Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Adolph Albershardt

(17. März 1892 – 2. Dezember 1969)
Volksschullehrer an der Aueschule, Hamburg-Finkenwerder
Betätigung für Heimat und niederdeutsches „Volkstum“
(u.a. Leiter der „Finkwarder Speeldeel“),
ab 1936 „NS-Gemeinschaft 'Kraft durch Freude'“, „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“
wohnhaft in Hamburg-Finkenwerder,
bis 1953: Auedeich 84f, danach: Külpersweg 10
Namensgeber für Albershardtweg, Hamburg-Finkenwerder


Wer mit Flugzeugindustrie zu tun hat, kennt Hamburg-Finkenwerder, zumindest dem Namen nach. Einem breiteren Publikum ist Finkenwerder vielleicht als der Ort bekannt, der bestimmten Schollen-Rezepten seinen Namen gegeben hat. Abgesehen davon ist die Vorstellung von diesem Ort vielfach hauptsächlich durch eine Musik-, Tanz- und Trachten-Gruppe geprägt: die „Finkwarder Speeldeel“.

Seit vielen Jahrzehnten hat sie folkloristisches plattdeutsches Heimatgut im Ort selbst und in der Region, in Hamburg, Deutschland, Europa und schließlich in aller Welt verbreitet. Als 2006 zum 100-jährigen Bestehen eine Chronik erschien, war darin „väl över de Späälbasen to wäten un to sehn, vör al över de Albershardt-Gäng, di bet nu bi de 'Speeldeel' an't Roder sitt. Läsers buten de Stadt Hamborg mööt wäten: Dat Word 'Gäng' is in Hamborg nich beus meent.“ So schrieb damals die Zeitschrift der niederdeutschen Vereinigung „Quickborn“.[1]

Gemeint mit der „Gäng“ waren Christa Albershardt, zu dem Zeitpunkt Leiterin („Speelboos“) der Gruppe, als Nachfolgerin ihres verstorbenen Mannes Adolf („Adi“) Albershardt, der seinerseits die Leitung der „Speeldeel“ von seinem Vater Adolph („Odje“) Albershardt übernommen hatte. Dieser wiederum hatte die anfangs als reine plattdeutsche Theatergruppe konzipierte „Speeldeel“ 1936 erneut auf die Beine gestellt.[2]

Erneut deshalb, weil die „Speeldeel“ ursprünglich schon 1906 von den beiden Finkenwerder Schriftstellern Gorch Fock (Johann Kinau) und Hinrich Wriede gegründet worden war. Ihre Aktivitäten wurden durch den Ersten Weltkrieg beendet – Gorch Fock starb 1916 als Soldat der Marine, Hinrich Wriede war praktisch die gesamte Kriegszeit „im Felde“.

Nach 1918 versuchte Wriede das Theaterspiel der „Speeldeel“ wieder zu beleben, was jedoch letztlich nicht gelang. Mitte der 1920er-Jahre war die „Speeldeel“ „eingeschlafen“[3]. So war es Adolph Albershardt, der 1936 zum dritten Mal ansetzte, von Finkenwerder aus mit der „Speeldeel“ das sogenannte niederdeutsche „Volkstum“ zu stärken und zu propagieren.

Die andauernde Erfolgsgeschichte der „Finkwarder Speeldeel“ war seitdem über drei Jahrzehnte mit dem Namen Adolph Albershardt verbunden – und damit auch zu einem gewissen Teil das Image des Ortes (bzw. „der Insel“). Freilich war es nicht allein Albershardts „Speeldeel“-Arbeit, die ihn zu einem prägenden Mitglied der Finkenwerder Ortsgemeinschaft werden ließ. Seine Präsenz begann dort 1912: Er wurde Lehrer an einer der drei Finkenwerder Volksschulen. Seit 1918 betätigte er sich fortlaufend als Lokaljournalist für Finkenwerder. Ab 1922 leitete er eine kommunalpolitische Vereinigung in Finkenwerder, und von 1936 an war er schließlich Spielleiter der „Speeldeel“. Als Adolph Albershardt 1969 starb, verlautete aus der „Heimatvereinigung“, dies sei „ein Verlust, der unersetzlich ist“.[4] 

Verwunderlich ist deshalb, dass nur spärliche Hinweise zum Leben und zur Kontinuität der Karriere Albershardts zugänglich sind. Dieser „Förderer heimatlicher Kulturpflege“ scheint, trotz seines Renommees zu Lebzeiten und trotz demonstrativer Wertschätzung danach – im Ort wurde eine Straße nach ihm benannt[5]-, inzwischen weitgehend dem Vergessen anheim gefallen zu sein. Er selbst hat keinen autobiographischen Bericht veröffentlicht; auch in der heimatgeschichtlichen Literatur des Ortes ist es zu keiner substanziellen Darstellung seines Wirkens gekommen.[6]Die folgende Skizze will und kann keine Biographie ersetzen, ist aber der Versuch, auf einige Aspekte näher hinzuweisen, die bisher kaum benannt worden sind.

I

Adolph Martin Friedrich Christian Albershardt (der sich immer „Adolf“ schrieb und gelegentlich „Odje“ genannt wurde) wurde am 27. März 1892 in Lübeck als Sohn eines Eisenbahn-Assistenten geboren. (Über seine Familie ist in den allgemein zugänglichen und hier herangezogenen Quellen nichts Weiteres festgehalten.) In Lübeck besuchte er auch zuerst die Knaben-, dann die Mittelschule. Danach absolvierte er dort mit dem Ziel, Volksschullehrer zu werden, Präparandenanstalt und Seminar bis zum 2. März 1912. Am 10. April wurde er als „Vertreter“, ab 1. Januar 1913 als „ordentlicher Hülfslehrer“ an der Aueschule in Finkenwerder angestellt. Der Junglehrer Albershardt scheint sich mit seinen, wie sich schnell zeigte, literarisch-darstellerischen Neigungen gern und dem Zeitgeist gemäß in die Gestaltung des Schul- und Ortslebens eingebracht zu haben. So rezitierte er bei der 100-Jahrfeier der „Völkerschlacht“ (dem Sieg über die französische Armee bei Leipzig 1813) am 18. Oktober 1913 in Finkenwerder folgende Verse[7]:

Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen,
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht.
Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen.
Frisch auf, mein Volk! - Die Flammenzeichen rauchen,
Die Saat ist reif; ihr Schnitter, zaudert nicht!
Das höchste Heil, das letzte, liegt im Schwerdte.
Drück dir den Speer ins treue Herz hinein,
Der Freiheit eine Gasse! - Wasch' die Erde,
Dein deutsches Land, mit deinem Blute rein!

