Oscar Toepffer
(4.11.1896 Hamburg – 9.8.1982 Hamburg)
Leiter des Rechtsamtes, Senator
Reye 9 in Hamburg Wohldorf (Wohnadresse 1943)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof, Grablage: T 27, 66-73
Dr. Hans-Peter de Lorent verfasste dieses Profil für sein Buch: Täterprofile, Band 2. Eine der interessantesten Personen, die in der NS-Zeit wichtige Funktionen bekleideten, für einige Zeit sogar als Senator im Schulbereich, war Oscar Toepffer. Obwohl er bis 1937 der NSDAP nicht beigetreten war, hatte er sich schon zuvor bei Bürgermeister Carl Vincent Krogmann und dem NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann unentbehrlich gemacht. Oscar Toepffer wurde Leiter des Rechtsamtes, war dadurch involviert in alle Personalangelegenheiten, wurde Beigeordneter, wie das Amt für die Hamburger Regierungsmitglieder genannt wurde, später Senator. Auch nach 1945 hatte er viele Fürsprecher aus dem demokratischen Lager. Auf Anordnung der britischen Militärregierung wurde er aber entlassen, durchlief zwar ein günstiges Entnazifizierungsverfahren, gelangte aber nicht wieder in den Staatsdienst, sondern nutzte seine Expertise, um vielen Belasteten in deren Entnazifizierungsverfahren hilfreich zur Seite zu stehen. Formal gesehen gehörte Toepffer zu denjenigen, die trotz erstaunlicher Karriere in der NS-Zeit nur mäßig durch NS-Mitgliedschaften belastet waren. Als aufschlussreich erwies sich der Einblick in die Korrespondenz, die Oscar Toepffer mit seiner Frau Gretchen Toepffer während seiner kriegsbedingten Abwesenheit aus Hamburg zwischen 1939 und 1945 führte. Die handschriftlichen Briefe wurden von einer der beiden Töchter, Gertrud Bargstädt, geborene Toepffer, transkribiert und mir zur Einsicht und Auswertung zur Verfügung gestellt. In ihnen wird deutlich, wie Oscar Toepffer und seine Frau zum nationalsozialistischen Staat und zur Entwicklung in Deutschland während der NS-Zeit standen. Ein Dokument, repräsentativ wohl für einen großen Teil deutscher Ehepaare in dieser Zeit.
Oscar Toepffer war am 4.11.1896 in Hamburg als Sohn des Kaufmanns Karl Johannes Oscar Toepffer und seiner Ehefrau Elisabeth geboren worden. In seiner Taufurkunde stand der Name Christel Oscar Toepffer. Er besuchte von 1905 bis 1914 das Realgymnasium des Johanneums, wo er am 3.8.1914 das Abitur bestand. Sein Vater war schon während Oscar Toepffers Schulzeit gestorben. Toepffer war ein ausgezeichneter Schüler, im Reifezeugnis hatte er für Fleiß, Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Mathematik und Biologie die Note „sehr gut“ erhalten.1
Schon vor der Reifeprüfung hatte sich Oscar Toepffer freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Am 24.8.1914 wurde er eingezogen und, wie er in seinem Lebenslauf schrieb, „bis Januar 1919 habe ich am ersten Weltkriege als Soldat ausschließlich in Frontverwendung teilgenommen“.2
Oscar Toepffer war am Ende des Krieges Leutnant und startete ab 1919 ein relativ kurzes Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Jena und Hamburg, das er schon am 7.5.1921 mit dem ersten Staatsexamen abschließen konnte. Das Referendariat absolvierte Toepffer an verschiedenen Stationen, jeweils mit besten Rückmeldungen.
So arbeitete er einige Monate bei den Landherrenschaften, der Aufsichtsbehörde für das hamburgische Landgebiet. Das sollte später noch einmal bedeutsam werden. Dort bescheinigte man ihm: „Da er allen Sachen großes Interesse und reifes Verständnis entgegengebracht hat, ist es ihm gelungen, sich in kurzer Zeit in den vielseitigen Verwaltungsbetrieb der Landherrenschaften und die besonderen Verhältnisse des Landgebietes hinein zu finden. Die ihm zur Prüfung übertragenen Sachen wurden von ihm mit Fleiß, anerkennenswertem Geschick und gutem Erfolg bearbeitet, so daß ihm ohne Bedenken größere Selbständigkeit überlassen werden konnte. Seine Leistungen haben gezeigt, daß er besondere Fähigkeiten für den Verwaltungsdienst besitzt.“3
Auch bei der Staatsanwaltschaft wurde dem Rechtsreferendar Oscar Toepffer bescheinigt:
„Vom ersten Tage seiner Tätigkeit an zeigte er gute Kenntnisse, regen Fleiß und eine für Referendare immerhin seltene Fähigkeit in der Beurteilung und praktischen Bearbeitung der ihm zugewiesenen Akten.“4 Hervorragend auch die Rückmeldung über seine Tätigkeit beim Landgericht in Hamburg:
„Referendar Toepffer besitzt erheblich über den Durchschnitt hinausgehende Rechtskenntnisse, besonders auch auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes, dem er ein besonderes Interesse entgegenbringt. Auch Gesetzgebung und Recht in Mietsachen fesselt ihn besonders. Gewandt, schnell das Tatsächliche eines Rechtsfalles erschöpfend zu erfassen, mit einem guten Judiz und gutem, erschöpfenden Vortrag ausgestattet, entwickelte er Leistungen, die vollsten Umfanges als gut bezeichnet werden können. Das gilt auch von der schriftlichen Absetzung von Erkenntnissen. Im persönlichen Auftreten paart sich in glücklicher Weise Bestimmtheit des Wesens mit Takt und Zurückhaltung. Seine gesellschaftlichen Formen sind einwandfrei. Hervorheben möchte ich auch noch ein tiefgehendes soziales Verständnis.“5
Oscar Toepffer schloss den Vorbereitungsdienst im Juli 1923 ab. Ihm wurde bescheinigt, die Ausbildungszeit „ersichtlich sehr gut ausgenutzt“ zu haben. „Ich halte ihn dabei in jeder Beziehung für eine selbständige juristische Tätigkeit für geeignet“, schrieb sein Ausbilder, der Richter Dr. F. Goldmann am 17.5.1923.6
Oscar Toepffer trat danach als Jurist in den hamburgischen Staatsdienst ein und wurde der Landherrenschaft, der Aufsichtsbehörde für das Hamburgische Landgebiet, überwiesen, wo er nach seiner Assessorenzeit am 1.1.1925 zum Regierungsrat befördert wurde, am 1.2.1929 war er Oberregierungsrat. Zum 1.3.1933 wechselte Toepffer in die Wohlfahrtsbehörde und zum 7.2.1934 setzten die neuen Machthaber ihn im hamburgischen Staatsamt ein.7 Schon am 9.11.1934 gelang ihm dort die Beförderung zum Regierungsdirektor:
„Im Namen des Reichs auf Vorschlag des Senats hat der Reichsstatthalter den Oberregierungsrat Oscar Toepffer zum Regierungsdirektor beim Hamburgischen Staatsamt ernannt.“8
Nach seinen eigenen Angaben, bezogen auf seine Tätigkeit bis 1945, „lag das Schwergewicht meiner Arbeit auf organisatorischem Gebiete, vor allem in der Planung und Durchführung des Groß-Hamburg-Gesetzes“.9
Da er dies am 13.8.1946, im Rahmen seiner Entnazifizierung schrieb, war er natürlich bemüht, zu marginalisieren, wie sehr er in die personellen Interna des nationalsozialistischen Staates einbezogen war. Im Zusammenhang mit dem Groß-Hamburg-Gesetz hatte sich Oscar Toepffer allerdings sowohl bei Bürgermeister Carl Vincent Krogmann als auch bei Reichsstatthalter Karl Kaufmann profiliert. Nach der Neuregelung der Hamburgischen Verfassung durch das neue Gesetz wurde Oscar Toepffer als Beigeordneter mit der Amtsbezeichnung „Stadtrechtsrat“, später auch als Senator Mitglied der Hamburger Regierung. Oscar Toepffer war damit Leiter des Rechtsamtes und der Organisationsabteilung, des späteren Personalamts in Hamburg und damit eine entscheidende Instanz bei allen personenbezogenen Einstellungen und Beförderungen.10 Hamburgs Bürgermeister in der NS-Zeit, Carl Vincent Krogmann, hatte in dieser Zeit täglich Tagebuch geführt. Seine Aufzeichnungen liegen transkribiert vor und sind über das Staatsarchiv Hamburg einsehbar. Darin wird deutlich, dass Oscar Toepffer alle 14 Tage an den Lagebesprechungen des Bürgermeisters teilnahm, vortragen musste und dabei entscheidende personalpolitische Inputs gab sowie Aufträge mitnahm.11 Gleichermaßen besaß Oscar Toepffer das Vertrauen von Reichsstatthalter Karl Kaufmann, zu dem er auch einen persönlichen Kontakt hatte, nachdem Kaufmanns Familie ganz in der Nähe des Privathauses von Oscar Toepffer und seiner Familie wohnte. Die späteren Briefwechsel von Oscar Toepffer mit seiner Frau Gretchen, belegen dies eindeutig.
