Gustav Deuchler Gustav Adolf Deuchler
(23.2.1883 Unteröwisheim - 19.1.1955 in Hamburg)
Ordinarius für Erziehungswissenschaft, Leiter des psychologischen Instituts der Uni Hamburg
Wohnadresse: Klosterallee 22 (1938)
Gustaf Adolf Deuchler Ordinarius in SA-Uniform: „Recht ist, was dem deutschen Volke nützt.“
Der in der Weimarer Republik renommierte Erziehungswissenschaftler Gustaf Deuchler, der seit 1923 sehr viele Hamburger Lehrer ausgebildet hatte, wurde schon 1932 zum glühenden Nationalsozialisten. Geprägt durch großen Ehrgeiz, gefürchtete Streitsucht und eigenwilligen Charakter, hatte er 1933 größte Ambitionen, Schulsenator oder wenigstens Landesschulrat zu werden. Auch als dies nicht gelang, blieb Deuchler umtriebig, führte seine Lehrveranstaltungen in SA-Uniform durch und konzentrierte sein Machtstreben auf den universitären Betrieb. Nach 1945 stilisierte er seine zahllosen persönlichen Auseinandersetzungen mit nationalsozialistischen Repräsentanten zum Kampf gegen das NS-System und steigerte sich in die Pose des Quasi- Widerstandskämpfers.
Nachdem Hindenburg am 30.1.1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, begannen in Hamburg die Vorbereitungen zur Bildung eines neuen Senates unter Führung der NSDAP.
Der Ordinarius für Erziehungswissenschaft in Hamburg, Gustaf Deuchler, seit dem 1.5.1932 Mitglied der NSDAP (1), sah seine Chance, eine führende Funktion im Bildungsbereich zu bekommen.
Deuchler, bekannt wegen seines eigenwilligen Charakters, seines Ehrgeizes und von gefürchteter Streitsucht, schrieb, gerade Mitglied in der NSDAP geworden, „mit dem ungebrochenen Selbstbewußtsein eines deutschen Ordinarius“ (2) einen Protestbrief an Adolf Hitler, mit dem Ziel, diesen zu bewegen, die Entlassung und den Parteiausschluss des Schriftleiters der Hamburger Parteizeitung, Dr. Albert Krebs, rückgängig zu machen. (3)
Kurz zuvor hatte Deuchler sich an den Minister für Volksbildung im Land Braunschweig, Dietrich Klagges, gewandt, dessen nationalsozialistische Regierung erwogen hatte, Hitler zum Professor zu ernennen, um ihm so die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkennen zu können. Deuchler schrieb an Klagges, „daß die Verleihung des Staatsbürgerrechtes an Hitler ohne die Ernennung zum Professor durchgeführt werden konnte, wird gerade im Hochschulwesen außerordentlich dankbar begrüßt“. (4)
Auf der anderen Seite bekannte sich Deuchler an der Universität offen zu seiner NSDAP-Mitgliedschaft, trotz des seit November 1930 bestehenden Erlasses für Beamte, nach dem die Mitgliedschaft in der KPD und der NSDAP verboten war.
Nach Aussagen Deuchlers war er deswegen Ende 1932 vom Landesschulrat Ludwig Doermer in die Behörde zitiert worden, der nach dem Gespräch davon absah, Deuchler aus den Prüfungskommissionen zu entfernen.
Auch in der Lehreröffentlichkeit erregte Deuchler Aufsehen. So, als er 1932 in der Erziehungswissenschaftlichen Hauptstelle des Deutschen Lehrervereins „ganz offen und mit größter Zungenfertigkeit für den Nationalsozialismus eintrat“, im Beisein des später emigrierten Psychologen William Stern, den Kurt Zeidler „leise in sich hineinstöhnen“ hörte. (6)
Im Herbst hatte Deuchler an einer öffentlichen Lehrerwahlversammlung der NSDAP teilgenommen und erhebliches Aufsehen erregt, als er sich „am Faschistengruß durch Erheben der Hand beteiligte“. (7)
Neben seiner persönlichen Unberechenbarkeit war für eine größere Nazikarriere sicherlich ein zusätzliches Handicap, dass Deuchler von 1919 bis Dezember 1931 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, später in Deutsche Staatspartei umbenannt, gewesen war.
Um sich nachhaltig für die Regierungsbildung ins Gespräch zu bringen, richtete Deuchler am 17.2.1933 einen Brief an den Reichsleiter des NSLB, Hans Schemm, mit einem Durchschlag an den Hamburger Gauleiter, Karl Kaufmann. Mit am Ende unverholener Gier auf eine „leitende Stelle“, unternahm Deuchler den fast verzweifelten Versuch, Senator oder zumindest Landesschulrat zu werden. Da dieser Brief so erhellend für Charakter und Psyche des Gustaf Deuchler ist, soll er im Wortlaut wiedergegeben werden. Die Durchschrift an Kaufmann war überschrieben „als Beleg für meine Stellungnahme zu dem Plan, mich zum Schulsenator zu ernennen“. Deuchler schrieb: „Da man von verschiedenen Seiten innerhalb und außerhalb der Partei – außerhalb bedeutet hier von seiten national eingestellter Hochschullehrer- an mich herangetreten ist mit der Frage, ob ich den Schulsenatorenposten übernehmen würde, und da man mich zum Teil direkt geradezu gedrängt und mir Vorwürfe gemacht hat, daß ich mich bisher so ablehnend verhalten habe, gestatten Sie mir, mich in dieser Frage ganz offen zu äußern. Meine grundsätzliche Stellung zu der Frage steht in einigen Bemerkungen am Schluß meines Lebenslaufes, d.h. ich bin frei von jedem Motiv, mich der Bewegung offiziell angeschlossen zu haben, um - kurz gesagt – Karriere zu machen. Das kommt für mich gar nicht in Frage. Meine Linie liegt in der Richtung: Schaffung einer für uns Deutsche tragfähigen Bildungs- und Erziehungswissenschaft, innerer und äußerer Ausbau eines Bildungswesens unter der Idee des deutschen Menschen.
Ich habe mich viel mit praktischen und organisatorischen Fragen befaßt, immer freilich stark unter dem Bedürfnis, die großen Lebenszusammenhänge in concreto genauer zu erkennen. Ich kann rein theoretisch arbeiten und die für eine erfolgreiche Arbeit notwendigen Organisationen schaffen; ich kann auch organisatorisch, politisch, das Bildungswesen praktisch leitend arbeiten. Beides wächst bei mir völlig einheitlich aus der einen Idee, der Idee des deutschen Menschen heraus. (…) Ich frage mich auch ernsthaft, ob nicht auch der Bewegung mehr gedient ist, wenn ich in den nächsten 2 Jahren mit meinen großen Publikationen herauskomme. Wenn ich also der Partei und der Bewegung damit natürlich auch der Allgemeinheit mit meiner Kraft, mit meinem Wissen und mit meiner Arbeit einen Dienst leisten kann durch die Übernahme einer leitenden Stelle, so bin ich selbstverständlich bereit. Ist ein anderer geeigneter oder besserer Mann da, dann bin ich für diesen Posten nicht nötig.
