Hohenfelde
Hamburgs Stadtteil Hohenfelde in der NS-Zeit
Antisemistismus im Kaiserreich und der Weimarer Republik
In Hohenfelde zeichnete sich die Preferenz der Einwohnerinnen und Einwohner für deutschnationale, völkische und antisemitische Parteien bereits lange vor dem Beginn des NS-Regimes ab. So galt der Stadtteil zwischen 1890 und 1900 als eine Hochburg der damaligen Antisemitenparteien, also der Deutschen Reformpartei (DRP) und der Deutschsozialen Partei (DSP). Bei ihnen machte der Antisemistismus den Kern des Programms aus. Sie waren stark wirtschaftspolitisch ausgerichtet und wurden überwiegend von Protestanten gewählt. Die DRP trat mit der Parole „gegen Junker und Juden“ für soziale Reformen zugunsten der unteren Bevölkerungsschichten ein; die DSP stand für einen rassistischen Antisemitismus und verlangte eine erhebliche Einschränkung bis völlige Aufhebung der bürgerlichen und politischen Gleichberechtigung der Jüdinnen und Juden. 1894 schlossen sich beide Parteien zur Deutschsozialen Reformpartei (DSRP) zusammen.
1893 hatten zudem auch aus Hohenfelde stammende junge Angestellte den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verein, DHV, gegründet – zunächst mit dem vorherrschenden Zweck,„dem Eindringen der Socialdemokratie in den Stand der Handlungsgehilfen entgegenzuarbeiten“[1].Zu den Gründungsmitgliedern gehörten der Porzellanmaler und Kaufmann Friedrich „Fritz“Raab, ein Wortführer des Antisemitischen Wahlvereins von 1890 in Hamburg, sowie Johannes Irwahn, der aus dem antisemitisch-protestantischen Milieu um den Berliner TheologenAdolf Stoecker stammte. Mitglied konnte „jeder unbescholtene Handlungsgehülfe werden, jedoch sind Juden und nachweislich von Juden abstammende Personen von der Aufnahme ausgeschlossen“[2]. Frauen waren ebenfalls ausgeschlossen, denn die männlichen Angestellten sahen sie als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, weshalb der DHV auch die Frauenarbeit im kaufmännischen Bereich deutlich beschränken wollte.
Der neue Verband fand rasch Zulauf unter den Handlungsgehilfen (den heutigen kaufmännischen Angestellten). Er verstand sich als ihr Berufsverband, vertrat aber nicht nur ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen, sondern prägte auch ihre politischen Vorstellungen im Sinne einer antisemitischen, völkischen Ideologie, unter anderem durch Kontakte zu antisemitischen und rechtsnationalen Gruppen und Parteien sowie durch intensive, antisemitisch geprägte Bildungsarbeit. In der Weimarer Republik orientierte sich der DHV politisch zunächst vor allem an der DNVP, viele Mitglieder sympathisierten spätestens ab Beginn der 1930er-Jahre mit der NSDAP. Anfang 1933 wurde der DHV in die Deutsche Arbeitsfront eingegliedert und 1934 aufgelöst.
Ab 1914 war in Hohenfelde außerdem die in jenem Jahr gegründete Deutschvölkische Partei (DVP) stark vertreten, die ebenfalls antisemitisch und völkisch-rassistisch ausgerichtet war. Sie löste sich bereits 1918 wieder auf, die meisten Mitglieder wechselten daraufhin zur DNVP, der Reichsverband gründete den Deutschvölkischen Bund, der sich 1919 mit dem Deutschen Schutz- und Trutzbund zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund mit Hauptsitz in Hamburg zusammenschloss. Dessen Generalsekretär wurde Johann Henningsen, der genau wie Emil Fach – Mitbesitzer der Nahrungsmittelgroßhandlung Fach & Rühland, Mühlendamm 74 und Finanzchef der DNVP – in der Ifflandstraße 34 wohnte. Das „Antisemitenhaus“ genannte Gebäude gehörte ebenso wie die Nummer 32 dem Hamburger Kaffeekaufmann Heinrich Thams. Dieser war zusammen mit Friedrich Garfs Eigentümer der Kaffeegroßrösterei Thams & Garfs, eines reichsweit tätigen „Franchise“-Unternehmens, dessen Büro sich ebenfalls in der Ifflandstraße 34 befand und an dem auch der ehemalige Vorsitzende des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbands, Wilhelm Schack, beteiligt war. Dieser wohnte in Hohenfelde am Mühlendamm 46/50. Heinrich Thams und Friedrich Garfs waren ebenfalls Mitglied im Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband und genau wie Schack in der Deutschsozialen Reformpartei.
Die NSDAP in Hohenfelde
Als es bei den Wahlen 1928 – sowohl für den Reichstag als auch für die Hamburgische Bürgerschaft – zu einem Linksruck kam, stimmten die Hohenfelder Wählerinnen und Wähler konsequent gegen den Trend: Die SPD lag mit 22,5 Prozent erst auf Platz 3 in der Wählergunst, hinter der 1918 gegründeten rechtsliberalen Deutschen Volkspartei DVP (24,6 Prozent) und der DNVP (23,4 Prozent). Die KPD lag in Hohenfelde ganze 10 Prozent unter ihrem hamburgweiten Ergebnis (6,3 Prozent gegenüber 16,7 Prozent). Dagegen erhielt die NSDAP in Hohenfelde mit 3,6 Prozent im Verhältnis zu allen im Stadtteil abgegebenen Stimmen deutlich mehr als in ganz Hamburg, wo sie 2,2 Prozent erzielte.
