Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Lothar Danner

(22.4.1891 Schöneberg – 2.2.1960 Hamburg)
Chef der Ordnungspolizei, Sozialdemokrat, Senator
Jungfrauenthal 22 (Privatadresse, 1938)
Fuhlsbüttler Straße 756, bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Prominentenliste, Grab, K 6 , 506
Dannerallee, Horn (benannt 1964)


Der Historiker und ehemaliger Polizeipräsident von Hamburg Wolfgang Kopitzsch charakterisiert Lothar Danner wie folgt: „Danner war bereits als Chef der Ordnungspolizei, deren Leitung er mit 32 Jahren übernahm, ein schwieriger Vorgesetzter, der vor allem aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten große Anforderungen an sich und andere stellte. Seine Herkunft aus dem Offizierkorps des Kaiserreichs führte – trotz seiner Zugehörigkeit zur SPD – wiederholt dazu, dass er Offizieren gegenüber insbesondere bei rechtsradikalen und nationalsozialistischen Sympathien zu nachgiebig war. (…) Besonderes politisches Engagement zeigte er (…) nicht. Dennoch galt Danner in Hamburg vielen als überzeugter Sozialdemokrat, Republikaner und Garant der Demokratie. Nicht erst sein Verhalten 1942 muss daran aber Zweifel aufkommen lassen.“ (Wolfgang Kopitzsch: Lothar Danner, in: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Personenlexikon. Bd. 2. Hamburg 2003, S. 97.)

Über Lothar Danner schreibt der Historiker David Templin:
Lothar Danner wurde 1891 in Schöneberg, dem heutigen Berlin-Schöneberg, geboren und besuchte in Köln das Katholische Gymnasium.[1] Seit 1909 diente er beim Thüringischen Ulanenregiment, zunächst als Fahnenjunker, dann als Leutnant und Oberleutnant. 1915 wurde er zum Reserve-Infanterieregiment 74 versetzt, zwei Jahre später zum Rittmeister befördert. Während des Ersten Weltkrieges wurde er mehrmals schwer verwundet und zwei Mal mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Im Dezember 1918 wurde er Generalstabsoffizier und war Teil des Freikorps „Division Gerstenberg“ und des „Landesschützenkorps“. Mit der Division Gerstenberg nahm er an Kämpfen gegen linke Aufständische in Berlin und Bremen teil.[2]
Im März 1919 wurde er als Generalstabsoffizier zur Kommandantur in Altona versetzt, bei Straßenkämpfen am Rathaus wurde er in den folgenden Monaten am Kopf verletzt. Vom August 1919 bis Juni 1920 wirkte er als Major und Kommandeur der Schutzmannschaft der Hamburger Polizei, im März 1920 erfolgte die Ernennung zum Chef des Stabs der Sicherheitswehren. Seit Juli 1920 war Danner bei der Ordnungspolizei beschäftigt, wo er am 1. September 1921 zum Polizeioberstleutnant und am 1. Juli 1924 zum Polizeioberst und Chef der Ordnungspolizei befördert wurde. Bereits im Oktober 1923 war er mit deren Leitung beauftragt worden und war in diesem Kontext auch an der Niederschlagung des kommunistischen „Hamburger Aufstandes“ maßgeblich beteiligt.[3] Eine „soldatische Grundeinstellung“ prägte Danners Polizeiarbeit, wie Erwin Boldt hervorgehoben hat.[4]
Seit 1919 war Lothar Danner Mitglied der SPD. Im Landesschützenkorps wurde er als „gemäßigter Mehrheitssozialist“ beurteilt.[5] 1922 bis 1924 war er Mitglied einer Freimaurerloge.[6] In den 1920er Jahren veröffentlichte er Artikel im sozialdemokratischen Hamburger Echo.[7] 1928 hielt er bei einer Versammlung des Altonaer Reichsbanners eine Ansprache, in der er die „Vertiefung des republikanischen Geistes“ anmahnte.[8] In der Endphase der Republik musste sich Danner mit der NS-Bewegung auseinandersetzen, die unter Polizeibeamten Zellen bildete. Der Historiker Wolfgang Kopitzsch kritisiert ihn dafür, „Offizieren gegenüber insbesondere bei rechtsradikalen und nationalsozialistischen Sympathien zu nachgiebig“ gewesen zu sein.[9] Die NSDAP beantragte im Februar 1932 einen Untersuchungsausschuss und warf Danner Korruption vor. Im Januar 1933 war er Ziel von Angriffen in der Bürgerschaft und der Presse.[10] Als sozialdemokratischer Chef der Ordnungspolizei stand er im Fokus der Nationalsozialisten, die in ihm einen Vertreter der Weimarer Ordnung erblickten.
