St. Georg und Hammerbrook
Stadtteile St. Georg und Hammerbrook in der NS-Zeit
„Naziviertel“ St. Georg?
„St. Georg, Hohenfelde und Eilbek haben sich in den letzten Wahlkämpfen unrühmlich ausgezeichnet“, hieß es im sozialdemokratischen „Hamburger Echo“ vom 13. Juli 1932. Diese Stadtteile „entlarven sich an ihren Flaggen und Wahlergebnissen als besondere Stützpunkte der nationalsozialistischen ,Arbeiterpartei‘.“ Vom „Naziviertel“ St. Georg war im damaligen Artikel die Rede, ein Stichwort, das in einem Flyer der Geschichtswerkstatt 1993 Verwendung fand und dazu führte, dass eben dieser Flyer nicht in die „Blätter aus St. Georg“ des „Bürgervereins zu St. Georg von 1880 R. V.“ eingelegt werden durfte.
Arbeiterviertel St. Georg-Süd
Was hat es mit dieser Bezeichnung als „Naziviertel“ auf sich, das der Stadtteil angeblich schon vor 1933 gewesen sein soll, wobei die Zuschreibung noch Jahrzehnte später für Kontroversen sorgt? Zur Beurteilung dieser Frage ist zunächst eine Differenzierung dahingehend erforderlich, dass St. Georg vor einem dreiviertel Jahrhundert die späteren Stadtteile Hammerbrook, Klostertor und St. Georg umfasste. 1933 lebten allein in St. Georg-Nord – von den räumlichen Grenzen her nahezu identisch mit dem heutigen St. Georg – 34.403 Menschen, im damaligen St. Georg-Süd – also in Hammerbrook und Klostertor – sogar 52.197.[1] Wenn bisweilen in der Presse vom „alten Arbeiterviertel St. Georg“ die Rede ist, dann handelt es sich um ein Missverständnis. Ein weitgehend homogenes Proletariermilieu gab es nämlich nur im Hammerbrook, und der war per „Groß-Hamburg-Gesetz“ 1937/38 zu einem selbstständigen Stadtteil erhoben und 1943 im alliierten Bombenhagel und Feuersturm zu über 90 Prozent zerstört worden. Im Hammerbrook betrug der Anteil der Arbeiter und Arbeiterinnen 1925 genau 56,7 Prozent und lag damit um 12 Prozentpunkte über der Stadt (44,7 Prozent) und sogar um gut 20 Prozent höher als in St. Georg-Nord (36,5 Prozent).[2]
Der rote Hammerbrook
Hammerbrook wählte bis zum Verbot der Arbeiterparteien KPD und SPD 1933 zu fast zwei Dritteln rot, eine Haltung, die sich in der Nazi-Ära bei der einen oder anderen Scheinabstimmung in einem weit überdurchschnittlichen Anteil ungültiger Stimmen niederschlug. Bis zu 20 Prozent ungültige oder ablehnende Stimmen in bestimmten Quartieren bei der so genannten Reichstagswahl am 29. März 1936 rief die hamburgische Wohlfahrtsstelle auf den Plan. In einem „vertraulichen Dokument“ vom 7. April 1936 bewertete sie die Wahlergebnisse z. B. für das Straßenareal Hammerbrookstraße, Süderstraße, Idastraße, Nagelsweg wie folgt: „Bis heute wird von diesen Leuten alles negiert; Versammlungen besuchen sie grundsätzlich nicht. Die Leute müssten einzeln in den Wohnungen bearbeitet werden, und zwar möglichst von Leuten, die am besten selbst Arbeiter sind und die die plattdeutsche Mundart beherrschen, auch überzeugend reden können. Es müssen hier im Bezirk unbekannte Pg.s sein, also nicht bodenständige Männer, da deren Schwächen und ev. Fehler hier zu sehr bekannt sind.“ Für das Einzugsgebiet Friesenstraße, Thüringerstraße, Heidenkampsweg heißt es im gleichen Dokument: „In der Zusammenballung dieser fraglichen Arbeitermassen auf bestimmte Straßenzüge sowie in der Anwendung eines ungeschriebenen und falsch verstandenen Verpflichtungsgefühles des Zusammenstehens beruht m. E. diese gegenseitige Stützung des negativ zum Staat eingestellten Bevölkerungsteiles.“[3] Kurz und gut: Es waren die Arbeiter und Arbeiterinnen Hammerbrooks, Barmbeks, Rothenburgsorts usw., die noch Jahre nach der „nationalsozialistischen Revolution“ den neuen Machthabern skeptisch bis ablehnend gegenüber standen.
