Rudolf Pahl
(4.10.1897 Finkenwerder – 27.6.1964)
NSDAP-Ortsgruppenleiter Finkenwerder
Schloostraße 2 (Privatadresse ab 1938-1964)
„Einige Probleme“ habe es in den Kriegsjahren gegeben. Sonst sei die NS-Zeit in
Finkenwerder eher unspektakulär verlaufen - „die Finkenwerder waren im Grunde politisch wenig engagiert“. So liest es sich 1986 in einer Publikation zur 750-Jahr-Feier des Ortes.[1]
'Politisch wenig engagiert' – zumindest von einem Finkenwerder jener Jahre lässt sich das nicht sagen. Wenn die Mitglieder der NSDAP in Finkenwerder sich versammelten, geschah das unter Anleitung von Johann Rudolf („Rudl“) Pahl, dem Ortsgruppenleiter.[2]
Ortsgruppenleiter[3] und Werftbesitzer
Sein familiärer und finanzieller Rückhalt war der Familienbetrieb August Pahl Werft, die Rudolfs Vater, August Pahl (1868-1954), 1887 gegründet hatte. 1919 in die Firma eingetreten und technisch-innovativ engagiert, entwickelte der Sohn und spätere Parteigenosse in der NS-Zeit seine politischen Aktivitäten durchaus im Einklang mit den Interessen der Werft. Dabei half offenbar eine nicht geringe Affinität zur SA, insbesondere der Marine-SA, und zur Marine, wie sie sich in R. Pahls Verbindung zu einem der in der Vorkriegszeit einflussreichsten SA-Führer und NSDAP-Mitglieder Hamburgs manifestierte: Wilhelm Boltz.
Boltz war Marineoffizier im Ersten Weltkrieg gewesen (zuletzt: Kapitänleutnant), wurde dann Freikorpskämpfer nach 1918, NSDAP-Mitglied seit 1931, in den Jahren 1932 und 1933 NSDAP-Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft bzw. im Berliner Reichstag, seit 1930/31 aktives SA-Mitglied – mit guten Kontakten zur SS (Heydrich/Himmler)[4]– ,1930 Gründer des Marinesturms Altona, 1933 Inspekteur der Marine SA, seit Oktober 1933 SA-Oberführer, seit November 1937 SA-Brigadeführer. Solche Qualifikationen brachten Boltz im Mai 1933 zunächst den Posten des Direktors der „Hafen-Dampfschiffahrts-AG“ (HADAG) ein (bis Oktober 1933), dann den des Polizeipräsidenten („Polizeiherrn“) von Hamburg (Oktober 1933 bis 1936), schließlich 1937 bis 1939 erneut den des HADAG-Vorstands.[5]
Im Februar 1936 gründete Boltz – ähnlich wie andere NS-Größen[6]- eine Stiftung, die, in seinem Fall, ein Grundstück und Haus an der Ostsee (bei Neustadt i.H.) unterhielt: das „Hamburger Erholungsheim Merkendorf“, später „Wilhelm-Boltz-Stiftung Merkendorf“.[7]
Angeblich zum Zweck der Unterstützung „bedürftiger Seeleute“ gegründet, war die Stiftung tatsächlich ein Ort zur Ausbildung von Angehörigen der Hamburger Marine-SA und Marine-HJ.[8]In diesen Kontext ist einzuordnen, dass Pahls Werft Boote an Boltz' Stiftung lieferte, die – laut Satzungsänderung 1937 – auch „seemännischen Kampfsport“ pflegte.[9]
Die Verbindung zwischen Pahl und der Stiftung des SA-Brigadeführers Boltz brach auch nach dessen Tod (1939) nicht ab, sondern wurde 1940 „insofern verfestigt, als der Werftbesitzer in den Stiftungsvorstand eintrat.“[10]
1936, als in Finkenwerder die 700-Jahr-Feier des Ortes bzw. der Insel begangen wurde[11], war das Netzwerk, in dem Pahl seine Interessen realisieren konnte, augenfällig: Partei und Staat (Gauleiter und Reichsstatthalter/Bürgermeister/Senat), SA und Wehrmacht (Marine) waren zur Stelle, um die Willkommensworte des Finkenwerder Parteigenossen, Ortsgruppenleiter Pahl, entgegenzunehmen. Das „Hamburger Tageblatt“, Tageszeitung der NSDAP, beschrieb den „Auftakt in Finkenwärder“ (20. 6. 1936):