Großen Anteil am Erfolg der Partei hatte Wilhelm Hüttmann, Geschäftsführer des NSDAP-Gaus Hamburg, stellvertretender Gauleiter und nach dem Rücktritt von Albert Krebs 1928 kurzzeitig richtungsweisend im NSDAP-Gau Hamburg. Profiliert hatte sich Hüttmann in der Hamburger NSDAP als Leiter der Bezirksgruppe Hohenfelde. Er wohnte in der Ifflandstraße 80 und Albert Krebs schrieb später über ihn: „Hüttmann hatte sich in wenigen Monaten dank seiner vielseitigen Fähigkeiten bei der Parteigenossenschaft einen Namen gemacht und zahlreiche Anhänger erworben. Er verfügte über ein tüchtiges und von keinerlei Bedenken und Hemmungen im Zaum gehaltenes Mundwerk; er verstand es, mit kleinen Gefälligkeiten und Ratschlägen aus dem Bereich seiner Berufstätigkeit als Rechtsberater moralische Schuldner einzufangen und beim kräftigen, langewährenden Männertrunk sich als biederer Volksfreund zu zeigen. Kurz und gut, er erschien zum mindesten für eine breite Schicht bürgerlicher Menschen als der geeignete Parlamentsvertreter. […] Außerdem hatte er seine Bezirksgruppe Hohenfelde in guter Ordnung; der Mitgliederbestand nahm stetig zu.“[3]
Mit Krebs war „in der NSDAP eine jüngere Generation und eine moderne soziale Schicht, der ‚neue Mittelstand der Angestellten und Akademiker‘, nach vorne [gerückt]“, so die Historikerin Ursula Büttner [4]. Diese bürgerlichen Kreise wollte Krebs nun auch verstärkt für die NSDAP gewinnen, wobei ihn Hüttmann tatkräftig unterstützte. Tatsächlich fand die Partei zunehmend mehr Unterstützung bei Angestellten, vor allem bei jenen, die in nationalen Berufsverbänden politisch ohnehin bereits in ihre Richtung tendierten, bei Beamtinnen und Beamten sowie bei den wirtschaftlich bedrohten, selbstständigen Gewerbetreibenden – eine Klientel, die in Hohenfelde, Hüttmanns Bezirk, in großem Maß vertreten war.
Die Wahlen 1932
„St. Georg, Hohenfelde und Eilbek haben sich in den letzten Wahlkämpfen unrühmlich ausgezeichnet. Sie entlarven sich an ihren Flaggen und Wahlergebnissen als besondere Stützpunkte der nationalsozialistischen ,Arbeiter’-Partei.“ Das schrieb die sozialdemokratische Tageszeitung Hamburger Echo am 13. Juli 1932. Tatsächlich war das bürgerliche Hohenfelde vor 1933 der Hamburger Stadtteil mit den (im Verhältnis zur Einwohnerzahl) meisten Wählerstimmen für die NSDAP, sowohl bei der Juli-Wahl 1932 als auch bei der anschließenden November-Wahl.
Reichstagswahlergebnisse 1932 Hohenfelde im Vergleich (in Prozent)
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Deutsches Reich |
Alt-Hamburg* |
Hohenfelde |
|||
|
31.7.1932 |
6.11.1932 |
31.7.1932 |
6.11.1932 |
31.7.1932 |
6.11.1932 |
NSDAP |
37,3 |
33,1 |
33,7 |
27,2 |
47,5 |
37,6 |
DNVP** |
5,9 |
8,3 |
5,2 |
9,3 |
10,3 |
17,7 |
Zentrum |
12,4 |
11,9 |
2,0 |
1,7 |
3,8 |
3,4 |
SPD |
21,6 |
20,4 |
31,7 |
28,6 |
18,5 |
16,0 |
KPD |
14,3 |
16,9 |
17,7 |
21,9 |
8,3 |
10,5 |
DStP** |
1,0 |
1,0 |
6,0 |
5,4 |
5,9 |
5,3 |
DVP** |
1,2 |
1,9 |
2,0 |
3,3 |
3,2 |
5,8 |
*ohne Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg
** DNVP = Deutschnationale Volkspartei; DStP = Deutsche Staatspartei; DVP = Deutsche Volkspartei
Mit 47,5 Prozent erreichte die NSDAP im Juli 1932 in Hohenfelde sogar noch 10 Prozent mehr Stimmen als insgesamt im Reich, sodass man bei dem Stadtteil von einer NSDAP-Hochburg sprechen konnte. Von diesem hohen Niveau fiel das Ergebnis bei der November-Wahl zwar stärker ab als reichs- und hamburgweit, gleichwohl erfolgte offenbar lediglich eine Verschiebung der Stimmen zur DNVP, die hier überdurchschnittlich zulegte. Somit blieb die klar nationalkonservative und völkische Ausrichtung der Hohenfelder Wählerinnen und Wähler erhalten.
