Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Constantin Bock von Wülfingen

(11.8.1885 Grimma - 1.1.1954 Bockerode/Springe)
Jurist, Verwaltungsfachmann, Leiter des Hambruger Staatsamtes, NSDAP-, SA- und SS-Mitglied
1933-1936 Landrat (Stormarn), danach bis 1945 u.a. Regierungsvizepräsident (Hamburg),
Harvestehuder Weg 12 (Wirkungsstätte)
Rathausmarkt, Rathaus (Wirkungsstätte)
Isestraße 146 (Sitz der Staatsverwaltung/Staatsamts 1945)


Nur eher beiläufig ist bisher ein Mann aus der „zweiten Reihe“ der Hamburger NS-Herrschaft erwähnt worden. Als Verwaltungsexperte hat er – in preußischer, wilhelminischer Beamtentradition – der ungeliebten Republik nach dem Ersten Weltkrieg gedient, dem neuen „Dritten Reich“ ebenso, diesem allerdings mit einiger Sympathie, und dabei Karriere gemacht. Im Hamburg der NS-Zeit gehörte er bald – und bis zum unausweichlichen Ende - zum engsten Kreis der Machtelite um Reichsstatthalter und Gauleiter Karl Kaufmann. Trotz seiner exponierten Stellung, die allerdings mit keiner betonten Außenwirkung verbunden war, wurde er nach 1945 nicht zur Rechenschaft gezogen.
Julius August Jobst Constantin Bock von Wülfingen – üblicherweise Constantin Bock von Wülfingen [1] – wurde 1885 als Sohn des Landschaftsrats, Rittmeisters und Obersten a.D. Curt Bock von Wülfingen geboren. Standesgemäß besuchte er das Gymnasium (Fürsten- und Landesschule Meißen), absolvierte danach ein Jurastudium und erwarb den Doktortitel. Anschließend wurde er bei der Regierung in Schleswig beschäftigt.
Im Ersten Weltkrieg verwundet und dekoriert, wurde er nach Kriegsende an das schleswig-holsteinische Oberpräsidium versetzt. Seine politische Einstellung zur neuen Weimarer Republik wurde im März 1920 durch seine Teilnahme am antirepublikanischen Kapp-Putsch in Kiel beleuchtet. Nach dessen Scheitern erfolgte eine vorübergehende „Strafversetzung“ nach Koblenz und anschließend an das Reichsfinanzministerium nach Berlin, was seiner Karriere als Verwaltungsfachmann offenbar nicht geschadet hat. (Bis auf wenige Ausnahmen wurden am Putsch Beteiligte nicht juristisch belangt; eine Amnestie wurde bereits im August 1920 ausgesprochen.) Als er 1927 [2] wieder nach Schleswig-Holstein zurückkehrte, wurde er Oberregierungsrat im Landesfinanzamt in Kiel. Nun schloss er sich auch der DNVP an. [3]
Am 12. April 1933 wurde Oberregierungsrat Bock von Wülfingen von den neuen NSDAP-Machthabern zum Landrat von Stormarn bestimmt - mit Amtssitz in Wandsbek. Im folgenden Jahr trat er in die SA ein und wurde Mitglied im NS-Rechtswahrerbund (Leiter der Fachgruppe Verwaltung). Noch war er aber nicht Mitglied der NSDAP. [4] Zusammenfassend wurde ihm – in einem von ihm selbst mit herausgegebenen Band über Stormarn – bescheinigt: „Während seiner Landratstätigkeit wurde die Verwaltung im nationalsozialistischen Geiste neu gestaltet.“ [5] Tatsächlich betrieb er unter anderem „die Auflösung des Kreistages als kommunales Selbstverwaltungsorgan“ [6]. Auch personelle Veränderungen – Entlassungen aus politischen Gründen – wurden vom neuen Landrat im Sinne nationalsozialistischer Vorstellungen selbstverständlich vorgenommen. [7] Als Verwaltungsfachmann wurde er durchaus anerkannt –  etwa vom Regierungspräsidenten Wallroth, der „von den rein fachlichen Fähigkeiten des Landrats überzeugt war“, insbesondere als Leiter eines „besonders schwierigen Kreises – Stormarn -“, wie er anmerkte. [8]
Tatsächlich war die Position des Landrats jedoch keineswegs unangefochten. Ideologische Fehden – es ging dabei wesentlich auch um Machtansprüche der Partei gegenüber dem Staat - zwischen dem preußisch-wilhelminisch geprägten, aus altem Adel stammenden Juristen und Beamten und dem rabiaten Nazi-Aktivisten der ersten Stunde, dem Kreisleiter der NSDAP, Erich Friedrich, einem gelernten Schmied, führten zu einem permanenten Zurückweichen des Landrats. Am Ende verfestigte sich der Eindruck, er habe seine Behörde nicht im Griff, zeige Führungsschwäche – und eine Überprüfung der Finanzen des Kreises (möglicherweise eine der Intrigen des NSDAP-Kreisleiters Friedrich) führten zu „einem desolaten Ergebnis“ [9]. Am 15. Dezember 1936 wurde Bock von Wülfingen jedenfalls entlassen. Mehr noch: Er wurde Anfang 1937 „mit einer Rückstufung in eine Regierungsratsstelle beim Regierungspräsidenten in Osnabrück degradiert“ [10]. Seine Karriere schien einen empfindlichen Knick zu erleiden.
