Hans Rösch
(30.3.1888 Hamburg - 21.6.1953)
Lehrer am Wilhelm Gymnasium
Wohnadresse: Waldstraße 7 (1941)
„Als Nationalsozialist, SA-Mann, Fachschaftsleiter und Lehrer habe ich zu handeln, wie es der Führer vorschreibt.“
Hans Rösch gehörte zu den Personen, die als kompromisslose Verfechter der Ideen Adolf Hitlers in Schule und im Hamburger Bildungswesen auftraten. Rösch hatte kein Verständnis dafür, dass der neue Senat 1933 zwar nationalsozialistisch geführt war, aber als „Kompromiss-Senat" gebildet wurde. Rösch zeigte sich enttäuscht, dass kein alter Nationalsozialist als Schulsenator eingesetzt wurde und dass die Philologen aus „Standesdünkel" sich nicht dem NSLB anschlossen. Er geißelte, dass Schulleiterlisten nach einem „Kuhhandel" mit Deutschnationalen und Vertretern des Philologenvereins besetzt wurden und nicht durchweg mit „echten Nationalsozialisten". (1) Am 30.1.1934 hielt Rösch im Wilhelm-Gymnasium zum Jahrestag der Machtübertragung an Adolf Hitler die Festrede und provozierte das Kollegium und die Führung in Schule und Schulverwaltung. Der Vorgang führte zu einer erheblichen Auseinandersetzung, die mit Hans Röschs Versetzung, Suspendierung und Entlassung aus dem Schuldienst endete und in der Rösch einige bemerkenswerte Einblicke in die Abläufe im Hamburger Senat und der Schulverwaltung direkt nach der Machtübertragung gab.
Hans Rösch wurde am 30.3.1888 als Sohn eines Volksschullehrers in Hamburg geboren. Rösch besuchte schon als Schüler das Wilhelm-Gymnasium in Hamburg, studierte nach dem 1906 abgelegten Abitur klassische Philologie in Marburg, München und Kiel, legte die Staatsprüfung im November 1911 ab, vorher promovierte er und erwarb die Lehrbefähigung im Turnen und Schwimmen. (2)
Seinen Vorbereitungsdienst absolvierte er 1912 bis 1913 in Posen, unterbrach ihn dann für den Dienst im ersten Seebataillon in Kiel. Nach Ende des zweiten Teils des Vorbereitungsdienstes „rückte ich am ersten Mobilmachungstage mit dem 1. Marine-Infanterie-Regiment aus und am Ende des Jahres 1918 wurde ich vom Arbeiter-und Soldatenrat entlassen." (3)
Rösch war zum Unteroffizier und Vizefeldwebel befördert worden, bekam das EK II und war durch einen Beckenquerschläger verwundet worden und schwer erkrankt.
Rösch präsentierte sich als vielseitig interessierte Persönlichkeit. So lernte er, der Latein- und Griechischlehrer, während seiner Genesungszeit Holzbildhauerei und Möbeltischlerei, „Dinge, die ich bereits vorher als Liebhaberei betrieben hatte". Er gehörte einer Wandervogel-Gruppe an. „Engstes Zusammenleben mit der Jugend in Arbeit und Sport und auf Klassenwanderungen und ausgedehnten Ruderfahrten hatten mir die Wertung des Schülers als Gesamtpersönlichkeit zur Selbstverständlichkeit gemacht. Meine aus persönlicher Erfahrung gewonnene Kenntnis von Mühsal und Wert Deutscher Handarbeit hat mir von vornherein das rechte Verhältnis zum Arbeiter der Hand gegeben. Um auch meinen Schülern diese Erkenntnis zu vermitteln, habe ich lange Zeit Tischler-und Buchbinderunterricht gegeben. Aus dieser gemeinsamen Arbeit von Schülern und Lehrern im Dienste der Gemeinschaft entstand die Schulbühne des Wilhelm-Gymnasiums." (4)
1919 wurde Hans Rösch erst kurz wissenschaftlicher Hilfslehrer an der Hansa-Schule in Bergedorf, dann ab dem 1.4.1919 Oberlehrer am Wilhelm-Gymnasium. (5) Dass Hans Rösch mit seinem unkonventionellen Verhalten Irritationen hervorrufen konnte, zeigte sich im Jahre 1920. Rösch hatte eine Postkarte mit seiner Krankmeldung an den Direktor des Wilhelm-Gymnasiums geschickt, auf der ohne irgendeine konventionelle Anrede oder Formel stand: „Grippeanfall. Dauer unbestimmt. Rösch".