Zusammen erhielten NSDAP und DNVP in Hohenfelde sogar in beiden Wahlen mehr als die absolute Mehrheit (57,8 bzw. 55,3 Prozent), während die – allerdings verfeindeten – Arbeiterparteien SPD und KPD zusammen nicht einmal halb so viele Stimmen erreichten (26,8 bzw. 26,5 Prozent). Auch lagen die Wählerstimmen für SPD und KPD bei beiden Wahlen jeweils deutlich unter den Ergebnissen für ganz Alt-Hamburg. Generell hatten es die Sozialdemokraten in Hohenfelde schwer – obwohl Hamburg insgesamt zu den traditionellen Hochburgen der Arbeiterbewegung zählte. Im Detail zeigt sich, dass vor allem die Bewohnerinnen und Bewohner des gutbürgerlichen Teils Hohenfeldes für die NSDAP stimmten, anders als die Wählerinnen und Wähler in den Gegenden mit geringeren Einkommen. Diese wählten nicht nur in Hohenfelde überwiegend SPD und KPD:
NSDAP-Stimmanteil in ausgewählten Wahlbezirken Hohenfeldes bei der Reichstagswahl am 6.11.1932
Wahlbezirk |
Wahlstelle |
Stimmen |
Prozent |
514+515 |
Wallgraben 22 |
2349 |
44,7 |
512 |
1302 |
44,3 |
|
500 |
Steinhauerdamm 4/6 |
1115 |
27,0 |
513 |
Angerstraße 7b |
1065 |
21,5 |
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933
Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 – der Vorsitzende der NSDAP, Adolf Hitler, war seit rund fünf Wochen deutscher Reichskanzler – sahen die Wahlergebnisse in Hohenfelde folgendermaßen aus: Reichstagswahlergebnisse 5.3.1933 Hohenfelde im Vergleich (in Prozent)
|
Deutsches Reich |
Alt-Hamburg* |
Hohenfelde |
NSDAP |
43,9 |
38,8 |
51,2 |
SPD |
18,3 |
26,9 |
14,6 |
Kampffront |
8,0 |
7,9 |
13,9 |
Schwarz-Weiß-Rot** |
|
|
|
KPD |
12,3 |
17,6 |
8,1 |
*ohne Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg
** ein Wahlbündnis aus DNVP, Stahlhelm und Landbund
Die NSDAP erreichte in Hohenfelde noch mehr Stimmen als bei der Juli-Wahl 1932 und mit 51,2 Prozent anders als im Reich und in Hamburg, sogar allein die absolute Mehrheit. Zusammen mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot erhielten die Nationalsozialisten in Hohenfelde 65,1 Prozent, das waren fast 20 Prozent mehr als im Hamburger Durchschnitt. Allerdings hatte der Staatsterror mit Hitlers Einsetzung als Reichskanzler bereits begonnen und die März-Wahl 1933 stand schon unter dem Zeichen der NS-Diktatur. „Wahlkampf wurde damals als Auseinandersetzung bis hin zum Bürgerkrieg geführt und die NSDAP, nunmehr Regierungspartei, wollte alle Möglichkeiten, auch Terror und Gewalt, nutzen, um die Machtposition auszubauen, die sie gerade erhalten hatte. Das bedeutete Kampf gegen alle Parteien, gegen das demokratische System, gegen die kommunistische Linke und auch gegen die deutschnationale Konkurrenz“, beschrieb der Historiker Wolfgang Benz die politische Lage im Deutschen Reich zwischen Ende Januar und Anfang März 1933 [5].Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurden zudem die kommunistische Presse und für zwei Wochen auch die Presse der SPD verboten. Die Büros der KPD wurden geschlossen, Abgeordnete, Funktionärinnen undFunktionäre inhaftiert und viele von ihnen in bereits ab Februar 1933 errichteten Konzentrationslagern interniert und brutal misshandelt. In Hamburg bot die Ermordung eines Polizeibeamten – ebenfalls am 28. Februar 1933 – darüber hinaus den Anlass, 75 KPD-Funktionäre zu verhaften sowie alle Flugblätter, Plakate und Periodika der Partei zu beschlagnahmen. Von gleichen Voraussetzungen für alle Parteien konnte also im März 1933 ohnehin nicht mehr die Rede sein.
Die NSDAP in Hohenfelde –Organisationsstruktur und Anlaufstellen
Im Rahmen des dichten Organisationsnetzes der NSDAP bildete Hohenfelde seit Oktober 1937 zusammen mit Eilbek, Hamm, Horn und Billstedt in Hamburg den NSDAP-Kreis 5. Dieser bestand wie alle anderen Kreise aus zahlreichen Ortsgruppen. Aus den erst sechs Hohenfelder Ortsgruppen (Nord, Süd, Ost, West, Landwehr und Uhland) wurden 1937 drei (Ost, West und Landwehr), ab November 1938 gab es nur noch die Ortsgruppen Ost und West. Hauptamtlicher NSDAP-Kreisleiter war von Oktober 1937 bis 1943 der Hamburger Kaufmann Amandus Brandt, Parteimitglied seit 1925 und zuvor 1932/33 Ortsgruppenleiter in Harvestehude. Die Funktion des Ortsgruppenleiters Hohenfelde-West hatte ab 1938 Carl Heinz Schmidt inne, die zuständige Geschäftsstelle befand sich in der Armgartstraße 18; Ortsgruppenleiter Hohenfelde-Ost war seit 1938 Wilhelm Nehrkorn, die Geschäftsstelle lag wie die Kreisgeschäftsstelle in der Uhlandstraße 38a.
Nach der März-Wahl 1933 breitete sich die NSDAP auch sichtbar überall in Hohenfelde aus. NSDAP-Kreishaus und Geschäftsstelle befanden sich in der Uhlandstraße 38a, im „Dietrich-Eckart-Haus“ nach dem Antisemiten und Förderer Adolf Hitlers. Dort kam auch die NS-Frauenschaft des Kreises zusammen und dort hatte der Verein für die NS-Kriegsopferversorgung des Kreises ebenso seinen Sitz wie der NS-Mütterdienst Hohenfelde, Abteilung Mütterschulung. Außerdem hielten in der Uhlandstraße 38a die Ortsgruppen- und Stützpunktleiter ihre Sprechstunden ab. Die Reiterstandarte 12 der Sturmabteilung (SA) der NSDAP war an der Lübecker Straße 10 untergebracht, das Hauptquartier der Hohenfelder SA im Schwanenwik 26. Die NS-Volkswohlfahrt für Hohenfelde lag im Graumannsweg 25, in ihren Räumen fanden unter anderem Nähabende statt sowie die „Zeugausgabe für Mutter und Kind“. In der Ifflandstraße 8 befand sich bis Ende 1937 die Geschäftsstelle der Deutschen Arbeitsfront (DAF), die Nationalsozialistische Gemeinschaft (NSG) „Kraft durch Freude“ des Kreises sowie das Kreisamt Hohenfelde der Nationalsozialistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisationen (NS-Hago). Im gleichen Haus wohnte der NS-Hago-Kreisamtsleiter, der Kaufmann Louis Bodenstab, im Nebenhaus der stellvertretende DAF-Propagandawalter, der Großhändler Henry Thornton.