In diesem Fall (d.h. im Falle der Notwendigkeit) würde ich vorschlagen
(ja ich möchte es am liebsten zur Bedingung machen), daß die Volkspartei in der Person des Kollegen Dr. Thilenius den Hochschulsenator, ev. im Nebenamt, stellt.“ (8)
Deuchler wurde nicht Schulsenator.
Die NSDAP ging eine Koalition mit den Rechtsparteien ein, Schulsenator wurde der langjährige DNVP- Bürgerschaftsabgeordnete und Berufsschullehrer, Karl Witt. Die „großen Publikationen“, die Deuchler in dem Brief an Schemm ankündigte, erschienen nie.
Offensichtlich hatte Hans Schemm Deuchler dann mitgeteilt, wie in der Schulsenatoren-Frage verfahren werde, offenbar auch, welche zentrale Rolle Deuchlers ehemaliger wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, Willi Schulz, spielen solle. Deuchler schrieb darauf an Schemm:
„Mit Herrn xx in Verbindung zu kommen, ist mir jetzt trotz eifrigen Bemühens nicht möglich gewesen. Inzwischen habe ich von einwandfreien Persönlichkeiten Äußerungen von ihm aus den letzten Tagen berichtet bekommen; daraufhin trage ich mich mit der Absicht, mich von dem Lehrerbund in der jetzigen Gestalt vollkommen zurückzuziehen.“ (9)
Der Name war von Deuchler unkenntlich gemacht. Beide Schreiben wurden nur zugänglich, weil Deuchler sie später in seinem Entnazifizierungsverfahren einbrachte.
In einer 26-seitigen Philippika gegen einen Bescheid des Zentralen Berufungsausschusses im Entnazifizierungsverfahren, steigerte sich Deuchler später in die Pose des Quasi-Widerstandskämpfers. Er gerierte sich als jemand, der standhaft blieb, als die „Nazi“, wie er schrieb, ihn mit Posten lockten: „Weshalb ‚zog‘ ich denn nicht, als ich hätte Senator werden können, sondern winkte brieflich ab, paßte mir das ganze Konsortium und die Rechtskoalition nicht. Weshalb sagte ich nein, als mich der Gauleiter im März 1933 frug, ob man mir den Landesschulrat- Posten anbieten darf? Weil ich kein rechtes Vertrauen zu diesen Herren hatte; meine Abneigung gegen eine Verwaltungsfunktion hätte ich im Interesse einer großen Aufgabe überwinden können…“(10)
Obwohl mit einer anderen Intention geschrieben, sie schimmerte durch, die verdrängte Verletztheit. Nachdem Willi Schulz NSLB- Gauwalter geworden war, ging Deuchler nicht mehr zu NSLB- Versammlungen. Nur noch einmal schrieb er für die gleichgeschaltete HLZ und zwar in der Phase des Jahres 1933, in der er sich für die Landesschulratsfunktion zu profilieren versuchte.
Neben der persönlichen Befriedigung seines Ehrgeizes war die LSR- Funktion für Deuchler natürlich auch deswegen von Bedeutung, weil er damit die Leitung der Schul - und der Hochschulabteilung in der Landesunterrichtsbehörde übernommen hätte. Ab 1936 war der Landesschulrat dann auch noch als kommissarischer Direktor der Hansischen Hochschule für Lehrerbildung von Amtswegen für die Lehrerbildung zuständig. (13)
Es kann von daher nicht verwundern, dass Deuchler in seinem HLZ- Artikel zum Thema Hochschulreform, zur Neugestaltung der Universität besonderen Wert darauf legte, dass die Hochschule immer zugleich im Zusammenhang mit den anderen Bildungsanstalten gesehen werden müsse. Denn: „Die neue Hochschule hinge ja vollständig in der Luft, wenn sie nicht im Unter-, Mittel- und Oberbau der vorangehenden Schule eine tragfähige Stütze hätte.“ (14)
Deuchler forderte in seiner Literatur- Aufbereitung eine neue Gesamthaltung, einen neuen „Ethos, wie er sich ausdrückt in der Wahl und Akzentuierung der Themen für die Vorlesungen und Übungen“. In dem Zusammenhang wies er auf Vorschläge hin, eine „Deutschkundliche Fakultät“ einzurichten, bei der „Rassenkunde“ an erster Stelle stehe, aber auch „Wehrwissenschaft“ als Gebiet in Betracht komme. (15)
Er nannte auch die Vorschläge der Hamburger Professoren Rein und Westphal nach Einrichtung der „politischen Universität“, zu deren Abteilungen auch eine Abteilung Kriegswissenschaft gehört. (16)
An eigenen Gedanken brachte Deuchler schon im Juni 1933 ein: „Die spezifische Erziehung aber erhält der Student am besten in der SA; dahin gehört er und sein Professor mit.“ (17) Deuchler agierte hier als Vorbild, indem er im Dienst in SA-Uniform erschien.
In der HLZ wurde am 18.2.1933 eine Meldung der „Täglichen Rundschau“ kolportiert, in der Deuchler als Kandidat für die Leitung der Landesunterrichtsbehörde erwähnt wurde. Kommentarlos hieß es: „Deuchler ist Professor für Pädagogik an der Universität Hamburg und hat in dieser Eigenschaft bisher nicht gezeigt, zu welchen Grundsätzen er sich bekennt.“ (18)
Etwa einen Monat nachdem Witt zum Schulsenator gewählt worden war, schickte Deuchler ihm von ihm bearbeitete Leitsätze über die neue Schulverwaltung zu, nach denen Schulleiter wieder „nach dem Führerprinzip für die Durchführung der Arbeit im Geiste der deutschen Schule zuständig“ sein sollten. ( 19)
Darüber hinaus legte Deuchler einen ersten Entwurf zur Neugestaltung der Universität vor, in dem er vorschlug, dass keine Verträge mehr geschlossen werden mit Personen, die nicht deutsche Volksgenossen sind. Außerdem forderte er die Einrichtung oder den Ausbau von Lehrstühlen für die deutsche Geschichte und Rassenkunde.
Als sich Deuchlers Hoffnungen auf eine leitende Funktion im neuen NS- Staat zerschlugen, brach er mit dem NSLB, dessen Gauwalter am 15.11.1933 zum Landesschulrat ernannt worden war.
Für Deuchler muss es eine unverständliche Schmach gewesen sein, dass ihm ausgerechnet sein ehemaliger Hilfsarbeiter vorgezogen wurde, der es nicht fertiggebracht hatte, seine Dissertation zu beenden.
