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Handelskammer Hamburg

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Die Haltung von Handelskammer und Hamburger Kaufleuten zur nationalsozialistischen Judenpolitik
Um die nationalsozialistische Judenpolitik im Bereich der Wirtschaft durchzusetzen und jüdische Betriebe schrittweise zu verdrängen, waren die staatlichen Institutionen oder die Dienststellen der NSDAP auch im nationalsozialistischen Herrschaftssystem darauf angewiesen, mit den Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft zu kooperieren. Die Erfassung, Liquidierung oder »Arisierung« jüdischer Firmen musste auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sich die Organe der gewerblichen Wirtschaft nicht daran beteiligten oder sich gar widersetzten.

Daher verwundert es nicht, dass die nationalsozialistische Gleichschaltungswelle des Frühjahrs 1933 auch vor der Hamburger Handelskammer[1] nicht Halt machte. Sie vollzog sich jedoch in einer bemerkenswert gemäßigten Form, um die traditionellen wirtschaftlichen Führungsschichten Hamburgs nicht durch ein radikales Vorgehen zu verprellen. Während die für den Einzelhandel zuständige Hamburger Detaillistenkammer im Frühjahr 1933 von NS-Aktivisten handstreichartig besetzt wurde, durfte sich die Handelskammer mit »Unterstützung« von vier Staatskommissionen »freiwillig« gleichschalten. Am 16. Juni 1933 präsentierte sich Hermann Victor Hübbe dem Handelskammerplenum als neuer Präses, während sein Vorgänger Carl Ludwig Nottebohm auf den Posten eines stellvertretenden Vorsitzenden abgeschoben wurde.[2] Siebzehn Mitglieder hatten aus dem Handelskammerplenum ausscheiden müssen, darunter alle jüdischen und »halbjüdischen« Mitglieder wie Rudolf Petersen, Franz Rappolt oder Max Warburg. Siebzehn andere waren in der Handelskammer verblieben und achtzehn neu berufen worden, darunter ausgesprochene Parteigänger der Nationalsozialisten wie der Kaufmann Joachim de la Camp oder der Kaffeemakler und nationalsozialistische Bürgerschaftspräsident C.C. Fritz Meyer.

Mit der Ernennung des 33jährigen Hermann Victor Hübbe vollzog sich auch ein Generationswechsel von der eher »nationalliberalen« älteren Kaufmannsgeneration zu einer jüngeren, pro-nationalsozialistischen, die sich um den neuen Hamburger Bürgermeister Carl Vincent Krogmann geschart hatte und lenkende Eingriffe des Staates in das Wirtschafsleben[3] im Gegensatz zur älteren Kaufmannsgeneration keineswegs ablehnte.

Trotz der personellen Revirements und fortschreitender Gleichschaltung, die im August 1934 einen weiteren Höhepunkt erreichte, als der Reichswirtschaftsminister die Industrie- und Handelskammer seiner Dienstaufsicht unterstellt, pochte die Hamburger Handelskammer auch unter nationalsozialistischer Leitung auf ihre Eigenständigkeit. Diese machte sich nicht zuletzt auch in der Judenpolitik bemerkbar. Zwar hatte sich der »Aufklärungsausschuss« der Handelskammer zu einem nationalsozialistisch-antisemitischen Propagandainstrument entwickelt und sich manche Handelsfirma in der Abwehr vermeintlicher »Greuelpropaganda« zum Büttel der Nationalsozialisten gemacht, doch war diese Grundhaltung in den ersten Jahren der NS-Herrschaft weder für die Handelskammer noch für die Gesamtheit der Hamburger Kaufleute repräsentativ, die der nationalsozialistischen Judenpolitik eher skeptisch gegenüberstanden. So ließ etwa die Handelskammer ihre Mitteilungen auch weiterhin bei der jüdischen Firma Ackermann & Wulff Nachflg. drucken, obwohl die Gestapo und die Hamburger Wirtschaftsbehörde dagegen opponierten. Auf entsprechende Vorhaltungen erklärte die Handelskammer, sie müsse »in ihren wirtschaftlichen Entscheidungen frei sein».[4]