Die verschiedenen Hohenfelder Gruppierungen der NSDAP und ihrer Unterorganisationen trafen sich regelmäßig in Gaststätten. Versammlungsort für die meist zweiwöchentlichen Treffen der Ortsgruppen war der „Hohenfelder Hof“, das Gesellschaftshaus des Parteigenossen Karl Meyer an der Lübecker Straße 17/19. Die Stützpunkte „Vogesen“ und „Lagemark“ der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV) kamen alle zwei Wochen im Lokal „Brauner Reiter“ am Mühlendamm 17 zusammen, der Stützpunkt „Argonnen“ fand sich im Lokal „Alt-Heidelberg“ in der Freiligrathstraße 13 ein. Weitere Etablissements, die als NS-Gaststätten in den Gaunachrichten für sich warben, waren das Lokal „Zur Sportklause“ von Paul Kleemann in der Ifflandstraße 12 sowie das Restaurant „Schwanenbucht“ von Carl Heßler an der Barcastraße 12. Hinzu kamen Gaststätten wie die „Taubenbörse“ und die „Wallburg“, die zu „Sturmlokalen“ ernannt worden waren. Um einen solchen Titel mussten sich die Lokalbesitzer oder -pächter bei der NSDAP bewerben und es herrschte großes Interesse daran, weil diese „Auszeichnung“ viele Gäste anzog.
Eine zentrale Rolle als NS-Lokal spielte das traditionsreiche Ballhaus „Lübscher Baum“ (s. auch oben). Dort gab es „Tonfilmabende“für die Parteigenossinnen und -genossen, außerdem richtete es die „Jahres-Pflicht-Mitgliederversammlungen“ und die Weihnachtsfeiern der Ortsgruppen aus. Hinzu kam praktischer und theoretischer Unterricht für die Sturmabteilungen. Der „Sturm-Befehl Nr. 4“ für die „Standarte R 76 der S. A. der NSDAP“ etwa kündigte für Dienstag abend, 13. August 1935, folgendes Programm an: „Antreten 20.15 Lübeckerstr. 133 Sturmappell im Lübschen Baum. Ausweis- und Hilfskassen- sowie Verbandspäckchenkontrolle. Nationalpolitischer Vortrag über ,Das Leben des Führers’. Singen“. Besonders viele uniformierte Parteigenossinnen und -genossen strömten im November 1938 in das Gebäude – was auf vom NS-Regime verfolgte Männer, Frauen und Kinder sicher besonders bedrohlich wirkte. Über den Anlass veröffentlichten die Gaunachrichten für den Kreis 5 im Dezember des Jahres einen von Pathos triefenden Artikel.
Wirt des „Lübschen Baums“ war zu der Zeit der Parteigenosse und SS-Obersturmführer Eugen Ziebert. Er inserierte auch auf den Anzeigenseiten für Hohenfelde in den seit 1935 erscheinenden NSDAP-Gaunachrichten – unter anderem zusammen mit dem Eisenwarenhändler Friedrich Zywitz aus der Lübecker Straße 138, dem Kohlenhändler Diercks vom Wandsbeker Stieg 45, dem Apotheker Johann Mielek von der traditionsreichen „Bienen-Drogerie“ an der Kuhmühle 2, der Handelsschule Peters Ecke Lübecker Straße/Mühlendamm, mit Else Franks Blumenhaus an der Kuhmühle 23 und mit der Gastwirtschaft Engelbert Habrichs an der Güntherstraße 96.
Widerstand gegen die Nationalsozialisten
Bei allen Versuchen der NSDAP, sich einen legalen Anstrich zu geben, um das Bürgertum für sich zu gewinnen, war der „Kampf um die Straße“ weitergegangen, auch in Hohenfelde. Die paramilitärischen Schlägertrupps der SA suchten nach wie vor gezielt die gewalttätige Auseinandersetzung mit politischen Gegnern der NSDAP, griffen sie an, wenn sie Flugblätter verteilten oder Plakate klebten oder auch nur, wenn sie ihnen zufällig auf der Straße begegneten. Saal- und Straßenschlachten gehörten Anfang der 1930er-Jahre zur Tagesordnung. Denn trotz der überwiegenden Zustimmung zu antisemitischen, deutschnationalen und völkischen Parteien in Hohenfelde gab es auch dort Widerstand gegen die Nationalsozialisten, insbesondere vor und in den ersten Jahren nach deren Machtübernahme. Er kam vor allem von Kommunistinnen und Kommunisten, aus den Reihen der SPD und von Angehörigen des von Sozialdemokraten dominierten Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Viele von ihnen setzten in Straßenkämpfen gegen die brutalen SA-Leute ihre körperliche Unversehrtheit, wenn nicht ihr Leben aufs Spiel, um das Erstarken der NSDAP zu verhindern.