Der Himmel hilft, die Hölle muss uns weichen!
Drauf, wakres Volk! drauf! ruft die Freiheit, drauf!
Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen,
Was kümmern dich die Hügel deiner Leichen,
Hoch pflanze da die Freiheitsfahne auf! -
Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke,
In deiner Vorzeit heil'gem Siegerglanz,
Vergiß die treuen Todten nicht und schmücke
Auch unsre Urne mit dem Eichenkranz!

Albershardt unterrichtete an der Aueschule bis zu seiner Einberufung zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Über seine Militärzeit ist belegt, dass er vom 13. Oktober 1914 bis 18. November 1918 Kriegsteilnehmer war, laut offizieller „Speeldeel“-Chronik als „Ulan“ oder, wie es auch hieß, als „Husar“.[8] Seit dem 16. Oktober 1916 war er jedenfalls Leutnant der Reserve.[9]

Auf Nachfrage der Schulbehörde vom 23. Juni 1917, welchem Truppenteil Albershardt zur Zeit angehöre, notierte der Schulleiter: „Minenwerfer-Offiz. Inf. Rgt. 148“[10]. Am 26. Januar 1918 hielt der zuständige Landschulinspektor fest, der „Leutnant Albershardt“ vom „Ers. Batl. Res. Inf. Regt. Nr: 75“ erhalte seit dem 1. Juli 1917 eine Kriegsbesoldung von monatlich M 220,-.[11] Im November 1918 wurde Albershardt schließlich vom „Soldatenrat Bremen“ folgende „Bescheinigung“ ausgestellt: „Dem Leutnant d. Res. Albershardt wird bescheinigt, dass er (…) mit dem 18. 11. 18 aus dem Heeresdienst entlassen ist ohne Versorgung. Fahrtschein nach Husum ist ausgestellt.“[12]

Albershardts Entlassung dürfte ihn deshalb nach Husum geführt haben, weil seine zukünftige Frau, Anna Dorothea Voß, aus Husum stammte. Die Heirat erfolgte am 4. Juli 1919.[13]

Seine berufliche Situation war ebenfalls geklärt: Seit dem 1. April 1916 war er, obwohl er zu der Zeit „am Völkerringen teil[nahm]“, wie der Schulleiter, Karl Johns, anmerkte[14], an der Aueschule fest angestellt. Er hatte im März 1916 – mit zwei Tagen Urlaub – die zweite Lehrerprüfung abgelegt.[15] Zum 1. Oktober 1918 wurde ihm auch eine vorher von Aueschullehrer Talg bewohnte Lehrerwohnung im Schulgebäude zugesprochen[16], in der er bis 1953 wohnen blieb. (Die andere Lehrerwohnung in der Schule wurde nach Johns' Pensionierung vom neuen Schulleiter Müller bezogen.[17])

II

Nahezu unversehrt zurück aus dem Krieg, mit geregelten Rahmenbedingungen des Berufs- und Familienlebens, konnte sich Albershardt, 27 Jahre alt, in unruhigen Zeiten des zusammengebrochenen Kaiserreichs, revolutionärer und republikanischer Umbrüche, Schmach des verlorenen Krieges und alliierter Schuldzuweisungen usw. dem Zentrum seines Interesses zuwenden. Er war, wurde ihm später bescheinigt, mit „der Tradition und Heimatliebe schon in jüngsten Jahren vertraut“. Neben und im Einklang mit seiner Tätigkeit als Lehrer war es demnach die Arbeit für das niederdeutsche „Volkstum“, auf die er sein Augenmerk richtete, und im Fokus war damit nun insbesondere Finkenwerder.

Zunächst hatte er dabei mit dem Volksschullehrer-Kollegen von der Westerschule in Finkenwerder zu tun, Hinrich Wriede, der sich selbst, niederdeutsch bewegt, als Volkskundler und Schriftsteller betätigte.[18] Er wollte nach dem Krieg die „Finkwarder Speeldeel“ ohne den einstigen (1916 gestorbenen) Mitgründer Gorch Fock (Johann Kinau) weiterführen. Mindestens seit 1920 gehörte Albershardt aktiv zum „Speeldeel“-Ensemble, wo er 1921 in einer Aufführung von Wriedes Stück „Kreetslag“ eine Rolle übernahm.[19]

Endlich kam auch zustande, was bei Albershardts anfänglichem Kontakt mit Finkenwerder ab 1912 offenbar nicht geschehen war, nämlich dass er sich dem maßgeblichen Zirkel der Niederdeutschen Bewegung in Hamburg anschloss, der Vereinigung „Quickborn“. Die Vereinszeitschrift meldete seinen Beitritt – und den der „Finkwarder Speeldeel“ - im Sommerheft 1920.[20](Gorch Fock war Mitglied gewesen, Hinrich Wriede war von Anfang an in der Vereinigung aktiv, seit Ende des Weltkriegs auch Gorch Focks Bruder Rudolf Kinau – und ebenso traten im Lauf der Jahre verschiedene weitere Finkenwerder ein.)[21]