Einen Tag nach dem Rücktritt der sozialdemokratischen Senatoren Hamburgs bat Lothar Danner am 4. März 1933 um eine mehrwöchige Beurlaubung und eine anschließende Prüfung, ob er aufgrund seiner zunehmenden Schwerhörigkeit dem Dienst noch gewachsen sei.[11] In seinen 1958 veröffentlichten Erinnerungen zitiert er einen „Tagesbefehl“ an seine Mitarbeiter, in dem er erklärt, dass „die politischen Verhältnisse meinen Verbleib im Amte nicht mehr“ ermöglichten.[12] In den Hamburger Nachrichten war am Morgen des 5. März zu lesen, dass Danner „mit sofortiger Wirkung beurlaubt“ und ersetzt worden sei, da der Senat der NSDAP entgegenzukommen trachtete, um ein Eingreifen des Reiches zu verhindern. Der nationalsozialistische Reichsinnenminister hatte zuvor eine Ablösung Danners und die Übergabe der Polizeigewalt an Alfred Richter gefordert.[13] Am 15. März folgte ein Gutachten, das Danner für „nicht mehr polizeidienstfähig“ erklärte. Der neue Polizeisenator Richter versetzte ihn zum 30. Juni 1933 in den Ruhestand.[14] Danner forderte im April eine günstigere Ruhestandsregelung ein. Der neue Senat wies diese Beschwerde zurück und betonte, dass der „eigentliche Grund“ seiner Pensionierung darin bestünde, dass er durch „seine politische Betätigung“ in Form der Bekämpfung der NS-Bewegung innerhalb und außerhalb der Ordnungspolizei „politisch heute völlig untragbar wäre“.[15] Mit dem Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde die Pensionierung zurückgenommen und Danner im Juni 1933 als Sozialdemokrat mit Verweis auf § 4 des Gesetzes entlassen.[16]
In den folgenden zwei Jahren arbeitete Lothar Danner zunächst als Makler, von 1936 bis 1938 war er dann Leiter der Buchhaltungsabteilung der Fischereigesellschaft „Nordsee“. 1939 wurde er Büroleiter der Firma Wulff, Fürst & Co, 1941 kurzzeitig Geschäftsführer der „Aromengesellschaft“.[17]
1934 oder 1935 wurde Danner Mitglied der Deutschen Arbeitsfront und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt.[18] Als 1935 ehemalige Offiziere in den Beurlaubtenstand erhoben wurden, wurde dies Danner verweigert. Er bemühte sich in der Folge sowohl beim Militär als auch bei der Polizei um seine Rehabilitation. Dabei sprach er von der „Schande dieses Ausschlusses“, erklärte, „stets mit ganzer Seele Soldat gewesen“ zu sein und sich für die „Wiederaufrichtung unserer Wehrmacht“ einsetzen zu wollen. Entsprechende Schreiben schloss er mit der Grußformel „Heil Hitler“.[19] Er erreichte 1937, dass sich der Polizeipräsident an Reichsstatthalter Kaufmann wandte, der Danners Bitte jedoch abschlägig beschied.[20]
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kam es zu einem Umdenken an der Spitze des Hamburger NS-Regimes. Kaufmann wandelte die Entlassung Danners im September 1939 mit Verweis auf die „positive politische Haltung, die Oberst Danner seit 1933 bis heute gezeigt“ habe, in eine Versetzung in den Ruhestand um. Zugleich erklärte er, es zu begrüßen, wenn „die militärischen Fähigkeiten“ Danners „im heutigen Kriege für das Vaterland nutzbar gemacht würden“.[21] Danners Bemühungen um einen Einsatz für Wehrmacht oder Schutzpolizei scheiterten jedoch am Reichsführer der SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, der einer „Wiederverwendung“ im April 1940 seine Zustimmung versagte.[22] Himmler unterband also die Versuche der Hamburger NS-Führung um Kaufmann, im Krieg auf Danners militärische Fähigkeiten zurückzugreifen. Laut Wolfgang Kopitzsch bewarb sich Danner dann 1942 erfolglos um die Aufnahme in die Waffen-SS.[23] Diese Angabe konnte ich nicht verifizieren.