Wie in anderen Fällen auch, entstand aus dieser persönlichen Niederlage eine persönliche Feindschaft. Deuchler führte später im Entnazifizierungsverfahren zu seiner Entlastung an, dass er gegen die NS-Spitzen der Unterrichtsbehörde nach 1933 dauernd „Front“ gemacht habe. (20)
Deuchler strengte mehrfach Parteigerichtsverfahren an, zumindest eines auch gegen Willi Schulz, das 1939 aber nicht mehr entschieden wurde, weil mittlerweile der Zweite Weltkrieg begonnen hatte. (21)
Deuchler konzentrierte sich wieder auf seine beruflichen Belange an der Universität.
Er, dessen Rufname in der Geburtsurkunde mit „f“ geschrieben wurde, war am 23.2.1883 im badischen Unteröwisheim (Kreis Karlsruhe) geboren worden. Sein Vater war Landwirt, seine Mutter Gastwirtstochter. (22)
Deuchler besuchte am Heimatort acht Jahre lang die Volksschule, danach zwei Jahre die Präparandenanstalt in Gengenbach, drei Jahre das Lehrerseminar in Karlsruhe, das er 1902 mit der Lehrerprüfung abschloss. Nach einer sechsmonatigen Lehrertätigkeit in Mannheim, besuchte er die Oberrealschule in Mannheim, die er nach einem Jahr mit dem Reifezeugnis verließ.
Anschließend studierte er zwei Semester in Heidelberg, ein Semester in Jena und 10 Semester in Leipzig und promovierte bei Wilhelm Wundt mit einer Arbeit „Über Reaktionsversuche mit unbestimmter Erwartung“.
Deuchler wurde dann Assistent am Institut für experimentelle Pädagogik des Leipziger Lehrervereins, bis er 1910 an der Universität Tübingen eine Dozentur im neu eingerichteten erziehungswissenschaftlichen Studiengang erhielt. 1921 wurde er außerordentlicher Professor in Tübingen.
Zwei Jahre später, 1923, nach zähen Verhandlungen, übernahm Gustaf Deuchler das erste Ordinariat für Erziehungswissenschaft in Hamburg. Neben seinen Veröffentlichungen auf pädagogisch-psychologischem Gebiet, seinen empirischen Einzeluntersuchungen und grundsätzlichen methodologischen Arbeiten etwa „Zur Morphologie und Psychologie der Schularbeit“ hatte nach Hans Scheuerls Vermutung Deuchlers Beschäftigung mit Grundfragen der Lehrerbildung und sein entschiedenes Eintreten für die „Akademisierung der Pädagogik“(1910) den Ausschlag für seine Berufung gegeben. (23)
Deuchler begann seine Lehrtätigkeit mit großem Elan, hatte viele Studenten, Doktoranden und wissenschaftliche Hilfsarbeiter. Die erste Stelle eines wiss. Hilfsarbeiters besetzte er mit dem habilitierten ehemaligen Schulleiter der Lichtwarkschule, Dr. Peter Petersen, der jedoch kurz darauf einen Ruf als Ordinarius nach Jena erhielt.
Daraufhin kam neben dem Gymnasiallehrer Dr. Ulrich Peters vom Wilhelm-Gymnasium auch Dr. Julius Gebhard von der Schule am Dulsberg, je auf einer halben Stelle, zu Deuchler ans Seminar. (24)
Deuchler erwarb sich große Verdienste bei der Durchsetzung der Universitätsausbildung der Lehrer, die im Lehrerbildungsgesetz vom 20.12.1926 mündete. Danach, mit Arbeiten über „Die neue Lehrerbildung“ (1925), über „Möglichkeiten und Grenzen der experimentellen Pädagogik“ (1926) und seiner als Buch veröffentlichten Vorlesung über „Das Wesen der Erziehungswissenschaft“ (1928) endete Deuchlers wissenschaftliche Produktion in Form zusammenhängender, größerer Veröffentlichungen. (25)
Nachdem auf Grund des neuen Lehrerbildungsgesetzes in Hamburg ein zweites Ordinariat für Erziehungswissenschaft eingerichtet wurde und Wilhelm Flitner zum Sommersemester darauf berufen wurde, begann ein zum Teil sehr unproduktiver Streit zwischen den beiden Ordinarien, der sich auf das Klima im Seminar, die betroffenen Sudenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter negativ auswirkte. (26)
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Deuchler aus seiner Mitgliedschaft in der NSDAP 1932 keinen Hehl machte. Er hatte sich in der Zeit seines Hamburger Ordinariats in den Jahren der Weimarer Republik als reger Kongressbesucher erwiesen und dafür wie auch für zahlreiche Auslandsreisen Zuschüsse für Dienstreisen genehmigt bekommen. Am 31.3.1932 stellte er bei der Hochschulbehörde einen Antrag zur Gewährung eines Reisekostenzuschusses für eine Dienstreise zur Reichstagung des NSLB am 2.- 4.4.1932 im Berliner Sportpalast zum Thema „Deutsche Erziehung: Pestalozzi- Fichte- Hitler“. Als Referenten waren, wie das beigelegte Programm auswies, Prof. Ernst Krieck, Hans Schemm, Joseph Goebbels und Adolf Hitler vorgesehen.
Zur Begründung hatte Deuchler ausgeführt: „Bei der großen Bedeutung, die die ganze Bewegung heute zweifellos hat, auch innerhalb der Bildungsarbeit und der Bildungsbewegung und bei der Schwierigkeit, auf Grund des Schrifttums sich ein genaueres Bild zu machen von dem Gehalt der Bewegung, scheint mir der Besuch dieser Tagung unter dem Gesichtspunkt unerläßlich zu sein. Ich füge hinzu. Daß ich seit einiger Zeit über das Bildungsproblem der NS-Bewegung arbeite, und daß auch eine genauere Kenntnis für die wissenschaftliche Behandlung der Frage in Vorlesungen und Übungen unerläßlich ist.“ (27)
Deuchler scheint schon ein „genaueres Bild der Bewegung“ gehabt zu haben. Am Tag und vor dem Reiseantritt unterschrieb er einen Aufnahmeantrag für die NSDAP. (28)
Der Reisekostenantrag wurde von Senator Paul de Chapeaurouge abgelehnt mit Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 3.10 1930, der die Förderung und Unterstützung der NSDAP verbot. (29)
Nach 1933 war Deuchlers Karrieresprung nach seinen Maßstäben nicht zufriedenstellend. Als Kompensation für die Ernennung von Willi Schulz zum Landesschulrat, betraute Karl Witt ihn mit der Aufgabe, das Psychologische Institut der Universität zu leiten und, nach der Entlassung von William Stern, einstweilen als Direktor zu fungieren. (30)
Mit Elan begann Deuchler auch in den Seminaren und Vorlesungen sowohl im Psychologischen Institut als auch im Erziehungswissenschaftlichen Seminar Inhalte im Sinne der neuen Bewegung, der „politischen Universität“ im Sinne Adolf Reins zu etablieren. Deuchler, der seit dem 19.5.1934 auch Mitglied der SA- Reserve war, trat an der Universität und in seinen Lehr-Veranstaltungen jetzt durchweg in SA-Uniform auf. (31)
Auch wenn von den Themen der Seminare und Übungen nicht immer auf die behandelten Inhalte geschlossen werden kann, bei Deuchler gab es keine Zweifel. So lauteten einige seiner Übungen, Vorlesungen und Seminare nach 1933:
„Nationalsozialismus und nationalsozialistische Erziehung“, „ Über die Gestaltung des deutschen Lebens durch den Nationalsozialismus“, „Bildung und Volksgemeinschaft“, „Über Alfred Rosenbergs Mythos des 20. Jahrhunderts“.