Im Zusammenhang mit der Reorganisation der Region Hamburg („Groß-Hamburg-Gesetz“, 1937) kam Bock von Wülfingen jedoch einen entscheidenden Schritt voran: Er wechselte in den Hamburger Staatsdienst. Von Wandsbek aus hatte er ohnehin nicht nur persönliche und amtliche Verbindungen in Stormarn, sondern ebenso nach Hamburg hin gehabt. [11]
Als Landrat für Stormarn war er auch an den Verhandlungen beteiligt gewesen, die im „Landesplanungsausschuss“ (der seit 1929 bestand) Regelungen für die kontroversen Interessen Hamburgs und der umliegenden preußischen Gemeinden finden sollte. Erstmals in neuer Besetzung (also mit Bock von Wülfingen) – ohne jüdische und politisch unliebsame Beteiligte – trat dieser „Landesplanungsausschuss“ am 4. Juli 1933 zusammen. Nach Vorgaben aus Berlin wurde der Ausschuss dann durch eine „Landesplanungsgemeinschaft“ abgelöst, in der Hamburg, Altona, Harburg-Wilhelmsburg und weitere angrenzende Gemeinden, darunter Stormarn, weiter nach Lösungen der konkurrierenden Interessen suchen sollten. Was sich schon abzeichnete, war die mit dem „Groß-Hamburg-Gesetz“ schließlich entschiedene Lösung; Vorsitzender der „Landesplanungsgemeinschaft“ war Hamburgs Reichsstatthalter und Gauleiter Kaufmann, sein Stellvertreter war Bürgermeister Carl Vincent Krogmann. Mit am Verhandlungstisch bzw. in der Gesprächsrunde saß als Vertreter Stormarns „Beirat“ Dr. Constantin Bock von Wülfingen. [12] Das Gesetz von 1937 beendete dann kurzerhand alle Diskussionen und Streitigkeiten.
Nach seinem Wechsel nach Hamburg war Bock von Wülfingen zunächst „u.a. an der Umsetzung des Groß-Hamburg-Gesetzes“ beteiligt. [13] Wohl auch, um erneuten Auseinandersetzungen mit der Partei vorzubeugen, tat der Verwaltungsjurist nun, was für seine weitere Karriere ohnehin kaum vermeidbar war: Er trat 1937 in die NSDAP ein, 1939 wurde er ebenfalls Mitglied der SS. Dort brachte es der Adlige immerhin zum Obersturmbannführer. [14] 1938 wurde er zum Vize-Regierungspräsidenten in der hamburgischen Staatsverwaltung unter Reichsstatthalter Kaufmann ernannt.