Zu den Zentren der gewaltsamen Auseinandersetzung in Hohenfelde zählten die Ifflandstraße und die Gegend um das Lokal „Lübscher Baum“ von Eugen Ziebert. Der SA-Sturmführer Meier etwa verzeichnete in seinem Monatsbericht vom 29.6.1931: „Ein Zusammenstoß mit Komunisten, d.h. ein Ueberfall auf unser Lokal von Ziebert ereignete sich am 7.6.31 dabei ging eine grosse Schaufensterscheibe in Trümmer, auhserdem wurden zwei Schuhs von komunistischer Seite her abgegeben, verletzt wurde aber niemand.“[6] (Rechtschreibfehler im Original, Anm. d. Verf.). Auch in der Nacht vom 2. auf den 3. September 1931 kam es zu einer Schlägerei zwischen SA-Leuten und Kommunisten vor dem Haus Ifflandstraße 42. Der herbeigerufene Sturmbann-Arzt Georg Lensch habe die verletzten Parteigenossen versorgt. Weitere Zusammenstöße gab es vor dem Wohnhaus des NSDAP-Mitglieds Hellmuth Brandt am Graumannsweg 77, vor dem Bahnhof Landwehr und an der Ecke Steinhauerdamm/Wallstraße, als SA-Männer vom Sturmlokal „Klass“ in Borgfelde zum „Lübschen Baum“ zogen.
In der Ifflandstraße 4 befand sich die Schankwirtschaft von Robert Schütz und seiner Frau, beide NSDAP-Gegner. Dort eignete sich folgender Vorfall: In der Silvesternacht 1933/34 ging der SA-Oberscharführer Block zusammen mit drei weiteren SA-Männern in das Lokal des Ehepaars Schütz, weil dort zuvor ein SA-Mann beleidigt worden sei. Dazu weiter der Bericht des für das Gebiet zuständigen SA-Obertruppführers: „Block bestellte mit den Worten: ,Gib der S.A. mal ein Glas Bier.’ Darauf sagte einer der Gäste: ,Gib der Scheiss S.A. doch nichts zu trinken, die braucht nichts.’ Als die S.A. den Mann stellen wollte, kam es zu einer Schlägerei, in deren Verlauf der Wirt & Wirtin (Schütz) stark Partei gegen die S.A. nahmen. Hierauf wurde von der Polizei Hilfe geholt. Beim Eintreffen der Polizei hat die Wirtin Schütz die Täter durch eine Hintertür entweichen lassen. Es konnten daher nur drei Beteiligte inhaftiert werden.“[7] Später ergänzte der SA-Obertruppführer, dass einer der Inhaftierten ein „gewisser Bareck, wohnhaft Hamburg, Ifflandstraße 67, Hs. 4 II“[8] gewesen sei, es sich bei den anderen beiden Verhafteten um die „Gebr. Kalb“[9] handelte und alle drei Kommunisten seien.
In Hohenfelde war zudem eine „Scheringer-Staffel“aktiv, benannt nach Richard Scheringer, einem ehemaligen NSDAP-Mitglied, der sich 1931 von den Nationalsozialisten abgewandt und offen zu den Zielen der KPD bekannt hatte. Bei Scheringer-Staffeln handelte es sich um Zusammenschlüsse ehemaliger Angehöriger von Rechtsverbänden mit dem Rotfrontkämpferbund (der paramilitärischen Schutztruppe der KPD in der Weimarer Republik) unter dessen Leitung. Die Hauptaufgabe der auch Scheringer-SA-Staffeln genannten Gruppen war die Zersetzung der SA, weshalb sie des Öfteren in SA-Uniform auftraten.
Seitens der SPD hatten Mitglieder in Hohenfelde bereits Anfang 1933 unter der Führung von Emil Auhagen die „Roten Pioniere“ gegründet. Diese Organisation war aus der Schutzformation (Schufo) 24 des Reichsbanners hervorgegangen und gliederte sich in Fünfergruppen, um den Stadtteil dezentral mit im Untergrund hergestellten Schriften zu versorgen. Im Herbst 1934 sorgte jedoch eine Schießerei mit der SA in der Ifflandstraße dafür, dass die beteiligte Gruppe aufflog und den Mitgliedern ein Prozess wegen Vorbereitung zum Hochverrat gemacht werden sollte. Es folgten Einzelhaft und Gestapo-Verhöre mit brutalen Misshandlungen, bis schließlich der Genosse Willi Baeger die Schuld auf sich nahm. Seine Strafe lautete zwei Jahre Gefängnis. Eine weitere Gruppe wurde ebenfalls im Herbst 1934 nach einer Denunziation verhaftet und ihr Anführer Adolf Böttcher nachts um 2 Uhr von der Gestapo nach einer Hausdurchsuchung mitgenommen. Das Urteil lautete auf ein Jahr Gefängnis wegen unerlaubten Waffenbesitzes.