Außer diesen zwei Bereichen – Schule und Niederdeutsches – wurde für Albershardt ein drittes Aktionsfeld wichtig. Es war dies die kommunalpolitische Einflussnahme auf das Finkenwerder Leben. Bis zur Eingemeindung 1919 war Finkenwärder eine zu Hamburg gehörende Landgemeinde mit eigener kommunaler Vertretung gewesen.[22] Seitdem ein Stadtteil Hamburgs, gab es für Finkenwärder kein offizielles Gremium mehr, das die Belange des Ortes vertreten konnte. Albershardt gründete deshalb mit einigen Gleichgesinnten am 18. Februar 1922, was sie „Wirtschafts- und Verkehrsvereinigung“ nannten. (Seit der NS-Zeit wurde sie unter der Bezeichnung „Heimatvereinigung Finkenwärder“ fortgeführt – übrigens erst seit dem 2. März 1983 [!] als ein eingetragener Verein).[23] Diese Vereinigung verstand sich – obwohl ohne Legitimation durch demokratische Verfahren oder zumindest behördlichen Auftrag – als Ortsvertretung mit umfassender Zuständigkeit:

„Sie erstrebt die Vertretung Finkenwerders und die Förderung des Heimatgedankens. Gegenstände religiöser und parteipolitischer Art sind von der Beratung und Beschlußfassung in der Vereinigung ausgeschlossen. Die Vereinigung verfolgt lediglich gemeinnützige Zwecke (…) Die Vereinigung bildet folgende Ausschüsse: 1. Straßenbau und Unterhaltung, Sielwesen und Schleusen, Post, Zoll und Polizei, Industriegebäude und Geländefragen. 2. Schiffahrt, Wasserstraßen sowie Personen- und Güterbeförderung, Fahrangelegenheiten und Fischereiwesen. 3. Landwirtschaft und Gartenbau, Friedhof und Denkmäler, Wohlfahrt und soziale Einrichtungen, Schule und Kirche.“[24]

Ein rückblickender Bericht gibt 1986 einen Eindruck von dem in der Vereinigung gepflegten Selbstverständnis und der entsprechenden Arbeitsweise: „Heute noch gibt es die 'Heimatvereinigung Finkenwerder', die ebenfalls von Adolph Albershardt mitbegründet wurde. Dieser Kommunalverein – inzwischen über fünfzigjährig – war bis zur Einführung der Kommunalparlamente nach dem zweiten Weltkrieg wichtiges kommunalpolitisches Organ Finkenwerders, das gegenüber 'Hamburg' viele Wünsche der Bürger vertrat und oftmals sogar eine Art 'Exekutive' zu besitzen schien. 'Odje' wußte sich mit den Behörden auseinanderzusetzen und so manchen Wunsch der Finkenwerder – von der Straßenlaterne bis zum Wasseranschluß – ohne große Debatten in irgendwelchen Gremien durchzusetzen.“[25]

Die weiteren zwölf Gründungsmitglieder lassen sich als Zusammenstellung nicht unbedeutender Namen des Ortes lesen. Vorsitzender der Vereinigung, die bis 1933 auf beachtliche 330 Mitglieder anwuchs, war jedenfalls Adolf Albershardt. Er leitete[26] sie auch in der Zeit des „Dritten Reichs“; und diese Position behielt er ebenfalls nach 1945. Das Fortbestehen der „Heimatvereinigung“ wurde „durch persönlichen Einsatz“ Albershardts über das Ende des NS-Regimes hinaus gesichert, wird berichtet.[27]

Eine bedeutsame Ergänzung erfuhren seine Finkenwerder-Aktivitäten durch die „Berichterstattung“ über „kommunale Angelegenheiten Finkenwärders“ in den „Norddeutschen Nachrichten“ (bzw. „Finkenwärder Nachrichten“). Von der Schulbehörde hat er sich diese lokaljournalistische Betätigung immer wieder genehmigen lassen. So auch am 24. Juni 1933: „Seit 1918“, schrieb er an die neue NS-Behörde, habe er in dieser Zeitung über Finkenwerder berichtet, und „so bitte ich die Landesunterrichtsbehörde, mir die im Interesse Finkenwärders liegende Mitarbeit (…) zu genehmigen.“[28]Was in der lokalen Nachrichtenquelle über Finkenwerder erschien – auch nach 1933 –, stammte also wohl, da die Zeitung sonst über keinen eigenen Berichterstatter für den Ort verfügte[29], zum guten Teil, wenn nicht vorwiegend aus Albershardts Feder bzw. Schreibmaschine. Das Heimatblatt war 1879 (anfangs als Wochenzeitung) vom Druck- und Verlagshaus Kröger in Blankenese gegründet worden. Johannes Kröger führte den Betrieb zusammen mit seinem Bruder Walter Kröger – vor 1933, nach 1933 und nach 1945.[30]

1925 gehörte Johannes Kröger auch zu dem Kreis von Hamburger (und Altonaer) Prominenten, deren Unterstützung Adolph Albershardt zusammen mit Hinrich Wriede, Rudolf Kinau und anderen Finkenwerdern für eine besondere Initiative gewonnen hatte. Zugleich war dies ein Beispiel für kommunalpolitische Aktivität im Sinne der „Wirtschafts- und Verkehrsvereinigung“, die immer schon mit der „Förderung des Heimatgedankens“ verbunden war. Es ging, wie den „Mitteilungen aus dem Quickborn“ zu entnehmen war, um ein niederdeutsches Projekt: Eine Gedächtnisstätte für den Dichterhelden Gorch Fock sollte in Finkenwerder errichtet werden. Dafür wurde ein „Arbeits- und Werbeausschuß“ gebildet, in dem der Vorsitzende der „Wirtschafts- und Verkehrsvereinigung“ Albershardt und Hinrich Wriede saßen, zusammen mit weiteren Finkenwerdern[31], und ein „Ehrenausschuss“ von Unterstützern aus Hamburgs Politik, Wirtschaft und Kultur – darunter Johannes Kröger und Rudolf Kinau – sollte dem Anliegen Gewicht verleihen, und die Schirmherrschaft hatte Hamburgs Bürgermeister Petersen übernommen.[32]

Angestrebt wurde die Errichtung eines „Gorch-Fock-Hauses“, das als „Raum für die Geistesbildung und körperliche Erziehung der Jugend“ dienen sollte, aber auch „zur Abhaltung von Tagungen und Wanderversammlungen“ und „als Volksheim für Heimatabende“.[33]

Nach vier weiteren Jahren Lobbyarbeit stellte Hamburg die nötigen Finanzmittel zum Bau einer „Turnhalle“ bereit, und am 6. Dezember 1930 konnten der Architekt, Oberbaudirektor Fritz Schumacher, und der Bruder des Geehrten, Heimatschriftsteller Rudolf Kinau, die Einweihungsreden für die „Gorch-Fock-Halle“ halten.[34]

Im gleichen Jahr, in dem der Bau dieser Halle begann, 1929, war Adolph Albershardt auch mit einem anderen Finkenwerder-Projekt befasst. Da Finkenwerder inzwischen an das Wasserversorgungssystem Hamburgs angeschlossen war, war das Wahrzeichen des Ortes, der Wasserturm, in einen Aussichtsturm umgewandelt worden. Auch Albershardt ergriff das Wort bei der Umwidmung des Turms: „Am Sonnabendnachmittag [11. Mai 1929] wurde er mit einer kleinen Feier eingeweiht. Die Herren Anton Ohst und Adolf Albershardt (Finkenwärder) hielten Ansprachen, in denen sie die Geschichte des Turmes skizzierten und der Hoffnung Ausdruck gaben, daß er in Zukunft auf ein günstig sich entwickelndes Finkenwärder herabschauen und als Beleber des Fremdenverkehrs wirken möge. (…) Der Pächter des Aussichtsturms, Herr W. Rahmstorf, lud dann die Gäste zu einer Kaffeetafel (...)“ Diese fand, wenn nicht im Turm selbst, sicher im „Finkenwärder Hof“ statt, denn William Rahmstorf war der Besitzer dieser großen, nahe am Turm gelegenen Gaststätte. „Sehr originell“, hieß es damals in dem Bericht von der Veranstaltung außerdem, „ist die Ausschmückung durch den einheimischen Maler Eduard Bargheer, der in packender Realistik Szenen aus dem Fischerleben und Landschaftsbilder al fresco geschaffen hat.“[35] Zwei große Fresken fertigte Bargheer dann auch für die im folgenden Jahr eröffnete Gorch-Fock-Halle an.

III

Drei Jahre später war eine „neue Zeit“ angebrochen. Hinrich Wriede zum Beispiel wurde nationalsozialistischer Schulleiter in Barmbek und vielbeschäftigter NS-Funktionär. Dennoch fand er Zeit, gegen den Finkenwerder Wasserturm zu polemisieren: Er schrieb in der Zeitung, dieser sei ein architektonisches „Scheusal“. Die Fresken im Turm waren vom NS-Regime zur „entarteten Kunst“ erklärt worden und der Pächter des Turms zeigte kein Interesse mehr.[36]Daraufhin erschien folgende Zeitungsnotiz: „Der Finkenwerder Aussichtsturm mit dem ehemaligen Maschinenhaus des Wasserwerks soll neu an einen Interessenten vergeben werden, da der bisherige Pächter, Herr W. Rahmstorf, zum 30. 9. von seinem Pachtvertrag zurücktritt. Die Wirtschafts- und Verkehrsvereinigung Finkenwerder richtet auf Veranlassung der Finanzdeputation an solche Finkenwerder Einwohner, die eventuell gewillt sind, den Aussichtsturm und das Maschinenhaus zu übernehmen, die Aufforderung, sich baldmöglichst mit schriftlichen Anträgen an den kommissarischen Stellv. Vorsitzenden Albershardt zu wenden.“[37]

Trotz verschiedener Proteststimmen, die sich für den Turm einsetzten[38], erstreckte sich die von der Heimatvereinigung – also auch Adolph Albershardt - angestrebte „Förderung des Heimatgedankens“ offenbar nicht auf dieses Wahrzeichen des Ortes; sie unternahm von sich aus nichts weiter zu seiner Erhaltung. Da sich kein neuer Pächter fand, wurde der Turm 1934 abgerissen. Die Fresken Bargheers wurden damit zerstört. (Seine Bilder in der „Gorch-Fock-Halle“ wurden übertüncht – und erst 1978 wieder restauriert.[39])

Albershardt war zu dieser Zeit offenbar schon mit ganz anderen Plänen beschäftigt, denn aus dem Jahr 1236 war eine Urkunde aufgefunden worden, in der die Insel bzw. der Ort erstmals genannt wurde („Vinkenwerder“). Möglicherweise hätte es ältere Dokumente gegeben, aber das Datum passte: Eine 700-Jahrfeier konnte für 1936 ins Auge gefasst werden.[40]Für Albershardt und die „Heimatvereinigung“ (wie sie nun meist hieß) war eine langfristige Planung für eine große Jubiläumsfeier angesagt. Zufall oder nicht, ein auch in Finkenwerder gut und einschlägig bekannter niederdeutscher Volkskundler begann zur gleichen Zeit über Finkenwerder zu recherchieren. Ab 1935 begann er – Dr. Ernst Finder[41]-, mit Adolph Albershardts Unterstützung seine Veröffentlichung von 1939/1940 vorzubereiten: „Die Elbinsel Finkenwärder. Ein Beitrag zur Geschichte, Landes- und Volkskunde Niedersachsens“.

 

Auch Albershardts eigene Pläne für das 700-Jahrfest nahmen Gestalt an: Die NSDAP übernahm die Schirmherrschaft, NSDAP-Ortsgruppenleiter Rudolf Pahl war Vorsitzender des „Arbeitsausschusses“, der für das Gelingen der Feierlichkeiten sorgen sollte. Dessen eigentlicher Motor war aber wohl Albershardt selbst.[42]Dieser ergriff die Gelegenheit, die seit den 1920er-Jahren „eingeschlafene“ „Finkwarder Speeldeel“ unter den neuen Vorzeichen wieder zu beleben. Das Fest wurde zweifellos zu einem großen Erfolg, war aber keineswegs so NS-frei, wie später behauptet wurde.[43]Immerhin trat die Spitze des Hamburger NS-Staats an – Bürgermeister C. V. Krogmann, Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann, auch Kultursenator v. Allwörden und viele Militärs, vor allem der Marine.[44]Albershardts „Finkwarder Speeldeel“ trat erstmals wieder in großer Öffentlichkeit auf[45](mit einem eigens für diesen Anlass geschriebenen Stück Rudolf Kinaus, das am Schluss verkündete: „Wir marschieren mit der neuen Zeit“). Aus den Reihen der „Speeldeel“ überreichten Mädchen in Finkenwerder Tracht den Prominenten des Hamburger NS-Staats und der Kriegsmarine ein heimatliches Geschenk.[46]

Passend zu den Feierlichkeiten kam Albershardt in seinem Überblick „Siebenhundert Jahre Finkenwärder“, den er für die „Festausgabe: 700 Jahre Finkenwärder“ des Heimatblattes „Norddeutsche Nachrichten“ verfasste, zur folgenden, nur verhalten niederdeutsch-kulturkritischen, fast schon euphorischen Schlussfolgerung:

„So ist das alte Finkenwärder denn unwiederbringlich dahin. Aber das neue Finkenwärder ist stolz auf seine Vergangenheit und hat die Gegenwartsaufgaben mit fester Hand angepackt. Es geht wieder aufwärts mit Finkenwärder im Dritten Reich! Die Fischerflotte reiht einen Neubau nach dem anderen ein und verjüngt sich. Neuer Wohnraum wurde geschaffen. Die Arbeitslosigkeit ist ständig gesunken. Das wirtschaftliche Leben hat sich wieder normal gestaltet. Mit Zuversicht sieht Finkenwerder seiner künftigen Entwicklung entgegen und so soll es denn auch heute noch heißen: Finkwarder blifft Finkwarder!“[47]

Dem „Speelboos“ und seiner Gruppe war der Dank des NS-Regimes gewiss.[48]

In der Folge waren Albershardt und seine „Speeldeel“ Teil der NS-Kulturpolitik: Ab 1936 gehörten sie zur „NS-Gemeinschaft 'Kraft durch Freude'“ und waren Teil der NS- „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“, welche ab 1935 die niederdeutsch bewegte „Volkstums“-Arbeit in Hamburg auf NSDAP-Linie zu bringen bestrebt war.[49] Albershardt berichtete im Organ der „Vereinigung“, der „Niederdeutschen Warte“, kontinuierlich von der Arbeit der „Heimatvereinigung“ bzw. der „Speeldeel“.[50]

Als Ende 1939 Ernst Finders Buch über Finkenwerder erschien, konnte dort nachgelesen werden, was Albershardt selbst (Finder hatte ihm dazu Gelegenheit gegeben) über die „Speeldeel“ schrieb:

„Eine Kampfgruppe für die Erhaltung und Sicherung des Volkstums war notwendig.“ (Albershardt sprach hier von 1906, als die „Speeldeel“ erstmals gegründet wurde.) „(...) Als dann Finkenwärder seine 700-Jahrfeier 1936 begehen konnte, gründete Adolf Albershardt (…) die 'Finkwarder Speeldeel' zum dritten Mal. (…) Die 'Finkwarder Speeldeel' fand schon 1936 Anschluß an die NS-Gemeinschaft 'Kraft durch Freude' (Amt Feierabend, Abteilung Volkstum und Brauchtum). Höhepunkt im Dienst von 'Kraft durch Freude' waren eine Fahrt mit der 'Monte Olivia' nach Norwegen (1937), der Tanz vor Frau v. Horthy beim Führerbesuch auf Helgoland (1938), die Teilnahme mehrerer Paare an der Jungfernfahrt des 'Wilhelm Gustloff' nach Italien (1938) und die Mitwirkung auf den KdF-Reichskongressen in der 'Hanseatenhalle' beim 'Volk spielt fürs Volk' (1938 und 1939).“[51]

Eine eingehendere Betrachtung dieser „Höhepunkte“ und der Vielzahl weiterer Veranstaltungen, die durch die „Heimatvereinigung“ und die „Speeldeel“ in Finkenwerder und umliegenden Orten sowie im Hamburger Gebiet stattfanden, erübrigt sich an dieser Stelle. Nur an einem Beispiel sei kurz illustriert, wie man sich den „Kampf“ der Gruppe Albershardts für die „Erhaltung und Sicherung des Volkstums“ im „Dienst“ von KdF vorstellen muss.

Der „Tanz vor Frau v. Horthy beim Führerbesuch auf Helgoland“ fand am 23. August 1938 statt. Frau v. Horthy war die Gattin des ungarischen Staatsoberhaupts, Reichsverweser Admiral v. Horthy, der von Hitler zuerst nach Kiel begleitet wurde (Frau v. Horthy wirkte dort am Stapellauf des Schweren Kreuzers „Prinz Eugen“ mit). Danach bekam v. Horthy auf Helgoland Befestigungsanlagen gezeigt. (Am nächsten Tag besichtigten Hitler und sein ungarischer Gast Kriegsschiffneubauten bei Blohm & Voss in Hamburg.) Es ging darum, v. Horthy auf die künftige Rolle Ungarns als Verbündeten des Großdeutschen Reiches bei den Überfällen auf Jugoslawien und die Sowjetunion einzustimmen.[52]

Als Teil des Damenprogramms auf Helgoland überreichte der Reichsverweser-Gattin „auf der Mole ein junges Fischerehepaar“ zunächst „einen prachtvollen Hummer“, und schon „hatten die Trachtengruppen aus den Vierlanden, von Finkenwärder und von der Insel Föhr Aufstellung genommen. (…) Frohe Tanzmusik klang auf, die Vierländer, die Finkenwärder, die Hamburger und die Föhrer sangen und tanzten ihre alten Fischer- und Volkstänze zu Blasmusik und Schifferklavier.“[53]

Einige Wochen später sahen sich die Vierländer und Finkenwerder Trachtengruppen wieder, und nach einer volkskundlichen Besichtigung von Neuengamme ging es „an die Kaffeetafeln. Manche Erinnerung an die Helgolandfahrt wurde ausgetauscht. Große Freude herrschte bei den Vierländern, als ihnen ein Bild überreicht wurde, das den Führer und Admiral von Horthy zeigt, wie sie an den Finkenwärdern und Vierländern vorübergehen.“ Schon Ende des folgenden Monats stattete die „Speeldeel“ bei den Vierländern ihren nächsten Besuch ab. Sie gestaltete einen „Bunten Abend“; um genau zu sein: Gastgeberin war die dortige Ortsgruppe der NSDAP.[54]

Dem Leiter der Finkenwerder Trachten- und Theatergruppe war sehr wohl bewusst, dass es bei solchen KdF-Auftritten um nationalsozialistische Politik ging. Als die „Speeldeel“ für eine der Vorzeige-Unternehmungen der KdF eingeplant wurde, eine der Schiffsreisen mit der „Monte Olivia“ in Richtung Norwegen, beantragte Adolph Albershardt am 9. Juni 1937 Sonderurlaub bei der Schulbehörde: „Die 'Finkwarder Speeldeel', deren Leiter ich bin,“ schrieb er, „hat die ehrenvolle Einladung zur Teilnahme an der K.d.F. Nordlandfahrt vom 15. - 21. Juni erhalten. An dieser Fahrt nimmt auch der Herr Reichsorganisationsleiter [der NSDAP] Dr. Ley [zugleich Leiter der „Deutschen Arbeitsfront“, DAF, und damit von deren Unterabteilung KdF] teil. Die 'Finkwarder Speeldeel' wird als Volkstanz- und Trachtengruppe Deutschlands zu gelten haben, denn andere außerhamburgische Gruppen sind nicht aufgefordert worden, sondern nur die ausländischen Volks- und Tanzgruppen. Die 'Speeldeel' wird im Rahmen der Bordveranstaltungen mitwirken. (…) Heil Hitler! Adolf Albershardt. Lehrer, Norderschule in Finkenwärder.“[55]

Inzwischen hatte Adolph Albershardt auch für sich persönlich die Konsequenz aus dem Bekenntnis des „Quickborn“ von 1933 gezogen: „Wenn irgendwo das neue Reich Helfer am gemeinsamen Werk findet, dann bei uns Plattdeutschen.“[56] Er gehörte nicht zu den „alten Kämpfern“, auch nicht zu den „Märzgefallenen“, die 1933 eiligst in die NSDAP strömten. Wie die meisten Lehrer schloss er sich aber mit Beginn des „Dritten Reichs“ dem „Nationalsozialistischen Lehrerbund“ (NSLB) an - am 1. Mai 1933. Ein Jahr später, ab dem 1. April 1934, war er Presse- und Propaganda-Ortswalter der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV). (Seit Mai 1933 zählte diese als Parteiorganisation der NSDAP.)  Im Frühjahr 1937 wurde das 1933 ausgesprochene generelle Partei-Eintrittsverbot aufgehoben, und nun war auch Albershardt - ab dem 1. Mai des Jahres - „Parteigenosse“.[57]

Albershardts weiterer Weg „im Dienst“ der KdF hat ihn und seine Folkloregruppe – wie die KdF insgesamt – in die Truppenbetreuung geführt. Nach Kriegsbeginn wurden keine Schiffsreisen mehr veranstaltet, das KdF-Programm wurde eingeschränkt, schließlich, 1943, umstrukturiert: Das einstige „Zugpferd“ der Organisation, das „Amt für Reisen, Wandern und Urlaub“ wurde aufgelöst, und alle verbliebenen Ämter im „Amt für KdF-Truppenbetreuung“ bzw. „Betreuung der Werkschaffenden“ zusammengelegt: „Das ehemalige Freizeitprogramm wurde letztlich zu einer Hilfsorganisation, die den Krieg mit unterstützte und den Durchhaltewillen der deutschen Bevölkerung stärkte.“[58] So trat die „Speeldeel“ bei einer ganzen Reihe solcher kriegsfördernder Veranstaltungen auf [59], war selbst in diesem Rahmen aber noch für besonders herausragende Aufgaben vorgesehen. Als es darum ging, den Bedarf und das Programm der erforderlichen Wehrkraft-Stärkung zu planen, wurden die Finkenwerder in der Ordensburg Crössinsee angefordert, wo sie vor „Wehrbetreuungs-Offizieren“ niederdeutsche Tänze vorführen sollten. Als Dank durften die Mitwirkenden anschließend 1943 (und/oder 1944) in das seit 1940 besetzte Dänemark fahren, wo es vieles zu kaufen (und zu essen) gab, was in Deutschland inzwischen Mangelware war. [60]

IV

Die Schwierigkeiten, mit der „Volkstums“-Arbeit wie gewohnt fortzufahren, wurden bereits 1940 in einem Bericht von der „Jahres-Hauptversammlung der Finkenwärder Heimatvereinigung“ deutlich, der unter der Überschrift „Aufgaben für die Heimat Finkenwärder“ im Heimatblatt „Norddeutsche Nachrichten“ erschien: „Die Betätigung auf kulturellem Gebiet“, wird dort referiert, „ habe zwar eine Beschränkung erfahren - man brauche dabei nur an die 'Finkenwarder Speeldeel' zu denken -, doch werde schon jetzt alles getan, um nach der siegreichen Beendigung des Krieges die kulturelle Arbeit mit verstärktem Nachdruck wieder aufzunehmen.“[61] Kurz nach Erscheinen dieses Artikels wurde auch Finkenwerder von den ersten Fliegerbomben getroffen.[62]

Ob Adolph Albershardt in dieser Zeit alle oder nur einige Auftritte seiner „Speeldeel“-Spieler(innen) und -Tänzer(innen) begleitet hat, ist in den veröffentlichten Berichten und Übersichten nicht dokumentiert. Angesichts der Kriegsentwicklung ab 1940/1941 – mit den Auswirkungen auf das Leben in Hamburg, beispielsweise das zunehmend beeinträchtigte Schulwesen – war eine stärkere Inanspruchnahme des Lehrers Albershardt durch seine schulischen Aufgaben unvermeidlich.