Im Psychologischen Institut hielt er u.a. folgende Vorlesungen:
„Das Seelenleben in seiner rassisch, völkisch und geschichtlich bestimmten Gestalt“, „Rassenpsychologisches Kolloquium“, „Rassenpsychologische Forschungsgemeinschaft“, „Sozialpsychologische Übung der politischen Organisationen: Po, SA, SS, HJ, AD, DAF, NSV, NSKG.“
Veranstaltungen Deuchlers im Krieg, also ab Wintersemester 1939/40:
„Volkscharakterologie“, „Pol. Charakterologie“, „Germanisch-deutsche Glaubenshaltungen“, „Ostprobleme“, „Der NS-Wirtschaftsethos“, „Der Marsch nach Osten“ (Sommersemester 1943). (32)
Insbesondere am Psychologischen Institut führt Deuchler intensive, zum Teil auch sehr persönliche Fehden. „Gustaf Deuchler befand sich nun schon seit Jahren in regelrechtem Kampfgetümmel um sein Institut, das Psychologische, da das Erziehungswissenschaftliche Seminar seit 1936 durch die Neuregelung der Lehrerbildung außerhalb der Universität einer weitgehenden Aufgabenschrumpfung unterlegen war; er wurde nicht nur durch den inzwischen als Gaudozentenführer mächtig gewordenen Anschütz behindert, auch die Fakultät und das Rektorat blockierten alle seine Bemühungen, seine Psychologie zum Beispiel durch Einrichtung einer militärpsychologischen Abteilung durchzusetzen.“ (33)
Im Laufe des Jahres 1941 wurde deutlich, dass Deuchler den Kampf um das Psychologische Institut verlieren würde, „auch wenn Georg Anschütz’ Ernennung erst am 6.11.1942 von Adolf Hitler unterschrieben wurde und er gleichzeitig das neu errichtete Extraordinariat für Psychologie erhielt“. (34)
Möglicherweise hing es mit dieser Entwicklung zusammen, dass Deuchler seinen Einsatz- und Arbeitsschwerpunkt noch einmal verlagerte. Auffällig ist jedenfalls, dass Deuchler insbesondere seit 1941 schwerpunktmäßig in der Zeitschrift „Der SA-Führer“ publizierte.
Es ist der Geltungssucht Deuchlers zu verdanken, dass hier viele Einzelheiten überliefert sind, weil Deuchler diese immer wieder an seine vorgesetzten Stellen weiterleitete, so dass sie in seiner Personalakte gesammelt wurden.
Deuchler trat am 19.5.1934 in die SA ein, wurde am 30.4.1936 Scharführer, am 9.11.1938 Truppführer und 1942 Sturmführer. (35) Im Seminar bevorzugte er das Tragen der SA-Uniform. Als am 2.6.1938 im Museum für Kunst und Gewerbe der „Kulturzug der SA-Gruppe Hansa“ gegründet wurde und der Führer der Gruppe Hansa Deuchler seine Absicht mitteilte, ihn in den Kulturzug zu berufen und ihm darin „das Gebiet ‚Politische Bildung’ zu übertragen“, dankte Oberscharführer Deuchler dem Obergruppenführer Kasche „für die ehrenvolle Berufung“ und stellte sich „selbstverständlich zur Verfügung“. (36)
In einem Schreiben an den Rektor der Universität renommierte Deuchler am 31.1.1941 mit der Aussage des Führers der SA-Gruppe Hansa, dass „trotz des Krieges und der damit verbundenen gesteigerten Anforderungen in Beruf und Wehrdienst“ im Rahmen der SA einige wichtige Arbeiten gefordert werden. So habe „Truppenführer Deuchler“ in seiner Eigenschaft als Professor an der Hamburger Universität eine Reihe erziehungswissenschaftlicher und psychologischer Studien erarbeiten und herausbringen lassen, die im Leben der SA wurzeln, teilweise von SA-Männern abgefasst worden sind und Fragen der politischen und weltanschaulichen Erziehungsarbeit behandeln.“ (37)
Der sich so lobend über Deuchler äußernde Siegfried Kasche wurde kurz darauf als Gesandter (Minister) nach Zagreb geschickt, tat sich dort als Fürsprecher des Ustascha-Regimes hervor, war an der Deportation von Juden aus Kroatien beteiligt und wurde nach dem Krieg als Kriegsverbrecher verurteilt und am 19.6.1947 in Zagreb hingerichtet. (37)
Es lohnt, sich mit den so gelobten Schriften ein wenig zu befassen, weil sie auch im Entnazifizierungsverfahren Deuchlers eine wichtige Rolle spielten. Von Bedeutung sind diese Aufsätze aber auch deswegen, weil sie vermutlich wiedergeben, was Deuchler in seinen vom Titel identischen Vorlesungen behandelt hat.