Auf welcher Ebene Oscar Toepffer angesiedelt war, ging auch aus dem Schreiben von Karl Kaufmann vom 22.12.1937 an das Reichsinnenministerium hervor. Reichsstatthalter Kaufmann schrieb:
„Die Berufung der Beigeordneten für die künftige Verwaltung der Hansestadt Hamburg ist außerordentlich dringlich, weil die Umorganisation der Verwaltung zum 1.4.1938 nur dann reibungslos vonstatten gehen wird, wenn die künftigen Beigeordneten verantwortlich in die Vorarbeiten eingeschaltet werden. Ich habe mich daher des Einverständnisses des Stellvertreters des Führers darüber versichert, daß ich schon heute berechtigt bin, als Beauftragter der NSDAP im Sinne der Deutschen Gemeindeordnung tätig zu werden. In dieser Eigenschaft bitte ich Sie, sich mit der Berufung der folgenden Persönlichkeiten zu hauptamtlichen Beigeordneten einverstanden zu erklären:
1. Regierender Bürgermeister Krogmann als Erster Beigeordneter,
2. Senator von Allwörden,
3. Senator Dr. Nieland als Stadtkämmerer,
4. Senator Richter,
5. Präsident Senator a.D. Dr. Ofterdinger,
6. Präsident Senator a.D. Witt,
7. Präsident Dr. Werdermann,
8. Präsident Martini,
9. Regierungsdirektor Toepffer.“12
Abschließend schrieb Kaufmann noch: „Bedenken gegen diese Regelung können nicht erhoben werden, weil ich für die Berufung zum Beigeordneten nur solche Persönlichkeiten vorgeschlagen habe, die sich in der bisherigen hamburgischen Verwaltung an führender Stelle in jeder Beziehung bewährt haben.“13
An diesem Schreiben wird nicht nur deutlich, welche Macht der Reichsstatthalter der NSDAP hatte, der die Regierungsmitglieder nach Absprache mit dem Stellvertreter von Adolf Hitler, dem für Personalfragen zuständigen Rudolf Heß, benannte. Es zeigt auch, welche erstaunliche Karriere Oscar Toepffer in der NS-Zeit machen konnte, obwohl er erst 1937 Mitglied der NSDAP geworden war. Nach einem Schreiben von Karl Kaufmann vom 7.3.1938 an den Reichsinnenminister benannte er Bürgermeister Krogmann und die Senatoren von Allwörden, Nieland und Richter als Mitglieder der Hamburgischen Landesregierung zu Beigeordneten auf Lebenszeit und die anderen fünf Personen, die schon vorher Beigeordnete waren, unter anderem Oscar Toepffer, zu hauptamtlichen Beigeordneten auf zwölf Jahre.14
Wie anerkannt Toepffer auch auf Reichsebene war, dokumentiert die Tatsache, dass er am 7.5.1937 vom Reichsjustizminister nebenamtlich zum Mitglied des Reichs-Justizprüfungsamtes bestellt wurde.15 Darüberhinaus wurde Toepffer von der Akademie für Deutsches Recht in Berlin im Auftrag des Reichsjustizministers, Dr. Hans Frank, in den Ausschuss für Verwaltungsrecht berufen.16
Dem vorangegangen war ein folgenschwerer Schritt, nämlich der Beitritt von Oscar Toepffer in die NSDAP, interessant deswegen, weil die Initiative dafür nicht von Oscar Toepffer ausging. Erstaunlich war, dass Toepffer seine steile Karriere überhaupt machen konnte, ohne Parteimitglied gewesen zu sein oder sich in einer anderen NS-Organisation aktiv betätigt zu haben. Dies hatte er sicherlich der Wertschätzung für seine juristischen Kompetenzen und seine Persönlichkeit zu verdanken. Aus den noch ausführlich zitierten Korrespondenzen zwischen Oscar Toepffer und seiner Frau während des Krieges wird deutlich, dass beide durchaus ideologisch mit den Nationalsozialisten und ihren Repräsentanten verwoben waren. Oscar Toepffer selbst gab während seines Entnazifizierungsverfahrens am 13.8.1946 die Gründe an, weshalb er von sich aus nicht den Antrag gestellt hatte, NSDAP-Mitglied zu werden. Er schrieb:
„Als Berufsbeamter vertrat ich von jeher die Auffassung, daß der Beamte sich jeglicher politischen Betätigung enthalten soll. Mit Recht sagt die Weimarer Verfassung in Art. 130, daß die Beamten Diener der Gesamtheit und nicht einer Partei sind. Nach 1933 war die Situation zunächst unverändert. Man legte den Beamten zwar sehr nahe, der NSDAP beizutreten, indessen lehnten meine Freunde und ich – entsprechend unserer grundsätzlichen Einstellung – den Eintritt ab. Die Lage änderte sich erst, als die NSDAP als einzige Partei gesetzlich mit dem Staate verbunden wurde, und als der Druck auf die Beamtenschaft so stark wurde, daß man sich dem Eintritt nicht mehr entziehen konnte. Dem Beamten blieb in den meisten Fällen nur die Wahl, sich entweder mit der Aufnahme in die NSDAP abzufinden oder aus dem Dienst auszuscheiden. Wenn ich mich damals entschlossen habe, im Staatsdienst zu bleiben, so hat mich weniger das Bestreben geleitet, mir die wohl erworbenen Beamtenrechte zu erhalten, als vielmehr die innere Verpflichtung gegenüber meinem Amte und der übernommenen Aufgabe.“17
Mit dieser Argumentation bediente sich Oscar Toepffer der Schutzbehauptungen, die er auch bei der Verteidigung von anderen NS-Aktivisten wiederholte, als er dann als Rechtsanwalt tätig wurde. Falsch ist, dass man 1937 nicht weiter Beamter im NS-Staat bleiben konnte, wenn man nicht der NSDAP beitrat. Allerdings wurde von staatlichen Amtsträgern erwartet, und in Toepffers Fall natürlich insbesondere auch von Regierungsmitgliedern und herausgehobenen Berufsbeamten, dass sie sich zur NSDAP bekannten. Sicherlich wäre Oscar Toepffer andernfalls nicht Beigeordneter geblieben, oder nach 1939 sogar zum Senator ernannt worden.
Der tatsächliche Vorgang, in der Personalakte von Oscar Toepffer dokumentiert, mutet skurril an. Am 25.6.1937 bekam Toepffer von der Gaugeschäftsstelle des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes ein Schreiben, in dem stand:
„Herr Senator Dr. Rothenberger hat mit einem Vorschlag an den Gauleiter, den er als Chefpräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts übermittelt hat, auch Sie zur Aufnahme in die Partei gemäß Ziffer i. der Richtlinien des Reichsschatzmeisters vorgeschlagen. Aus einem Rundschreiben der Partei (Ortsgruppe) betr. ‚Aufnahmen‘ ergibt sich unter anderem das folgende: ‚Die Volksgenossen, die nach dem Absatz i. der Verfügung vorgeschlagen werden, holen sich von den Ortsgruppen die Formblätter. Diese werden nach Ausfüllen von der Ortsgruppenaufnahmekommission geprüft; dann in alphabetischen Listen zusammengestellt und mit den Formblättern, ohne daß diese vom Ortsgruppenleiter unterschrieben werden, an den Kreis geleitet. Der Kreisleiter vollzieht im Auftrage des Gauleiters die Unterschrift und gibt die Listen an den Gau, während die Formblätter an die Ortsgruppen zurückgehen, zur sofortigen weiteren Bearbeitung und zwar werden sie nun wie alle anderen Aufnahmegesuche behandelt.‘ In der Anlage übersende ich Ihnen die infrage kommenden Formbögen, falls Sie sich noch nicht bei der zuständigen Ortsgruppe der NSDAP gemeldet haben sollten oder von dort noch nicht vorgeladen wurden. Für die Behandlung der Formbögen bitte ich die anliegenden Richtlinien zu beachten. Mit den ausgefüllten Formbögen wollen Sie sich gegebenenfalls bei der zuständigen Ortsgruppe der NSDAP persönlich melden und hierher mitteilen, bei welcher Ortsgruppe der NSDAP Sie Ihre Meldung eingereicht haben.“18
Das konnte schon als nötigende Aufforderung verstanden werden, fest steht allerdings, dass daraufhin Oscar Toepffer einen eigenhändig unterschriebenen Antrag auf Parteimitgliedschaft stellte, und somit im Weiteren keine Schwierigkeiten hatte.
In seinem Rechtfertigungsschreiben aus dem August 1946 wies Toepffer darauf hin, dass er mit seiner Anmeldung bei der NSDAP „einem Ersuchen des Rechtswahrerbundes bzw. des Reichsstatthalters entsprochen“ hatte19, mit dem er ausweislich seiner Korrespondenz mit seiner Frau in den Jahren des Krieges stets in positiver Verbundenheit verkehrte.
Richtig ist allerdings auch, dass Oscar Toepffer in der NSDAP oder in anderen NS-Organisationen kein Amt bekleidete, was allerdings aufgrund seiner staatlichen Funktion auch nicht nötig war. Als Mitglied gehörte er noch der NSV, dem NS-Rechtswahrerbund, dem Reichsbund der Deutschen Beamten und dem VDA an, wie er selbst angab.20
Toepffer erklärte außerdem: „Man hat mir gelegentlich nahegelegt, in die SS einzutreten. Das habe ich abgelehnt. So habe ich zu den Beamten gehört, die bei offiziellen Anlässen nicht in Uniform sondern im schwarzen Rock erschienen. Meine Einstellung zur NSDAP ist vor 1933 ablehnend gewesen. Freundschaftlichen Verkehr mit mir bekannten Nichtariern habe ich nach 1933 ohne Bedenken fortgesetzt. Auch nach 1933 blieb meine Einstellung zur NSDAP kritisch.“21
Diese Aussage gilt möglicherweise in Einzelfällen und unstrittig ist auch, dass Toepffer sich im Weiteren als „einen der Gesamtheit des Volkes verantwortlichen Beamten“22 betrachtete. Seine Korrespondenz mit seiner Frau während des Krieges belegt aber auch, dass beide seit 1933 mit führenden Nationalsozialisten ein hohes Maß an Sympathie, Wertschätzung, Bewunderung verbanden, so insbesondere in Bezug auf die Person Adolf Hitler als auch, bei Oscar Toepffer, bezogen auf Hermann Göring.23
Über seinen weiteren Einsatz schrieb Oscar Toepffer:
„Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde ich Soldat und nahm an den Feldzügen in Polen und Frankreich teil. Nach Beendigung des Frankreichfeldzuges sollten die höheren Verwaltungsbeamten aus der Truppe herausgezogen werden. Weil ich nicht in der Verwaltung eines besetzten Gebietes arbeiten wollte, teilte ich meiner zivilen Dienststelle den Sachverhalt mit und wurde reklamiert. Ich trat im November 1940 in mein Amt als Stadtrechtsrat zurück und führte außerdem vertretungsweise die Schulverwaltung. Bereits im Mai 1941 wurde ich auf meine Initiative hin wieder eingezogen und bin bis zum Mai 1945 Soldat geblieben.“24
Über Oscar Toepffers Zeiten während des Krieges wird im Abschnitt der Korrespondenz zwischen ihm und seiner Frau noch ausführlicher berichtet. Nach den Feldzügen in Polen und Frankreich war Toepffer die längste Zeit im Küstenabschnitt Dänemarks mit vergleichsweise „beschaulichen Tätigkeiten“ betraut. Er war Hauptmann und am Ende des Krieges Major.
Hatte ich nach Beschäftigung mit seiner Verwaltungskarriere den Eindruck, Oscar Toepffer sei ein sehr stark der Jurisprudenz verhafteter Mensch gewesen, veränderte sich dies nach dem Studium der Korrespondenz mit seiner Frau, in der Oscar Toepffer deutlich machte, wie sehr er sich dem Soldatentum und der Wehrmacht verbunden fühlte. Insgesamt war Toepffer im Ersten und Zweiten Weltkrieg fast neun Jahre als Offizier tätig gewesen.