Das mittelständisch geprägte St. Georg-Nord
Ganz anders die Situation in St. Georg-Nord, dem heutigen St. Georg, auf das nachfolgend der Fokus gerichtet ist. Hier, insbesondere auf der Großen Allee (= Adenauerallee), dem Steindamm, der Langen Reihe und rund um den Hansaplatz dominierten seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die mittelständischen Kreise: Handwerker, Gewerbetreibende, Selbstständige. „Die Mieten sind ziemlich teuer, weil die Wohnungen im Zentrum der Stadt gelegen und für geschäftliche Zwecke besonders brauchbar sind (...) hier wohnt der Mittelstand“, heißt es in einer Dissertation von 1939 über die St. Georger Verhältnisse 1935.[4] Ein ausgesprochenes Arbeiterquartier erstreckte sich lediglich zwischen der Brennerstraße und der Rostocker Straße, wo auch der Grützmachergang verlief – etwa dem Verlauf der heutigen Revaler Straße entsprechend –, das Zentrum des kommunistischen Einflusses und zugleich der Prostitution. Laut Volkszählung 1925 betrug der Arbeiteranteil in St. Georg-Nord lediglich 36,5 Prozent (in Hamburg 44,7 Prozent) gegenüber überdurchschnittlichen 34,6 Prozent Angestellten[5] und besonders auffälligen 21,55 Prozent (in Hamburg 15,72 Prozent) Selbstständigen.[6]
Nazi-Hochburg St. Georg-Nord
Die Nazis hatten in diesem bürgerlich geprägten Milieu schon früh Fuß gefasst und unterhielten hier nach den Erinnerungen des NSDAP-Gauleiters von 1926 bis 1928, Albert Krebs, seit 1926 eine der lediglich sieben, durchgängig aktiven Bezirksgruppen.[7] Bereits bei der Reichstagswahl am 20. Mai 1928 schnitt die NSDAP in St. Georg-Nord mit 3,5 Prozent deutlich besser ab als in Hamburg mit 2,6 Prozent. Bei allen darauffolgenden Wahlen lag die NSDAP in St. Georg-Nord durchschnittlich um 6 bis 7 Prozent über deren Hamburger Stimmanteil und sogar um 12 bis 18 Prozent über dem im Hammerbrook. Dies meinte das „Hamburger Echo“, wenn es im Juli 1932 St. Georg-Nord als „Naziviertel“ charakterisierte.
St. Georger Straßenkämpfe 1932
In den Erinnerungen eines „alten Kämpfers“ der im Stadtteil agierenden „Marine-SA“ liest sich das so: „St. Georg ist eins der wenigen Gebiete, in denen sich Kommune, Eiserne Front und SA in fast gleicher Stärke und Aktivität einander gegenüberstehen. In dem Straßenviereck Lohmühlenstraße, Langereihe, Bahnhofsplatz und Große Allee liegen Sturmlokale und Kommunistenkneipen fast nebeneinander. Ungefähr alle 100 Meter weht eine andere Fahne, hat eine andere Weltanschauung ihre Festung. (...) Hier aber hat in den letzten Monaten des Jahres 1932 die NSDAP erfolgreich festen Fuß gewonnen und sich in langen Kämpfen eine Stellung verschafft, die man als Hochburg ansprechen kann. (...) So ist St. Georg wohl der einzige Stadtteil, in dem der Gegner, wenn er einen SA-Mann überfällt oder angreift, mit Sicherheit darauf rechnen kann, daß stehenden Fußes Gleiches mit Gleichem vergolten wird.“[8]
Nazi-Stimmen aus dem St. Georger Bürgertum