„Im Finkenwärder Hof ging es bald hoch her. Der Hamburger Senat hatte zu einem kameradschaftlichen Treffen geladen, an dem Einheimische und Gäste freudig teilnahmen. Reichsstatthalter und Gauleiter Karl Kaufmann und der Stellvertretende Gauleiter Harry Hen[n]ingsen waren gekommen, ferner der Regierende Bürgermeister Krogmann, Admiral Lindau, dazu Oberst Wintzer, Konteradmiral Spieß und Konteradmiral Claasen, Stadtrat Grootkop aus Altona. (…) Abordnungen der Kriegsschiffe, des Marinesturms 3/1, der Marine-SA Finkenwärder, der Soldatenkameradschaften, des Arbeitsdienstes.“[12]
„Schon ein kleines Wunder“, heißt es später[13], sei der unternehmerische Erfolg der Pahl-Werft mit dem Bau von zivilen Hafen-Fähren in kriegswirtschaftlicher Zeit gewesen. Das „Wunder“ lässt sich unschwer auf Pahls Kontakte zur politischen und militärischen Führungsebene des nationalsozialistischen Hamburg zurückführen. Obwohl, wie richtig angemerkt wird[14], nach den Anfangsjahren zivile Projekte des NS-Regimes zugunsten von militärisch relevanten zurückgestellt oder ganz eingestellt wurden – im Schiffbau nicht anders als beispielsweise im Wohnungsbau[15]-, konnte die Pahl-Werft auch nach 1936 (Vierjahresplan) und selbst nach Kriegsbeginn 1939 noch eine Reihe von HADAG-Neubauten – Hafenfähren - ausführen, die keine unmittelbar militärische Funktion hatten.
Der Hintergrund hierzu – Wilhelm Boltz war seit 1937 wieder HADAG-Vorstand – war folgender: „Die von den Nationalsozialisten geplanten Umgestaltungen und Umstrukturierungen im Hafen und an der Elbe[16]bewogen den Vorstand 1937, den NSDAP-Gauleiter Kaufmann auf die dadurch zu erwartenden Verkehrsaufgaben der HADAG hinzuweisen. Man beantragte ein Neubauprogramm, und Kaufmann verfügte, daß noch 1937 zwei und in den Jahren 1938-41 jeweils vier große neue Schiffe in Auftrag gegeben werden durften. Diese Aufträge gingen fast ausschließlich an die Werft von Pahl in Finkenwerder (…).“[17]
Für die Hafen-Fährlinie von Hamburg nach Finkenwerder wurden neben der „Finkenwärder“ (1936)[18]weitere Fährschiffe bei Pahl gebaut: so 1941/42 die „Wilhelm Boltz“[19]und die „Hamburg“, 1942. Die Summen, um die es dabei ging, lassen sich grob abschätzen, wenn für die „Wilhelm Boltz“ allein Baukosten von etwa 500.000 Reichsmark angesetzt werden.[20]
Allerdings war bzw. ist Genaueres über die damalige Finanzlage der Pahl-Werft offenbar nicht festzustellen. Als nämlich NSDAP-Ortsgruppenleiter und Werftbesitzer Pahl 1942 eine Steuerprüfung erleben musste (nachdem er „wiederholt auf die Buchführungspflicht hingewiesen worden“ war), stellte sich heraus, dass die Werft zum einen seit 1933 keinerlei Steuern gezahlt hatte und zum anderen „eine ordnungsgemäße Buchführung nicht vorlag. Die Gewinne mußten deshalb geschätzt werden.“[21]
Dies war 1946 das Ergebnis eines ersten Ausschusses der Hamburger Bürgerschaft zur „Untersuchung nationalsozialistischer Korruptionsfälle“, wo im Übrigen festgestellt wurde, 1942 oder danach sei eine „Strafe wegen Steuerverfehlungen (…) nicht festgesetzt worden“.[22]
Zur Zeit der Untersuchung, 1946, war Pahl noch „in Gewahrsam der Militärregierung“[23]. Die Werft blieb in Familienbesitz. Als Rudolf Pahl im Juni 1964 überraschend verstarb, „aus einem Leben voller Schaffensfreude“ heraus, wie es in der Todesanzeige hieß, schrieben „Geschäftsleitung und Belegschaft der Schiffswerft August Pahl“ in ihrem gemeinsamen Nachruf: „Wir betrauern den Verlust dieser starken Persönlichkeit, deren außergewöhnliche Fähigkeiten und deren edle Gesinnung den Leistungen unserer Werft Achtung und Geltung in aller Welt verschafften. (…) Es ist uns Verpflichtung, sein Lebenswerk in seinem Sinne weiterzuführen. (...)“. 20 Jahre nach Pahls Tod, Ende 1984, ging die Werft in Konkurs und musste schließen.[24]
Keine Ortsgruppe?