In den wenigen Monaten, die er neben dem Rechtsamt die Verantwortung für die Schulverwaltung hatte, da auch der bisherige Präsident der Schulverwaltung, Karl Witt, sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte, traf Oscar Toepffer eine wichtige personelle Entscheidung. Er betraute am 11.1.1941 den bisherigen Oberschulrat für die höheren Schulen, Albert Henze, der vorher Leiter der Gauführerschule gewesen war, mit der Aufgabe „der leitenden Bearbeitung der Schul- und Erziehungsangelegenheiten“ in der Schulverwaltung. Dazu gehörten „alle Sachen von allgemeiner, grundsätzlicher oder politischer Bedeutung, für alle Schulbereiche das Personalreferat, insbesondere auch alle Vorschläge für Ernennungen, Beförderungen und Entlassungen von Lehrkräften“. Henze wurde auch die Aufsicht „über die Schuldienststelle der HJ“ unterstellt.25 Uwe Schmidt hatte sicherlich Recht, wenn er dazu feststellte:
„Der politisch unbedeutende Senatsneuling Toepffer fungierte jedoch lediglich als Handlanger des Reichsstatthalters Karl Kaufmann.“26
Über das Wirken von Albert Henze habe ich ausführlich im ersten Band der „Täterprofile“ geschrieben.27
Die Korrespondenz von Oscar Toepffer mit seiner Frau Gretchen in den Jahren seiner Tätigkeit bei der Wehrmacht vom 2.9.1939 bis zum 15.5.1945, unterbrochen durch die kurze Zeit, in der Oscar Toepffer im Oktober 1940 für fünf Monate wieder für den Hamburger Staatsdienst reklamiert worden war, sind ein außergewöhnliches Dokument. Toepffers ältere Tochter, Gertrud Bargstädt, 1923 geboren, fand die Briefkorrespondenz ihrer Eltern bei der Auflösung des Elternhauses in Hamburg-Wohldorf 1981. Darüber hinaus sichtete sie auch Aufzeichnungen ihres Vaters, die er zwischen Mai und Herbst 1945 angefertigt hatte und die in diesem Rahmen auch zitiert werden sollen. Gertrud Bargstädt setzte sich daran, „die schwer zu entziffernde deutsche Schreibschrift“ zu transkribieren, mit dem Ziel, sie ihren Kindern und Kindeskindern zu erschließen, „wenn sie einmal eine Familiengeschichte schreiben wollen“.28
Gertrud Bargstädt schrieb, dass sie beim Entziffern der Korrespondenz ihrer Eltern feststellte, „was für ein wichtiges und unersetzliches Dokument sie darstellt“.29 Das kann ich nach der Lektüre der gesamten Korrespondenz nur bestätigen. Die Briefe von Oscar Toepffer zeigen ihn aus einer ganz anderen Perspektive, als man in Kenntnis seiner Karriere als Verwaltungsjurist vermuten konnte. Sie zeigen auch, dass Toepffer, auch wenn er erst 1937 als Berufsbeamter Parteimitglied wurde, schon ab 1933 eine starke Sympathie für die neue Bewegung und ihre Repräsentanten entwickelte. Diese blieb über fast die gesamte Kriegszeit erhalten, wobei die Sorgen, die es bei den Toepffers genauso wie in der übrigen Bevölkerung Hamburgs spätestens 1943 nach den verheerenden Bombenangriffen gab, in den Briefen deutlich wurden, wenngleich Oscar Toepffer als Hauptmann beim „Aufbau der Küstenverteidigung in Dänemark seit 1941“ einen eher geruhsamen Wehrmachtsposten innehatte.
Mein Kontakt zur Familie Toepffer war über den Sohn der zweiten Tochter von Oscar Toepffer und seiner Ehefrau, Gretchen Beermann, geb. Toepffer, entstanden. Wolfgang Beermann, ein Hamburger Lehrer und GEW-Kollege, der mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern am 18.7.2016 durch einen tragischen Verkehrsunfall ums Leben kam, hatte mich am 21.2.2013 zum ersten Mal angeschrieben, weil er in der Serie in der „Hamburger Lehrerzeitung“, in der ich Biografien der NS-Verantwortlichen im Hamburger Schulwesen veröffentlichte, auch etwas über seinen Großvater, Oscar Toepffer, gelesen hatte. Daraus entstand eine schriftliche Kommunikation, persönliche Gespräche und ich erhielt den Hinweis auf die Briefkorrespondenz seiner Großeltern und die Möglichkeit, diese für ein abgerundetes Bild von Oscar Toepffer einsehen zu können. Ich habe dann sowohl mit Gertrud Bargstädt als auch mit Wolfgang Beermann und seiner Mutter Gretchen Beermann einige Gespräche geführt und die Erlaubnis bekommen, die 200-seitige Briefkorrespondenz zu lesen und auswerten zu können.
Wenn ich jetzt politisch relevante und für die Persönlichkeit Oscar Toepffers bedeutsame Auszüge aus dem Briefwechsel zitiere, bleibt ein sehr großer Teil der natürlich häufig persönlichen Aussagen unberücksichtigt. Aber es ergibt sich ein Bild, das wesentlich differenzierter ist, als alle verarbeiteten Dokumente es zeichnen könnten. Und vermutlich repräsentiert die Korrespondenz das, was in großen Teilen der Hamburger Bevölkerung gedacht wurde.
Oscar Toepffer war am 2.9.1939 in den Krieg gezogen.
Polenfeldzug: „3.9.1939: Inzwischen hat England sich auf seine Bündnispflichten besonnen. Soll es! Was wollen die uns schon? Ob du wohl den Anbau von Kartoffeln und Gemüse in Erwägung ziehst? Ich würde es erst entscheiden, wenn die Jahreszeit die Entscheidung fordert, eher nicht. Ist bis dahin das Ende dieses Krieges noch nicht abzusehen, würde ich anbauen, was der Verpflegung dient … Ich bin gespannt, wie lange die polnische Expedition dauert. Ich schätze äußerst zwei Monate. Dann wird alles besetzt sein, was wir haben wollen, und wir ‚sitten dor op‘, und die Engländer und Franzosen können uns im Mondschein begegnen.
9.9.1939: Ich nehme an, daß der lächerliche Luftangriff auf Cuxhaven, von dem wir hören, Euch alle nicht beunruhigt hat … Unser Marsch aus Schlesien an die Front war anstrengend, besonders weil nachts ohne Licht gefahren wurde … Es gehen Gerüchte von einer Art Ultimatum von Seiten Rußlands und Italiens an England. Was mag daran sein? An eine längere Dauer des Krieges kann ich einstweilen nicht glauben. Ich bin davon überzeugt, daß der Führer nach Überwindung Polens den Weg zu einem Frieden finden wird.
10.9.1939: Mir scheint, daß der polnische Feldzug so gut wie beendet ist. Feindliches Feuer haben wir überhaupt noch nicht bekommen … Daß mich die Aufgabe, eine Kolonne zu führen, sonderlich befriedigte, kann ich nicht behaupten. Aber sei ohne Sorge, ich melde mich nicht zu etwas anderem.
19.9.1939: Marschiert sind wir seit Schlesien rund 1500 km … Gekämpft wurde von der Infanterie in diesen Tagen heftig. Ich habe mich nur mittelbar mit Munition beteiligt.
21.9.1939: 12 km nordwestlich Warschau. Nun liegen wir vor Warschau und klopfen die Polen mürbe, um die Hauptstadt des Landes zu gewinnen ... Nach der Danziger Rede des Führers sieht es ja so aus, als ob wir das mit Rußland vereinbarte Gebiet nahezu besetzt hätten.
26.9.1939: Ich kann nur hoffen, daß der Führer Mittel und Wege findet, um eine Auseinandersetzung im Westen zu vermeiden … In Lodz gibt es alles. Stoffe kaufen sich die Herren von der Etappe. Gestern zogen hier zahlreiche Flüchtlinge vorbei, die aus der vordersten Linie kamen und aus irgendwelchen Gründen ihre Häuser räumen mußten. Ein erschütterndes Bild! Aber so ist der Krieg. Möge der Krieg niemals auf deutschem Boden ausgefochten werden!
27.9.1939, vor Warschau: Heute vormittag hat Warschau kapituliert. Nun ist der polnische Feldzug endgültig beendet. Gott sei Dank! Wir haben nun Aussicht, aus dem polnischen Dreck herauszukommen. Ich hoffe, Euch alle bald gesund und munter zu begrüßen, wenn es nicht gleich an den Westwall geht.
1.10.1939, vor Warschau: Ich bin mir darüber klar, daß die Entscheidung über den Frieden jetzt vor allem von Frankreich und England abhängt. Ich habe heute noch das Vergnügen, zwei meiner Leute zum Eisernen Kreuz vorschlagen zu können. Aber wir Offiziere sollen auf Wunsch des Kommandeurs erst noch mal zurückstehen, zumal wir bereits aus dem letzten Krieg ausgezeichnet sind. Ganz vermag ich das nicht einzusehen.
3.10.1939: Auf dem Marsch nach Deutschland!
22.10.1939, im Rheinland: Ich will mich nachher beim Abteilungskommandeur in meiner neuen Hauptmannswürde melden. Es soll ein Befehl bestehen, der der deutschen Artillerie verbietet, auf französischen Boden zu schießen. Alles spricht davon, daß Weihnachten Frieden sein soll.
10.11.1939: Ich erhielt außerdem Glückwünsche von Kaufmann (Reichsstatthalter und Gauleiter), Ahrens (Staatssekretär), Krogmann (Bürgermeister) etc.“30 Oscar Toepffer hatte am 4.11.1939 seinen 43-jährigen Geburtstag gehabt.
„14.11.1939, Mönchengladbach: Gelegentlich halte ich etwas Unterricht ab, so heute unter anderem über Knigges Umgang mit Quartierswirten und deren Töchtern … Was mit uns beabsichtigt ist, weiß nach wie vor kein Mensch. An Maßnahmen gegenüber Holland oder Belgien kann ich nicht glauben, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß diese Staaten uns einen Grund zum Einschreiten geben oder sich gar einverstanden erklären … Lindemann (Senatssyndikus, Pressereferent) hat mir übrigens 40 Bücher für die Kolonne in Aussicht gestellt, die er aus der Hamburger Büchersammlung beiseite geschafft hat. Auf den Radioapparat vom Reichsstatthalter warte ich noch.
17.11.1939: In der Hamburger Verwaltung hat man ja gründlich befördert. Ich möchte nur wissen, wo all die neuen Stellen herkommen.
19.12.1939: Urlaub zu Weihnachten gibt es für mich nicht. Umso größer war die Freude, als ich mit einigen anderen Offizieren und Mannschaften heute zu Major Andersen bestellt wurde und die Spange zum EK (Eisernes Kreuz zweiter Klasse) erhielt. Das gibt wieder Auftrieb.
27.12.1939: Der Kommandeur sagte mir am 23., daß ich als Hauptmann auf die Dauer keine Kolonne führen soll. Du weißt, liebe Frau, daß diese Auffassung meinen Wünschen nicht zuwider ist. Denn wenn ich Artillerist sein soll, will ich es als Batteriechef oder später als Abteilungskommandeur sein. Bei meiner gegenwärtigen Abteilung bleibe ich auf keinen Fall. Vom Rechtsamt erhielt ich ein Päckchen mit einem Buch, ferner Päckchen vom Gauleiter, von der NSDAP-Ortsgruppe Wohldorf und von dem guten Niehaus, worüber ich mich besonders freute.“31 Gertrud Bargstädt schrieb erklärend dazu, daß Oscar Toepffer, Parteigenosse seit 1937, als Beamter „damals genötigt wurde, in die NSDAP einzutreten – sollte sich nach Ansicht des Blockwartes Niehaus in der Ortsgruppe Wohldorf-Ohlstedt als Parteigenosse reger betätigen.“ Nach Oscar Toepffers „Rücksprache mit dem Reichsstatthalter Kaufmann beschloß dieser, sozusagen eine Ortsgruppe Rathaus zu gründen, deren Ortsgruppenleiter er selber sei und deren Mitglieder die Beamten der Staatsverwaltung seien: Begründung, meine Beamten sollen für den Staat arbeiten und ihre Zeit nicht in nutzloser Parteiarbeit vertun“.32
„30.12.1939, Mönchengladbach: Ich hätte ja kaum gedacht, daß der Krieg länger als ein paar Monate dauern würde. Ich bin auch heute in dieser Beziehung noch durchaus zuversichtlich.“33
Gretchen Toepffer schrieb am 21.12.1939: „Die ganze Familie freut sich über den Vati, der jetzt die Spange (1939) zum Eisernen Kreuz (von 1914, zweite Klasse) trägt, und wir gratulieren Dir herzlichst. Wir sind mächtig stolz auf Dich, erst den Senator, und nun noch die Spange.“34 Dann startete der Frankreichfeldzug.