Auch in anderen Fragen machte die Handelskammer deutlich, dass sie sich an der Verdrängung jüdischer Firmen zunächst nicht aktiv beteiligten wollte. So lehnte sie es beispielsweise ab, der Firma »Rewe« ein Verzeichnis jüdischer Importfirmen zuzustellen, weil sie sich nicht in antijüdische Boykottkampagnen verwickeln lassen wollte.[5] Im Mai 1936 erließ sie diesbezüglich eine interne Anordnung.[6] Sie begrenzte die Erteilung von Auskünften über die »Ariereigenschaft eines Firmeninhabers« auf Behörden und öffentlich-rechtliche Körperschaften. Auskünfte an Firmen oder Privatpersonen waren demnach »grundsätzlich« zu verweigern. Zudem sollte bei Auskünften jeder Hinweis auf die »Rassezugehörigkeit« unterbleiben und lediglich zwischen »Reichsbürgern« und »vorläufigen Nichtreichsbürgern« unterschieden werden. Von dieser grundsätzlichen Position wich die Handelskammer erst 1937/38 ab, als die Auskunftserteilung über jüdische Betriebe durch reichsweite Erlasse neu geregelt wurde. Noch im Januar 1938 beklagte jedoch der Sicherheitsdienst (SD) der SS den vermeintlichen »Übelstand«, dass die Hamburger Handelskammer Auskünfte über jüdische Geschäfte »bis vor kurzem« verweigert habe.[7] Die Handelskammer begründete ihr restriktives Verhalten mit einer Anordnung des Reichswirtschaftsministerium, die »Sonderaktionen« gegen jüdische Betriebe verbiete.

Manches spricht jedoch dafür, dass sich hinter dieser Haltung eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der nationalsozialistischen Rassenpolitik verbarg. Diese stieß nämlich nicht nur in weiten Kreisen der Arbeiter, sondern auch in den wirtschaftlichen Führungsschichten der Stadt auf Ablehnung. So prangerte das nationalsozialistische »Hamburger Tageblatt« besonders in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft den Mangel an »Rassebewußtsein« des Hamburger Bürgertums an und mobilisierte die kleinbürgerlichen Ressentiments ihrer Leser gegen das »Gesindel aus Harvestehude und Uhlenhorst«. [8] (…)

Im März 1935 nahm der Regierende Bürgermeister Krogmann öffentlich zu kritischen Stimmen aus der Kaufmannschaft gegenüber der nationalsozialistischen Rassenpolitik Stellung. Als Forum wählte er ein besonderes gesellschaftliches Ereignis der Hansestadt, nämlich das traditionelle »Liebesmahl« der im Ostasiatischen Verein zusammen geschlossenen Kaufleute. Vor diesem Kreis wandte sich Krogmann gegen diejenigen, die glaubten, »den Begriff einer Rasse und besonders den der Arier überhaupt leugnen zu können«.[9] Das deutsche Volk könne nur dann »groß und stark werden«, wenn es sich zu einem »starken Rassebewußtsein« durchringe. Von »ausschlaggebender Bedeutung« sei dabei die »jüdische Frage«. Um aufkommende Besorgnisse zu beschwichtigen, hob Krogmann hervor, dass der Nationalsozialismus in dieser Frage betont moderat verfahren werde, »und zwar auf eine sehr viel humanere Art, wie es sonst in der Weltgeschichte üblich gewesen ist«.

Obwohl eine solche Bemerkung bereits den damaligen Realitäten Hohn sprach, beglückwünschte der Generalkonsul der Südafrikanischen Union den Bürgermeister ausdrücklich zu seinen Ausführungen über die »Rassenfrage«, die er als »überaus glücklich« empfand.[10] Er versicherte Krogmann schriftlich, dass es richtig gewesen sei, in dieser Frage den »Zweiflern« unter den Kaufleuten offen entgegenzutreten: »In der Tat geht diesen alten Knaben manches schwer in die Köpfe.«[11]