Bock von Wülfingen fungierte damit als Stellvertreter des Senators Ahrens -  des „getreuen Paladins“ (Frank Bajohr) von Kaufmann.  Georg Ahrens (1896-1974), mit einer Reihe von Aufgaben und Titeln – Senator, Staatsrat, Staatssekretär –, war Stellvertreter des Reichsstatthalters und Gauleiters, was die Staatsverwaltung Hamburgs betraf (für die kommunalen Angelegenheiten war, unterhalb Kaufmann, Bürgermeister Carl Vincent Krogmann zuständig, zumindest nominell).  In seiner Eigenschaft als Leiter des Hamburger Staatsamtes – als „Allgemeiner Vertreter“ des Reichsstatthalters – trug Ahrens die Bezeichnung „Präsident“. Bock von Wülfingen, als „Vize-Präsident“, war der Vertreter Ahrens' in diesen Belangen. Somit gehörte er zu den Spitzenbeamten in der Hamburger Staatsverwaltung. [15]
Mit Kriegsbeginn wurde Kaufmann zusätzlich zum „Reichsverteidigungskommissar für den Wehrkreis X“ bestimmt; er war damit für die „zivile“ Seite der Verteidigung (an der „Heimatfront“) zuständig. Außer Hamburg schloss der Wehrkreis die Bereiche Schleswig-Holstein, Hannover-Ost und Weser-Ems ein. [16] Kaufmann machte daraufhin Bock von Wülfingen zum „Beauftragten des Reichsverteidigungskommissars für den Bereich des Wehrkreises X“, womit dieser als „Reichsverteidigungsreferent der Hansestadt Hamburg“ auch an dieser Seite der NS-Herrschaft in Hamburg Anteil hatte.[17]
So war Bock von Wülfingen schließlich Mitglied des engsten Kreises von Entscheidungsträgern, die Hamburgs letzte Tage vor der Übernahme durch die britische Militärverwaltung bestimmten. Kaufmanns Entschluss, entgegen dem Willen Hitlers („Nero-Befehl“, 19. März 1945) Hamburg nicht zu verteidigen, wurde in Besprechungen Anfang 1945 zunehmend konkretisiert – und Bock von Wülfingen wurde hinzugezogen, so beispielsweise am 26. März 1945 bei einer „Lagebesprechung“ mit Reichsstatthaltern der Nachbargaue und Militärs im Haus Wedell in der Neuen Rabenstraße. [18]
An seinem Amtssitz, der sogenannten „Reichsstatthalterei“ im Harvesterhuder Weg, hatte sich Kaufmann bereits 1939/40 einen Bunker als bombengeschützte „Befehlsstelle“ in den Garten bauen lassen, und es wurde festgelegt, wer sich dort aufhalten sollte. Auch hier gehörte Bock von Wülfingen zum Kreis der handverlesenen Getreuen Kaufmanns: „Bei zukünftigen Luftangriffen sollten sich neben dem Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann, der Staatssekretär Georg Ahrens, Senator Dr. Friedrich Ofterdinger, Senatsdirektor Dr. Constantin Bock v. Wülfingen, der stellvertretende Gauleiter Harry Hans Henningsen und der Senatsdirektor Tiedt im Bunker aufhalten.“[19] Ob – vornehmlich oder ausschließlich - in diesem „Bunker die Vorbereitungen für die Kapitulation der Stadt Hamburg stattfanden“, ist ungeklärt.[20]
Unstrittig war Bock von Wülfingen aber einer, der zur Spitze des nationalsozialistischen Hamburg um Kaufmann gehörte, bis ganz zuletzt.
Am 1. Mai 1945  - inzwischen liefen Verhandlungen mit den britischen Militärs wegen einer Kapitulation Hamburgs - kam es zu einem entscheidenden Treffen, wieder mit  Beteiligung des Regierungsvizepräsidenten: „Um 17 Uhr begann die übliche 'Lagebesprechung' in der Reichsstatthalterei am Harvestehuder Weg, welche die offiziell letzte sein sollte, die dort von Kaufmann abgehalten worden ist. Außer Wolz waren u.a. Staatssekretär Ahrens, SS-Obergruppenführer Graf Bassewitz und der Vizepräsident Dr. Bock v. Wülfingen erschienen. (…) Wenige Stunden nach dieser maßgeblichen Sitzung wurde die hamburgische Bevölkerung, das deutsche Volk und die Welt mit einer Tatsache vertraut gemacht, welche die Situation mit einem Schlage sehr veränderte.“[21] Hitler war tot; das Ende des „Dritten Reichs“ ließ sich in Tagen berechnen, in Hamburg in Stunden.
Zwei Tage später, am 3. Mai 1945, rückten britische Truppen in Hamburg ein. Regierungsvizepräsident Bock von Wülfingen befand sich am Harvestehuder Weg. „'Bange Stunden' hatte Julius [sic!] Bock von Wülfingen gewartet, bis spät am Abend britische Soldaten im Harvestehuder Weg 11 eintrafen (…). Gegen zehn Uhr abends war Kaufmann in die 'Reichsstatthalterei' zurückgekehrt (…).“[22]
Damit begann die Herrschaft des britischen Militärs in Hamburg. Die vielfältig anstehenden Aufgaben unmittelbar nach Ende der NS-Herrschaft und -Verwaltung, um das Leben in der in weiten Teilen zerstörten Stadt zu kontrollieren und zu organisieren, führten zunächst zu hektischen Verhältnissen, da die britischen Militärs in den ersten Tagen weder über genügend sachkundiges Personal, noch über hinreichend genaue Kenntnisse der Hamburger Verhältnisse verfügten. „Dies blieb auch deutschen Stellen nicht verborgen. Julius [sic!] Bock von Wülfingen, der kommissarische Leiter der allgemeinen Staatsverwaltung, hatte ein 'Kommen und Gehen' im Rathaus beobachtet,“ [23] gemeint war: ein allgemeines Chaos.