Unter der Überschrift „Politische Charakterologie“ schrieb er: „Der totale Krieg unserer Zeitwende schafft wie alle großen Lebenssituationen außerordentliche Voraussetzungen für die Erweisungen des Charakters und gestaltet ihn. Die großen einmaligen Aufgaben, die er stellt, verlangen von jedem das Letzte. Da zeigt sich über die innerlich mitgehende Bewegung hinaus (…) die Treue gegenüber Führer und Volk, Kameraden und sich selbst.“ (38)
Deuchler hatte am Erziehungswissenschaftlichen Seminar der Hansischen Universität einen Arbeitskreis installiert, in dem von ihm inspirierte Schriften seiner Schüler veröffentlicht wurden. So etwa die Schrift von Werner Eitze: „Vom Wesen und den Formen der Schulung in der Ortsgruppe der NSDAP“ (39), in der Deuchler im Geleitwort schrieb: „Die nationalsozialistische Bewegung zielt auf eine durchgängige Neugestaltung des gesamten völkischen Lebens im Schutze ihrer totalen Weltanschauung.“ (40)
Sowohl den Pädagogen als auch den Psychologen Deuchler wissenschaftlich diskreditierend war auch ein Aufsatz im „SA-Führer“, April-Heft 1941, überschrieben: „Die umbildende und volksschöpferische Kraft der weltanschaulichen Erziehung der SA“. Darin hieß es: „Und schließlich, ob das innere Wissen und Fühlen dabei ist, daß diese Weltanschauung von Männern desselben Blutes im Kampf um unsere Seele geschaffen wurde, daß sie unser eigenes Wesen ausdrückt, so daß eine Abweichung davon Verbrechen ist.“ (41)
Später adaptierte Deuchler, was sein Schüler Erwin Küster über nationalsozialistische Weltanschauung geschrieben hattme: „Volksgemeinschaft wurde dann das einzig Richtige, und ‚das Führerprinzip, wenn alles so aus der Hand läuft’, kam dann als einziges noch in Frage (…) Und wenn man dann noch Nürnberg erleben konnte, dann hatte man alles ganz begriffen, das ging einem ‚in die Knochen‘. Was der Führer sagt, ‚das muß ja in Ordnung sein, ist immer richtig’ (…) Verfestigt wurde dann noch die Überzeugung durch die großen Erfolge der neuen Staatsführung und schließlich das Behaupten und Verteidigen der NS-Weltanschauung in der täglichen Kleinarbeit der persönlichen Propaganda. Die Entwicklung geht also durch den Zweifel an die Richtigkeit der früheren Anschauungen über das Geltenlassen hinweg zur Überzeugung der Richtigkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung. Ein Heer politischer Soldaten steht.“ (42)
Auch in seinem Aufsatz „Das nationalsozialistische Wirtschaftsethos“ gab Deuchler offenbar wieder, was er in seinem gleichnamigen Seminar seinen Studierenden vermitteln wollte: „Folgerichtig - das ist der Wille des Gesetzes zur Ordnung der nationalsozialistischen Arbeit - gestaltet sich dann auch die Auslese, dem richtig verstandenen Führergefolgschaftsprinzip entsprechend, nach der inneren Haltung und Einstellung zum nationalsozialistisch gestalteten Betrieb und Volk, und diese Haltung wird vorbereitet in der Familien- und Schulerziehung, befestigt und ausgeweitet in der HJ, SA, SS, NSW, im RAD, in der Wehrmacht und in der Partei und sie erhält ihre abschließende Prägung in den Betrieben und in der DAF mit ihren besonders dazu geschaffenen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen.“ (43)
Nach den Luftangriffen auf Hamburg im Juli/August 1943 verfasste Deuchler einen Aufsatz über „Die Bewährung der SA bei der Großkatastrophe Hamburgs“. Darin beschrieb er das „Vertrauen der Volksgenossen in den SA-Mann“ als „grenzenlos“. Die „deutsche Seele“ sei eine „vom unerschütterlichen Glauben an Führer und Volk durchglühte, weltanschaulich erfüllte und ausgerichtete, mit politischem Willen und Weitblick ausgestattete, d.h. (…) nationalsozialistische Seele“. (44)
Ende 1942 hielt sich Deuchler mehrfach mehrere Wochen mit dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg in der Ukraine auf, wo er im „Sonderstab Wissenschaft“ in Kiew psychologische Forschungen betrieb. (45)
1944 war Gustaf Deuchler wiederum mit dem Einsatzstab Rosenberg im Kraichsgau Ratibor, „um volkspsychologische Studien über die Menschen im Ostraum anzustellen“. (46) Seine Erkenntnisse warfen ein Licht auf die Psychologie, die Deuchler am Psychologischen Institut der Universität Hamburg lehrte.
In einem Vergleich der sowjetischen mit der deutschen Psychologie kam Deuchler zu dem Ergebnis, dass die deutsche Psychologie noch weit entfernt sei „von ihrem mit innerer Notwendigkeit sich einzustellendem Ziel, nämlich von der inneren Einheitlichkeit auf der Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung, der Grundlegung der Geistes- und Gemeinschaftswissenschaften sowie Volks- und Rassentheorie… Diesen Zustand wird sie nur überwinden, wenn sie auf der Grundlage des psychologischen Rassenbegriffes die nationalsozialistische Weltanschauung entschlossen und systematisch ausgestaltet.“ (47)
Seiner dienstvorgesetzten Stelle meldete Deuchler zur gleichen Zeit die Auszeichnung für seine zehnjährige NSDAP-Tätigkeit, dass ihm, in seiner Diktion, „am 24.2.1942 die Dienstauszeichnung der NSDAP in Bronze durch den Führer verliehen“ wurde. (48)
Kurz darauf erhielt er auch das silberne Ehrenzeichen des Nationalsozialistischen Studentenbundes. (49)
Bevor beleuchtet wird, wie die Entnazifizierung Deuchlers nach 1945 vonstattenging, noch ein Blick auf die Ereignisse 1933 am Psychologischen Institut der Universität Hamburg. Nachdem Deuchler keine Führungsposition im Senat oder in der Schulverwaltung bekommen hatte, war ihm das Direktorat des Psychologischen Instituts übertragen worden. Vorausgegangen war eine Hetz- und Denunziationskampagne gegen den bisherigen Direktor des Institutes, den international renommierten jüdischen Psychologen Prof. William Stern. Die Kampagne mit einem Denunziationsschreiben war vom ehemaligen Mitarbeiter Sterns, Hans Paul Roloff, NS-Aktivist und Lehrer an der Hansa-Schule in Bergedorf, initiiert worden. William Stern, mit dem Deuchler jahrelang in Prüfungsausschüssen zusammengearbeitet hatte, wurde im April aus seinem Institut ausgesperrt, fürchtete als Jude um sein Leben und emigrierte bald darauf. (50) In dem Hetzschreiben vom 10.7.1933 hieß es: „Mit dem Amtsantritt von Prof. Stern setzte erst langsam, dann immer stärker eine völlige Verjudung des Instituts ein. Frl. Dr. Muchow, die engste Vertraute von Prof. Stern, die ihn auch heute täglich besucht und mit ihm alle Pläne ausarbeitet, ist die gefährlichste von allen dreien. Sie war aktivstes Mitglied des marxistischen ‚Weltbundes für Erneuerung der Erziehung‘, hat auf internationalen Tagungen, zum Beispiel Genf, in seinem Sinne gewirkt, und war von Oberschulrat Götze in dessen letztem Amtsjahr beauftragt, das hamburgische Schulwesen ‚psychologisch‘ im marxistischen Sinne zu durchdringen. Ihr pädagogisch-psychologischer Einfluss ist unheilvoll und einer deutschen Staatsauffassung direkt zuwiderlaufend." (51) Nachdem William Stern emigriert war, richtete sich der nationalsozialistische Druck gegen Martha Muchow. Der machtbesessene Gustaf Deuchler beteiligte sich daran und erreichte es, dass Martha Muchow ihm die Leitung des Institutes am 25.9.1933 übergeben und das Psychologische Institut verlassen musste, um in den Schuldienst zurückzugehen. Der Druck und die Hetzkampagne waren zu viel für Martha Muchow, die sich am 27.9.1933 im Alter von 41 Jahren das Leben nahm. (52) Der Tod Muchows war willkommen für Gustaf Deuchler. Am Tag danach erneuerte er den Antrag, seinen Mitarbeiter Fritz Stückrath zum Wissenschaftlichen Rat zu ernennen, jetzt mit ausdrücklichem Hinweis „auf das Ableben von Frau Dr. Muchow." (53)
Aus meiner Sicht trug Deuchler an dieser Entwicklung eine eindeutige Mitschuld.