„11.5.1940: Du kannst stolz darauf sein, daß Dein Mann bei dem Entscheidungskampf um Deutschlands Zukunft dabei sein kann. Die Grenze haben wir gestern früh 7 Min. vor 7 Uhr passiert und trafen eine uns neugierig und nicht ablehnend musternde Bevölkerung. Einige waren sogar begeistert.
12.5.1940: Wir sind schon ein Land weiter, und unsere Gegner laufen so schnell, daß wir kaum nachkommen können. Ein merkwürdiger Krieg. Die natürlichen Verteidigungsanlagen werden nicht benutzt. Das läßt sich noch einfacher an als in Polen. Die hätten sich in diesem Waldgelände bestimmt zäh verteidigt … Die Nacht verbrachte ich in einer komfortablen Villa mit einem besonders werten Weinkeller und mit Konserven und anderen Vorräten, die wir kurzerhand der Feldküche zuführten. Auch der Wein wurde für die gesamte Abteilung requiriert, damit unsere Leute heute Abend jeder eine halbe Flasche bekommen können. Gute Zigarren fanden sich obendrein. Ein Leben wie Gott in Frankreich! Die Bewohner sind geflüchtet. Warum eigentlich? Wir hätten ihnen bestimmt nichts getan.
16.5.1940: Das Ganze ist mehr ein Pfingstausflug als Krieg. Dazu herrliches Wetter. Und wir leben vortrefflich mit erbeutetem Burgunder und viel Eiern und Schokolade und Kaffee und guten holländischen Zigarren. Seit heute sind wir im französischen Sprachgebiet, sodaß ich Gelegenheit habe, meine Sprachkenntnisse aufzufrischen … Ich bin stolz darauf, dabei sein zu dürfen, und bin überzeugt davon, daß es uns bald gelingen wird, den Krieg siegreich zu beenden.
18.5.1940: Die deutschen Truppen ziehen westwärts, und man hört keinen Schuß und sieht keinen feindlichen Flieger. Mir scheint in Hamburg ist dickere Luft als hier, denn heute hörten wir, daß englische Flieger Bomben über Hamburg abgeworfen hätten … Um Euch in Wohldorf bin ich nicht besorgt. Und außerdem habt Ihr den besten Luftschutzkeller der Umgegend … Die Erfolge der deutschen Truppen sind fabelhaft. Es geht wirklich noch schneller als in Polen. Wer hätte das gedacht! Ich wage nicht zu prophezeien, wann unsere Schläge den Gegner mürbe gemacht haben werden. Aber daß wir dem Endsieg näher rücken, ist zweifellos … Die Bewohner sind vielfach geflüchtet, sehr zu ihrem Schaden, denn es ist gar nicht zu vermeiden, daß die Häuser, die leer und ohne Aufsicht stehen, durchwühlt werden. Ich habe als Chefwagen jetzt einen Chevrolet-Cabriolet.
30.5.1940 (in Flandern): Die belgischen Soldaten zogen an uns vorbei auf die Heimat zu. Der Katzenjammer wird nachkommen. Denn nun müssen England und Frankreich erkannt haben, daß die deutsche Führung mit der von 1914 nicht zu vergleichen ist. Was damals hier in Flandern mißlang, haben wir jetzt spielend erreicht. Hier hat also damals eine Batterie gestanden. Da liegen über 10.000 deutsche Soldaten begraben. Etwa 6000 benannte und der Rest unbenannt. Eine kleine Ehrenhalle enthält an den Wänden auf Holztafeln die Namen von über 5000 gefallenen deutschen Studenten. Damals ist hier die Blüte der deutschen Jugend in den Tod gegangen. Heute ist das deutsche Heer fast ohne Verluste hier einmarschiert. Man wird eines Tages die Frage aufwerfen, ob der Führer als Staatsmann oder als Feldherr größer war. Am Ende muß unser Sohn noch mal einen Aufsatz darüber schreiben.
31.5.1940: Verpflegung tadellos, Sonnenschein. Bisher die unvorstellbaren Erfolge. Und die Hoffnung, daß es der deutschen Führung bald gelingen wird, solche Schläge gegen England zu führen, die den Krieg beenden.
2.6.1940 (in Stellung vor Dünkirchen): Wir sind hier eingesetzt, um den Engländern den Rest zu geben. Und das wird gründlich besorgt. Wir selbst bleiben unbehelligt aber schießen feste nach Dünkirchen und anderen Stellen an der Küste. Die Straßen zur Küste machen einen trostlosen Eindruck. Fahrzeug steht an Fahrzeug. Alles fast nagelneue englische und französische Militärfahrzeuge. Millionenwerte liegen da, alles fluchtartig verlassen. Wir benutzen die Gelegenheit, um uns mit fahrbaren Untersätzen gesund zu machen. Riesige Vorräte sind zu finden. Die stehengebliebenen Militärfahrzeuge zählen nicht nach Hunderten, sondern belaufen sich wohl auf mehrere 1000 … Ich hatte heute einen Brief vom Reichsstatthalter, in dem er mir die Verleihung des silbernen Treudienst-Ehrenzeichens mitteilt … Schon 25 Jahre treue Dienste soll ich geleistet haben.
5.6.1940: Jetzt bin ich der Meinung, daß wir bald in Paris einmarschieren werden und hoffe, dabei zu sein.
27.6.1940: So bei kleinem muß ich mich wohl mit dem Gedanken vertraut machen, daß der Krieg eines Tages zu Ende geht und ich wieder in meinen zivilen Beruf zurückkehre. Es wird mir und allen, die jetzt im Felde stehen, nicht ganz leicht fallen, wieder in die alte Tretmühle zurückzukehren.“35 Oscar Toepffers Tochter Gertrud erinnerte daran, daß ihr Vater vor dem Krieg sehr viel gearbeitet hatte „und aus seinen Ferien meist vorzeitig zurückgeholt wurde“. Und: Man plante, „ihn nach Belgien zu schicken als Ministerialdirektor für eine der Hauptabteilungen“. Vorgesehen waren außerdem einige andere Beamte, die Oscar Toepffer „für nicht geeignet hielt. Es wurde nichts daraus.“36
Toepffer: „10.9.1940: Na, ich denke, Hermann Göring wird den Engländer bald mürbe geklopft haben. Ob es überhaupt noch zu einer kriegerischen Handlung kommt?
15.9.1940: Da wir in der Abteilung beim Stab noch zwei Hauptleute haben, die Batterien führen können, muß ich damit rechnen, daß ich als abkömmlich bezeichnet werde. Dann könnte ich mich eines Tages in der Militärverwaltung wiederfinden. Ich kann nicht beurteilen, ob es dem Herrn Reichsstatthalter ohne weiteres möglich sein würde, mich da wieder loszueisen. Denn ich würde selbstverständlich lieber in Hamburg Dienst tun als in der Militärverwaltung, dazu bin ich nicht Soldat geworden. Ich habe dem Reichsstatthalter diesen Sachverhalt geschildert und es seiner Entscheidung überlassen, ob er bezüglich meiner Reklamation für die Hamburgische Verwaltung Folgerungen daraus ziehen will.“37
Oscar Toepffer kehrte für einige Monate nach Hamburg zurück und übernahm für den in den Krieg gezogenen Kurt Witt auch die Funktion des Schulsenators.
Gretchen Toepffer hatte am 30.1.1940 geschrieben:
„Übrigens hat Hitler angeordnet, daß in den Schulen nur noch von ‚unseren‘ Kolonien und nicht mehr von ‚ehemaligen‘ Kolonien geredet werden darf, da wir niemals in den Raub eingewilligt haben. Wir hörten gestern Abend Radio. Unsere Propaganda ist doch fabelhaft. Und heute spricht der Führer. Selbstverständlich hören wir die Rede.
1.3.1940: Hoffen wir weiter, daß der Krieg nicht länger dauern wird, ich tue es in fester Zuversicht und mit festem Vertrauen zu Hitler, und die Jahre die dann kommen, sollen umso schöner werden … Ich lege noch zwei weitere Flugblätter ein, ich meine es wird Dich interessieren zu lesen, was uns die blöden Engländer zu Lesen zumuten.
16.4.1940: Aus kleinen Zeitungsartikeln der letzten Tage muss man fast annehmen, daß auch Italien eines Tages nicht mehr ruhig zusehen wird. Das Beste ist, restlos auf Hitler zu vertrauen.
1.5.1940: Ich stand den ganzen Tag unter dem Eindruck des heutigen Tagesbefehls des Führers an die Truppen in Norwegen. Wenn der Führer solche Worte findet, weiß man die Taten und die Erfolge unserer Soldaten erst richtig zu würdigen, und immer mehr wird mir klar, wie richtig es war, die Küste Norwegens zu besetzen. Ich bewundere auch die Leistung, die darin besteht, daß bis ins kleinste alles für ein solches Unternehmen vorbereitet ist und alles, was kommen könnte, bedacht wird. Du hast so manchmal gesagt, es gibt so wenig Leute, die wirklich eine Sache bis zu Ende durchdenken können, hier ist aber so gearbeitet worden. Ich bin voller Bewunderung und spreche mit den Kindern davon, die doch diese Zeit mit wachen Augen erleben sollen … Vor 7 Jahren erlebten wir den 1. Mai in Berlin, ich sah zum ersten Mal voller Spannung den Führer, voller Verehrung sah ich auf zu dem alten Hindenburg, und wir beide fragten uns, was wird Hitler uns bringen. Und was hat sich alles seit diesem 1. Mai in Deutschland verändert! Und was werden wir noch erleben!“38
Positive Grundhaltungen gegenüber den nationalsozialistischen Führungspersonen waren demnach sowohl bei Oscar Toepffer als auch bei seiner Frau Gretchen vorhanden, wenn auch 1933 noch mit einer gewissen Skepsis.