Der Hohenfelder Bürgerverein dagegen, der rund 1000 Mitglieder hatte und zu dessen Vorstand überwiegend großbürgerliche Konservative gehörten, duldete die Politik der NSDAP und das Verhalten der SA-Männer stillschweigend – obwohl auch er der aggressiven Politik der Nationalsozialisten ausgesetzt war, die Bürgervereine als „Schwatzbude” bezeichneten, „in der juristische Spitzfindigkeiten und jüdische Wortklauber die Sitzungen ausgefüllt hätten“[10]und obwohl auch er im rassischen Sinne der NSDAP etwa zwanzig jüdische Mitglieder hatte, darunter den Juristen Richard Robinow. Das Stammlokal des Hohenfelder Bürgervereins war die „Hohenfelder Schäferhütte“ in der Lübecker Straße 84, dort trafen sich die Mitglieder jeden Sonntag vormittag im hinteren Saal und besprachen die neuesten Geschehnisse. Ein Zeitzeuge erinnerte sich unter anderem an die Reaktion der Mitglieder auf den Mord an dem SA-Stabschef Ernst Röhm 1934 durch Nationalsozialisten: „Und da entsinne ich noch ganz genau, da ist irgendeiner aufgestanden und hat gesagt, wir sollen froh sein, daß wir uns nicht über Politik kümmern und daß wir uns nicht Hitler angeschlossen haben, denn der Mann erschießt ja seine eigenen Leute. Also seid friedlich und ruhig und haltet lieber die Schnauze und macht überhaupt nichts, als wenn ihr sie gar nicht seht. Und das ist dann auch geschehen.“[11]
Zwangsarbeit in Hohenfelde
Nach bisherigem Forschungsstand (Dezember 2015) gab es in Hohenfelde drei Zwangsarbeiterlager. In der Wallstraße – die genaue Lage lässt sich nicht mehr feststellen – befand sich 1944 ein Gemeinschaftslager. Dort waren 279 Männer und Frauen untergebracht, die für die 1939 gegründete Landschafts- und Gartenbaufirma Kowahl & Bruns Zwangsarbeit leisten mussten. Es handelte sich um ein durch Zivilisten bewachtes Lager mit fünf Baracken. Kowahl & Bruns hatte sich 1942 auf das lukrative, weil kriegswichtige Geschäft der Tarnung von Flughäfen und militärischen Objekten im Deutschen Reich und in vom Deutschen Reich besetzten Ländern spezialisiert. In Hamburg befanden sich weitere Zwangsarbeiterlager der Firma in Fuhlsbüttel (die dortigen Baracken sind noch erhalten und dienen als Lernort zum Thema Zwangsarbeit), in Duvenstedt und in Lokstedt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter stammten zu 95 Prozent aus dem Ausland, woher genau, ist nicht bekannt.
Die Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern generell hatte für Kowahl & Bruns in der Nachkriegszeit keine rechtlichen Folgen. Wilhelm Kowahl, NSDAP-Mitglied aus „innerster Überzeugung“[12], starb 1944 in einem Kriegsgefangenenlazarett. Er hatte auch selbst in Hohenfelde gewohnt, in der Barcastraße 6. Sein Kompagnon Emil Bruns erhielt 1946 ausschließlich wegen der Misshandlung mehrerer weiblicher Häftlinge aus dem KZ Sasel eine Haftstrafe von drei Jahren, die kurz danach auf zwei Jahre verkürzt wurde. Im Herbst 1945 sperrte die britische Militärbehörde die Firmen- sowie die privaten Konten der Gründer. Doch noch während der Haft konnte Emil Bruns die Geschäfte von seiner Zelle aus weiterführen und hielt dort auch monatlich Geschäftsbesprechungen ab. Im Januar 1980 gehörte Emil Bruns zu den Gästen eines Empfangs, den der damalige Hamburger Bürgerschäftspräsident Peter Schulz (SPD) zum Auftakt der deutsch-israelischen Wirtschaftstage gab.
Ein weiteres Zwangsarbeiterlager befand sich 1943 in Hohenfelde am Steinhauerdamm. Hier waren rekonvaleszente Niederländer untergebracht, die aus dem Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in dieses Lager entlassen worden waren.
Das dritte Lager befand sich in der Schule Angerstraße (heute Gewerbeschule). Es handelte sich um ein Firmenlager mit dreißig Ausländerinnen und Ausländern, die für die Großbäckerei Julius Busch arbeiten mussten. Ihre genauen Nationalitäten sind nicht bekannt.
Jüdinnen und Juden in Hohenfelde
1925 hatte Hohenfelde 33.891 Einwohnerinnen und Einwohner. Davon waren, so die Volkszählung für jenes Jahr, 507 Personen „Israeliten“, also 1,5 Prozent. Im Juni 1933 lebten in Hohenfelde 31.130 Männer und Frauen, davon waren nur noch 345 Jüdinnen und Juden, das machte nun 1,1 Prozent der gesamten Wohnbevölkerung des Stadtteils aus. Zugleich hatten sich nur zwei Prozent aller jüdischen Männern und Frauen Hamburgs überhaupt in Hohenfelde niedergelassen. Ein Grund dafür war möglicherweise, dass die meisten Synagogen Alt-Hamburgs in der Neustadt, im Grindelviertel und in Harvestehude lagen und damit nicht mehr fußläufig von Hohenfelde entfernt.
Wie aber lebten Jüdinnen und Juden, wie lebten ihre Kinder in diesem Stadtteil, in dem sie immer wieder auf Antisemitinnen und Antisemiten, auf völkisch-rassistische Aktivistinnen und Aktivisten treffen mussten? In der Ifflandstraße 28 beispielsweise wohnte Max Ring nur zwei Häuser neben dem Gebäude, in denen der damalige Antisemit Heinrich Thams sein Büro hatte. Agnes Joel wiederum, die von 1912 bis 1935 in der Güntherstraße 90 wohnte, konnte von ihrer Wohnung im dritten Stock aus vermutlich genau beobachten, wie an der Ecke zur Lübecker Straße Horden von SA-Männern auf Kommunisten oder Reichsbanner-Leute einprügelten – davon abgesehen, dass in der Straße ohnehin schon seit langem viele aktive Deutschnationale wohnten und drei Eingänge weiter ihr Nachbar Engelbert Habrichin seiner Gastwirtschaft nur nationalsozialistisch gesinnte Gäste bewirtete.
