Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Karl Kaufmann

(10. Oktober 1900 Krefeld - 4. Dezember 1969 Hamburg)
NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter in Hamburg
Adresse: Harvestehuder Weg 10/ Duvenstedter Brook
Wirkungsstätte: NS-Verwaltungssitz Harvestehuder Weg 10, ab 1938 wurde der Sitz um das arisierte „Budge-Palais“ erweitert, Harvestehuder Weg 12
Fuhlsbüttler Straße 756, bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof, R 25, 153-3 und 162


Nach dem Besuch der Oberrealschule Elberfeld bei Wuppertal arbeitete Kaufmann}} als landwirtschaftliche Hilfskraft. Noch kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges wurde er im Jahr 1918 zur Armee eingezogen, kam aber nicht zum Einsatz. Daraufhin schloss er sich, enttäuscht wie so viele junge Männer, die sich als „zu spät Gekommene“ fühlten und nicht mehr ihrer „patriotischen Pflichterfüllung“ nachkommen konnten, paramilitärisch organisierten Rechten Freikorps an. Ab 1919 war {{nolink: Kaufmann im „Freikorps Marinebrigade Ehrhardt“.

Im Jahr 1921 trat er in die NSDAP ein und engagierte sich beim Aufbau der Partei im Rheinland; zudem beteiligte er sich 1923 am sogenannten Hitlerputsch in München. Im Jahr 1928 wurde er Gauleiter der NSDAP in Hamburg – hier sollte er die Partei festigen und sich selbst profilieren, da er immer wieder in Streitereien mit Parteikollegen geriet. In Hamburg hatten die Nationalsozialisten bei den Bürgerschaftswahlen 1928 ein Ergebnis von rund 2,2% erreicht.

Reinhard Otto schreibt in seinem Buch "150 Jahre Friedrichsberg. Von der Irrenanstalt zur Klinik im Wohnpark" über Karl Kaufmann}} u. a.: "Es gelang ihm in den folgenden Jahren, die Hamburger NSDAP; die SA sowie die anderen Parteigliederungen deutlich zu stärken. Im Jahre 1930 wurde er als Hamburger Abgeordneter in den Reichstag gewählt. Diese Funktion inklusive der damit verbundenen Zahlungen behielt er bis 1945. Bei den Wahlen zur Bürgerschaft am 27. September 1931 bekam die NSDAP 202.506 Stimmen, was einem Stimmenanteil von 26,25% entsprach. Die von {{nolink: Kaufmann in enger Abstimmung mit Joseph Goebbels auf Linie gebrachte Hamburger NSDAP erreichte dann bei den nächsten Bürgerschaftswahlen am 24. April 1932 schon 31,23% und war damit nach dem Anteil der Wählerstimmen auf Augenhöhe mit der SPD." 1)

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Kaufmann am 16. Mai 1933 zum Reichsstatthalter in Hamburg. Der Vater von zwei Töchtern (geboren 1929 und 1935) vereinte eine große Machtfülle auf seiner Person, NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter, „Führer“ der Hamburger Staats- und Gemeindeverwaltung, Reichsverteidigungskommissar im Wehrkreis X und ab dem 30. Mai 1942 das Amt des Reichskommissars für die Seeschifffahrt. Systematisch baute er ein eigenes, teils undurchsichtiges, sich und seine Unterstützer willkürlich bedienendes Herrschaftssystem in Hamburg auf. Er erklärte mal kleinste Verwaltungsentscheidungen zur Chefsache und nahm Entscheidungen seiner Verwaltung zurück. In wöchentlichen Bürgersprechstunden nahm er sich für Teile der Bevölkerung Zeit. Reinhard Otto dazu: "Mit den dort von ihm spontan getroffenen Verfügungen setzte er sich des öfteren über bereits existierende Verwaltungsentscheidungen hinweg. Dies führte zu einer permanenten Verunsicherung der damaligen Beamtenschaft (...). Innerhalb der Hamburger Bevölkerung erreichte er mit dieser speziellen nationalsozialistischen Form des Sozialpopulismus einen spürbaren Grad an Beliebtheit." 2)
Rücksichtslos ging Kaufmann}} gegen sogenannte politische Feinde vor. Er ließ das KZ Fuhlsbüttel, das auch als „Privat KZ“ des Reichsstatthalters bezeichnet wurde, errichten und war für die dortige Folter, den Terror als auch für die Morde verantwortlich. Die nationalsozialistische Politik der Verfolgung wurde unter {{nolink: Kaufmann bedingungslos umgesetzt, 1941 erfolgte erste Deportierungen von Juden aus Hamburg. Auch das KZ Neuengamme unterlag seinem Einflussbereich.