Der Zustrom zu den St. Georger Schlägertrupps der SA und SS speiste sich, wie überall, vor allem aus der seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise von 1929 sprunghaft angewachsenen Gruppe der sozial und politisch zunehmend entwurzelten Erwerbslosen. Die überdurchschnittlich vielen Stimmen für die NSDAP kamen allerdings primär aus den klein- und großbürgerlichen Kreisen, die sich durch die Krise, massive Umsatzeinbußen und diverse Konkurse an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz gebracht sahen. „Auch die finanziell gutgestellten Leute am Hansaplatz bekamen die Krise zu spüren“, erinnerte sich der dort aufgewachsene Hermann Rabe, „sie konnten ihre großen Wohnungen mit vier bis fünf Zimmern nicht mehr finanzieren und mußten vermieten, oft an Prostituierte, die die Miete zahlen konnten.“[9] Ihre besten Ergebnisse konnten die Nazis gerade in den bürgerlich dominierten Wohn- und Geschäftsstraßen erzielen. So vereinte die NSDAP bereits bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 u. a. in den Wahlbüros Holzdamm 5, Lange Reihe 99 und 103 jeweils rund 50 Prozent der Stimmen auf sich.[10]
Der großbürgerliche Holzdamm und die Nazis
Gerade der Holzdamm spielte für die Nazis eine besondere Rolle, sei es, dass in der Nummer 46 gleich 1933 die örtliche NSDAP-Dienststelle unter ihrem Leiter, dem Pg. Heinz Morisse, eröffnet wurde, sei es, dass Hitler das Hotel „Atlantic“ – neben dem „Reichshof“ an der Kirchenallee – zu seinem bevorzugten Domizil in Hamburg machte. Das „Atlantic“ beherbergte schon seit den 1920er Jahren die „Klubräume“ des Hamburger „Nationalklubs von 1919“, eines Zusammenschlusses von ca. 400 bis 500 konservativen und reaktionären Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Militär. Diese, in der Weimarer Republik den Deutschnationalen nahe stehende Honoratiorenvereinigung rühmte sich später, der erste Herrenclub in Deutschland gewesen zu sein, vor dem Hitler sprechen durfte. Dies geschah am 28. Februar 1926, trotz öffentlichen Redeverbots, dem Hitler infolge des Putsches in München von 1923 noch unterlag. Zweieinhalb Stunden konnte Hitler das nationalsozialistische Programm darlegen, immer wieder unterbrochen von „Bravo!“-Rufen und „lebhaftem Beifall“, wie im stenographischen Bericht notiert ist. „Wenn man begriffen hat“, führte Hitler aus, „daß die Schicksalfrage darin besteht, daß der Marxismus gebrochen wird, dann muß auch jedes Mittel recht sein, das zum Erfolg führen kann. (...) Entscheiden muß der härtere Schädel, die größte Entschlossenheit und der größere Idealismus. (Stürmischer Beifall.).“[11] Als es am 3. März 1931 zu einer „Öffentlichen Kundgebung für Privat-Eigentum und Privat-Wirtschaft gegen den wirtschaftszerstörenden Marxismus“ bei „Sagebiel“ an der Drehbahn kam, prangten unter dem entsprechenden Aufruf neben der NSDAP, der DNVP und der DVP nicht zuletzt die Unterschriften des auch in St. Georg vertretenen Grundeigentümer-Vereins und des Centralausschusses Hamburgischer Bürgervereine.[12]
Hoffnung auf Ruhe, Ordnung und Arbeit
Aus der Sicht der einfachen, eher unpolitischen Leute, beschreibt eine gewisse Erika Möller (der Name der 1982 Interviewten wurde geändert) die Umbrüche 1932/33 folgendermaßen. „Ich war siebzehn Jahre alt, arbeitete als Verkäuferin in einem Gardinengeschäft, Danziger Straße. Da war jeden Abend Schlägerei, von den Parteien. Jeden Abend so um sechs ging es los. (...) So konnte man schon gar nicht mehr ruhig auf die Straße gehen. Als nun 33 kam, war das ja dann besser, es war alles ruhig. Und das fanden wir schön.“[13] So mag es vielen Anwohnern gegangen sein, zumindest denen, die sich von den Nazis eine Verbesserung ihrer Lage und einen Ausweg aus der Krise versprachen.