Vom Oktober 1941 bis Oktober 1942 war Danner bei der Firma Arnold Otto Meyer beschäftigt, für die er nach Kolomea/Kolomyja in das besetzte Generalgouvernement Polen reiste, wo er als „chief manager“ und Prokurist arbeitete.[24] Die Firma zählte zu rund 40 sogenannten Kreisgroßhandelsfirmen, die nach fortschreitender Enteignung und Ghettoisierung jüdischer Händler im Generalgouvernement die Handelsbranche übernahmen und dabei eine wichtige Rolle in der Ausbeutung der polnischen Bevölkerung einnahmen.[25] Seit März 1942 bestand in Kolomea ein jüdisches Ghetto, in dem über 18.000 Menschen leben mussten, von denen rund 16.000 in das Vernichtungslager Belzec deportiert wurden.[26] In seinem Entnazifizierungsfragebogen schrieb Danner zum Grund, warum er die Stelle aufgab: „I did not want to see the extermination of the Jews in Galizien“.[27] Mit 21.000 RM Jahreseinkommen hatte er 1942 so viel verdient, wie in keinem anderen Jahr.[28] Unmut darüber gab es auf Seiten der SS: So beklagte sich ein SS-Führer, dass mit Danner ein angeblicher Vertreter der Novemberrevolution „belohnt [werde], indem er aus den neugewonnenen Ostgebieten ein riesiges Einkommen zieht“.[29] Als Prokurist bei Arnold Otto Meyer wirkte Danner insofern mit am System der ökonomischen Ausbeutung der polnischen Bevölkerung, auch wenn seine genaue Rolle – insbesondere in Hinblick auf die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung, von der die Firma profitierte – im Unklaren bleibt.