Am 21.5.1940 schrieb Gretchen Toepffer: „Und dann die Äußerungen Görings, daß der geniale Feldzugplan Hitlers Werk ist! Weißt Du noch, daß Du mir nach dem Polenfeldzug sagtest, Du hättest das Gefühl, daß Hitler sehr aktiv an allen Kriegshandlungen und Entschlüssen teilnehme.“ Und sie berichtete von ihrer Tochter, die gesagt hatte: „Mutti, daß wir diese Zeit mit dem Führer erleben dürfen!“39
Oscar Toepffer war mittlerweile wieder in den Krieg zurückgekehrt, jetzt zum „Aufbau der Küstenverteidigung“ in Dänemark eingesetzt. Er schrieb am 3.10.1941: „Heute nachmittag hörte ich die Führerrede. Danach dürfte ein Vorstoß auf Moskau bevorstehen. Es war doch wieder eine fabelhafte Rede. Bemerkenswert auch die Wiederholung der Erklärung, daß er die Engländer gern zu Freunden gehabt hätte.“40
Gretchen Toepffer berichtete am 11.7.1941, dass Senatssyndikus und Pressechef Dr. Lindemann, ein enger Vertrauter von Oscar Toepffer, erklärt hatte, „man wäre der Meinung gewesen, der russische Feldzug würde sechs Wochen dauern, hätte aber einen so zähen Widerstand der Russen nicht erwartet. Von Amerika meinte er, daß wir auch das Landen amerikanischer Soldaten auf Island hinnehmen würden, wir hielten daran fest, bis zum Äußersten zu vermeiden, daß es zwischen uns und Amerika zum Kriege kommt ... Und ich weiß nicht, warum mich nach wie vor dieser russische Feldzug so bedrückt.“41
Am 19.7.1941 schrieb Gretchen Toepffer: „Dr. Lindemann erzählte mir, daß bislang 6500 Mann in der Verwaltung fehlten, jetzt fehlten 8500. Wir sprachen dann über Rußland, und er meinte, 12 Millionen Mann sollen dort angesiedelt werden. Was stehen da für große Aufgaben bevor!“42
Nun wurde auch in Hamburg darüber geredet, was deutsche Soldaten aus der Sowjetunion nach Hause schrieben. Gretchen Toepffer: „Die Freude über die ganz großen Erfolge im Osten! Ich meine, sehr viel Elite kann von der russischen Armee nicht mehr übrig sein, so daß der Widerstand bei den nächsten Operationen leichter zu brechen sein wird. Dr. C. soll geschrieben haben: ‚Seit ich die russischen Zustände kennen gelernt habe, weiß ich erst, wie dankbar wir sein müssen, einen solchen Führer zu besitzen‘.“43
Am 4.10.1941 schrieb sie: „Hast du gestern die Führerrede gehört? Mir hat sie geholfen, recht mutig in die Zukunft zu schauen. Man kann also hoffen, den Russen wirklich kleinzukriegen. Allerdings wann es mit England mal zu Ende gehen soll, scheint noch in weiter Ferne zu liegen.“44
Es mischten sich jetzt immer mehr skeptische Töne in die gegenseitigen Schreiben. Am 11.10.1941 schrieb Gretchen Toepffer: „Es ist erschütternd, und die Tränen können einem kommen, wenn man an all die Jungen denkt, die im Osten gefallen sind. Müssen denn all die Wohldorfer Jungen dran glauben? Es ist furchtbar.“45
Am 1.1.1942 wurden auch von Oscar Toepffer zum ersten Mal zu einer Rede von Adolf Hitler kritische Anmerkungen gemacht: „Was ich gehört habe, hat mir nicht recht gefallen. Diese Rechtfertigung schien mir überflüssig. Ich hatte den Eindruck, daß die Rede für das Ausland bestimmt sei, anders kann ich mir manches nicht erklären. Die Wendung, es könne und müsse uns gelingen, die russischen Angriffe abzuwehren – oder so ähnlich – klang sehr ernst. Ein solcher Aufruf soll doch erhebend und ermutigend wirken. Das hat er bei mir nicht getan. Damit soll nicht gesagt sein, daß ich plötzlich voll von Bedenken wäre. Wenn wir im Augenblick im Osten und in Afrika Schwierigkeiten haben, so wäre es mir lieber gewesen, wenn der Führer es klar ausgesprochen hätte … Eine kleine Hoffnung, daß in diesem Jahr die Entscheidung fällt, hat uns der Führer ja gelassen …“46
Am 23.3.1942 stellte Oscar Toepffer fest: „Der Krieg ist eine stärkere seelische Belastung, als wir uns klarmachen und bei dem einen wirkt so etwas stärker auf den Körper als bei anderen … Ja, die Gespräche, die man in verantwortlichen Kreisen über die Zukunft führt, sind sicherlich sehr ernsten Tones. Ich bleibe bei der Meinung, daß der vergangene Winter wohl am schwersten war. Ich glaube daran, daß es uns schon bald gelingen wird, das Blatt in Russland zu wenden und die Russen klein zu kriegen. Was im Weltkrieg zu einer Zeit gelang, wo wir außerdem gegen Frankreich und Italien kämpfen mußten, das bringen wir in diesem bevorstehenden zweiten Ansturm gegen Rußland bestimmt fertig.“47
Oscar Toepffer berichtete aus Dänemark, dass er jetzt einige Kriegsgerichtssitzungen durchführen musste als Vorsitzender. Gleichzeitig bekam er die Information, wie es seiner alten Batterie in Russland ging: „Die Batterie verlor in kurzer Zeit alle drei Offiziere, fünf Wachtmeister und Unteroffiziere, 18 Mann. Vielleicht lebt ein Teil noch in Gefangenschaft. Daß alle drei Batterien ihre sämtlichen Geschütze, Fahrzeuge und alles Gepäck verloren haben, wußte ich wohl schon bei unserem letzten Beisammensein. Wirklich, die Batterie hat viel durchmachen müssen. Vor welchem Schicksal bin ich bewahrt geblieben?“ Und im gleichen Brief schrieb er über eine Rede von Hermann Göring: „Er trifft doch das rechte Wort zur rechten Stunde und stellt die Dinge so dar, wie sie sind. Im übrigen ist meine Meinung unverändert die, daß England und Amerika den Krieg verloren haben werden, wenn sie nicht hindern können, daß wir mit Rußland fertig werden. Besonders gefallen hat mir, was Göring über unsere Verpflichtung gegenüber unseren Kindern sagte. Wir müssen diesen Krieg führen, damit unsere Kinder es einst besser haben. Und ich meine, wenn wir ehrlich antworten, so müssen wir noch zugeben, daß wir es noch gar nicht mal schlecht gehabt haben. Wie schnell werden später diese Kriegsjahre überwunden sein!“48
Der Einsatz von Oscar Toepffer in Dänemark war nicht so aufreibend, dass er nicht auch mit politischen Größen in Hamburg korrespondieren konnte:
„Heute schrieb ich an Herrn von Allwörden zu seinem 50. Geburtstag. Ich vergesse es ihm nicht, daß er für mich eingetreten ist, wie ich 1933 von der Landherrenschaft angegriffen wurde.“49 Wilhelm von Allwörden war als einer der langjährigen und starken Nationalsozialisten in Hamburg, Fraktionsführer der NSDAP in der Bürgerschaft vor 1933 und in der gesamten Zeit der NS-Herrschaft.
Und auch Bürgermeister Carl Vincent Krogmann und dessen Ehefrau schrieb Oscar Toepffer am 19.6.1942 zur silbernen Hochzeit, verbunden mit einem Geschenk, das er ausführlich kommentierte.50
Neben den Sorgen über die Bombardierung von Hamburg (Oscar Toepffer: „Es ist schon eine Gemeinheit, friedliche Städte so zuzurichten! Der Teufel soll die Engländer und den ganzen Krieg holen!“51) wurden auch Beförderungen vermeldet: „Lindemann schrieb mir, daß der Reichsstatthalter neben seinem Hamburger Amt Reichsminister für die Seeschifffahrt geworden ist und die Schifffahrtsabteilung des Reichsverkehrsministerium übernimmt. Er hält sich vier Tage in der Woche in Berlin auf und richtet sich Büros in allen europäischen Ländern ein. Sonst scheint es in der Verwaltung ruhig herzugehen.“52 Und auch die Beförderung von Curt Rothenberger wurde vermeldet. Über die Ernennung des Hamburger Justizsenators zum Staatssekretär im Justizministerium in Berlin „habe ich mich gefreut. Sie beweist mir, daß man keinen wilden Kurs will, sondern eine verständige Entwicklung“, notierte Oscar Toepffer.53
In eigener Sache konnte er vermelden, dass er am 22.9.1942 zum Major befördert worden war.54
Die Kommentierung der Reden von Adolf Hitler wurde nüchterner. Am 8.11.1942:
„Auch war ja um 18 Uhr die Rede des Führers anzuhören. Viel Inhalt hatte sie nicht. Er hat ja ganz recht, wenn er sagt, daß jetzt nicht viel zu reden ist. Neue Gedanken fielen mir nicht auf.“55
Im Weiteren wird deutlich, dass Oscar Toepffer zwischen zunehmenden Sorgen und Vertrauen in die militärische Führung schwankt, aber immer noch aus der gesicherten Position an der dänischen Küste.
„25.1.1943: Man sagt, wir hätten sehr viele Truppen abgezogen (im Osten), um sie für den Kampf im Frühjahr zu rüsten. Wenn wir uns das noch leisten können, kann es nicht so ganz schlimm stehen. Aber Stalingrad ist wohl sehr gefährdet … Wir bekamen in diesen Tagen einen Befehl des Reichsmarschalls (Göring) für alle Wehrmachtteile, danach wird die Anrede in der dritten Person abgeschafft. Also nicht mehr: ‚Haben Herr General noch Befehle?‘ sondern ‚Herr General, haben Sie noch Befehle?‘ Interessant ist die Begründung: Es kommt vor, dass Leute, die im zivilen Leben bedeutende Stellungen bekleiden, Untergebene von Vorgesetzten seien, deren Stellung der zivilen Stellung der Untergebenen gewissermaßen unterlegen sei. Und schließlich werde der Führer von niemand in der dritten Person angeredet. Ich habe mich ja 1935 und 1939 schwer an die dritte Person gewöhnen müssen. Aber jetzt fällt mir die Umstellung wieder nicht ganz leicht.
31.1.1943: Ich hörte, daß der Engländer letzte Nacht die Elbbrücken und Hamburg heimgesucht hat, sogar mit einem gewissen Erfolg. Daß Ihr jetzt auch wieder mit Tagesangriffen bedacht seid, ist ein ausgesprochen unfreundlicher Akt. Aber wartet nur, Ihr Engländer, eines Tages kommt der von Hermann Göring angekündigte Tag! … Welch ein Jammer an der Ostfront. Durch Görings fabelhafte Rede ist einem das erst richtig klar geworden. Aber auch, daß keine Veranlassung besteht, das Unglück größer zu sehen als es ist. Wie sind die Eltern und Frauen zu bedauern, die einen Soldaten in Stalingrad haben! Das zu ertragen, übersteigt wohl fast des Menschen Kraft.
5.2.1943: Eine sorgenvolle Zeit! Aber wir werden es schon schaffen. Immerhin erfahren wir jetzt, was es heißt, wenn der Siegeszug unterbrochen wird und Niederlagen ertragen werden müssen. Die seelische Belastung für diejenigen, die ihre Angehörigen dabei wissen, muß sehr groß sein. Denn wie lange wird es dauern, bis sie erfahren, ob ihr Sohn oder Mann sich in Gefangenschaft befindet. Und in wie vielen Tausenden von Fällen werden sie niemals Nachricht erhalten! Aber das muß überwunden werden. Hoffen wir, daß die verlorenen Gebiete im Sommer zurückerobert werden und noch andere dazu … Ach, es geht uns hier ja viel zu gut.“56
Regelmäßig war die Rede davon, insbesondere in den Schreiben von Gretchen Toepffer, dass Oscar Toepffer immer wieder Koffer mit Lebensmitteln nach Hause schicken konnte.