All dies hinderte Deuchler nicht daran, sich im Entnazifizierungsverfahren drei Jahre später als „Nazigegner“ oder gar als „Widerstands“-Kämpfer zu bezeichnen.
Am 22.5.1945 wurde Deuchler vom Dienst beurlaubt, zehn Tage später die „vorläufige Einstellung der dienstlichen Tätigkeit“ verfügt und ihm das Betreten des Instituts untersagt.
Bevor er dann am 28.6. entlassen wurde, erhielt er noch Gelegenheit, seine Bücher und Unterlagen abzuholen.
Danach begann eine intensive schriftliche Auseinandersetzung Deuchlers gegen seine Entlassung und ein verbissener Kampf um Wiedereinstellung, ein Vorgang der sich in vielen Entnazifizierungsverfahren wiederholte: Versuche, seine Distanz zum Nationalsozialismus anhand von subjektiven Schilderungen zu behaupten, bis dahin, sich als Gegner des Naziregimes zu gerieren und sich sogar als „verfolgt und unterdrückt“ zu bezeichnen. Bei Deuchler kam hinzu, dass er seine persönlichen Auseinandersetzungen mit manchem Repräsentanten des Nationalsozialismus in der Retrospektive mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus gleichsetzte, wobei er die jeweiligen Kontrahenten, etwa Landesschulrat Willi Schulz oder den Gaudozentenführer Anschütz als Inkarnation des Nationalsozialismus darstellte, die ihn aus politischen Gründen behindert und verfolgt hätten.
Deuchler durchlief in seinem mehrjährigen Verfahren alle Stufen dieser Argumentation.
Er legte von nun an den größten Wert darauf, auf seine frühere Mitgliedschaft in der Deutschen Staatspartei (vormals DDP) hinzuweisen, die ihm in der NSDAP nur Nachteile eingebracht hätte.
In seinem ersten Schreiben zur Entlassungsverfügung begann Deuchler damit, sich als nicht integriert in die nationalsozialistische Bewegung zu bezeichnen. Sein Argumentationsmuster: Er sei, nicht aus einer der Rechtsparteien kommend, „mit Misstrauen behandelt“ worden. „Hätte ich früher den Deutschnationalen oder der Deutschen Volkspartei angehört, so hätte ich höchstwahrscheinlich sehr rasch ‚Carriere’ machen können, wenn ich gewollt hätte.“ (54)
In diesem Schreiben begründete Deuchler die Legende, er habe mit dem Parteieintritt im Wesentlichen die universitäre Lehrerbildung sichern wollen. Als Begründung für seinen SA-Eintritt führte er an, er habe die SA als „Erziehungsinstrument“ kennenlernen wollen und „um mich
(auf Anraten meines Arztes) sportlich zu betätigen“. (55)
In einer Stellungnahme des neuen Rektors der Universität, Prof. Wolf, wies dieser darauf hin, dass Deuchlers Einlassungen kein Gewicht zukomme, „compared with the evident facts that incriminate him“. (56)
Wolf verwies dabei u.a. auf die von Deuchler selbst angefertigte Liste seiner Veröffentlichungen und kam zu dem Schluss, Deuchler habe seit 1935 in seiner Arbeit als Hochschullehrer als ein Repräsentant der nationalsozialistischen Doktrin agiert.
In seinen zahlreichen Einlassungen und Gesuchen, als Hochschullehrer weiterarbeiten zu können, verwies Deuchler immer wieder auf seine Auseinandersetzungen innerhalb der NS-Bewegung mit Personen, Gegnern, Kollegen, die er mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt, sich selbst im Gegensatz dazu als Oppositionellen schildernd. So schrieb er an den für Schule und Hochschule zuständigen Senator Heinrich Landahl: „Denn richtig bleibt richtig, recht bleibt recht. Persönliche Gewissensentscheidungen bleiben eine Angelegenheit eigener Verantwortung, die einem niemand abnehmen kann und der Mut zur eigenen Entscheidung ist eine Sache des freien Mannes, nicht des Sklaven und Profitgierigen - diese sind nicht die Idealisten, haben erst abgewartet und sind dann in die Posten gesprungen, als es sich lohnte und haben ‚Carriere’ gemacht, haben die Idee verwässert, umgebogen, missbraucht und schließlich verraten; diesen ‚Nazis’ und ihrem Getriebe musste man den Kampf ansagen. Darum stand ich seit 33/34 in der Opposition.“ (57)
Später wählte Deuchler gar die Formulierung: „Daß ich im Nazi-System des öfteren gefährdet war, war mir bekannt. Zum KZ hat es nicht gereicht, wie bei einem meiner Bekannten.“ (58)
Persönliche Querelen als Auseinandersetzung mit dem Naziregime umdeutend, beschrieb Deuchler seine Niederlagen an der Universität und in der Lehrerbildung als Bestrafungen für einen unbequemen Oppositionellen und kam zu dem Schluss:
„Wenn man glaubt mich strafen zu müssen (obwohl das ja schon früher erledigt wurde), so mag man meinetwegen mir die Erziehungswissenschaft nehmen für den Augenblick und mich nur in die Psychologie und das Psych. Institut setzen. Dann läge zugleich eine Wiedergutmachung gegenüber dem Naziregime vor.“(59)
Der Einspruch Deuchlers gegen seine Entlassung wurde am 8.11. 1946 abgewiesen. Nunmehr bereits 63 Jahre alt, durfte er auch in der Folgezeit an der Universität nicht wieder lehren.
Zu diesem Schluss kam auch die Zentralstelle für Berufungsausschüsse, die Deuchlers Berufung allerdings teilweise stattgab und ihn in Kategorie IV (Mitläufer) einstufte. (60) Der Fachausschuss hatte Deuchler im Jahr zuvor, 1948, als Aktivisten in Kat. III eingeordnet, verbunden mit Berufsbeschränkung, also der Auflage, keine Lehrtätigkeit mehr auszuüben.