Auf diese Bewegung setzte spätestens Ende 1932 der größte Teil des St. Georger Bürgertums, und auch die beiden christlichen Kirchen suchten die Nähe zur NSDAP. Der am 30. Juni 1932 verstorbene Pastor der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Georg, Alfred Kappesser, ließ sich von SA-Männern im Sarg aus der Kirche tragen und im Braunhemd beerdigen.[14] Wohlgemerkt: Mitte 1932, also ein halbes Jahr vor der Machtübernahme auf Reichsebene! Der Vorstand des St. Georger Bürgervereins führte ohne Not im Februar 1933 eine Abstimmung durch, wer hinter dem Kabinett Hitler stehe – „Ergebnis alle bis auf 4 weisse Zettel“.[15] Wohlgemerkt: im Februar 1933, also einen Monat vor der Machtübernahme der Nazis in Hamburg! Wenige Wochen später (am 30. März 1933) sollte ein Vorstandsmitglied des St. Georger Bürgervereins eine maßgebliche Rolle beim Sturz der liberal-demokratischen Führung des Centralausschusses Hamburgischer Bürgervereine spielen.[16]
Und auch der oberste Vertreter der Hamburger Katholiken und Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Marien, Prälat Bernard Wintermann, stellte als Zentrums-Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft im Frühjahr 1933 den Antrag, in der NSDAP-Fraktion hospitieren zu dürfen.[17] Selbst eine sechsköpfige Gruppe um den Vorsitzenden des im Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof residierenden Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes, den Sozialdemokraten John Ehrenteit, begab sich noch im Mai 1933 (!) in ein Hospitantenverhältnis zur NSDAP-Bürgerschaftsfraktion.[18]
Widerstand gegen den aufziehenden Faschismus
Widerstand gegen den terroristischen, antidemokratischen Kurs der Nazis war also nicht nur aus bürgerlicher Richtung kaum zu erwarten und hat es – abgesehen von einzelnen Stimmen – 1933 leider auch nicht gegeben. Widerstand im Stadtteil kam lediglich aus den Reihen der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien, wenn sie auch heillos zerstritten waren und sich gegenseitig bekämpften. Unmittelbar vor der schon stark von Terror geprägten Reichstagswahl am 5. März 1933 verteilten St. Georger Sozialdemokraten ein Flugblatt, in dem es hieß: „Wenn man Kindern Schießprügel in die Hand gibt, so gibt es Tote. Und die nationalsozialistische Soldatenspielerei hat mehr als ein Menschenleben auf dem Gewissen.“[19]
Erste Verfolgungswelle ab März 1933
Die weitere Geschichte des Jahres 1933 sei abschließend noch mit einigen St. Georger Ereignissen veranschaulicht. Nach dem Rücktritt der SPD-Senatoren und der Bildung eines NSDAP-geführten Senats Anfang März 1933 änderte sich das Straßenbild schlagartig. „Die Nazis triumphierten“, erinnerte sich Hermann Rabe. „Das konnte man am Schritt merken. Wenn die jetzt durch die Straßen gingen, dann knallten die mit den Hacken auf, so ungefähr, wir sind jetzt die Herren der Welt.“[20] Und das ließen sie die politischen Gegner spüren. Am Tag nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 hisste ein Sturmtrupp der Nazis erstmals Hakenkreuzfahnen auf dem Gewerkschaftshaus, am 13. März wurde das KPD-Verkehrslokal „Scheibel“ im Kirchenweg besetzt und das Gewerkschaftshaus durchsucht, am 28. März fand eine Großrazzia im Hammerbrook statt, politische Gegner aus St. Georg – allemal nach dem Verbot der Arbeiterparteien und Gewerkschaften – wurden zu Dutzenden in so genannte Schutzhaft genommen.[21] Stellvertretend sei an den Bewohner der Hohen Straße 41 (= Ferdinand-Beit-Straße), den Schlosser Dagobert Biermann erinnert, der als Kommunist jüdischer Abstammung ab Mai 1933 wegen der Herstellung illegaler Druckschriften für zwei Jahre inhaftiert worden war und nach weiterer Widerstandstätigkeit und erneuter Festnahme und Deportation am 22. Februar 1943 in Auschwitz ums Leben kam.[22] Doch auch andere Bevölkerungsgruppen fielen der massiven Verfolgung anheim; innerhalb der ersten vier Monate unter den Nazis, also zwischen März und Juni 1933, wurden in Hamburg beispielsweise mehr als doppelt so viele Prostituierte festgenommen, wie im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor (nämlich 2095 gegenüber 969).[23]