„21.3.1943: Heute mittag hörte ich die Führerrede und war ergriffen vor allem von der Begrüßung der Verwundeten. Die Rede selbst klang sicher und zuversichtlich. Die vom Führer geschilderte Festlegung der Lage ward erhärtet durch die Aufhebung der Urlaubssperre. Besser konnte man vor aller Welt nicht bezeugen, daß jede Gefahr gebannt ist. So dürfen wir hoffen, daß wir im Sommer im Osten große Erfolge erringen werden. Die Zahl der Gefallenen ist etwa 1/4 der Toten des Weltkrieges. Aber der Krieg ist noch nicht zu Ende … Ich las in diesen Tagen in einer von der Wehrmacht herausgegebenen Schrift über Partei und Wehrmacht. Danach soll die Wehrmacht gegenwärtig die Erziehungsaufgabe mit übernehmen, die sonst der Partei zufällt. Sie soll die Soldaten also politisch schulen. Man will eine politische Wehrmacht und eine soldatische Partei und findet ermahnende Worte über das Einvernehmen zwischen beiden. Woran liegt es, daß mancher von der Partei nicht viel wissen will? Sicherlich kann so ein Mann vieles verderben. Aber vernünftige Leute müssen doch zugeben, daß die Führung durchweg in Ordnung ist. Ich glaube, es ist vor allem das Hineinreden in Privatangelegenheiten, was die Menschen verdrießt. Der Mensch will eine persönliche Freiheit. In seiner karg bemessenen Freizeit will er tun und lassen können, was ihm beliebt. Hoffen wir, daß es nach dem Kriege möglich wird, solche Wünsche zu erfüllen ... Daß ich nicht für das Führerhauptquartier ausersehen worden bin, darüber bin ich nicht böse. Denn wie ich gehört habe, wäre das eine Referententätigkeit geworden, die mir wahrscheinlich nicht mehr liegt. Als Kommandeur habe ich vermutlich mehr Selbständigkeit. Wenn ich mich schon verändern sollte, so würde mich immer noch eine motorische Abteilung reizen. Aber dazu bin ich wohl schon zu alt.
8.5.1943: Heute kam der Wehrmachtsbericht mit der Räumung von Bizerta heraus. Das ist wohl der Anfang vom Ende der so stolzen afrikanischen Unternehmungen. Es ist ein Jammer! Wenn man sich vorstellt, daß Rommel vor den Toren Ägyptens stand, und nun die ziemlich sichere Aussicht auf einen verlustreichen Rückzug! Es ekelt mich an, wenn ich im ‚Reich‘ von Dr. Goebbels lese, daß an der Peripherie des Kampfgebietes so kleine Schwierigkeiten und Rückschläge zu verzeichnen seien, die aber aufs Ganze gesehen, kaum ins Gewicht fielen. Als ob es nicht wieder die Besten wären, die nun bis zu einem schweren Ende kämpfen werden. In einem mag Goebbels ja recht haben: Wir müssen den Kopf hoch halten, was auch kommen mag. Hoffen wir also, daß es bald anders werde. Aber das verflixte Gefühl kann ich nicht loswerden, daß zur Zeit unsere Gegner uns dauernd in Zugzwang versetzen.“57
Während der Bombenangriffe auf Hamburg schrieb Oscar Toepffer am 30.7.1943: „Es müssen fürchterliche Stunden sein, die Ihr durchgemacht habt. Nicht auszudenken sind Not und Elend der Betroffenen. Dich und die Kinder hoffe ich unversehrt … Auch über Mutter und wegen der Tanten in Wandsbek bin ich sehr beunruhigt. Aber es hilft nichts, ich muß mich in Geduld fassen. Ich kann jetzt keinen Urlaub erbitten, weil es nicht zu verantworten wäre, wollten wir die vielen Hamburger alle nach Hause schicken. Haltet den Kopf hoch, Ihr Lieben!“58
Auch wenn es Oscar Toepffer in Dänemark sehr gut ging, hatte der Krieg auch ihn persönlich erreicht durch die Nachrichten nach dem Bombardement auf Hamburg. So schrieb er am 1.8.1943:
„Ich habe erfahren, daß die Walddörferbahn am vergangenen Sonntag, den 25. Juli, noch gefahren ist. So muß ich annehmen, daß Mutter sich nach dem ersten Angriff zu Dir begeben hat … Die Innenstadt stark betroffen. Die Sparkasse von 1827 zerstört, aber die Stahlfächer angeblich erhalten. Hopfenmarkt und Meßberg sollen sehr gelitten haben. Auch das Rathaus stark beschädigt. Am Alsterdamm erhebliche Verwüstungen. Desgleichen am Hauptbahnhof … Schwere Verwüstungen in Hoheluft bis an den Schlump, ferner Berliner Tor und Wandsbek. Auch Barmbek wieder sehr mitgenommen. An Kirchen angeblich mehrere zerstört, darunter St.Georg und Nicolai. Das St. Georger Krankenhaus kaputt. Angeblich Seuchengefahr. Abtransport von Hunderttausenden von Menschen irgendwohin mit irgendwelchen Transportmitteln. Verpflegung durch besonders eingesetzte Dienste. Starker Einsatz von Wehrmacht. Der Hafen und die Industrie vermutlich so gut wie lahmgelegt.
15.8.1943: Ich kann mir nicht vorstellen, daß mit weiteren Angriffen für Wohldorf zu rechnen ist. Denn schon in Hamburg hat der Engländer es offenbar vermieden, die Villenviertel zu zerstören, wahrscheinlich, weil der Aufwand zu groß ist.
18.8.1943: Du schreibst darin, daß alle Zukunftsgedanken sinnlos sind und daß Dir nur der eine große Wunsch bleibt, daß der Herrgott uns fünf wieder gesund zusammenführt. Erschüttert hat mich dies und Dein Dank für den Fall, daß das Schicksal es anders gewollt habe. Ja, liebe Frau, jetzt merken wir erst richtig, was dieser Krieg bedeutet und daß es um die Entscheidung geht, ob Deutschland weiter bestehen oder untergehen soll. Wer weiß, was für Prüfungen uns noch auferlegt sind.“59
Auch in Dänemark wurde es ungemütlicher: „Die Stimmung und Haltung der Bevölkerung wird ablehnender. Wer freundlich zu uns Deutschen ist oder uns was verkauft, bekommt anonyme Briefe mit der Drohung, daß man sein Verhalten nicht vergessen werde“, schrieb Oscar Toepffer am 17.8.1943.60
Die Aussagen von Oscar Toepffer blieben schwankend:
„4.9.1943: Ich höre vom Osten nur das Beste. Andererseits vernimmt man, daß die Heimat hier und da schwarz sieht. Das wird daran liegen, daß die Männer fehlen. Und dann sind selbstverständlich die Luftangriffe eine schwere Belastung. Die Heimat ist zur Front geworden, aber ihr fehlen die Frontsoldaten und der Frontgeist. Die feste Zuversicht, die der brave Kämpfer in vorderster Linie hat und auf die wenigen schwächeren Kameraden überträgt, so daß alle eines Sinnes werden, dieses Vertrauen und den Sieg der deutschen Waffen muß die Heimat wiedergewinnen. Es gibt viele Frauen wie Dich, die Ihr letztlich ebenso denkt wie der Soldat an der Front und die Ihr mit Eurem Glauben die Schwächeren aufrichten und stärken könnt! Wenn man die Dinge so betrachtet, kann man schon verstehen, daß der Führer einen seiner willensstärksten Leute zum Innenminister (Himmler) gemacht hat und ich bin der Meinung, daß wir noch eine ganze Zeit warten müssen, bis wir Erfolge aufweisen können, die die Nation aufrichten.
15.9.1943: Ich kann niemals glauben, daß diese Meckerer recht behalten könnten. Das ist Unsinn, was die Leute reden. Wir beherrschen Europa!“61
Am 10.11.1943 äußerte Oscar Toepffer erstmals Kritik an einer Hitler-Rede in seinen Briefen: „Manches war aus der Not der Zeit gesprochen. Aber manches gefiel mir nicht. So zum Beispiel der Vergleich mit 1923: ‚Die Sorgen von heute könnten nicht größer sein, als die von 1923 gewesen sind.‘ Wie kann man das vergleichen! Dann die Rede, daß wir die zerstörten Städte in 2 bis 3 Jahren wieder aufbauen könnten. Das halte ich schlechterdings für unmöglich. Die Bombengeschädigten werden als die Avantgarde der Rache bezeichnet; sie können nicht anders als an den Sieg glauben, weil sie nur durch einen Sieg wieder zu dem ihrigen kommen können. Aber so ist es doch gar nicht! Nicht aus materiellen Gründen erhoffen wir den Sieg sondern aus ideellen! Dann das Gerede vom ‚Nerven verlieren‘! Es wäre ja noch schöner, wenn die Führung die Nerven verlieren wollte! Sowas sollte man überhaupt nicht aussprechen. Vielleicht war ich nicht in der richtigen Stimmung, um diese Rede zu hören. Jedenfalls war ich enttäuscht. Ich meine, man braucht die Nation nicht auf diese Weise aufzuputschen, sondern es wäre besser, jeden einfach an die Pflichterfüllung zu erinnern.“62
Aus den Schreiben von Gretchen Toepffer ging hervor, dass sie Kontakt sowohl zur Familie des Kaufmanns Alfred Toepfer pflegte und es auch Kontakte zur Familie von Reichsstatthalter Karl Kaufmann gab, dessen Frau mit den Kindern seit Herbst 1943 im Wohldorfer Herrenhaus wohnte. Die jüngere Tochter von Oscar Toepffer ging gemeinsam mit Kaufmanns Tochter Inge zur Schule.63 Auch weiterhin erhielten die Toepffers zu Weihnachten Geschenke von Karl Kaufmann. Am 24.12.1943 berichtete Gretchen Toepffer: „Dann kam vom Statthalter eine große Kiste hereingeschleppt von SS Männern. Der Inhalt bestand aus zwei großen und zwei kleinen Dosen Fleisch, eine Dose Milch, eine kleine Fleischpastete, fünf Flaschen Rotwein, zwei Flaschen echten Genever, und dann – beglückend – zwei Pfund Mandeln und ein Pfund Kaffee.“64
Am 20.4.1944 erhielt Major Oscar Toepffer das Kriegsverdienstkreuz Erster Klasse mit Schwertern verliehen. Am 19.6.1944 bekam er die Nachricht, zur Führerreserve des Oberkommandos des Heeres als höherer Artillerie-Kommandeur zu einem Lehr-Kommando nach Dalmatien versetzt zu werden.65
Von dem Anschlag auf Adolf Hitler erfuhr er in Tirana und schrieb am 24.7.1944: „Das Attentat auf den Führer hat uns alle hier tief erschüttert. Wie ist es möglich, daß jemand glauben kann, er könne auf solche Weise seinem Vaterlande einen Dienst erweisen. Nicht vorstellbar sind die Folgen, wenn der Anschlag gelungen wäre. Daß die Attentäter bzw. ihre Helfershelfer sich im deutschen Offizierskorps befinden, ist tief betrüblich.“66