Neben einer lückenlosen Auflistung sämtlicher Mitgliedschaften Deuchlers kam der Berufungsausschuss zu der erstaunlichen Aussage: „Seit der Machtergreifung im Jahre 1933 habe er jedoch erkannt, daß der Nationalsozialismus sich anders entwickle und habe von diesem Zeitpunkt an nicht nur der NS-Bewegung kritisch gegenüber gestanden, sondern sich direkt einer Oppositionsbewegung angeschlossen und die von der NS-Regierung eingeschlagene politische Ausrichtung bekämpft.“ (61)
Es wurde auf einige Leumundszeugen verwiesen und darauf, dass sich Deuchler in mehreren Fällen gegenüber rassisch Verfolgten oder politisch Andersdenkenden loyal verhalten habe.
Gegen Deuchler sprachen dann allerdings auch seine Schriften, insbesondere im „SA-Führer“, wobei das aufmerksame Studium dieser Aufsätze wohl kaum eine NS-kritische Haltung oder gar eine oppositionelle Rolle bestätigt hätten.
Unmittelbar nach Zustellung der Entscheidung des Berufungsausschusses wendet sich Deuchler an Senator Landahl. Er verweist darauf, dass ihm die Ausübung der Lehrtätigkeit zwar noch nicht genehmigt worden sei- dazu sei, laut Deuchler, noch eine bereits zugesicherte Berufungsverhandlung notwendig.
Bis zu seiner „vollständigen Rehabilitierung stelle er sich für andere Dienste der Unterrichtsbehörde zur Verfügung“. Deuchler listet folgende Möglichkeiten auf:
„1. im psychologischen und charakterologischen Bereich
a) Begutachtung von Schülern und Anwärtern
b) Aufbau eines psychologischen und charakterologischen Auslesesystems für die gesamte Gliederung der Schule, also eine wissenschaftliche Aufgabe für die Schulorganisation.
c) Die Klarstellung besonderer Begabungen und Schwächen z.B. für Mathematik, Sprache, Technik, Kunst etc. für organisatorische bzw. unterrichts-erzieherische Maßnahmen.
2. Wissenschaftliche Tätigkeit in einer Bücherei
3. Verwaltungsarbeit im Wissenschaftlichen Bereich.“ (62)
Am meisten war Deuchler daran gelegen, im Aufgabenkreis psychologischer Gutachten tätig zu werden, „der ja auch mit der Verwaltung des offenbar verwaisten Psychologischen Institutes gekoppelt werden könnte“.
Hoffnungen machte sich Deuchler möglicherweise in Bezug auf Senator Heinrich Landahl auch deswegen, weil er ihn aus der gemeinsamen Zeit in der Deutschen Staatspartei vor 1933 kannte.
In einem Antwortschreiben teilte Landahl ihm allerdings mit, dass weder im Rahmen der Hochschulabteilung noch in der Schulbehörde eine Verwendungsmöglichkeit bestehe. (63)
Am 31.3.1950 hob die Zentralstelle für Berufungsausschüsse alle bisherigen Entscheidungen auf und billigte Deuchler die ihm ab 1.1.1950 gesetzlich zustehenden Pensionsansprüche zu. Deuchler war nun in Kat. IV eingestuft worden und wurde am 1.5.1950 in Kat. V (Entlasteter) überführt. Seine Konten wurden freigegeben.
Zwar verwies die Begründung entlastend auf Deuchlers 1919 begründete Mitgliedschaft in der DDP, zitierte aber auch noch einmal ausführlich aus seinen Schriften u.a. im „SA-Führer“: „Geradezu unbegreiflich und sehr belastend aber ist, dass sich der Berufungskläger vor allem als Professor der Pädagogik in einem 1938 gemachten Vortrag sogar das fundamentale Führerwort ‚Recht ist, was dem deutschen Volke nützt’ zu eigen machte und sich auf Befragen aus dem Zuhörerkreise zu dieser Richtschnur bekannte, die Deutschland letztlich ins Verderben geführt hat.“ (64)
Der Berufungsausschuss sah die Verstrickung Deuchlers in die Naziideologie offenbar als erheblich an. Im Resultat urteilte er:
„Es bleibt bedauerlich, dass ein Mann von dem Format des Berufungsklägers überhaupt der Naziideologie erliegen konnte und doch wohl nicht immer die lebensnahe Erkenntnis besaß, deren er sich rühmt. Der Berufungskläger hat jedoch seinen politischen Irrtum in den vergangenen Jahren schwer genug büßen müssen, so dass der Berufungsausschuß schon im Hinblick auf den inzwischen eingetretenen Zeitablauf es durchaus vertreten kann, ihn mit Wirkung vom 1.5.1950 völlig zu rehabilitieren.“ (65)
Am Tag der Überführung in Kat. V, am 1.5.1950, stellte Deuchler beim Rektor der Hamburger Universität den Antrag auf Wiedereinsetzung als ordentlicher Professor. „Die Aufnahme meiner Lehrtätigkeit kann in Kürze erfolgen, denn ich habe die unfreiwillige ‚Muße’ von beinahe 5 Jahren ausschließlich zu wissenschaftlichen Arbeiten verwendet.“ (66)
Deuchlers Pension wurde im Mai auf DM 836,75 festgelegt.
Auf Anfrage teilte der Leiter der Zentralstelle für Berufungsausschüsse, Rose, Deuchler mit, dass das am 10.5.1950 in Kraft getretene Schlussgesetz die Tätigkeit der Berufungsausschüsse eingestellt habe und dass ein Rechtsanspruch auf Deuchlers frühere Tätigkeit nicht gegeben sei. (67)
Nunmehr ohne Perspektive, noch einmal an der Universität wissenschaftlich tätig werden zu können, verfasste Deuchler, inzwischen 67-jährig, einen 26-seitigen Schriftsatz gegen einzelne Passagen des für ihn in der endgültigen Entscheidung eigentlich günstigen Spruchs der Zentralstelle.