In den verschiedenen Veröffentlichungen der Finkenwerder „heimatgeschichtlichen Literatur“ sucht man den Namen Rudolf Pahl vergebens.[25]Als Ortsgruppenleiter der NSDAP jedenfalls hat er, wollte man diesen Darstellungen glauben, nicht existiert. Ebenso wenig ist aus diesen Quellen etwas über die Nazi-Partei der „Elbinsel“ zu erfahren, also über die Ortsgruppe und ihr Wirken. Hat es sie nicht gegeben? Überall in Hamburg (und überhaupt im untergehenden „Dritten Reich“) sind in den letzten Tagen der NS-Zeit Unterlagen, Akten, Dokumente gezielt vernichtet worden (sicher auch noch später), so zweifellos auch in Finkenwerder. Eine lokale Mitgliederliste oder Kartei der Parteigenossen wird schwerlich auftauchen, wenn auch nicht auszuschließen ist, dass andere Erinnerungsdaten und Unterlagen in privaten und Vereinsarchiven aufzufinden wären.
So sind es Bruchstücke und Zufallsfunde, die ein gewiss unvollständiges Bild ergeben: die eine oder andere persönliche Aufzeichnung, einige Zeitzeugenberichte, Zeitungsartikel, einzelne historiographische Arbeiten. Natürlich war Rudolf Pahl nicht der einzige Finkenwerder Nazi – das einzige Parteimitglied. Pahl war auch nicht der einzige Werftbesitzer, der in Finkenwerder der Partei angehörte. Es gab den Handwerksmeister und den Gasthofbesitzer, es gab die Pastoren und den Schulleiter – alle waren sie in der NSDAP, genau wie der Doktor und der Zahnarzt, und, selbstverständlich, nicht nur einer der Lehrer. Auch der Vorläufer Pahls als Ortsgruppenleiter ist in Erinnerung, und ebenso gab es unter den vielen Zugezogenen – Beschäftigten der Deutschen Werft oder des Flugzeugbaus vor allem – in den Mietshäusern entlang des Norderdeichs, der Ostfrieslandstraße usw. Parteimitglieder.
Offensichtlich standen traditionelle Honoratioren wie Arzt, Lehrer, Pastor (die „gute Gesellschaft“ echten Finkenwerdertums) nicht abseits, wenn es um die Partei und ihr angegliederte Organisationen ging.[26]
Natürlich gab es unterschiedliche Motivationen, sich in das NS-System einzufügen, sei es als NSDAP oder SA-Mitglied, als Aktiver des „Kolonialgedankens“, Organisator des „Winterhilfswerks“ oder Mitstreiter im „Dienst“ für „Kraft durch Freude“. Das eine schloss das andere nicht aus. So gab es auch in Finkenwerder die frühzeitig überzeugten Nazis, es gab wohl auch die Karrierebewussten, ebenso diejenigen, die aus taktischen Gründen in die Partei eintraten, vielleicht, um sich zu schützen oder in der Annahme, Schlimmeres verhüten zu können.
Auf der anderen Seite hat es, keineswegs besser dokumentiert, auch Widerständigkeit gegeben. Dezidierter Widerstand – gar in organisierter, politischer Form – ist aus Finkenwerder freilich nicht belegt.[27]Es gibt jedoch mehrfach Beispiele für informelle Insubordination, sozusagen einen Antifaschismus des Alltags, der auf scheinbar unpolitische, private (keineswegs ungefährliche) Weise wirksam sein konnte – das allerdings nur begrenzt und in einzelnen Fällen.[28]
Autor: Ralph Busch, 2017