Auch bei der Lehrkompanie in Dalmatien lebte Oscar Toepffer noch weit ab von den Gräueln des Kriegsgeschehens: „Die Offiziere wohnen in einer eingerichteten Villa und der Lehrstab in einer anderen, ehemaligen Judenvilla. Ich habe ein großes Zimmer mit schönem Ausblick über die Bucht und die vorgelagerten Inseln. Außerdem ein Badezimmer. Unten im Hause gibt es einen großen Raum, der etwas kitschig, aber leidlich behaglich eingerichtet ist. Hier im Hause finden sich eine Anzahl Bücher, auch Deutsch geschriebene. Ich beginne mir von Dostojewski etwas heraus zu nehmen. Aber ich glaube, daß es nicht richtig ist, von ihm etwas zu lesen, weil er mit Vorliebe unerfreuliche Zustände und Ereignisse beschreibt. Man braucht etwas Fröhliches und Positives in dieser Zeit.“67
Im Oktober 1944 begann für Oscar Toepffer der Rückzug. In seinen Schreiben war von Bombenangriffen aus der Luft und immer wieder von Partisanen die Rede. Später wurde Oscar Toepffer zur Festung Schneidemühl beordert, danach nach Swinemünde, er geriet in bedrohliche Situationen und leitete am Ende im Mai 1945 ein Kommando, das mit einem ehemaligen französischen Frachtdampfer fast 5000 Soldaten über die Ostsee in die Kieler Bucht führte.68 Auf abenteuerlichen Wegen gelangte Oscar Toepffer am 20. Mai 1945 zu seinem Haus in Wohldorf.69
Über den weiteren Verlauf gibt es unterschiedliches Material. Abzusehen war
ein Entnazifizierungsverfahren, dem sich alle deutschen Erwachsenen in ihren Heimatsorten unterziehen mussten. Darüber gibt es Unterlagen in der Entnazifizierungsakte Oscar Toepffers. Toepffer führte in dieser Zeit von Mai bis zum Spätherbst 1945 aber auch ein Tagebuch, das von seiner Tochter Gertrud ebenfalls transkribiert wurde. Er schrieb dazu: „Ich will heute darstellen, was sich seit der Beendigung der Feindseligkeiten bezüglich meiner Person zugetragen hat. Denn der Verlust meines Amtes ist eine in meinen und meiner Angehörigen Leben so einschneidende Tatsache, daß es notwendig ist, diese Entwicklung festzuhalten. Meine Kinder sollen wissen, wie es dazu gekommen ist.“70
Erst einmal schien alles glatt zu laufen. Oscar Toepffer notierte am 30.9.1945: „Seit Pfingsten bin ich zu Hause. Nach wenigen Tagen habe ich meinen Dienst im Rathaus angetreten. Bürgermeister Petersen, bei dem ich mich meldete, empfing mich liebenswürdig. Meine Kameraden aus der Verwaltung, besonders die Herren Senatssyndici Dr. Lindemann und Dr. Grapengeter sowie Senator Martini hatten dafür gesorgt, daß mein Name der Militärregierung bereits aufgegeben worden war. Diese bestätigte mich alsbald vorläufig in meinem Amt (wie alle, die in ihren Ämtern verblieben oder neu eingetreten waren). Man beantragte bei der Militärregierung meine Entlassung (aus der Wehrmacht). Aber diese ließ sich viel Zeit. Am 28. September bin ich nun endlich entlassen worden. Der Zeremonie der Entlassung in der Hamburger Kunsthalle unterzog ich mich mit Bedenken. Ich nahm vorsichtshalber einen Koffer und einen Rucksack mit, denn mancher höhere Beamte ist von der Entlassung nicht zurückgekehrt, sondern erneut verhaftet worden, wohl, weil man in ihm einen Kriegsverbrecher vermutete. Aber es ging alles glatt. Nun bin ich zehn Jahre meines Lebens Soldat gewesen. Sollte es zum Kriege mit Rußland kommen, um zusammen mit England den deutschen Osten zurückzugewinnen, so bin ich wieder dabei.“71
Oscar Toepffer beschrieb, was sich in der Hamburger Verwaltung nach Ende der NS-Herrschaft verändert hatte:
„Bald nach der Besetzung ließ der Chef der hiesigen Militärregierung die Leiter und die stellvertretenden Leiter aller wesentlichen Dienststellen kommen. Vorher hatten die Herren ihre Fragebögen einreichen müssen. Dann hielt man ihnen eine Ansprache, in der ihnen ihre schwere Schuld vorgehalten wurde. Einige Herren, darunter Bürgermeister Krogmann und Senatssyndikus Dr. Ziegler, wurden vom Fleck weg verhaftet. Andere wurden sofort entlassen aus ihren Ämtern. Der verbleibende Rest ward freundlicher angesprochen und zur Arbeit angehalten. Es stellte sich heraus, daß man als Grundsatz aufgestellt hatte, daß leitende Beamte, die vor dem 1. Mai 1937 der NSDAP beigetreten waren, nicht im Amte verblieben. Die 37er (– wir nannten uns scherzhaft wohl 37er Spätlese –) konnten bleiben. Von Kameraden aus der Zeit vor der englischen Besetzung fand ich insbesondere vor die Herren Senatoren Martini und Velthuysen, Senatssprecher Dr. Lindemann, Dr. Meincke, Dr. Grapengeter, Dr. Schultz (Staatsrat). Die Herren hatten als Bürgermeister Herrn Rudolf Petersen, den Bruder des 1933 aus dem Amte geschiedenen Bürgermeisters Carl Petersen, herangeholt. Zweifellos eine glückliche Wahl, denn P. spricht perfekt Englisch, hat nahe Verwandte in England und ist nicht rein arischer Abstammung. Übrigens spricht P. auch Russisch, so daß er allen denkbaren Anforderungen entsprach. Seine Wahl ist wohl das Verdienst des Senatssprechers Dr. Lindemann. Meine Kameraden, insbesondere die Herren Grapengeter, Lindemann und Martini, hatten auch bereits an mich gedacht und hatten meinen Namen in eine Liste aufgenommen mit dem Bemerken, daß ich der NSDAP erst seit 1937 angehört habe, so daß ich nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen mit meiner Bestätigung rechnen konnte.“72
Oscar Toepffer übernahm erneut das Amt als Leiter des Rechtsamtes. Es wurde einiges organisatorisch umgestellt. Man errichtete neu eine Beratungsstelle für Wiedergutmachungsansprüche mit der Aufgabe, denen zu helfen, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wegen ihrer weltanschaulichen Einstellung oder ihrer politischen oder rassischen Zugehörigkeit einen Schaden erlitten hatten. Oscar Toepffer stellte fest: „Zu meinem Leidwesen unterstellte man diese Stelle mir. Ich hatte vor allem deswegen Bedenken, weil ich mit der Gefahr rechnete, daß durch diese Dienststelle das Rechtsamt in den politischen Tagesstreit hineingezogen werden konnte.“73
Toepffer konstatierte, dass er sich schnell einarbeitete und sehr bald das Vertrauen von Bürgermeister Rudolf Petersen erwarb. „Es war keine Seltenheit, daß man im Senat für die Erledigung schwieriger Angelegenheiten auf mich verfiel. Wußte man nicht, wen man nehmen sollte, so mußte ich dafür herhalten. Im Senat bildete sich ein erfreuliches Verhältnis unter den Mitgliedern.“74
Dunkle Wolken zogen für Oscar Toepffer auf, als der ehemalige Senatssprecher, Dr. Lindemann, mit dem Toepffer regelmäßig vor dem ehemaligen Bürgermeister Carl Vincent Krogmann Bericht erstattet hatte, „als erster den ‚Antifaschisten‘ zum Opfer fiel“, wie Oscar Toepffer schrieb, und im September entlassen wurde.75
Im Oktober wurde auch Senator Martini entlassen, „dem man eine Pensionierung versprochen hatte, der aber mit seinen 63 Jahren ohne Versorgung entlassen war. Ich selbst mußte bei dieser Entwicklung der Dinge gleichfalls mit meiner Entlassung rechnen. Denn ich war ebenso wie Martini und Lindemann Mitglied der NSDAP von 1937, hatte ebenso wenig wie die anderen ein Amt in der Partei inne gehabt, war aber durch meine Mitarbeit unter dem Reichsstatthalter Kaufmann ebenso ‚belastet‘ wie die beiden anderen, wenn bei mir auch in Rechnung zu ziehen war, daß ich während des Krieges Soldat gewesen war.“76
Am 18. Oktober 1945 musste Oscar Toepffer Bürgermeister Rudolf Petersen mitteilen, dass er am Tag zuvor von zwei Offizieren der britischen Militärregierung vernommen worden war. Es ging dabei um seine Tätigkeit im Stiftungsrat der von dem Hamburger Kaufmann Alfred Toepfer 1933 gegründeten „Stiftung F.v.S.“ (Freiherr von Stein). Die Familie Oscar Toepffers war mit der Familie von Alfred Toepfer freundschaftlich verbunden, wobei Oscar Toepffer erst 1942 in den Stiftungsrat eingetreten war und wegen des Krieges lediglich zwei- oder dreimal an den Sitzungen teilnehmen konnte. Die englischen Offiziere hatten sowohl in Toepffers Rathausbüro als auch in seinem Privathaus Dokumente der Stiftung beschlagnahmt und das private Telefon von Toepffer gesperrt.77
In seinem Tagebuch hatte Oscar Toepffer geschrieben: „Diese Stiftung war den Engländern plötzlich höchst verdächtig geworden, weil sie sich satzungsgemäß mit der Pflege kultureller Beziehungen zum Deutschtum im Ausland befaßte. Man hielt sie für eine verkappte nationalsozialistische Organisation. Man fand eine Aufnahme von Toepfer und Frau zusammen mit Rudolf Hess auf Gut Kalkhorst, wo Hess sich mal aufgehalten hat, das Gut gehörte der Stiftung. Man fand zweifellos auch Beziehungen zum Verein für das Deutschtum im Ausland, den Toepfer unterstützte, indem er ihm das Freiherr-von-Stein-Haus in Kalkhorst für Tagungen und Schulungen zur Verfügung stellte. Aber Toepfer und seine ganze Familie hatten niemals der NSDAP angehört. Im Gegenteil, er stand dieser Partei sehr kritisch gegenüber. Sie hat ihn verfolgt, hat ihm Devisenverbrechen vorgeworfen und ihn ein dreiviertel Jahr im Gefängnis gehalten ohne das Verfahren gegen ihn zu eröffnen. Schließlich mußte man ihn wieder freilassen. Aber er blieb unter aufmerksamer Bewachung durch die Gestapo.“78
Dies war ein ernstzunehmender Vorgang. Am 8.11.1945 gab Rudolf Petersen eine auf Englisch verfasste Ehrenerklärung für Toepffer an die britische Militärregierung ab, in der er sich als überzeugt erklärte von der „Ehrenhaftigkeit und der Fähigkeit“ von Oscar Toepffer.79
Eine Woche später musste Rudolf Petersen Oscar Toepffer die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis mit sofortiger Wirkung mitteilen.80
Toepffer verfügte über gute Kontakte. Zuerst wandte er sich an den Leiter des Bürgermeisteramts, Dr. Kurt Sieveking mit der Bitte, ihn dabei zu unterstützen, die „Fortnahme seines Telefons“ in seinem Privathaus wieder rückgängig zu machen.81