Mit der "von ihm initiierten Gründung der 'Hamburger Stiftung von 1937 [kontrollierte] er ein Finanzsystem (..), das außerhalb des regulären städtischen Haushalts angesiedelt war. Das Stiftungsvermögen setzte sich aus öffentlichen Mitteln, Zwangsabgaben städtischer Betriebe sowie Spenden aus der Hamburger Wirtschaft zusammen. Auch sogenannte Arisierungsspenden, als 'freiwillige' Zahlungen von Personen oder Firmen., die von der Arisierung jüdischer Unternehmen profitiert hatten, vermehrten das Stiftungskapital. (...). Die Erlöse der Stiftung verwandte Kaufmann zur Absicherung seiner Alleinherrschaft. Neben der kontinuierlichen Finanzierung der Parteigliederungen der Hamburger NSDAP und Zuwendungen an führende Parteifunktionäre wurden die Gelder gezielt für Aktionen im sozialen Bereich eingesetzt. Besonders die hierdurch finanzierte 'Weihnachtsspende des Reichsstatthalters für Bedürftige' wurde auch poppagandistisch ausgeschlachtet." 3)  

Zum Ende des Krieges 1945 ließ Kaufmann}} zu, dass Hamburg den britischen Alliierten am 3. Mai 1945 kampflos übergeben wurde. In der Nachkriegszeit sind viele Legenden um {{nolink: Kaufmann}} als „Retter der Stadt“ entstanden, die seine Verbrechen während des Nationalsozialismus zu Unrecht relativierten. {{nolink: Kaufmann}} wurde am 4. Mai 1945 verhaftet und bis 1948 interniert. "Aufgrund von Verletzungen, die er bei einem Autounfall 1946 erlitten hatte, wurde er 1950 auf der Basis eines medizinischen Gutachtens als verhandlungsunfähig eingestuft. Das entscheidende, am 27. September 1949 verfasste Gutachten, das {{nolink: Karl Kaufmann}} ein beginnendes Siechtum und damit einhergehende vollkommene Verhandlungsunfähigkeit attestierte, wurde von Prof. Hans Bürger-Prinz, dem damaligen Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik des Universitäts-Krankenhauses Hamburg-Eppendorf, erstellt. Nachdem {{nolink: Kaufmann kurzzeitig noch einmal in Haft genommen worden war, wurde im Jahre 1951 sein Entnazifizierungsverfahren mit der Einstufung als 'Minderbelasteter' beendet." 4)  Auch erhielt er die Freigabe seines Vermögens.

Wegen Kaufmanns}} 1940 für "repräsentative Zwecke" gepachteten 400 Hektar-Staatsgutes {{nolink: Duvenstedter Brook wurde nach der Befreiung vom Nationalsozialismus prozessiert. Der Prozess endete mit einem außergerichtlichen Vergleich.5)

Die Historikerin Jessica Erdelmann hat sich mit Kaufmanns}} Vermögen beschäftigt und dabei auch mit der Immobilie {{nolink: "Duvenstedter Brook"}}. So schreibt sie in ihrem Aufsatz „Praktisch kein Vermögen besessen‘. Der Umgang mit den Vermögenswerten NS-belasteter Funktionseliten am Beispiel des ehemaligen Hamburger NSDAP-Gauleiters {{nolink: Karl Kaufmann“: „Er nutzte die Möglichkeiten, die sich ihm aufgrund seiner Machtfülle boten, aber nicht nur dazu, seine Günstlinge materiell zu unterstützen und seine Herrschaft zu stabilisieren. Auch er selbst profitierte erheblich von seiner Position im NS-Herrschaftsgefüge. Ein Beispiel dafür ist die Aneignung mehrerer Villengrundstücke in einer der feinsten Gegenden Hamburgs, die er zum Machtzentrum der Hamburger Nationalsozialisten ausbaute.“6)  

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde Kaufmanns}} Vermögen nicht angetastet, obwohl die Alliierten bei Funktionären des NS-Regimes Vermögenskontrollen durchführten und es bei vielen zur Vermögenssperre (Blockierung) kam. Doch, wie Jessica Erdelmann schreibt: „Zum Zeitpunkt der Blockierung wies {{nolink: Kaufmanns}} Konto kein nennenswertes Guthaben mehr auf. Nach Aussage seiner Ehefrau, Else {{nolink: Kaufmann,}} habe er ‚praktisch so gut wie kein Vermögen besessen (…). Das, was noch vorhanden sei, gehöre ‚im Wesentlichen ihr‘. Zu den angegebenen Vermögenswerten zählte auch ein Pachtvertrag über den Duvenstedter Brook. Dieses Naturschutzgebiet (…) hatte {{nolink: Karl Kaufmann 1939 zunächst nur zu Jagdzwecken, später zur landwirtschaftlichen Nutzung gepachtet und mit Staatsgeldern zu seinem Hof ausgebaut.