Verfolgungen in Schulen und Kultur
In der Heinrich-Wolgast-Schule fanden seit Frühjahr 1933 jeden Montag Flaggenparaden auf dem Schulhof statt, bei gleichzeitigem Absingen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Liedes.[24] Der Jahresbericht 1933 des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg vermerkte für den Mai stolz: „Die Entfernung marxistischer Bilder und die Verbrennung volksverhetzender Bücher ist restlos durchgeführt. Das Personal hat von sich aus die Räume mit Bildern des Führers und der Nationalen Revolution geschmückt.“[25] Der nazistische Ungeist tobte sich am 30. Mai 1933 auch auf dem Lübeckertorfeld aus, wo im Rahmen einer zweiten, fast vergessenen Bücherverbrennung Angehörige der Hitler-Jugend und der Jugend des Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfen-Verbandes die Schriften demokratischer und marxistischer Autoren in Flammen aufgehen ließen.[26] Wenige Wochen später wurden Lehrer demokratischer Gesinnung und jüdischer Abstammung suspendiert, z. B. der führende Hamburger Gewerkschafter und Leiter der Heinrich-Wolgast-Schule, Max Träger, sowie der beliebte Lehrer an der Klosterschule, Walter Emil Bacher – zusammen mit seiner Frau Clara wurde er 1942 nach Theresienstadt deportiert und wenig später in Auschwitz ermordet.[27]
Verfolgung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern
Der Intendant des Schauspielhauses seit Januar 1932, Karl Wüstenhagen, entließ in vorauseilendem Gehorsam schon im März 1933 alle Schauspieler jüdischer Abstammung wie Arnold Marlé, Emil Stettner und Julius Kobler. Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger wurden von Frühjahr 1933 an in besonderem Maße schikaniert und terrorisiert; sie hatten in St. Georg-Nord mit 408 Gemeindemitgliedern 1925 immerhin noch einen Bevölkerungsanteil von 1,08 Prozent ausgemacht. Bereits am 1. April 1933 fand der erste „Juden-Boykott“ statt. Der SA-Mob rottete sich auch auf dem Steindamm zusammen, um mittels antisemitischer Plakate und Schaufensterschmierereien „jüdische Gewerbetreibende“ zu diffamieren und die „deutschen Volksgenossen“ vom Kauf bei ihnen abzuhalten.[28]
St. Georg in der Nazi-Zeit
Dass „die Hitlerjahre in St. Georg leidlich zu ertragen waren“, wie der schon fast legendäre St. Georger Hans Ross 1980 meinte, weil „man sich gegenseitig doch von Jugend auf an kannte. Bis der grausame Krieg alles jäh beendete, was bis dahin gut bestanden hatte“,[29] ist und bleibt eine lieb gewonnene, gehegte und gepflegte Nachkriegsmär. Mit dem ehemaligen Naziviertel St. Georg bereits vor 1933 ist dieser Mythos jedenfalls nicht in Deckung zu bringen, schon gar nicht mit der Verfolgung von Hunderten von Menschen alleine in St. Georg-Nord und -Süd, von Andersdenkenden, von Juden und Jüdinnen, Prostituierten, Homosexuellen und anderen Opfern zwischen 1933 und 1945.
„Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“
Dies gilt es auch noch Jahrzehnte danach in Erinnerung zu rufen. Wir sollten nichts und niemanden vergessen und insbesondere die Namen der vielen Opfer bewahren, u. a. durch die Aktion „Stolpersteine“ und die Benennung eines St. Georger Weges nach dem jugendlichen NS-Gegner Helmuth Hübener (des Helmuth-Hübener-Ganges zwischen der Greifswalder Straße und dem Kirchenweg). Wir sollten aber auch aufmerksam sein, was das Wiedererstarken von rechtsextremistischen Kräften und Ideen anbelangt und allem machtpolitisch motivierten Säbelgerassel und Kriegstreibereien nachdrücklich entgegentreten. Dies sind notwendige Lehren aus der schwärzesten Phase deutscher Geschichte und zugleich zentrale Grundlagen unseres Zusammenwirkens in St. Georg, über alle weltanschaulichen, religiösen und organisationspolitischen Unterschiede hinweg.
Text von Michael Joho in dem Buch von Benedikt Behrens: Stolpersteine in Hamburg-St. Georg. Biographische Spurensuche. Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Hamburg 2009.