Im September 1942 trat Danner an die Hamburger Staatsverwaltung mit der Bitte heran, ihn „in einem kriegswichtigen Aufgabengebiet“ zu beschäftigen.[30] Nach einem Gespräch mit Konstanty Gutschow wurde er im Oktober beim Amt für kriegswichtigen Einsatz (AkE) als Leiter des Transportwesens eingestellt, formal war er Privatangestellter Gutschows. In dieser Funktion war er u.a. für die Koordination von Transportaufgaben für den Luftschutz- und Ersatzwohnungsbau sowie die Beseitigung von Kriegsschäden verantwortlich.[31] Im Frühjahr 1943 bemühte er sich um eine Anerkennung seiner Tätigkeit als Position im öffentlichen Dienst, die ihm allerdings verweigert wurde. Danner bat daraufhin – offenbar aufgrund von Konflikten mit anderen AkE-Mitarbeitern – im November 1943 um seine Entlassung, die ihm zum Jahresende gewährt wurde.[32] Gutschow dankte ihm für seine „verdienstvolle Arbeit“.[33]
Nach seinem Abschied aus dem Dienst Gutschows arbeitete Danner 1944/45 als Leiter der Buchhaltung für den Güternahverkehr Hamburg.[34] Laut Angabe des Hamburger Echo von 1960 meldete er sich bei der Ankunft der britischen Truppen vor Hamburg bei diesen und wurde zu den Verhandlungen über die Übergabe der Stadt herangezogen.[35] Die Militärregierung sah im November 1945 keinen Grund, gegen Danner vorzugehen, und hatte auch 1946 keine Einwände dagegen, dass ihm weiter eine Pension gezahlt wurde.[36] Der sozialdemokratische Vorsitzende des Entnazifizierungs-Zentralausschusses, Adam Remmele, betonte im September 1946, Danner sei „als Anti-Nazi bekannt“.[37] 1948 wurde er als „tragbar“ in die Kategorie V eingestuft.[38]
Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Danner von der britischen Militärregierung im Juli 1945 zum Leiter des Amtes für Verkehr ernannt.[39] In dieser Funktion kooperierte er eng mit den britischen Stellen und sorgte u.a. dafür, NS-belasteten Betrieben Kraftfahrzeuge zu entziehen und politisch Geschädigten zur Verfügung zu stellen. Dabei beurteilte er Personen, die 1932 NSDAP-Mitglied geworden waren, als „unmöglich“ und „mitschuldig, dass die Leute überhaupt zur Macht gekommen sind“, während er gegen „ein harmloses Parteimitglied“ als Transport-Subunternehmer keine Bedenken hatte.[40]
Im Sommer 1947 beantragte der Senator für Wirtschaft und Verkehr Otto Borgner (SPD) Danners Ernennung zum Präsidenten des Verkehrsamtes.[41] Trotz senatsinterner Bedenken, dass dieser aufgrund seiner Schwerhörigkeit „kaum in der Lage“ sei, die Leitung des Amtes „ordnungsmäßig wahrzunehmen“, wurde Danner zum Präsidenten ernannt – um ihm „persönlich eine Genugtuung zu verschaffen“ für seine 1933 erfolgte Entlassung, wie es im Senat hieß.[42] Im November 1950 wurde Danner von der Bürgerschaft zum Polizeisenator gewählt. Dieses Amt übte er bis zur Ablösung des SPD-Senats Ende 1953 aus und baute dabei u.a. die Bereitschaftspolizei auf. Er sprach sich in dieser Zeit öffentlich für die militärische Wiederbewaffnung Westdeutschlands, aber auch die Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung, aus.[43] Anschließend war er bis zu seinem Tod für die SPD Mitglied der Bürgerschaft. In den 1950er Jahren war er außerdem Erster Vorsitzender im Bund für alkoholfreien Verkehr.[44] 1954 bat Danner darum, ihm eine Stelle im Staatsarchiv zu gewähren, um eine Geschichte der Polizei in der Weimarer Republik und unter dem Nationalsozialismus schreiben zu können.[45] Diese erschien vier Jahre später als Buch unter dem Titel „Ordnungspolizei Hamburg. Betrachtungen zu ihrer Geschichte 1918 bis 1933“. Kopitzsch attestiert der Arbeit streckenweise „apologetische Züge“.[46]
1953 stellte Danner mit Verweis auf seine 1933 erfolgte Entlassung einen Antrag auf Wiedergutmachung aufgrund von Vermögensschäden.[47] Sein Antrag wurde dabei „bevorzugt behandelt“,[48] und im Dezember 1954 wurde eine Auszahlung von 7.500 DM an Danner vereinbart.[49] Anfang Februar 1960 starb Lothar Danner an einem Herzschlag. In der lokalen Presse wurde er als „Vorbild des Bürgers in Uniform“ und „Mann, der sein ganzes Streben dem Aufbau einer republikanischen staatstreuen Polizei gewidmet hatte“, gewürdigt.[50] 1964 benannte der Senat eine durch Horn und Billstedt führende Straße nach ihm.[51]
Text: David Templin