Er befand sich also, ausgestattet mit einem Sonderausweis, der es ihm gestattete, sich ungehindert in Hamburg zu bewegen [24] sozusagen noch immer oder schon wieder im Zentrum des Geschehens: So nahm er am 5. Mai als Vertreter der hamburgischen Staatsverwaltung an der zweiten Sitzung der britischen Militärverwaltung und der hamburgischen Gemeindeverwaltung im Rathaus teil. Dort wurde von Krogmann klargestellt, dass die Staatsverwaltung vorerst nicht aufgelöst werde, und Bock von Wülfingen erklärte, dass er sie in die Isestraße 146 verlegt habe.[25] Zwar sollte die in der NS-Zeit eingeführte Trennung des staatlichen vom kommunalen Bereich bald wieder abgeschafft werden, noch bestanden aber die alten Strukturen: „Das Staatsamt der Staatsverwaltung blieb zunächst bestehen. Sein Leiter, Senator Georg Ahrens, befand sich im Mai 1945 im Krankenhaus. (…) Sein Vertreter, Dr. Bock von Wülfingen, wickelte die Geschäfte der Staatsverwaltung bis zum 9. Juni 1945 ab.“ [26] Auch die britische Militärregierung bediente sich demnach des Verwaltungsfachmanns, der Bock von Wülfing unbestritten war, wie sie überhaupt aus pragmatischen Gründen vielfach auf deutsche Fachleute zurückgriff, auch wenn deren NS-Belastung offensichtlich oder wahrscheinlich war.
Am 31. Dezember 1945 wurde Dr. Constantin Bock von Wülfinge dann doch durch die Militärregierung aus dem Hamburger Staatsdienst entlassen. Offenbar spielte dabei auch eine Rolle, dass „der Bund Freies Hamburg  [Vorläufer der später gegründeten FDP] der Besatzungsmacht am 11. Juni 1945 eine Liste mit Nationalsozialisten, die noch im Hamburger Staatsdienst tätig waren, überreicht hatte.“ [27] Bock von Wülfingen gehörte dazu.
Damit war klar, dass das ehemalige SA-, SS- und NSDAP-Mitglied, das ab 1937 in die exklusive Entscheidungselite des nationalsozialistischen Hamburg aufgestiegen war, seiner Vergangenheit nicht einfach entgehen konnte, nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als könne er als Verwaltungsfachmann den Systembruch 1945 unbeschadet überstehen. Das zog sich hin. Noch Ende 1952 schrieb Bock von Wülfingen an den Staatskommissar in Hamburg für Entnazifizierung (1. 12. 1952) über sein Verhältnis zur NSDAP in seiner Zeit als Landrat von Stormarn und dass er doch 1936 aufgrund von Intrigen des NSDAP-Kreisleiters Friedrich sein Amt verloren habe. [28] Sollte hier eine Legende entworfen werden – Bock von Wülfingen in früher Gegenerschaft zu NSDAP-Strukturen?
Auch dass er sich in den letzten Kriegstagen und -stunden – wie sein oberster Chef, Reichsstatthalter Kaufmann - angeblich dafür eingesetzt habe, fanatische Nazis von sinnlosen Aktionen zur Verteidigung Hamburgs abzuhalten, hat Klaus Detlev Möller überliefert: Bock von Wülfingen habe „im Auftrage Kaufmanns“ eine SS-Abteilung von dem Plan abgebracht, sich noch am 3. Mai 1945 morgens in der Gegend von Ochsenzoll in einer Verteidigungsstellung einzugraben. [29] So günstig sich das für die Einschätzung des Vizepräsidenten liest, was seine Einstellung zum Kriegsende in Hamburg betrifft, so wenig überzeugt doch die Quelle, auf die Möller seinen Bericht stützt: Kein anderer als Bock von Wülfingen selbst hat ihm von seiner mutigen Tat erzählt. [30]
Ohne sich für seinen Beitrag zur NS-Herrschaft in Hamburg verantworten zu müssen – ein Schicksal, das er mit anderen ehemaligen Führungsfiguren teilte (etwa Kaufmann und Krogmann) – ist Constantin Bock von Wülfingen am 1. Januar 1954 auf dem alten Familiensitz, Rittergut Bockerode in Springe, südöstlich von Hannover, gestorben.
Text: Ralph Busch