Oder das Haus Uhlandstraße 38a: Die Eigentümer, die Erben der Witwe Rohde, die das Haus bisher hatten leer stehen lassen, vermieteten es 1934 an die NSDAP, die dort ihre Kreis- bzw. ab 1937 ihre Ortsgruppengeschäftsstelle einrichtete, in der durch zahlreiche Sprechstunden und regelmäßige Veranstaltungen ein reges Kommen und Gehen von Parteigenossinnen und -genossen herrschte. In das Haus fast direkt gegenüber, in die Nummer 37, zogen im selben Jahr Max und Hilde Chassel.
Wie auf engem Raum in Hohenfelde die politischen Gegensätze aufeinanderprallten, zeigten auch die verschiedenen Gastwirtschaften in der Ifflandstraße: In der Nummer 4 befand sich das Lokal von Robert Schütz und seiner Frau, beide NSDAP-Gegner, in der Nummer 6 die Schankwirtschaft des SPD-Genossen Ludwig Allerdings und in der Nummer 12 die NS-Gaststätte „Zur Sportlerklause“.
Besonders spitzte sich das Zusammentreffen jüdischer Bewohnerinnen und Bewohner mit NSDAP-Mitgliedern in dem Haus Ifflandstraße 8 zu. Die Immobilie gehörte bis 1934 dem Hausmakler Arnold Hertz, der Mitglied im Verein Hamburger Hausmakler war. Dieser musste 1934 seine Tätigkeit einstellen. Arnold Hertz verkaufte im selben Jahr das Haus in der Ifflandstraße 8 offenbar an die Witwe O. A. J. Vorwerk und übernahm stattdessen die Verwaltung. Im Erdgeschoss des Hauses wohnte zu der Zeit der NS-Hago-Kreisamtsleiter Louis Bodenstab, ebenfalls im Erdgeschoss war der Verein für deutsche Schäferhunde ansässig, in dem Bodenstab ehrenamtlich aktiv war; außerdem lebten dort der jüdische Arzt Gustav Hoffmann und seine Frau Gertrud (siehe ihre Biografien in diesem Buch). Im ersten Stock wohnte das jüdische Ehepaar Ina und Louis Löwenthal (siehe ihre Biografien in diesem Buch), neben ihnen auf derselben Etage ihre Tochter Hedwig, die dort auch Gymnastikkurse gab. Hedwig war zudem KPD-Mitglied und in die Untergrundarbeit der Partei eingebunden. Bereits 1933, bei der ersten Verhaftungswelle politischer Gegnerinnen und Gegner unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, wurde sie verhaftet und für mehrere Wochen im KZ Fuhlsbüttel in „Schutzhaft“ genommen.
Ebenfalls im ersten Stock wohnten der jüdische Südfrüchte-Großhändler Josef Bertel, der dort zudem für seine Firma Bertel & Krebs ein Büro gemietet hatte, und seine Mutter Ruchle Bertel. Im dritten Stock lebten der jüdische Fabrikant Alfons Baruch und seine Frau Erna. Spätestens Anfang 1935 zogen die „NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“, Kreisamt Hohenfelde sowie die Hohenfelder Geschäftsstellen der DAF und der NS-Hago ins Erdgeschoss (das Ehepaar Hoffmann war in die Borgfelder Straße gezogen, auch der Schäferhunde-Verein hatte dort nicht mehr seinen Sitz). Ende 1935 floh Hedwig Löwenthal nach einer erneuten Verhaftung nach Italien, ihre Eltern Ina und Louis zogen im Frühjahr 1936 nach Eppendorf. 1937 wurden der jüdisch-orthodoxe Arzt Isaac Caro und seine Frau Regina Nachbarn des NSDAP-Funktionärs Bodenstab. 1939 zog für ein Jahr die NS-Schwesternschaft – die „Braunen Schwestern“ – in das durch die „Arisierung“seiner Südfrüchte-Großhandlung freigewordene Büro von Josef Bertel im ersten Stock, im zweiten Stock fand die Gemeindeschwester Thiel eine Bleibe, die vermutlich zu den NS-Schwestern gehörte. 1940 wohnte nur noch Ruchle Bertel in der Ifflandstraße, ihr Sohn war ausgezogen. Auch das Ehepaar Baruch lebte nicht mehr in dem Haus. Ende 1941 gelang es Isaac Caro, nach Kuba zu fliehen. Spätestens Anfang 1942 verließ auch Ruchle Bertel ihre Wohnung. Damit hatte das Haus Ifflandstraße 8 keine jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner mehr.
Bei der Überwachung von Jüdinnen und Juden spielte das 51. Revier, das während der NS-Zeit dort seinen Sitz hatte, eine Rolle. Marikita Lindenheim beispielsweise wurde 1941 dort vorgeladen, weil sie weder eine Kennkarte beantragt hatte, noch den jüdischen Zwangsnamen „Sara“ benutzte.
Mit Sicherheit wird Hohenfelde bei seiner langen Geschichte des Antisemitismus und völkisch-nationalen Ausrichtung keine Ausnahme gewesen sein, wenn es um judenfeindliches Denken und Handeln ging. Von offener Solidarität mit den drangsalierten und verfolgten Jüdinnen und Juden oder Protesten gegen antijüdische Übergriffe ist nichts bekannt. Die Hohenfelder Bevölkerung nahm so gut wie keinen Anteil an dem, was ihren jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn durch das NS-Regime angetan wurde – sofern sie nicht ohnehin aktiv daran beteiligt oder stillschweigend damit einverstanden waren.