Dann wandte sich Toepffer am 30.11.1945 an Bürgermeister Petersen, mit der Bitte, seinen Antrag bei der Anwaltskammer zu unterstützen, als Rechtsanwalt in Hamburg zugelassen zu werden.82 Dies vollzog Bürgermeister Rudolf Petersen umgehend in einem persönlichen Schreiben an Dr. Herbert Ruscheweyh, in dem es hieß, „daß keinerlei gegen seine Person als solche gerichteten Gründe maßgebend für das Ausscheiden von Herrn Dr. Toepffer gewesen sind, sondern lediglich objektive politische Notwendigkeiten“.83
Oscar Toepffer hatte in seinem Tagebuch noch Hintergründe für seine Entlassung geschrieben:
„Den ersten Angriff erlebte ich von Seiten des ehemaligen Polizeipräsidenten Campe (Polizeipräsident vor 1933), der, offenbar verärgert darüber, daß man ihn nicht wieder geholt hatte, woran in Anbetracht seiner geringen Fähigkeiten und seiner charakterlichen Mängel niemand dachte, in einem Gespräch mit mir zum Ausdruck brachte, daß die 37er Parteigenossen sehr viel übler zu beurteilen seien als die 33er. Er hielt es für richtig, seinen Standpunkt in ungehöriger Weise den beiden Bürgermeistern zur Kenntnis zu bringen, die aber ihn kannten und wußten, was sie davon zu halten hatten. Trotzdem glaube ich, daß dieser Schleicher sich mit Kreisen in Verbindung gesetzt hat, die für sein Geschwätz Interesse hatten. Ich vernahm weiter, daß ein gewisser Voss in Wohldorf sich in der Walddörferbahn, (im ‚Bahnparlament‘ einer Gruppe von Wichtigtuern, die mit der Hochbahn täglich zusammen zur Arbeit in die Innenstadt fuhren) verschiedentlich dahin geäußert habe, es sei unerhört, daß ich noch im Amt sei. Dieser gehörte zu einer Clique von politischen Intriganten, die bereits 1933 gegen mich gehetzt hatte.“84
Und Oscar Toepffer konnte noch eine andere Information in seinem Tagebuch festhalten:
„Am 3. November erfuhr ich durch Mittelsleute, daß der legal officer der Militärregierung, Col. Carton, der mir wohlgesinnt war, mich für ernstlich gefährdet hielt und es für erwünscht bezeichnete, daß ich etwas beibrächte, was erklärte, daß ich unter den Nationalsozialisten bis zum Senator aufgestiegen sei.“85
Oscar Toepffer hatte sich daraufhin an den sozialdemokratischen Bürgermeister bis 1933, Rudolf Roß, gewandt, der sein letzter Vorgesetzter bei der Landherrenschaft gewesen war.86 Und Rudolf Roß gab eine bemerkenswerte und gewichtige Erklärung für Oscar Toepffer ab:
„Herr Senator Toepffer hat sich an mich mit der Bitte gewandt, mit kurzen Worten ein Bild seiner Persönlichkeit zu entwerfen, welchem Wunsche ich hiermit nachkommen möchte. Ich tue es umso lieber als ich glaube, mich in jeder Beziehung für ihn verbürgen zu können. Senator Toepffer gilt allgemein als einer unserer besten Verwaltungsjuristen und hat in den verschiedenen Behörden, in denen er tätig war, Hervorragendes geleistet. Meine persönliche Bekanntschaft mit Herrn T. reicht zurück bis in die zwanziger Jahre. Später führte uns das Geschick zu gemeinsamer Arbeit in der Landherrenschaft noch einmal zusammen, leider nur für kurze Zeit, da ich im März 1933 aus dem Senat ausschied. Ich habe gern mit ihm zusammen gearbeitet. Ein außerordentlich befähigter und zuverlässiger Mann!“87
Es half nichts. Bürgermeister Rudolf Petersen ließ im Rathaus sogar den Einspruch von Oscar Toepffer ins Englische übersetzen, die dem Chef der britischen Militärregierung, Col. Armytage überreicht wurde. Oscar Toepffer notierte:
„Petersen sagte mir am 3. November, daß ihm bekannt sei, daß man mich angreife. Aber er halte nicht viel davon und glaube, die Wünsche gewisser Kreise damit befriedigen zu können, daß er Kommunisten in den Senat hineinnehme. In der Tat sind ja denn auch die Herren Dettmann und Heitgress (der ‚Konzentrationär‘) in den Senat aufgenommen worden. Im übrigen sprach Petersen von der Liga für demokratischen Aufbau, der Vereinigung Freies Hamburg und dem Zirkel, drei demokratisch antifaschistischen Clubs, die zum Teil, vielleicht ohne es zu wissen, im kommunistischen Fahrwasser schwammen und die in sich neben anständigen Leuten solche Elemente vereinigten, die politische Geschäftemacher und Postenjäger seien. Diese hätten die Entfernung der Herren Kruse und Biermann-Ratjen sowie meiner Person verlangt. Die Bemühungen des Bürgermeisters blieben ohne Erfolg.“88 Mit Unterstützung des Bürgermeisteramtes konnte Oscar Toepffer 1946 eine Sammlung des hamburgischen Rechts im Otto Meissner Verlag herausgeben.89
Zudem erhielt er noch die Rückendeckung des Rathauses, als ihm das Wohnungsamt sein Arbeitszimmer beschlagnahmen wollte.90 Nicht erfolgreich war er allerdings, als ihm das Landwirtschaftsamt am 4.3.1946 ein Radiogerät konfiszierte, weil es „etwa 320 für Hamburger Schulen benötigte Radiogeräte bei früheren Mitgliedern der NSDAP beschlagnahmte“.91
In seinem Entnazifizierungsverfahren konnte Oscar Toepffer aufgrund seiner kurzen Phase als zuständiger Senator für die Schulverwaltung auf Oberschulrat Fritz Köhne bauen, der „Persilscheine“ für nahezu alle Verantwortlichen in der NS-Zeit ausstellte, unter denen er gearbeitet hatte. Köhne schrieb:
„Wenn ich an wiederholte dienstliche Begegnungen mit Ihnen in den Jahren vor und nach 1933 zurückdenke, so erinnere ich mich mit Freude und Achtung an Ihren außerordentlichen Sachverstand, an die schnelle, klare Erfassung schulischer Angelegenheiten und Ihre stete Hilfsbereitschaft in Fragen des Schulrechtes und der Schulförderung.
Sie haben auch in der Zeit, als das ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ durchgeführt werden mußte, das Beamtenrecht geschützt, soweit Sie das vermochten. Ich denke dabei besonders an den Lehrer Fritz Bethge, der nach dem §2a ohne Ruhegeld entlassen worden war, aber mit ihrem Beistand gegen den schärfsten Widerspruch des Oberschulrates Mansfeld nach §5 pensioniert und später wieder eingestellt wurde. Sie waren in den schweren Jahren nach 1933 in Ihrer staatlichen Stellung ein Anwalt der Lehrer und Beamten und der sachlichen Belange der Schule. Wenn die politische Entwicklung jener Jahre die Rechtsgrundlagen veränderte oder verließ, so werden Sie ebenso sehr darunter gelitten haben, als die davon Betroffenen.
Ich glaube nicht, Herr Dr. Toepffer, daß Sie in ihrer Gesinnung jemals Nationalsozialist gewesen sind und bin überzeugt, daß Sie bei Ihrem hervorragenden Können dem heutigen Staate bessere Dienste leisten können, als es Ihnen im nationalsozialistischen Deutschland möglich war.“92
Am 18.10.1946 machte der Entnazifizierungsausschuss den Vorschlag, dem Einspruch gegen die Entlassung stattzugeben. Er wies darauf hin, dass Toepffer erst am 1.5.1937 in die NSDAP eingetreten war und kein Amt bekleidet hatte. „Außerdem verfügt er über erhebliche Leumundszeugnisse. Unter diesen Umständen mußte seine politische Belastung als zu gering erscheinen, daß seiner Wiederaufnahme in den öffentlichen Dienst nichts im Wege steht.“93
Der Hamburger Senat befasste sich in seiner Sitzung am 10.12.1946 mit der Angelegenheit:
„Herr Senatssyndikus Harder berichtet, dass der von der Militärregierung entlassene ehemalige Senator Toepffer im Berufungsverfahren rehabilitiert worden sei. Es sei jedoch nicht möglich, ihn seinem früheren Rang entsprechend wieder einzusetzen. Herr Senatssyndikus Harder schlägt daher vor, Herrn Senator Toepffer in den Wartestand zu versetzen. Der Senat beschließt antragsgemäß. Er bringt jedoch seine Bedenken darüber zum Ausdruck, daß die Entscheidung des Berufungsausschusses dahin ergangen ist, daß Senator Toepffer ohne jede Einschränkung wieder beschäftigt werden könne. Es sei offensichtlich, daß Senator Toepffer nicht wieder in den Senat eintreten könne, nachdem dieser eine gewählte politische Körperschaft geworden sei. Der Senat beauftragt daher Herrn Senatssyndikus Harder, den Berufungsausschuß um eine Erklärung darüber zu bitten, wie seine Entscheidung zu verstehen sei, d.h. mit welchem Dienstgrad der ehemalige Senator Toepffer wieder einzustellen sein würde, falls sich der Senat dazu entschließen könnte.“94
Rechtsanwalt Berthold Mitte stellte am 13.1.1947 die Frage, „weshalb Herr Toepffer nicht zum Beispiel als Senatsdirektor tätig sein sollte“.95
Oscar Toepffer wurde nicht wieder eingestellt. Er wurde als Anwalt zugelassen und begann sofort damit, für ehemalige Nationalsozialisten, die entlassen worden waren, deren Pensionen zu erstreiten. Er stellte dazu am 23.1.1955 fest:
„Ich fand meine ersten Klienten in meinen Leidensgenossen und gewann einen Musterprozess vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht, nachdem die erste Instanz ein dem Senat gefälliges Urteil gesprochen hatte. Damit waren alle Prozesse für den Senat verloren, und er mußte an mich gehörige Prozeßkosten bezahlen für ca. 50 verlorene Prozesse mit beachtlichen Streitwerten!“96
Am 22.9.1952 wurde Oscar Toepffer mitgeteilt, er sei in den Ruhestand versetzt worden. Toepffer stellte fest: „Ich blieb also Anwalt, ließ mir nichts von meinem anwaltlichen Einkommen auf die Pension anrechnen und bezog daneben die volle Pension. Ich muß hinzufügen, daß es die Eigenart meiner Praxis mit sich gebracht hat, daß der Staat des öfteren der unterliegende und daher für mein Honorar zahlungspflichtige Teil ist. Ich habe stets zum Ausdruck gebracht, daß ich auch heute bereit sei, meine Arbeitskraft dem Staate zur Verfügung zu stellen. Mehr kann ich nicht tun.“97
Seine Tätigkeit als Anwalt, insbesondere für Verwaltungsrecht, übte Oscar Toepffer in seinem Wohnhaus in Wohldorf bis 1978 aus. Er war bis zum Schluss auch mit Gutachten für wichtige Gesetzesvorhaben beschäftigt, zum Beispiel für ein neues Hochschulrahmengesetz.98
Oscar Toepffer starb am 9.8.1982.99
Das Profil ist nachzulesen in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile, Band 2. Hamburg 2017. Das ist erhältlich in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg.