Hinrich Wriede
(4. September 1882 (Finkenwerder) Hamburg – 2. Mai 1958 Hamburg)
Volksschullehrer (ab 1933 Schulleiter der Volksschule Käthnerkamp 8, Barmbek,
Pensionierung 1942); niederdeutscher Volkskundler und Schriftsteller; Nazi-Propagandist und -Funktionär
Adresse: Nessdeich 6 (bis 1930), Rögenweg 14 (ab 1931)
Wirkungsstätte: Schule Käthnerkamp 8
„Hinrich-Wriede-Straße“, Bremen (Horn-Lehe)
Hinrich Wriede aus Finkenwerder ist heute nur noch in speziell interessierten Niederdeutsch-Kreisen bekannt.1999 veröffentlichte einer seiner Schüler seine Erinnerungen an die Schulzeit mit Wriede als Schulleiter; seitdem ist einer größeren Leserschaft bekannt, dass Wriede ein Nationalsozialist war. Seine langjährigen und vielfältigen Betätigungen sind im Einzelnen aber vergessen. Im Hamburg der Zeit vor und während der NS-Herrschaft sind seine Aktivitäten allerdings keineswegs belanglos und allemal wert erinnert zu werden.[1]
Der Name „Wriede“ steht für einen der prominenten „Clans“ (Piwitt) des Ortes bzw. der Insel; er ist durch Jahrhunderte in Finkenwerder beurkundet, zuerst 1569.[2] Einer der Cousins von Hinrich Wriede, Paul Wriede (1870-1926), gehörte 1904 zu den Gründern des Vereins „Quickborn“ in Hamburg („Freie Vereinigung von Freunden der Niederdeutschen Sprache und Literatur“), in dem Hinrich sogleich auch aktiv wurde. Ein anderer Cousin war Johann Kinau, als Schriftsteller: Gorch Fock (1880-1916), der ebenfalls mit dem Verein „Quickborn“ und mit dessen Zeitschrift „Mitteilungen aus dem Quickborn“ (ab 1906) intensiv verbunden war. In Finkenwerder – damals „Finkenwärder“ geschrieben (eigentlich nur für den hamburgischen Nordteil) - hielten junge Leute wie Hinrich Wriede mit künstlerischen und literarischen Interessen, etliche davon (zukünftige) Lehrer, engen Kontakt untereinander: Man kannte sich. So berichtete einer in seinen autobiographischen Erinnerungen: „Du hest dat Glück hat un büst in junge Johrn mit Rudl Kinau un Hinnick Wrie' [Hinrich Wriede] bekannt worrn un hest döör jüm Freid an dien Sprook kregen. Du büst freuh mit Eduard Bargheer goot Fründ wesen (…). Du hest in de School sien Bruder Ernst as Liehrer hat, bi den'n he wohnen dee. (…) Ick hebbt dat wat Rudl Kinau doon un schreben hett, van jung an giern hat.“[3]
Hinrich Wriede war mit dem zwei Jahre älteren Johann Kinau/Gorch Fock nicht nur verwandtschaftlich verbunden, sondern verbrachte auch gemeinsame Volksschuljahre mit ihm - an der Finkenwerder Westerschule.[4]Wie die meisten jungen Finkenwerder jener Zeit teilten sie später auch die Begeisterung für die Niederdeutsche Bewegung – also für das betonte Eintreten für plattdeutsche Sprache, niederdeutsche Lebens- und Wesensart mit den dazugehörigen Realien wie Trachten und Hausformen (was dann als Ausdruck eines niederdeutschen - oder „niedersächsischen“ - „Volkstums“ verstanden wurde). Vor diesem ideologischen Hintergrund entwickelten H. Wriede und Gorch Fock 1906 den Plan, mittels plattdeutschen Theaterspiels ihren Ideen mehr Verbreitung und Wirkung zu verleihen. So wurde eine Theaterspielgruppe gegründet – und dafür der Name „Finkwarder Speeldeel“ erfunden. Wriede hat – lange nach Gorch Focks Tod – für sich beansprucht, sowohl den Namen geprägt zu haben, als auch der eigentliche Gründer der Spielgruppe gewesen zu sein, was freilich nicht unbestritten ist. Jedenfalls soll Wriede entscheidend dazu beigetragen haben, Gorch Focks Anfänge als Schriftsteller zu unterstützen.[5] Zugleich schrieben beide, teils auch gemeinsam, Texte für die „Finkwarder Speeldeel“. Zu Wriedes Anteil heißt es: „Ein erstes Theaterstück entsteht, für die Speeldeel geschrieben; 'Ut jeeder Rut een Brögamssnut' (1909); es folgen 'Fischerlüd, een Truerspill' (1909), 'Woterkant' (zusammen mit Gorch Fock 1913), 'Leege Lüd, een lustig Spillwark' (1913) [eigentlich: 1914] u.a. (…).“[6]