Die Bemerkung des Generalkonsuls über die »alten Knaben« deutete an, dass vor allem die älteren Kaufleute der nationalsozialistischen Rassen- und Judenpolitik skeptisch gegenüberstanden. Verwurzelt in der bürgerlichen Standeswelt des Kaiserreiches mit ihrer Hochschätzung des privatwirtschaftlichen Individualismus, betrachteten sie Maßnahmen gegen jüdische Betriebe als unzulässigen Eingriff des Staates ins Wirtschaftsleben und lehnten zudem die dabei praktizierten Methoden ab – wie zum Beispiel organisierte Boykotte. So verurteilte der Hamburger Bankier Cornelius von Berenberg-Goßler, obwohl NSDAP-Mitglied, den Boykott vom 1. April als »unerhört« und »mittelalterlich« und vertraute seinem Tagebuch an, dass er sich angesichts der antijüdischen Aktionen gegenüber seinen ausländischen und jüdischen Geschäftsfreunden geschämt habe.[12]

Zustimmung und Ablehnung der Judenpolitik gingen jedoch häufig quer durch die Hamburger Bürgerfamilien und folgten in der Regel einem generationenspezifischen Muster. Dr. Eduard Rosenbaum, Syndikus der Handelskammer und Jude, hatte als intimer Kenner der Hamburger Kaufmannschaft bereits vor 1933 erkannt, dass in der Haltung zur nationalsozialistischen Ideologie deutliche Auffassungsunterschiede zwischen der älteren und der jüngeren Kaufmannsgeneration bestanden. Als er nach den Reichstagswahlen im Juli 1932 von älteren Kaufleuten gefragt wurde, was sie gegen die Ausbreitung der NSDAP unternehmen könnten, antworteten er ihnen: »Sehen Sie sich einmal an, was Ihre Söhne lesen.«[13] Nach Rosenbaums Beobachtung waren die Gedankengänge der jüngeren Kaufmannsgeneration stark von der intellektuellen Rechten der Weimarer Republik beeinflusst. Sie dachte nicht mehr »ständisch«, sondern »völkisch«.

Dieser Generation entstammte auch der neue Handelskammerpräses Hermann Victor Hübbe:121}}, der als Angehöriger des Jahrganges 1901 zur »Kriegsjugendgeneration«[14] gehörte, die die bürgerliche Standeswelt vor allem unter dem Signum der Krise und des Zerfalls erlebt hatte. Daher öffnete sich diese Generation Ideen, die aus der Sicht ihrer Väter wie Ketzerei anmuteten: Von der »nationalen Planwirtschaft«,[15] wie sie die Zeitschrift »Die Tat« propagierte, bis hin zum völkischen Antisemitismus. Ganz im Sinne dieses völkischen Antisemitismus echauffierte sich {{Bio: Hübbe:121}} über die »Machenschaften der Juden im Auslande gegen Deutschland«, die er der »Hetzarbeit eines »jüdischen Zentralkomitees« zuschrieb, um gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium zu fordern: »Diesen Kreisen kann das Handwerk nur dann gelegt werden, wenn eine allgemeine Aufklärung national und selbstbewußt empfindender Volkskreise im Auslande gegen die zersetzenden Einflüsse des Judentums im allgemeinen und gegen den damit teilweise identischen Kommunismus energisch Front macht.«[16] Im Sommer 1933 hielt es {{Bio: Hübbe für angebracht, Eduard Rosenbaum mit der Bemerkung in den vorzeitigen Ruhestand zu verabschieden, es müsse hart sein, »einer so wurzellosen Rasse anzugehören«.[17]

Sein Vater Anton Hübbe hingegen hatte aus seiner Skepsis gegenüber den Nationalsozialisten keinen Hehl gemacht und noch 1931 den Druck einer Publikation unter dem Titel »Haltet das Tor offen«[18] finanziert, die von Mitgliedern der SPD, der Deutschen Staatspartei und der DVP verfasst worden war und sich explizit gegen die Hamburger Nationalsozialisten und deren Wirtschaftspolitik richtete. Nach 1933 hielt er zunächst noch Kontakt zu jüdischen Bekannten wie dem Bankier Max Warburg, den er allerdings abrupt abbrach, als ihn die Nationalsozialisten dabei fotografierten und öffentlich anprangerten.[19]