Der Schriftsatz Deuchlers ist von der Argumentation und Diktion her erhellend für den Charakter dieses Mannes. Schon die Forderung Deuchlers in seinem Begleitbrief, als Verfolgter des Naziregimes behandelt zu werden, zeugte von von Verdrängung und mangelnder Selbstreflexion: „Ich erwarte die Gleichstellung mit denjenigen, die dem nazistischen Gewaltsystem theoretisch und praktisch Widerstand geleistet haben und von diesem System geschädigt wurden.“ (68)
Wie schwierig Deuchler im persönlichen Umgang gewesen sein muss, bezeugen nicht nur die vielen Parteigerichtsverfahren (insbesondere von ihm gegen Landesschulrat Willi Schulz angestrengt), sondern auch zahlreiche Formulierungen in dieser letzten Philippika: Da heißt es etwa:
„Ich laß mir den Satz unter keinen Umständen unterstellen, da beißt man auf Granit“; „Bitte, ohne mich!“; „Also bitte, weg damit!“; „An diesem Tatbestand gibt es nichts zu deuteln.“
Zum Vorwurf des Antisemitismus schrieb Deuchler: „Wer versucht, mir das anzuhängen, macht sich eines Verleumdungsversuchs schuldig und muß mit den entsprechenden Gegenmaßnahmen rechnen.“
Auf welchem Niveau sich Deuchler bewegte, zeigte seine Darstellung über Grad und Formen der Verfolgung, die er angeblich erlitten hatte. Da war von Überwachung des Telefons die Rede, erstmals auch von Verhaftung, Haussuchung und davon, dass die Gestapo ihn 1944/45 dreimal zum Verhör kommen ließ. Deuchler dazu: „Das soll keine politische Verfolgung gewesen sein? Gewiß, ich bin nicht um die Ecke gebracht worden, das wäre bei mir auch nicht so einfach gewesen.“
Laut Deuchler waren in der Zeit des Nationalsozialismus ohnehin diejenigen am geschütztesten, die nicht der Bewegung oder der NSDAP angehörten: „Wer nicht in der Partei war, dem passierte weniger, wenn er nicht gerade am unrechten Ort eine unpassende Äußerung tat und dem ‚Dämmerschoppen-Widerständler’ stieß im allgemeinen, wie ich weiß, auch nichts zu, wenn er nicht denunziert wurde.“(69)
Nachdem klar war, dass Deuchler nicht wieder an die Universität zurückkehren würde, betätigte er sich im „Verband der nichtamtierenden (verdrängten) Hochschullehrer“. (70)
1952 war er dann an der Gründung der „Vereinigung der Entnazifizierungsgeschädigten“ beteiligt, deren geschäftsführendem Vorstand er angehörte.
Diese Vereinigung brachte einen Aufruf heraus, in dem es u.a. hieß:
„Von Hamburg muß gesagt werden, daß der Geist, in dem die Entnazifizierung durchgeführt wurde, von rücksichtsloser Brutalität, von grenzenlosem Haß und einer nicht verlöschenden Vergeltungssucht getragen war. Hinter dieser aber verbarg sich zusätzlich - was die wirtschaftlichen Auswirkungen anbelangt - größtenteils die selbstsüchtige Absicht materieller Bereicherung und Nutzung von Pfründen.
Völlig unberufene Geschäftemacher und eine Anzahl von teilweise durch den Nationalsozialismus Geschädigte haben sich bei der Entnazifizierung im Verein mit den politischen Machtträgern das Recht genommen, deutsche Männer und Frauen in die Hölle der Existenzlosigkeit und der Verelendung zu stoßen.“ (71)
Auf diesen Aufruf hin stellte der Hamburger Senat Strafantrag wegen Beleidigung. (72)
Gegen Deuchler wurde ein förmliches Dienststrafverfahren eingeleitet. (73)
Er berief sich darauf, er habe den veröffentlichten Text nicht persönlich autorisiert. Da ihm das nicht widerlegt werden konnte, wurde das Dienststrafverfahren eingestellt. (74)
1954 veröffentlicht Deuchler einen Aufsatz über „Das Problem der Lehrerbildung im gegenwärtigen Deutschland“ in der Hamburger Studentenzeitung. (75)
Wie schon in früheren Zeiten schickte Deuchler ein Exemplar an die Obrigkeit, diesmal an den Bürgermeister des neu gewählten Hamburg-Blocks, Kurt Sieveking. Er erhielt ein Dankesschreiben und den Hinweis, die Schrift sei an Schulsenator Wenke weitergeleitet worden. (76)
Deuchler stirbt am 19.1.1955 in Hamburg. (77)
Die „Gedächtnisrede“ bei der Trauerfeier am 27.1.1955 hielt Deuchlers ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fritz Stückrath, den Deuchler nach dem Freitod von Martha Muchow auf „die freigewordene Stelle“ befördern konnte. Stückrath hielt eine emphatische Rede, in der er Gustaf Deuchler als einen Wissenschaftler und Hochschullehrer schilderte, der erfüllt gewesen war „von einem unbändigen und ungebändigten Drang nach wissenschaftlicher Erkenntnis." Er sagte, Deuchler habe „den lebendigen Sinn für die Probleme und das unermüdliche Ringen um Klarheit als tragende Gesinnung einer ganzen Generation von Erziehern mitgegeben“. Und weiter: „Mit sicherem Griff packte er den Kern der Phänomene. Sein Denken war von einer bohrenden Dynamik. Er dachte nicht mit dem Kopf, sondern mit der ganzen Person. Kein Student wird das Bild vergessen, das sich bot, wenn Deuchler auf dem Katheder des Hörsaales entlangschritt, breitschultrig, mit wuchtigen Gebärden, den markanten Kopf auf dem unbeugsamen Nacken und dann mit den Händen die Dinge der Nähe umspannte, als wollte er sie zwingen, den Satz herzugeben, den sein Geist suchte."
Fritz Stückrath schilderte das Wirken Deuchlers empathisch, fast ohne Einschränkung: „Unerhört war das Maß an Lebenskraft und Kampfesmut, das ihm die Natur geschenkt hatte. Tag um Tag fällte er die Bäume im Reich des Geistes, zog er die Pflugscharen über das Land der Gedanken; aber er liebte auch das von Witz knisternde Gespräch der männlichen Runde. Er erschien uns wie eine Fackel, die sich unablässig erneuert, indem sie sich versprüht. Er hat die Züge seiner erdnahen Herkunft nie abgestreift. So konnte er ungebärdig und rauh sein; aber hinter all diesem alemannischen Brausen und Rollen spürte man den Schlag eines gütigen Herzens, ja in der letzten Tiefe war er voll Empfindsamkeit und Schüchternheit. Es gab für ihn keine Autorität als das Kriterium der Wahrheit, und wer nach Wahrheit drängte, war ihm ein Gleichgestellter und Gleichgesinnter."
Man vermisst in dieser Rede ein Wort zu den Irrungen und Wirrungen des Gustaf Deuchler in der Zeit des Nationalsozialismus. 1955 war Fritz Stückrath nicht in der Lage, deutlicher zu sagen, was er verhalten ausdrückte (vielleicht hat er aber auch nichts anderes gedacht): „Aber Gustaf Deuchler war ein tragischer Mensch. Er stand sich selbst im Licht. Seine unerbittliche Kritik lastete zeitlebens auf seiner eigenen Leistung. Er fürchtete jeden Gedanken, dessen Form nicht kristallklar dastand. Er streute den geistigen Samen in alle Winde und verstand nicht die Kunst, die Früchte zu schneiden. Was er mit den Händen gepflanzt hatte, das zertrat er oft beim nächsten Schritt, weil er mit Ungestüm einem ferneren Ziel zustrebte. Zuletzt sah er nur noch das Firmament und nicht mehr den Stern in der eigenen Brust. So ging er voll Unruhe beständig an seinem Werk und an seinem Glück vorbei." (78)
Text: Hans-Peter de Lorent