Die Tatsache, dass Kaufmann}} den Pachtvertrag acht Monate vor Kriegsende durch einen neuen hatte ersetzen lassen, der seine Ehefrau als gleichberechtigte Pächterin auswies, legt die Vermutung nahe, dass die Pacht nicht der einzige Vermögenswert gewesen sein könnte, den {{nolink: Kaufmann}} rechtzeitig auf seine Ehefrau übertragen hatte. Ein solches Vorgehen scheint unter NS-belasteten Personen gängige Praxis gewesen zu sein. Deshalb hatte die Blockierung des Vermögens eines Ehepartners regelmäßig die Sperre desjenigen des anderen zur Folge. (…) Auch Else {{nolink: Kaufmanns}} Vermögenswerte wurden deshalb blockiert. (…) Da Else {{nolink: Kaufmann}} auf ihrem Hof nach der Räumung ihrer Villa im Harvestehuder Weg im Vergleich zum Rest der Hamburger Bevölkerung sehr großzügig leben und auch weiterhin das Privileg einer Selbstversorgerin genießen konnte, wurde der Pachtvertrag zu einem öffentlichen Skandal. (…) Der fortbestehende Pachtvertrag von Else {{nolink: Kaufmann}} bedeutete einen materiellen Vorteil, der nur aus der Stellung ihres Ehemannes im nationalsozialistischen Herrschaftssystem resultierte (….)“, so Jessica Erdelmann. 7) Auf Druck der Hamburgischen Bürgerschaft auf den Senat „gelang es wenigstens, Familie {{nolink: Kaufmann mit Genehmigung der britischen Militärregierung im April 1946 durch das Wohnungsamt auszuweisen. Der Pachtvertrag selbst blieb (…) jedoch unberührt.“ 8)

Schließlich endete „der Prozess vor dem Pachtamt (…) am 1. April 1950 mit dem Urteilsspruch, dass der Pachtvertrag aufgrund des fehlenden Nachweises einer Genehmigung des Innenministeriums nichtig sei. Die Parteien einigten sich auf einen außergerichtlichen Vergleich. Das noch verbliebene Inventar erhielten die Kaufmanns}} im Oktober 1950 zurück. Von den im Dezember 1945 gemeldeten Vermögenswerten waren ihnen nur diese geblieben.  Doch (…) war das Vermögen nicht durch Übergriffe seitens der Behörden oder Treuhandgebühren aufgezehrt worden. Vielmehr konnten die {{nolink: Kaufmanns}} mehrere Jahre von ihren im Nationalsozialismus akkumulierten Vermögenswerten weiterleben, weil es gesperrten Vermögensinhabern erlaubt war, pro Haushalt monatlich bis maximal 300,- RM von ihren Konten abzuheben. Geschrumpft war das Vermögen {{nolink: Kaufmanns vor allem deshalb, weil sie die Kosten, die für den Erhalt des Hofes notwendig waren, allein bestreiten mussten, ohne wie zuvor auf die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die zahlreichen Vergünstigungen sowie Zuwendungen zurückgreifen zu können. Die größten Einbußen hatten sie jedoch – wie andere Besitzerinnen und Besitzer von Geldvermögen auch – mit der Währungsreform im Juni 1948 erlitten“9).

Kaufmann engagierte sich erneut politisch in rechtsradikalen Kreisen und kam abermals 1953 kurzzeitig in Haft. Obwohl gegen ihn mehrere Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet wurden, kam es nie zum Prozess.

Ab 1959 fungierte Kaufmann}} als Teilhaber eines Versicherungsunternehmens seines früheren stellvertretenden Gauwirtschaftsberaters Otto Wolff. {{nolink: Kaufmann lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1969 in Hamburg – ohne finanzielle Sorgen.
Text: Katharina Tenti/Rita Bake

Siehe zu Karl Kaufmann auch in dem Aufsatz von Joachim Szodrzynski zum Thema Entnazifizierung hier in der Täterdatenbank auf Seite 17f. www.hamburg.de/contentblob/4462240/data/aufsatz-szodrzynski.pdf