In jener Zeit – zwischen Jahrhundertanfang und Beginn des Ersten Weltkriegs – bildete sich in Hamburg eine künstlerisch-literarische Ideenschmiede der Niederdeutschen Bewegung – der „Kreis um die Himmelsleiter“, benannt nach einer Gaststätte in der Hamburger Altstadt. Neben Paul Wriede, Hinrich Wriede und Gorch Fock kamen dort so prominente Namen der niederdeutschen Szene wie Hermann Boßdorf, Alma Rogge, Hermann Claudius und Hans Friedrich Blunck zusammen, auch Richard Ohnsorg – allesamt nach 1933 systemkonforme und hoch geschätzte Literaten, Dramatiker, Lyriker, Theatermacher. (Boßdorf war allerdings schon 1921 gestorben.)
Blunck hat überliefert, was in dieser „Himmelsleiter“ als „unser aller Meinung und Ziel“ galt. Der Journalist Jacob Bödewadt drückte das 1913 so aus:
„Heimat- und Stammestreue bedeutet keine geistige Enge – echte 'Heimat-Kunst' kann zu weltweiten Höhen emporwachsen, und Ewigkeitswert kann nur die Dichtung erlangen, die fest im rassischen Volkstum wurzelt – nicht in seinen Äußerlichkeiten, sondern in seiner seelischen Bedingtheit – während alles noch so virtuose Artistentum wie jede Epoche verstandesmäßig erklügelten Kunstgewerbes wohl von der Tagesmode hocherhoben werden kann, aber auch mit dem Wechsel der Mode spurlos untergeht.“[7]
Der sich in solchen Kreisen bewegende Hinrich Wriede hatte mittlerweile die Lehrerbildungsanstalt in Hamburg besucht (1898-1904), die Prüfung zur Festanstellung als Volkschullehrer bestanden (1907) und die Lehrertätigkeit angetreten.[8]
Dies konnte er offenbar mit seinen Interessen für niederdeutsches, speziell Finkenwerder „Volkstum“ zwanglos vereinbaren. Als 1914 die „Pädagogische Vereinigung von 1905 in Hamburg“ ein „Heimatbuch für unsere hamburgischen Wandergebiete“ herausbrachte, um die „Liebe zu wecken zur Heimat!“[9], steuerte auch Gorch Fock zwei Beiträge bei (zu Sagen und zur Elbe). Hinrich Wriede wandte sich dem niedersächsischen Bauernhaus zu, vor allem aber Finkenwerder - in einem teils hochdeutsch, teils plattdeutsch abgefassten Text: „Finkenwärder, eine Fischerinsel.“[10]
Wriede beklagte darin den Niedergang des alten Finkenwerders, seines niederdeutschen Charakters, seiner Fischerei: „So wird die Fischerinsel Finkenwärder langsam zu einer Hamburger Arbeitervorstadt. Auf dem 'Kamerun', dem Grasplatz zwischen Stack und Aue, ist schon ein Warenhaus des Konsumvereins errichtet worden; früher war dieser Platz der Lohplatz der Fischer“. Dieses übliche niederdeutsch-kulturkritische (auch antiproletarische) Bild wurde weiter ausgemalt: „Und mit dem Wesen der Bevölkerung ändern sich das Aussehen und die Eigenart der ganzen Insel. Neben die schlichten alten Häuser mit Stroh- und Pfannendach packt man jetzt protzige, mit weißglasierten Ziegeln überklebte, schiefergedeckte Steinkasten. (…) Die Maurer der Insel (…), wie die jetzigen Bewohner haben den Sinn für wahre Schönheit, die Liebe für das Hergebrachte verloren. 'Scheinen' und 'glänzen' muß es, möglicherweise an eine ausländische Stilform angelehnt sein.“ Solche Wendungen gegen Neumodisches, Städtisches, gar Ausländisches können nicht wirklich verwundern. Die weitere Zuspitzung ging aber deutlich darüber hinaus: „Schon wohnen fremde Arbeiter, Holländer und Süddeutsche, auf unserer Insel; wie lange wird es dauern, dann werden Polen, Tschechen, Galizier und sonstige minderwertige Rassen ihren Einzug halten.“[11]