Ähnlich Auffassungsunterschiede zwischen den Generationen zeichneten sich in der Hamburger Kaufmannsfamilie Witthoefft ab. Der Überseekaufmann und Inhaber der Firma Arnold Otto Meyer, Franz Heinrich Witthoefft, hatte als Angehöriger des Jahrganges 1863 bereits in der Weimarer Republik als DVP-Abgeordneter der Nationalversammlung und Senator in Hamburg eine bedeutende politische Rolle gespielt.[20] Obwohl er gegen Ende der Weimarer Republik zu den Nationalsozialisten umschwenkte, als Mitglied des »Keppler-Kreises« zu den prominentesten Befürworter einer Kanzlerschaft Hitlers in der Hamburger Wirtschaft gehörte und 1933 in die NSDAP eintrat, lehnte er die antijüdische Politik nach 1933 ab. So setzte er sich für die Förderung jüdischer Wissenschaftler durch die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung ein und trat empört aus dem Rotary-Club aus, als dieser seinen Mitgliedern einen »Ariernachweis« abverlangte.[21] Seinem ehemaligen DVP-Parteifreund Max Warburg, mit dem er auch nach 1933 in Verbindung blieb, bekannte er Anfang 1934, »daß so manches anders gekommen« sei, »als wir alle gewünscht hatten«. [22] Witthoeffts Sohn Peter Ernst hingegen war ein überzeugter Antisemit und rechtfertigte die nationalsozialistischen Maßnahmen gegen die Juden, »da sie etwas zu weit in ihren Unverschämtheiten gegangen« seien.[23] Die Berichterstattung des Auslandes über das nationalsozialistische Deutschland bezeichnete er dementsprechend als »Schreierei der internationalen Juden«.[24]

Es wäre verfehlt, solche Auffassungsunterschiede zu einem »Generationskonflikt« hochzustilisieren. Wie das Beispiel Franz Heinrich Witthoeffts zeigt, schlossen sich die Unterstützung der NSDAP und die Ablehnung des Antisemitismus keineswegs aus. Auch in der älteren Generation fanden sich überzeugte Antisemiten wie etwa der Kaufmann Ricardo Sloman, der mit obskuren Traktaten die nationalsozialistische Rassenhygiene popularisieren wollte.[25]

Zudem engagierte sich fast niemand aus der älteren Kaufmannsgeneration zugunsten der verfolgten Juden. Die Skepsis gegenüber dem nationalsozialistischen Rassenantisemitismus, der den ständischen Wertmaßstäben des traditionellen Handelsbürgertums und dem Primat der individuellen »Tüchtigkeit« widersprach, führte keineswegs zu aktiver Solidarität mit den verfolgten Juden. Zu den weinigen Ausnahmen gehörte der bereits erwähnte Cornelius Freiherr von Berenberg-Goßler (Jahrgang 1876), der sich für seine zahlreichen »jüdischen« Freunde ohne Rücksichtnahme auf die eigene Person einsetzte. So erreichte er in direkten Verhandlungen mit dem Adjutanten Himmlers, SS-Gruppenführer Wolff, dass sein Freund Fritz Warburg im April 1939 aus der Gestapohaft entlassen wurde.[26]

Ein solches uneigennütziges Engagement bildete jedoch die Ausnahme. Für das Verhalten der meisten Kaufleute galt das selbstkritische Fazit des Bankiers Alwin Münchmeyer: »Wir taten nichts und dachten wenig dabei.«[27] Ganz in diesem Sinne hielt sich bis 1937/38 auch die Handelskammer aus der Judenpolitik möglichst heraus.[28] Sie beteiligte sich nicht an der »Ausschaltung« jüdischer Firmen, setzte ihr aber auch keinen Widerstand entgegen. Öffentliche Bedenken wurden nur dann geäußert, wenn die »Ausschaltung« jüdischer Betriebe und ihre »Arisierung« die eigene Stellung bedrohte oder als potentielle Bedrohung aufgefasst wurde.

