschlagen, eine Straße in Hamburg nach Agathe Lasch zu benennen. Auf die entsprechende Anfrage der Behörde teilte Agathe Laschs angeblich nur zu seinem Schutz in die NSDAP eingetretene Schüler, inzwischen an ihrer Stelle amtierende Seminardirektor Niekerken mit: ‚Bei einer Erfragung im Kollegenkreise (…) war man geteilter Meinung. Die Gegner des Gedankens vertraten die Ansicht, dass man Straßennamen nicht zum Gegenstand politischer Zwistigkeiten machen sollte und dass es nicht im Sinne dieser bescheidenen, stillen Frau sei, wenn sie auf diese Weise an die Öffentlichkeit gezerrt würde.‘ Weiter wurde gesagt, ‚die Zahl der um Hamburgs Kulturleben ebenso verdienten Männer und Frauen sei so groß, dass es nicht genug [Straßen] gäbe, sie alle zu ehren‘. Die Straßenbenennung nach Agathe Lasch wurde abgelehnt.
Solche Bedenken hatte der Kollegenkreis offensichtlich nicht, als es darum ging, den 1946 verstorbenen Direktor des Germanischen Seminars, Conrad Borchling, zu ehren. (…) Seit dem 26.7.1950 gibt es in Hamburg einen, nach dem ehemaligen NSDAP-Mitglied benannten Borchlingweg.
Nach Agathe Lasch wurde erst 1970 ein Weg benannt. Als der Hamburger Senat sich dazu entschloss, nach der 1942 nach Riga deportierten und ermorderten ersten Universitätsprofesorin Hamburgs, Agathe Lasch, eine Verkehrsfläche zu benennen, wurde eine an der Autobahn endende Sackgasse zur Benennung gewählt, der sich nur 441 Meter vom Borchlingweg entfernt befindet.
Bis November 1993 trug das Straßenschild neben den Lebensdaten lediglich den Zusatz ‚Philologin‘. Auf Anregung des Historischen Seminars der Universität Hamburg und einer engagierten Bürgerin, Charlotte Rehn, wurde das Schild schließlich ergänzt. Es weist nun ausdrücklich darauf hin, dass Agathe Lasch die erste Professorin auf einem Lehrstuhl an der Hamburger Universität war und als Jüdin Opfer des Nationalsozialismus wurde. 5)
Text: Katharina Tenti und Rita Bake