Zuvor hatte Wriede seine Erkenntnisse zum Finkenwerder „Volkstum“ bereits im „Quickborn“ präsentiert; zwischen 1904 und 1909 hatte er in der Vereinigung allein vier Vorträge gehalten – immer über Finkenwerder.[12]Nach der Unterbrechung im Weltkrieg – er musste Kriegsdienst leisten, hielt dabei aber ständig Kontakt zum Kreis um den „Quickborn“[13]- setzte er seine „Volkstumsarbeit“ fort. Er war nun (bis 1930) Lehrer an seiner alten Schule in Finkenwerder, der Westerschule, und wohnte weiterhin auf der Insel. Mitte der 1920er-Jahre tat er sich mit dem führenden Rassenbiologen Hamburgs, Dr. Walter Scheidt, in einem volkskundlich-rassenbiologischen Finkenwerder-Projekt zusammen.[14]
Damit hatte sich Wriede offensichtlich für einen Weg entschieden, der einen möglichen alternativen Lebensentwurf verwarf. Zeitweise mag Wriede sich nämlich mit dem Gedanken getragen haben, seinen künstlerischen Neigungen verstärkt nachzugehen. Harry Reuss-Löwenstein, der „so um 1900“ nach Finkenwerder zog, um dort zu malen, traf damals mit Hinrich Wriede zusammen: „Wriede pinselte selbst ein wenig zum Vergnügen und schrieb Geschichten und Stücke in einem urväterlichen Platt, das sogar seine Landsleute, die Finkenwärder, kaum verstanden. Ich mußte immer an jenen Papagei am Amazonas denken, der, aus Urzeiten in die Gegenwart hineinragend, als Einziger noch die längst verschollene Sprache der Ureinwohner redete. 'Hinnick' war jedenfalls ein gutherziger, hilfsbereiter Mann, der für die vielen Maler und Literaten aus München und Berlin, die seine heimatliche Insel derzeit als ein anderes Worpswede heimsuchten, den eingeborenen Fremdenführer spielte.“[15]
Wriede scheint sich einige Zeit in Hamburgs Kunstszene umgesehen zu haben – so war er Gast in der „Tafelrunde“, einem künstlerisch-literarischen Kreis mit Verbindung zur „Hamburger Sezession“, die keineswegs mit Heimatkunst oder volkstümelndem Kunstverständnis gleichzusetzen war.[16]Wriedes Malerei soll auch durch Eduard Bargheer, den er ja persönlich kannte, beeinflusst worden sein.[17]Schließlich nahm er eine Auszeit vom 1. September 1907 bis zum 1. Oktober 1908: So „lässt er sich ein Jahr vom Schuldienst beurlauben und geht nach Paris, um dort zu malen. Nach seiner Rückkehr entschließt er sich zu schreiben, dabei bewusst die niederdeutsche Sprache bzw. das Finkenwerder Platt einsetzend.“ (Er selbst hat auch von Reisen nach Holland und Belgien, in die Schweiz und nach Tirol, nach Dänemark und Schweden berichtet.)[18]
Zurück aus Frankreich, fand Wriede in Finkenwerder offenbar nicht das rechte Verständnis für seine Kunst. Überliefert ist, dass „seine in Paris gemalten Aktbilder zu Hause auf Finkenwerder in die Hände des Dienstmädchens fielen und diese die vermeintlich unanständigen Bilder kurzerhand verbrannte.“[19] 1909 soll Wriede noch Bilder bei einer „Sonderausstellung von der Elbinsel Finkenwerder“ im renommierten Kunstgewerbehaus Hulbe in Hamburg (Mönckebergstraße) gezeigt haben.[20]
Nach dem Ersten Weltkrieg gab Wriede, scheint es, seine Kunstambitionen weitgehend auf. Er hielt sich nun an Literarisches, Theaterstücke, Theaterspiel, die „Speeldeel“. Nach 1933 hat er allerdings an der Hamburger NS-Kunstverwaltung mitgewirkt, d.h. an der Kunstkontrolle, -verhinderung und -verfolgung. Er gehörte dem „Beirat der Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten der Hansestadt Hamburg“ an.[21] In dieser Eigenschaft war er u.a. 1939 in die Überlegungen zur Verleihung des Hamburger Lessing-Preises einbezogen, wobei er als Preisträger den Schriftsteller Adolf Bartels (1862-1945) vorschlug, der als aktiver Vertreter der Heimatkunstbewegung, bekennender Antisemit, dann auch als Ehrenmitglied der NSDAP bekannt war. Wriede begründete seinen wenig originellen Vorschlag folgendermaßen:
„Bekämpfte Lessing damals den französischen Einfluß, so Bartels 50 Jahre hindurch die Überforderung der deutschen Literatur durch den jüdischen Geist. (…) Ja, in einem Punkt steht uns Bartels sogar über Lessing. Neigte Lessing aus dem Geist der damaligen Zeit heraus stark weltbürgerlichen Anschauungen zu, so hat Bartels schon früh, dem Zeitgeist sich entgegenstemmend, mit fanatischem Mut und Eifer den völkischen Standpunkt vertreten.“[22]
In diesem Sinn setzte Wriede im Wesentlichen auf Literatur als Instrument niederdeutscher „Volkstumsarbeit“. Nach 1918 wollte er – jetzt ohne Gorch Fock, der 1916 gestorben war – zunächst die „Finkwarder Speeldeel“ weiter leiten. Ebenso hat er, bis weit in die NS-Zeit hinein, plattdeutsche Stücke geschrieben: „(...) noch im Kriegsjahr 1939 wurde 'De behexte Ewer. Lustspill in dree Törns' durch die Niederdeutsche Bühne Hamburgs uraufgeführt.“[23]Was die „Finkwarder Speeldeel“ betraf, scheiterten seine Bemühungen freilich bald: „1920 bemühte sich Wriede, bei der Gewerbepolizei in Hamburg eine Theaterlizenz für die Aufführungen der Speeldeel zu erwerben. Er bekam einerseits deutliche Unterstützung (…). Nur der Deutsche Bühnenverein polemisierte gegen die gewünschte Spielerlaubnis eines 'reinen Dilettantenunternehmens'.“[24]
Tatsächlich erhielt er die Genehmigung: „Vom 22. 2. 1921 liegt ein Gewerbeanmeldungsschein vor, demzufolge er einen Gewerbebetrieb als 'Schauspielunternehmer' führen darf.“[25] Künstlerisch gelang die Fortführung der „Speeldeel“ aber nicht (zumal Ohnsorgs „Niederdeutsche Bühne“ inzwischen eine zunehmend erfolgreiche Konkurrenz war). Die erste Theatervorstellung, die von der Vereinigung „Quickborn“ veranstaltet wurde, war eine Aufführung im Altonaer Theater 1920. Gegeben wurde Wriedes Stück „Kreetslag“, in Szene gesetzt von der „Finkwarder Speeldeel“. Selbst im eigenen Vereinsblatt kam es zu einer kritischen Besprechung: Hanna Kuhlmann fand dort, die „Speeldeel“ könne eben nur mit einem „Dilettantenmaß“ gemessen werden.[26] Vier Jahre später konnte der Vorsitzende der Vereinigung, Paul Wriede, nur noch feststellen: „Die 'Finkwarder Speeldeel' selbst ist in den letzten Jahren eingeschlafen.“[27] Zum Scheitern dieses zweiten Ansatzes der „Speeldeel“ unter Leitung Hinrich Wriedes dürften die finanziellen und politischen Probleme und Unwägbarkeiten der Inflationsjahre entscheidend beigetragen haben. Erst 1936 unternahm ein anderes „Quickborn“-Mitglied, Lehrer Adolph Albershardt aus Finkenwerder, den dritten Versuch, die „Finkwarder Speeldeel“ für das „Volkstum“ wieder einzusetzen; er war erfolgreich.[28]
Für Wriede ergab sich in den folgenden 1920er-Jahren eine Orientierung nach Hamburg: Seit 1920 besaß er ein Grundstück in Volksdorf. Seine Beschäftigung mit dem Finkenwerder „Volkstum“ war damit aber nicht beendet; vielmehr konnte H. Wriede nun in Hamburg Unterstützung suchen und finden. Die bereits erwähnte Kooperation mit dem Rassenbiologen Scheidt 1925/1926 führte zu einer gemeinsamen Veröffentlichung unter dem Titel „Die Elbinsel Finkenwärder“ im einschlägig bekannten, völkischen Lehmanns-Verlag, für die Wriede den Teil „Volkstum“ und Scheidt den Teil „Rasse“ erstellte.[29] Man mag das als Zeichen dafür deuten, in welche Richtung Wriedes Weg am Ende der Weimarer Republik gehen würde.