Mitte der 1980er-Jahre führte der Sozialwissenschaftler Uwe Emmenthal ausführliche Interviews mit Hohenfelder Bewohnerinnen und Bewohnern über ihren Stadtteil. In dem Rahmen äußerten sich auch Zeitzeugen über die NS-Zeit: „Und wir haben damals ein paar Juden gehabt, die sind bis zuletzt geblieben. Man wußte gar nicht, daß das Juden waren. Ich entsinne noch, an der Kuhmühle, da schickte meine Mutter mich hin mit einem Zettel, da war so ein Laden, wo es Knöpfe und Nähgarn gab (…) und dann bin ich da hingegangen wie immer alle viertel Jahr, halbe Jahr, und dann standen plötzlich zwei Mann da in brauner Uniform. Dann sagten sie: ,Du kannst hier nicht rein.’ Ich sag: ,Warum denn nicht?’ ,Das ist ein Jude.’ ,Ja, da kann ich doch nichts für.’ Und dann bin ich reingegangen und sage ich: ,Was soll denn das Affentheater.’ Und die weinten da und sind nachher verschwunden.“[13] Und ein anderer Zeitzeuge: „Hier in Hohenfelde hat nur ein jüdischer Arzt gewohnt. Der hat an der Kuhmühle gewohnt. Später wohnte er in einem der Fahrstuhlhäuser, machte aber keine Praxis mehr. Der ist noch spät weggekommen, der ging nach Amerika, das war im Krieg.“[14]Bei welchem Geschäft an der Kuhmühle oder in direkter Nähe es sich handelte, ließ sich nicht ermitteln; bei dem erwähnten Arzt handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Isaac Caro aus der Ifflandstraße 8, direkt um die Ecke der Kuhmühle.
Profiteure der Judenverfolgung
Einige jüdische Hohenfelder Familien, denen es noch gelang, vor der Deportation aus Deutschland zu fliehen, brachten Möbel, Hausrat und anderen persönlichen Besitz im Lagerhaus der Möbelspedition Heinr. Wachtmann & Co. an der Ifflandstraße unter – um sich die Kisten später nachschicken zu lassen. Vielleicht hofften einige auch auf eine Rückkehr. Das Lagerhaus brannte bei den Bombenangriffen 1943 ab. Gleichwohl zählte auch die Firma Wachtmann zu den Profiteuren der Judenverfolgung und des Judenmords.
„Von Transporten in Konzentrationslager und der Übernahme jüdischer Geschäfte durch ‚arische’ Besitzer berichteten die Befragten nicht“[15], stellte der Soziologe Emmenthal bei der Auswertung seiner Interviews fest. Dabei kam es im Zuge der wirtschaftlichen Auslünderung der Jüdinnen und Juden durch das NS-Regime und der damit einhergehenden Bereicherung von „Volksgenossinnen und -genossen“ auch in Hohenfelde zu „Arisierungen“. Der Historiker Frank Bajohr nennt fünf Geschäfte und Läden: Die bereits erwähnte Südfrüchte-Großhandlung Bertel & Krebs aus der Ifflandstraße 8, die Diamantenwerkzeug-Fabrik S. Blätter, Hohenfelder Straße 1, die Papierwarenhandlung Alexander Herzog, Lübecker Straße 59, das Damenoberbekleidungsgeschäft der Geschwister Korn, Lübecker Straße 1 und die Großhandlung für Schumacher-Bedarfsartikel von Max Litmann an der Lübecker Straße 50. 1938 existierten im gesamten Kreis 5 (Hohenfelde, Eilbek, Hamm, Horn, Billstedt) nur noch 28 jüdische Einzelhandelsgeschäfte, Handwerksbetriebe und sonstige Firmen bei für Alt-Hamburg insgesamt erfassten 1110 Betrieben.
Marienkrankenhaus
Während der NS-Zeit gehörten etliche der im Marienkrankenhaus beschäftigten Ärztinnen und Ärzte der NSDAP an; der damalige Vorsitzende des Krankenhauses, der katholische Hauptpastor Hamburgs, Bernard Wintermann, verhielt sich uneindeutig. So äußerte er mehrfach „freudige Zustimmung zum nationalsozialistischen Staat“, bedankte sich überschwänglich bei Reichsstatthalter Karl Kaufmann für eine Ehrenkarte bei einem Auftritt Hitlers in Rothenburgsort:„Gebe Gott, daß der Führer sein emsiges Bemühen um die volle Gleichberechtigung Deutschlands und den wirklichen Frieden Europas bald mit Erfolg gekrönt sieht. Heil Hitler!“[16]. Zugleich empörte er sich, wenn das NS-Regime Menschen Hilfe verweigerte, wie der Historiker und Journalist Bernd Nellessen feststellte:„[Wintermann] sucht und findet, gebeten von einem jüdischen Arzt, für einen geistig behinderten, vor der Entmündigung stehenden jungen Juden einen Platz in einem Erziehungsheim der Barmherzigen Brüder. Er drängt, von einem evangelischen Pfarrer angestoßen, den Bischof, die seelsorgerliche Betreuung der Schutzhäftlinge in den Konzentrationslagern des Emslandes zu fordern. Als die Schulbehörde Material für den Pflichtunterricht in Erblehre und Rassenkunde versendet, organisiert er sofort eine von einem kompetenten priesterlichen Pädagogen geleitete Informationsreihe für die Lehrer und Lehrerinnen der katholischen Schulen“[17]. Allerdings bewegte sich Wintermann mit diesen Aktivitäten stets innerhalb des Systems, das er damit letztlich anerkannte, wenn nicht gar stabilisierte. Dazu gehörte auch, dass die Ordensschwestern des Marienkrankenhauses die KZ-Häftlinge, die im Zweiten Weltkrieg nach den Bombenangriffen zum Trümmerräumen gezwungen wurden, mit Suppe und Brot versorgten.
Autorin: Frauke Steinhäuser