Im Januar 1939 trat Gauleiter Kaufmann in einer Rede vor der Handelskammer solchen Bedenken mit den Worten entgegen: »Die Arisierung hat doch den einen oder anderen Hamburger Arier etwas aus der Fassung gebracht. Es sind Gerüchte an mich herangetragen worden, daß ältere Herren ernsthaft das Problem erwogen haben, in welchem Jahre des Heils nun ihnen diese Art von Arisierung widerfahren würde. Das kann man nur denken, aussprechen und erwarten, wenn man das Rasseproblem nicht kennt oder seiner eigenen Rasse nicht ganz sicher ist. Darum sind solche Feststellungen so kindlich – entschuldigen Sie diesen Ausdruck – daß man sich ernsthaft Sorgen machen muß. Ich möchte Sie bitten, wo Ihnen solche Befürchtungen entgegentreten, mit herzerfrischender Deutlichkeit und, wenn es die Wirkung erhöhen sollte, unter Berufung auf mich, diesen Herren solche Hirngespinste auszutreiben, denn wer fleißig ist, der bleibt, wirtschaftlich gesehen, der er bisher war.«[29]

Bedenken gegen die »Arisierung« äußerten die »älteren Herren« vor allem aus ordnungspolitischen Gründen: Mit der faktischen Enteignung einer ökonomischen Lebensleistung nahm der NS-Staat einen tiefen Eingriff in das Privateigentum vor, der bürgerlichem Sekuritätsdenken widersprach. Mancher deutete daher die »Arisierung« als Vorboten eines kommenden »braunen Bolschewismus«.

 

Die Organe der gewerblichen Wirtschaft und ihre Beteiligung bei der »Arisierung« und Liquidierung jüdischer Unternehmen
Die veränderte Einstellung gegenüber der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Juden zeichnete sich im Verhalten der Hamburger Handelskammer Anfang 1938 deutlich ab. So teilte etwa der Präses Joachim de la Camp, der seit 1937 der Handelskammer vorstand, dem NSDAP-Gauwirtschaftsberater im Januar 1938 mit, dass er mit dem Vorsitzenden des Gesamtbörsenvorstandes ein Verfahren vereinbart habe, um auch ohne gesetzliche Regelungen gegen unliebsame »nichtarische« Firmeninhaber vorzugehen – beispielsweise gegen solche, die sich nach Ansicht des Präses unzulässigerweise mit einem »arischen« Firmennamen tarnten. In diesem Falle sollte die Börsenzulassung des Firmeninhabers widerrufen werden: »Auf diese Weise wird es möglich sein, ohne besondere Schwierigkeiten im Rahmen der gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten Missständen zu Leibe zu gehen, gegen die besonders gesetzliche Handhaben nicht gegeben sind.« [30] Symptomatisch für den Einstellungswandel der Handelskammer war auch eine Stellungnahme des Vorsitzenden der Abteilung für Warenhandel, Hans E.B. Kruse, und des Syndikus Dr. Leuckfeld zu dem Antrag einer jüdischen Firma, einen Zollschuppen zur Errichtung eines Veredelungsbetriebes zu mieten. Von der Hamburger Wirtschaftsverwaltung zur Stellungnahme aufgefordert, lehnte die Handelskammer den Antrag ab, »da es sich bei dem Antragsteller um einen Nichtarier handelt und außerdem die hier einzurichtende Firma unter nichtarischer Leitung stehen soll«. [31] Die Neuerrichtung eines Betriebes mit neuen Arbeitsplätzen durch Verweis auf die »nichtarische« Herkunft des Antragstellers abzulehnen, sprach nicht mehr für eine gleichgültige Haltung zur antijüdischen Wirtschaftspolitik, sondern deutete auf deren innere Akzeptanz.