Einstweilen noch in Finkenwerder tätig und wohnhaft, war Wriede auch an einem Projekt beteiligt, das eine Reihe von Finkenwerdern, darunter Rudolf Kinau und Adolph Albershardt, ab 1924/1925 verfolgten: „dem Heimatdichter Gorch Fock (Hans Kinau) ein Denkmal zu setzen.“[30] In den „Mitteilungen aus dem Quickborn“ erschien ein Spendenaufruf, in dem alle Niederdeutschen um Unterstützung gebeten wurden. Es sollte in Finkenwerder ein Gebäude errichtet werden als „Raum für die Geistesbildung und körperliche Erziehung der Jugend“, aber auch „zur Abhaltung von Tagungen und Wanderversammlungen“ und als „Volksheim für Heimatabende“.[31] Ein prominent besetzter „Ehrenausschuß“ war zur Unterstützung gewonnen worden, darunter Hamburger Politiker und Vertreter des hanseatischen Großbürgertums, auch der Oberbaudirektor Fritz Schumacher. Es gelang schließlich, die Stadt Hamburg dieses Gebäude als „Turnhalle“ für Finkenwerder finanzieren und bauen zu lassen. 1930 wurde es als „Gorch-Fock-Halle“ eröffnet.
Im gleichen Jahr ließ sich Hinrich Wriede nach Hamburg versetzen und zog von Finkenwerder weg. Mit dem 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP ein und im Sommer wurde er, zuvor bereits stellvertretender Schulleiter der Knabenschule Graudenzer Weg 32, Schulleiter der Volksschule Käthnerkamp in Barmbek. Zum Antritt in Parteiuniform erklärte er den Schülern: „Ich werde dafür sorgen, dass meine Schüler stolz darauf sind, deutsche Jungen in einem nationalsozialistischen Deutschland zu sein.“ Natürlich war er auch in den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) eingetreten, war Gauredner der Partei und des NSLB und Mitglied weiterer NS-Organisationen, u.a. der SA (ab 1937).[32]
Seine lange gepflegten Bemühungen um das niederdeutsche „Volkstum“ konnte er dabei prägnant einsetzen. Als „Wahlredner für die N.S.D.A.P. (…) in vielen ländlichen Bezirken im Auftrage des Gaues“ tätig, sorgte er dafür, dass „sich stürmischer Beifall [einstellte], wenn er sich seiner Finkenwärder Mundart bediente“.[33] Für die Reichsschrifttumskammer trat er als Plattdeutsch-Experte auf („Fachschaft Niederdeutsch im Landesverband Groß-Hamburg der Reichsschrifttumskammer“)[34], wobei er auch Niederdeutsch-Lager mit deutschen, flämischen und holländischen Schriftstellern und SA-Instrukteuren veranstaltete, wie sie von nazistischen Germanisten der Universität auf dem „Hof Thansen“ des völkisch-inspirierten Mäzens Alfred C. Toepfer entwickelt worden waren. Auch bei der NS-gesteuerten „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“ war Wriede selbstverständlich gern gesehener Autor.[35]
1937 kam es dann zu einer Intrige gegen den Schriftleiter der Zeitschrift des „Quickborn“. Auch den Vereinsvorsitzenden kostete sie seinen Posten. Regie führte wohl der nationalsozialistische Germanist Teske[36], der im Rahmen der NS-„Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“ den „Quickborn“ vollends auf Parteilinie bringen sollte: Angesagt war, die Verbindung von Niederdeutschen, Niederländern und Flamen verstärkt zu propagieren.[37] Der Schriftleiter der Zeitschrift, Alexander Strempel, hatte wohl auch zu höflichen Kontakt zu der jüdischen Germanistik-Professorin Agathe Lasch gehalten.[38] Hinrich Wriede wurde jedenfalls als neuer Vorsitzender der Vereinigung installiert – bis 1945 -, und von da an war der „Quickborn“ auf der erwünschten „Linie“.