Darauf erhielt Hans Rösch ein Schreiben des Beirates des Wilhelm-Gymnasiums: „Sehr geehrter Herr Kollege, die unterzeichneten Mitglieder des Beirates bringen über die Form, in der sie Herrn Dr. Dir. Gerstenberg von ihrer Erkrankung in Kenntnis gesetzt haben, ihre Entrüstung zum Ausdruck. Besonders bedauerlich erscheint es den Unterzeichneten, daß sie das jede Höflichkeit entbehrende Schreiben als offene Karte sandten, weil dadurch dritte Personen in die Lage versetzt wurden, sich ein falsches Bild über die Formen des Umganges, die in unseren Kreisen herrschen, zu machen. Mit kollegialen Grüßen" (6)
Hans Rösch war verheiratet und hatte mit seiner Frau Henriette vier Kinder (geboren 1916, 1917, 1919, 1924).
Rösch, der 1933 den Eindruck erweckte, schon lange „Mitglied der Bewegung" zu sein, „alter Kämpfer", wie die NSDAP-Mitglieder genannt wurden, die schon vor 1933 der Partei angehörten, war aber tatsächlich erst, wie viele andere auch, am 1.5.1933 in die NSDAP, die SA und den NSLB eingetreten. (7) Rösch schrieb: „Als im Frühjahr 1933 die nationalsozialistische Bewegung auch in der Schuljugend gesichert erschien, habe ich geglaubt, meine Arbeit bei der Schulung und Beeinflussung der Erwachsenen einsetzen zu müssen. Ich trat daher am 1. März in die OG meiner Gemeinde ein, desgleichen in den NSLB und die SA, zu denen ich bereits vorher Beziehungen hatte, hatte ich mich doch schon seit 1931 an allen Veranstaltungen der SA beteiligt." (8) Dieses Schreiben und das Datum des Parteieintritts von Hans Rösch sollte später noch eine große Bedeutung bekommen.
Als Kontrapunkt zu späteren Ausführungen, die Hans Rösch als unversöhnlichen Heißsporn zeigten, der politische Kompromisse geißelte und offen provokativ auftrat, sei darauf hingewiesen, dass ein ehemaliger Schüler von Rösch, der erklärte, keinerlei Sympathien für den Nationalsozialismus entwickelt zu haben, den Lehrer Hans Rösch sehr positiv schilderte. Günther Scheefe, späterer Landgerichtsdirektor, besuchte das Wilhelm-Gymnasium von 1925 bis zum Abitur 1927. Scheefe schrieb über Rösch: „In Wahrheit war dieser Mann, unbeschadet seines schlimmen politischen Irrtums und gewiss auch anderer Schwächen, eine herausragende idealistische Persönlichkeit und ein Lehrer von hohen Graden. Ihm verdanke ich den Einstieg in die Antike und damit den wesentlichen Grund meiner geistigen Entwicklung." (9)
Aus bescheidenen sozialen Verhältnissen kommend, hatte Scheefe 1923,15-jährig, die Seminarschule Wallstraße 22 verlassen und eine Lehre bei der Deutschen Bank begonnen, deren eintönige Arbeit ihn nicht glücklich machte. So starteten seine Eltern den Versuch, für ihren Sohn eine Schule zu finden, bei der er die Reifeprüfung absolvieren könnte. Ostern 1924 sprachen sie im Wilhelm-Gymnasium mit dem Schulleiter, Professor Boerner, der sich die Noten aufmerksam ansah und den Fall in der Lehrerkonferenz besprechen wollte, da zumindest für Latein und Griechisch nachdrückliche Unterstützung durch einen Lehrer auf privater Basis notwendig war. Ein einziger Lehrer sei dazu damals bereit gewesen, Hans Rösch. Scheefe schildert Rösch mit seinen ganzen persönlichen Eigenheiten so, dass die von ihm 1934 gehaltene Rede und sein beharrlicher weiterer Kampf noch etwas besser einzuordnen sind: „Dr. Rösch hatte damals gerade sein 36. Jahr vollendet. In seiner hoch aufgeschossenen Gestalt hielt er sich ein wenig gebückt. Er sprach sehr ruhig und überlegt, wobei seine kräftigen Hände die Worte gewissermaßen nachformten. Der Blick seiner grau-grünen Augen hatte etwas Nachsinnendes und hellte sich oft auf, bevor Dr. Rösch lächelnd die vollen Lippen von den starken weißen Zähnen zog. Während der Unterhaltung, auch während des Unterrichts, begann er oft, plötzlich seine Waden zu massieren, wie er überhaupt überraschend gewisse Allüren zeigen konnte, die seltsam und befremdend, ja manchmal verletzend wirkten. Damit berühre ich schon hier einen Zug seines Wesens, der sein Verständnis bei vielen Menschen erschwert, wenn nicht