In den Kaufverhandlungen im Rahmen der »Arisierungen« ergriff die Hamburger Handelskammer jetzt offen Partei für die »arischen« Erwerber und unterstützte sie in ihren Bemühungen, sich nachträglich aus eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem jüdischen Eigentümer zu stehlen. So machte der Syndikus Dr. Haage den Leiter des Berliner Büros der Hamburger Handelskammer, Dr. Eller, in einem Schreiben auf »bedenkliche Lücken« in der Verordnung vom 26. April 1938 aufmerksam. [32] Sie erfasste beispielsweise keine langfristigen Abfindungsvereinbarungen für jüdische Mitarbeiter, die keiner Genehmigungspflicht unterworfen seien, so dass Juden immer noch Pensionen in einer Höhe erhielten, die »ganz unglaublich« [33] (Dr. Eller) und daher nicht »den Umständen nach als angemessen zu bezeichnen« [34] (Dr. Haage) seien.

Auch rechtsgültige Verträge zwischen jüdischen und nichtjüdischen Betrieben sollten nach Auffassung der Hamburger Handelskammer fristlos gekündigt werden können. Sie wies auf die Münchner Spaten-Brauerei hin, die einer jüdischen Firma in Hamburg vertraglich für zehn Jahre das Alleinvertriebsrecht für den afrikanischen Markt eingeräumt hatte und den Vertrag fristlos kündigen wollte. [35]

Schließlich bemühte sich die Handelskammer auch um diejenigen Erwerber jüdischen Eigentums, die ihren Kaufvertrag vor dem 26. April 1938 geschlossen hatten. Ihre Verträge sollten nachträglich den gleichen restriktiven Bestimmungen unterworfen werden wie die Verträge nach der April-Verordnung, insbesondere dann, wenn in Kaufverträgen noch Zahlungen für den »Goodwill« vereinbart worden waren. Syndikus Dr. Haage begründete diese gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium erhobene Forderung mit dem perfiden Argument der Chancengleichheit für die jüdischen Eigentümer: »Wenn ein Jude nach dem 26.4.1938 seinen Betrieb veräußert hat, bekommt er für den good will nichts. Es ist nicht einzusehen, warum ein Jude, der vor diesem Termin einen Vertrag gemacht hat, heute noch Ansprüche auf die Vergütung für einen etwaigen good will stellen darf.« [36]

Von einer Zurückhaltung in der Judenpolitik, wie sie die Handelskammer in den ersten Jahren der NS-Herrschaft praktiziert hatte, war in solchen Äußerungen nichts mehr übrig geblieben. Einzelne Mitarbeiter der Handelskammer exponierten sich jetzt im antisemitischen Sinne und setzten jüdische Firmen unter Druck. So wurde etwa der Inhaber der Schlesischen Furnierwerke AG, Jaques Heimann, von der Hamburger Handelskammer 1938 zur »Arisierung« seines Betriebes aufgefordert und Heimanns Prokuristin von einem Mitarbeiter der Handelskammer als »Judenknecht« diffamiert. [37]

Auch die mittelständischen Wirtschaftsverbände, die mit ihren Initiativen bereits 1933 der nationalsozialistischen Judenpolitik weit vorausgeeilt waren, konnten sich jetzt institutionell in den Prozess der »Entjudung« einschalten. So entstanden etwa die Fachgruppen des Einzelhandels Vertreter in den Hamburger »Ausschuß für Arisierungen und Liquidierungen jüdischer Betriebe«, der über die Auflösung oder die »Arisierung« jüdischer Einzelhandelsgeschäfte entschied. [38] Unter dem Ausschussvorsitz der Verwaltung für Handel, Schifffahrt und Gewerbe und des NSDAP-Gauwirtschaftsberaters konnte hier die gewerbliche Wirtschaft die Liquidierung jüdischer Einzelhandelsgeschäfte forcieren und damit unerwünschte Konkurrenz beseitigen. Es verwundert daher nicht, dass von den 300 jüdischen Einzelhandelsgeschäften, die im November 1938 noch in Hamburg bestanden, lediglich ein Drittel »arisiert«, zwei Drittel hingegen liquidiert wurden. [39] Die Beschlüsse des Ausschusses waren geheim, und seine Entscheidungen fielen zumeist auf der Basis mündlicher Informationen, die nicht schriftlich protokolliert wurden. Dieses klandestine Verfahren schützte die Beteiligten vor Beschwerden und vertuschte Korruption und Nepotismus, die den Prozess der »Arisierungen« immer stärker prägten. Zur Rechtfertigung dieses Verfahrens teilte die Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe der Einspruchsstelle der Hamburger Gemeindeverwaltung mit, dass bei den Entscheidungen oft Gründe mitgespielt hätten, »die in der Person des Antragstellers lagen, die aber in den meisten Fällen protokollarisch nicht festgehalten worden sind und die, da es sich oft um streng vertrauliche Auskünfte von Stellen der Partei, der Verwaltung oder der Wirtschaftsverbände handelte, auch nicht ohne weiteres in Schriftsätzen niedergelegt werden können.« [40]

