Bergedorf
Stadtteil Bergedorf in der NS-Zeit
Auch in Bergedorf spiegelte sich die Geschichte der Weimarer Republik im Kleinen wieder. An der Spitze der Bergedorfer KPD, Anfang der 1920er Jahre gegründet, die bald 500 Mitglieder verzeichnete, stand der 1931 ermordete Bürgerschaftsabgeordnete Ernst Henning. Während des „Hamburger Aufstandes“ kam es am 24. Oktober 1923 zum Versuch der Erstürmung des Bergedorfer Schlosses, in dem sich damals die Polizeiwache befand. Während dieses Unterfangen scheiterte, waren Streiks und Betriebsbesetzungen am selben Tag erfolgreicher: Sie legten die Bergedorfer Industriebetriebe lahm. Unter Ernst Hennings Leitung kam es anschließend auf den Straßen der Kleinstadt zu Zusammenstößen mit der Polizei. Als uniformierte Verstärkung aus Hamburg anrückte, entbrannte eine Schießerei, die den „Aufstand“ beendete. Das Ergebnis waren zwei Tote, elf Verletzte und ca. 50 Festnahmen. Nach diesen Ereignissen sollte es für die nächsten Jahre in der Stadt an der Bille eher ruhig zugehen. Noch 1928 hatten die staatstragenden Parteien der Weimarer Republik (SPD, Zentrum, DDP, DVP) in Bergedorf zusammen fast 75 Prozent der Stimmen erhalten. Mit einem Erstarken der NSDAP rechneten hier die Wenigsten. Erst durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise kam es zu einer deutlichen Veränderung bei den Bürgervertreterwahlen vom 19. Oktober 1930: Die NSDAP wurde drittstärkste Partei, zog mit fünf Bürgervertretern und ihrem ersten Ratmann, dem Kaufmann Albrecht Dreves, ins Rathaus an der Wentorfer Straße ein. Bis 1933 kam es nun zu Zusammenstößen und Schlägereien mit Waffeneinsatz (Schlagringe, Totschläger, Messer, Knüppel) zwischen Teilen der SA, dem ebenfalls republikfeindlichen „Stahlhelm“ und der KPD, die sich in Versammlungslokalen, auf den Straßen und selbst in einem Garten im Villenviertel abspielten. Während die KPD in Geesthacht, das damals zur „Landherrenschaft Bergedorf“ gehörte, mit großem Aufgebot unter Schusswaffeneinsatz Versammlungen der NSDAP angriff, kam es in Bergedorf und der Vierlande zunächst zu Einzelaktionen von SA-Männern gegen Kommunisten. So wurde der KPD-Vorsitzende Henning am 14. März 1931 im Anschluss an eine Parteiveranstaltung in Kirchwerder im Bus von drei SA-Männern erschossen. Die wachsende Zahl der gewaltsamen Auseinandersetzungen schreckte offenbar die Wahlbevölkerung in Bergedorf nicht ab: Sie gab der NSDAP bereits bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1931 mehr Stimmen als der SPD. Inzwischen war die Bergedorfer SA dazu übergegangen, auch den sozialdemokratischen „Reichsbanner“, die Polizei und sogar den „Stahlhelm“ auf offener Straße anzugreifen. Immer wieder kam es in Bergedorf zu Straßenschlachten. Häufig waren die eingesetzten Ordnungskräfte überfordert und mussten ihrerseits Schusswaffen zur Selbstverteidigung einsetzen, da die Auseinandersetzungen von absoluter Rücksichtslosigkeit und großer Brutalität gekennzeichnet waren. Die Autorität des demokratischen Staates wurde weder von rechts noch von links akzeptiert.
1933 übernahmen die bereits seit mehreren Jahren im Rat der Stadt vertretenen Nationalsozialisten die Macht auch in Bergedorf. Am 6. März, unmittelbar nach der Reichstagswahl, nachts um 1.15 Uhr, besetzte die SA das Schloss und nahm den sozialdemokratischen Polizeihauptmann Haase gefangen. Es folgte die Besetzung des Rathauses und weiterer öffentlicher Gebäude. Erst drei Wochen später, am 28. März, trat der sozialdemokratische Bürgermeister Friedrich Frank zurück. Erster NSDAP-Bürgermeister wurde der bisherige Ratmann Albrecht Dreves. Nach Einführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums musste auch er seine „arische Abstammung“ nachweisen. Aufgrund seiner jüdischen Urgroßeltern wurde er im August 1934 beurlaubt, vorübergehend aus der NSDAP ausgeschlossen und schließlich durch seinen Stellvertreter Orzech ersetzt. Als so genannter Mischling 2. Grades konnte Dreves später dennoch Vorstandsvorsitzender der privatwirtschaftlich organisierten Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft werden.
In Bergedorf kam es zu den gleichen Ereignissen wie andernorts, vom Boykott und der späteren „Arisierung“ jüdischer Geschäfte und Deportation ihrer Besitzer, zu organisierten Bücherverbrennungen bis zum Einsatz von Zwangsarbeitern und Häftlingen des nahegelegenen KZ Neuengamme in Bergedorfer Betrieben.
Erst in den 1980er und 1990er Jahren begann die Aufarbeitung der Geschichte dieses dunklen Kapitels auch im Bezirk Bergedorf. Sie hält bis heute an.
Text von Geerd Dahms, entnommen dem Buch von Ulrike Sparr und Björn Eggert: Stolpersteine in Hamburg. Biographische Spurensuche. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Hamburg 2011.