Ab Oktober 1940 setzte auch in Hamburg – und selbst im stadtfernen Finkenwerder – die zeitweise intensiv propagierte Erweiterte Kinder-Land-Verschickung (KLV) ein, für die Lehrer und Lehrerinnen als Begleitung und KLV-Lagerleitungen gebraucht wurden (als Aufenthaltsdauer wurde anfangs von 6 Monaten ausgegangen, später dauerten die Aufenthalte länger).

Albershardt war in dieses KLV-Programm von Beginn an eingebunden. (So erklärt sich auch die Lücke in der „Speeldeel“-Auftrittsliste 1940/1941 [63] und die zeitweise veränderte bzw. reduzierte Berichterstattung über Finkenwerder in den „Norddeutschen Nachrichten“.[64]) Die erste KLV-Aktion mit Hamburger Schülerinnen und Schülern begann am 3. Oktober 1940. Das Hamburg zunächst hauptsächlich zugewiesene KLV-Aufnahmegebiet war Bayern (Gau Bayreuth bzw. Bayerische Ostmark) – Ober- und Mittelfranken, Oberpfalz und Niederbayern.

Für Finkenwerder wurde die erste KLV-Verschickung unter der Überschrift „Reise nach dem Süden“ am 19. November 1940 im Heimatblatt gemeldet. Am 3. Dezember erschien der erste Bericht aus der „bayrischen Ostmark“, dem „Oberpfälzer Land“. Ebenfalls im Dezember folgte die Meldung, dass der Nikolaus bei den KLV-Kindern in der Oberpfalz gewesen sei, und pünktlich zu Weihnachten wurde versichert, mit Weihnachtseinkäufen der Lehrer in Regensburg sei das Fest bestens vorbereitet worden. „Lustiges Lagerleben der Finkwarder Jungs“ wurde drei Tage nach dem Heiligen Abend vermeldet, und ein beigefügtes Foto illustrierte, dass sich „29 lebendige Jungs“ in dreistöckigen Metallbetten, „die sonst dem Reichsparteitag dienten“, pudelwohl fühlten. Der Fotograf war angegeben: A. Albershardt.

„Lehrer und Lagerleiter Albershardt“, wie es in der Zeitung mittlerweile eindeutig hieß, sorgte für ungetrübten Lagerspaß, wollte man den weiteren Berichten glauben. „Finkenwerder Jungs auf Skiern. Bericht über Freude und Gesundheit aus der Oberpfalz“, stand am 12. Februar 1941 zu lesen.

Die Handschrift Albershardts bei der Gestaltung des Lagerlebens war unverkennbar; auch und gerade in Bayern war er niederdeutscher „Volkstumskämpfer“: Er ließ seine „Jungs“ plattdeutsches Theater spielen – und den bayrischen Zuschauern standen gleichsam die Münder offen! So wurde jedenfalls im Januar 1941 berichtet: „Finkwarder Platt in Bayern. Jawohl, da waren allerdings die Gastgeber da unten 'platt'.“

„Eine Schulklasse war der Schauplatz des Nachmittags (…). Ortsgruppenleiter, Bürgermeister und die Orts-Frauenschaftsleiterin waren erschienen (…). Die Mädel führten ein Märchenspiel [Rumpelstilzchen] – aus dem Stegreif geschaffen – auf. Die Jungen aber fühlten sich bei dem Kasperlspiel so richtig in ihrem Element. Das war eine 'Jung-Speeldeel' im besten Sinne (…). Kasper, Mariechen, Doot und Dübel fehlten natürlich nicht (…).“ Und für einen nächsten Spiel-Nachmittag wurde von dem ungenannten, aber zu erahnenden Berichterstatter versichert: „'Finkwarder Platt' wird dabei seinen Platz neben dem Hochdeutschen behaupten.“

Am 18. Februar 1941 erfolgte ein vorläufiges Resümee: „Auf einer kurzen Dienstreise weilte der Lagerleiter der landverschickten Kinder von Finkenwärder, Adolf Albershardt, einige Tage in Finkenwärder. (…) So waren denn gestern abend im 'Finkenwärder Hof' die Eltern restlos erschienen und lauschten den herzlich gehaltenen Schilderungen Albershardts. (…) Es war sein Bestreben, in seinem Lager einzelne Gruppen aufzustellen, die gegenseitig in Wettstreit treten, die Besten und Tüchtigsten zu sein. (…).“ Weiter konnte der Lagerleiter den Eltern mitteilen: „Nichts, aber auch gar nichts merken wir von diesem Krieg (…).“ Wegen der „vortreffliche[n] Leistung der dortigen NSV.-Stellen“ (die NSV hatte u.a. für die finanzielle Seite der KLV-Verschickungen zu sorgen) sei alles in bester Ordnung, - es gebe gutes Essen und Gewichtszunahme der Kinder sei zu vermelden.

Nach solch positivem Bericht konnte Dank und hoffnungsvoller Ausblick nicht ausbleiben: „Im Auftrage der Eltern dankte Frau Remmer (…): 'Nicht Worte können den Dank aussprechen, wie ihn mein Mutterherz in sich trägt.'“ NSDAP-Parteigenosse Jacobi, Ortsgruppenamtsleiter der NSV in Finkenwerder, ergänzte: „Das nächste Wiedersehen soll uns im Frieden nach einem glorreichen Sieg beschieden sein.“[65]

Wie viel von der Berichterstattung in den „Norddeutschen Nachrichten“ für bare Münze zu nehmen war und ist, bleibt ungewiss. Dass die Erwartung eines „glorreichen Sieges“ nicht eintrat, ist bekannt. Fest steht, dass Albershardt auch nach 1941 weiterhin noch als KLV-Leiter tätig war, nach Bayern zumindest noch in Böhmen/Mähren, dem annektierten Sudetenland. Unter dem Datum 24. Januar 1945 hat er als Lagerleiter und Klassenlehrer für eine Reihe Finkenwerder Schüler Entlassungszeugnisse (mit Bestätigung der Volksschulreife) aus dem KLV-Lager (BM/530) – Hotel Manstwl, Kamaik a. d. Moldau - ausgestellt.[66] Er blieb somit ganz bis zum Schluss 1945 mit der KLV befasst.

In den letzten Tagen der NS-Herrschaft überschlugen sich die Ereignisse allerdings auch aus Finkenwerder Sicht. Nach Zeitzeugenberichten zu schließen, war Albershardt zu diesem späten Zeitpunkt wieder in Finkenwerder. Ein damals selbst an der Verschickung teilnehmender Schüler erinnerte sich später, dass „die Eltern der mit ihm KLV-verschickten Kinder über sein [Adolph Albershardts] Verhalten kurz vor Kriegsende sehr empört gewesen seien. Albershardt habe sich mit seinem Sohn und der Lehrerin Frl. Rickmers nach Westen abgesetzt und die ihm anvertrauten Kinder hilflos zurückgelassen. Daß diese nicht von der Front überrollt wurden und schließlich wieder zuhause ankamen, sei nur deutschen Soldaten zu verdanken, die die Kinder mitnahmen.“ (Bericht 5)

Ein anderer damaliger Schüler, eigentlich von der Oberschule für Jungen in Altona, wurde seiner Erinnerung nach 1945 „in die Aueschule in Finkenwerder umgeschult (…).“ Weiter lautet sein Bericht: „Der Leiter der Schule, Adolf Albershardt sen., organisierte für die verbliebenen Schüler eine KLV, an der auch sein Sohn teilnehmen sollte. Am Vorabend der Abreise Ende Januar 1945 teilte er den Eltern der mitreisenden Schüler mit, daß sein Sohn wegen einer akuten Brechdurchfall-Erkrankung nicht mitfahren könne.

Später erfuhren die Eltern, daß die russische Armee an diesem Tag die 'Mährische Pforte' durchstoßen hatte, was zu einem schnellen Vorstoß in das Zielgebiet der KLV führte. Die besorgten Eltern brachten die Erkrankung von Albershardts Sohn bald mit dem Frontverlauf, der A[lbershardt]. als führendes Parteimitglied eher bekannt gewesen sein dürfte, in Verbindung.

(…) Als sie [die KLV-verschickten Kinder] in Jermer-Josefstadt, heute Jaromir [Jaromer-Josefov] (Böhmen und Mähren) ankamen, saßen die dort in einer Schule untergebrachten Finkenwerder Schüler quasi schon auf gepackten Koffern, Trecks aus Schlesien zogen durch den Ort. (…) Die Gruppe bekam schließlich einen Eisenbahnwaggon zugeteilt, der an einen Zug mit Verwundeten angekoppelt wurde. So gelangten sie unbeschadet nach Bayern, wo sie in einem Kloster einquartiert wurden. Die HJ-Führer setzten sich ab, die Lehrer blieben zum großen Teil bei ihnen, waren aber nicht in der Lage, die Schüler zu versorgen. (…) Im August 1945 wurden sie schließlich von einem HHA[Hamburger Hochbahn AG.]-Bus, der holzkohlebefeuert war, abgeholt und nach Hamburg zurückgebracht.“(Bericht 17) [67]

V

Für den ehemaligen NSDAP-Parteigenossen Albershardt hat sich all dies nach dem Ende des „Dritten Reichs“ nicht wirklich zum Nachteil ausgewirkt. Im obligatorischen Entnazifizierungsverfahren ist er offenbar nicht belastet worden. Er fungierte, als der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde (September 1945), zunächst als stellvertretender Schulleiter der Aueschule (die nun wieder, wie bis 1932, unabhängig von der Norderschule war). Erinnerungen an seine Vergangenheit als NS-aktiver Lehrer und niederdeutsch bewegter „Volkstumskämpfer“ wurden notfalls abgeblockt [68] oder von ihm selbst vertuscht, so etwa in seiner Überarbeitung des Finkenwerder-Buches von Ernst Finder. In dessen von Albershardt selbst bearbeiteten Neuausgabe wurden 1951 NS-Reminiszenzen (z.B. die Darstellung der KdF-Arbeit der „Speeldeel“) umgeschrieben oder gestrichen.[69] Der alte Ton war aber noch da: Noch immer ging es in Albershardts Formulierung um „Volkstum“ [70]. Und ein Jahr später wünschte er zum 125. Jubiläum seiner Schule, deren Schülerinnen und Schüler von ihm immer noch „Jungen und Mädel“ genannt wurden, nicht einfach nur eine gute weitere Entwicklung. Diese möge stattfinden, schloss er, „zum Segen unserer Vaterstadt Hamburg, zum Segen unseres deutschen Vaterlandes!“ [71] Als er etliche Jahre später Finkenwerders jüngere Geschichte skizzierte, war ihm die NS- und Kriegszeit einem (vermeintlichen) Naturereignis gleich – der Sturmflut 1962. Beide Katastrophen seien über Finkenwerder „hinweggebraust“.[72]

Für sein zunehmend zentrales Aktionsfeld, die Auftritte der „Finkwarder Speeldeel“, hatte er schon bald nach dem Systemwechsel 1945 die Richtung vorgegeben: Weitermachen! In einem Brief Ende 1946 an die Mitwirkenden der „Speeldeel“ schrieb er: „Ober ook dat is woahr: wü hebbt ook Krisen to oberstohn hatt. Männigmol müsst een dinken, de ganze 'Speeldeel' heul dat ne ut un güng to Strund. Wü sünd ober ut Krisen jümmers noch stärker rutkommen. Nee ünnerkriegen loten, hebbt wü uns jümmers seggt. (…) So lot uns tohoopstohn, lot uns Kraft för de Heimat un dat scheune Finkwarder Platt hergeben!“[73]

Am 5. August 1960 wurde ihm von Hamburgs Kultursenator Dr. Biermann-Ratjen das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse überreicht. Albershardt habe sich, so die damalige Begründung, „durch langjähriges Wirken auf kulturellem und kommunalem Gebiet verdient gemacht.“[74] Nach seinem Tod 1969 wurde – wie erwähnt - in Finkenwerder eine Straße nach ihm benannt, der „Albershardtweg“.

Text: Ralph Busch