Auch bei der Erstellung des Verzeichnisses jüdischer Gewerbebetriebe, die nach der dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.Juni 1938 vorgeschrieben war, [41] wirkte die gewerbliche Wirtschaft mit: Die Fachverbände gaben die Namen und Anschriften ihrer jüdischen Berufsgenossen preis, und einzelne Unternehmer betätigten sich sogar als Gutachter, wenn es darum ging, den »jüdischen Einfluß« innerhalb eines Unternehmens festzustellen. Symptomatisch für die dabei angewandten Wertmaßstäbe war das Gutachten eines Kaufmannes, der ein Unternehmen als unter jüdischem Einfluss stehend charakterisierte, weil dessen »Verkaufsmetoden (sic!) schon oftmals von der Fachschaft gerügt worden« seien, ein anderes hingegen als nichtjüdisch einstufte, weil der Inhaber »als ruhiger, anständiger Kolege (sic!) bekannt« sei.[42]

Vor allem die Leiter der Fachabteilungen und Wirtschaftsgruppen drängten auf die »Ausschaltung« jüdischer Unternehmen. So sah etwa der Leiter der Hamburger Bezirksuntergruppe Spedition innerhalb der Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei, Dr. Gröseling, im August 1938 den Zeitpunkt gekommen, um »das deutsche Speditionsgewerbe von den immer noch bestehenden jüdischen Firmen zu reinigen«.[43] Er forderte deshalb den Hamburger Gauwirtschaftsberater auf, »zwangsweise diese Bereinigung unseres Gewerbes hier am Hamburger Platz vorzunehmen«, plädierte darüber hinaus für eine gesetzliche Schließung der jüdischen Betriebe und regte an, den jüdischen Unternehmen die Devisenbescheinigungen zu entziehen. Andere Fachgruppenleiter zwangen ihre Mitglieder zum Abbruch aller Geschäftsbeziehungen zu jüdischen Unternehmen. Welche Brachialmethoden dabei bisweilen angewandt wurden, zeigt das Beispiel der Viehagenten und Großschlachter des Hamburger Schlachtviehgroßmarktes, die sich im Juli 1938 zum Boykott jüdischer Metzgereien verpflichten mussten. [44] Als sich zwei Großschlachter nicht an diese »Vereinbarung« hielten, sahen sie sich im Oktober 1938 am schwarzen Brett des Schlachtviehgroßmarktes Hamburg namentlich angeprangert. In diesem Aushang vom 12. Oktober 1938 wurden sie als »Juden-Lieferanten« bezeichnet und aufgefordert, an ihrem Stand künftig ein Schild mit der Aufschrift »Hier wird Fleisch an Juden abgegeben« zu befestigen. [45] Diese öffentliche Diskriminierung verfehlte nicht ihre beabsichtigte Wirkung. Fünf Tage später konnte der Marktbeauftragte für den Hamburger Schlachtviehgroßmarkt befriedigt feststellen, dass »dank der Disziplin und der nationalsozialistischen Einstellung« der Viehagenten und Großschlachter alle jüdischen Metzger ihre Einkäufe auf dem Hamburger Schlachthof eingestellt hätten. [46] Deshalb verbot er ihnen fortan das Betreten des Schlachthofgeländes. Durch den organisierten Zwangsboykott ruiniert, mussten die jüdischen Metzgereien daraufhin ihren Betrieb einstellen.

Text: PD. Dr. Frank Bajohr aus seinem Buch: Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945. 2. Aufl. Hamburg 1998, S. 74-82 und S. 229-233.….