Zu Kriegsbeginn formulierte Wriede in den „Mitteilungen aus dem Quickborn“: „So möge denn das der letzte und tiefste Sinn unserer niederdeutschen Arbeit sein: alle Niederdeutschen zu treuen, beharrlichen und trotzigen Gefolgsleuten unseres Führers Adolf Hitler zu machen.“[39]
Als Ende 1944 die „Mitteilungen“ ihr Erscheinen einstellen mussten – das Kriegsende war absehbar -, konnte der „Quickborn“-Vorsitzende das nur mit Durchhalte-Parolen kommentieren:
„Im Raum des Politischen gilt für uns nur ein Gesetz: alles ist gut, was dem deutschen Volke, seiner Freiheit, Kraft und Geschlossenheit dient, und alles ist schädlich, was der Einheit, Größe und Macht Großdeutschlands Abbruch tut.
Wird daher jetzt unser Volk aufgerufen, auch auf dem kulturellen Gebiete alle Tätigkeit und Arbeit solange einzustellen, bis Freiheit und Dasein unseres Volkes gesichert sind, so folgen wir gern diesem Ruf und legen unsere Feder hin und schließen unsere Schreibstube und unsere Versammlungsstätten. Bis der Krieg siegreich beendet ist.“[40]
Zu seinem 60. Geburtstag am 4. September 1942 hatte die Vereinigung ihrem Vorsitzenden noch „eine Radierung von Professor Paul Helms“, des NS-getreuen Leiters der Hamburger Kunsthochschule, verehrt, verbunden mit dem Wunsch: „Sie hofft, daß er [Wriede] noch lange an ihrer Spitze stehen möge“[41], ein Wunsch, der noch zweieinhalb Jahre wirkte, bis die NS-Herrschaft beendet war und Wriede als Vereinsvorsitzender ausgedient hatte.
Nach Ende des „Dritten Reichs“ wurde Wriede nur noch als „Retter“ der Vereinigung erinnert, die, getragen von einem „Konsens aus Verschweigen und Verdrängen“[42] ihre Ziele weiter verfolgte. Auf groteske Weise ist daraus abgeleitet worden, Wriede habe „die Quickborn-Gesellschaft als 1. Vorsitzender (seit 1937) vor der 'Vereinnahmung' und Gleichschaltung im Dritten Reich“ gerettet. Auf andere Weise der Wahrheit ausweichend hat die damalige Vorsitzende der „Finkwarder Speeldeel“, Christa Albershardt, noch beim 100-jährigen Jubiläum der Folkloregruppe erklärt: Wriede „war nur zufällig unser Gründer“. Seine NS-Verstrickung habe „mit der Speeldeel absolut nichts zu tun.“[43] (Immerhin war Hinrich Wriede 1956 zum „Ehrenspeelbooß“ der „Speeldeel“ gemacht worden.)[44]
Es war all dies Ausdruck des allgemein verbreiteten Bestrebens, in den Jahren nach 1945 dort anzuknüpfen, wo 1945 aufgehört werden musste. Was Hinrich Wriede betraf, berichtete die „Quickborn“-Zeitschrift beispielsweise von einer „Gorch-Fock-Gedenkstunde“ im Jahr 1950. Die Vereinigung „Quickborn“ und die „Fehrs-Gilde“, Hamburg, veranstalteten sie im Museum für Völkerkunde. Dort traten auf: Hinrich Wriede und der erwähnte Niederdeutsch-Professor Niekerken.[45]
Seit 1942, als er krankheitshalber vorzeitig pensioniert wurde, hatte Wriede sich ganz auf seine Niederdeutschtumsarbeit konzentrieren können. Nach 1945 nannte er seine schriftstellerischen Bemühungen „unpolitisch“ - und formulierte doch zugleich: „Ungefähr 40 Jahre stehe ich in der Volkstumsarbeit“. Solche Erklärungen im Rahmen seines Entnazifizierungsverfahrens trugen zu der Erkenntnis des damit befassten Ausschusses bei: „Wriede war ein sehr betonter und primitiver Nationalsozialist.“ Seine Pension wurde auf die eines einfachen Volksschullehrers herabgesetzt. Ab 1953 aber erhielt er wieder die vollen Bezüge eines pensionierten Schulleiters.[46]
Am 2. Mai 1958 ist Hinrich Wriede gestorben.
Text: Ralph Busch, 2017