gar ausgeschlossen hat. Er selbst schien solchen Vorfall gar nicht zu bemerken, so absolut war er in sein Eigenwesen eingehüllt. So begrüßte er einmal meine Mutter, die sich zufällig in meiner Begleitung befand, mit den Worten: ‚Sie habe ich ja gar nicht eingeladen‘, was ganz unstreitig und gar nicht beabsichtigt war. Es bedurfte schon einer näheren Vertrautheit mit seiner vielfältigen, oft recht eigenbrötlerischen Natur, um seine Äußerungen richtig zu verstehen. Jahre später, als er auf meinen Besuch nicht vorbereitet war, schloss er, als er meiner ansichtig wurde, wortlos vor mir die Haustür und ließ sich nicht mehr sehen. Damals kannte ich ihn gut genug, um zu wissen, daß dies im Klartext hieß: ‚Bitte, entschuldigen Sie mich, ich darf im Augenblick unter keinen Umständen gestört würden.‘ Wenn es ihm um Wichtiges ging, waren ihm Umgangsformen, die er sonst durchaus liebenswürdig zu handhaben wusste, vollkommen gleichgültig." (10)
Scheefe hatte es der uneigennützigen Bereitschaft Röschs zu verdanken, die Reifeprüfung gut geschafft zu haben. Er hat später mitbekommen, dass Rösch „sich 1933 völlig erwartungswidrig und kaum verständlich jener Schreckenspartei zugewandt hat. Noch vor meiner Einschulung hatte er mir deutlich erklärt, daß er von ihr und ihrem Führer nichts halte." (11) Das war 1925 gewesen. Und weiter schrieb Scheefe: „Entscheidend bleibt die Persönlichkeit. Dr. Rösch hat sich politisch geirrt. Er ist in der Wahrnehmung seiner Überzeugung übers Ziel geschossen. Es ging ihm um die Sache. Für sich hat er nie Vorteile erstrebt, schon gar nicht mit verwerflichen Mitteln. Als Persönlichkeit war er integer. Er war ein reiner Tor." (12)
In diesem Zusammenhang erscheint es erhellend, dass Günther Scheefe Rösch in deutlich positiven Gegensatz zu einem anderen Lehrer erlebt hat, der im Zusammenhang mit Rösch und der Hamburger Schulgeschichte noch von Bedeutung sein sollte. Es war der spätere Klassenlehrer von Ralph Giordano am Johanneum, Dr. Werner Fuß, den Giordano in seinem Roman „Die Bertinis“ als „Speckrolle“ beschrieben hat. Über ihn schrieb Scheefe: „Dr. Fuß, von seinen Kollegen leicht spöttisch ‚der schöne Werner‘ genannt, erschien mir mit seinem breiten Schmiß, seiner näselnden Stimme und seiner überheblich herablassenen Attitüde recht eigentlich als das extreme Gegenteil von Dr. Rösch. Wenig älter als dieser, gab er einen ausgesprochenen Paukunterricht, ‚erledigte‘ in einer Unterrichtsstunde 250 Homer-Verse und mehr, indem er je 50 auf mehrere Schüler verteilte, die sie dann entweder teilweise übersetzten oder auch nur inhaltlich wiedergeben mussten und war in allem auf solche äußeren ‚Erfolge‘ es. Nirgends gab es Vertiefung, Besinnung, Auskosten von Schönheiten. Mich übersah er von Anfang an mit verletzender Gleichgültigkeit. Richtige oder gar gute Leistungen bemerkte er ‚versehentlich‘ nicht. Es war überdeutlich, daß er mich nicht gelten lassen wollte. Wahrscheinlich empfand er mein Abenteuer, das es im schönsten Sinne ja war, als Unverschämtheit eines sozial Unzugehörigen. Die Klasse, nicht nur der schwächere Teil, duckte sich vor ihm, unfroh, mißmutig. Ich habe nie ein Lob über ihn vernommen." (13) Dieser Werner Fuß wurde zum großen Verdruss von Hans Rösch im Sommer 1933 stellvertretender Schulleiter des Wilhelm- Gymnasiums.
Hans Rösch ist also offenbar ein unorthodoxer, den Schülern zugewandter und sehr engagierter Lehrer gewesen. Dass Rösch sich immer stärker politisierte, hat er selbst in seinem Lebenslauf geschildert. Seit 1933 gehörte er als Oberlehrer dem NSLB an und übernahm dort das Amt des Leiters der Fachschaft für höhere Schulen. „Bei der SA versah ich so lange wir zur Standarte 76 gehörten, die Stelle des Sturmbannsportwarts. Nach der Eingliederung in die Standarte 265 besuchte ich die SA-Schule in Heide, wo ich mit der Erteilung der bestmöglichen Auszeichnung die Anwartschaft auf das goldene AS-Sportabzeichen erwarb. Nach Abtrennung der SA-Reserve I habe ich die Weltanschauungsschulung in meinem Sturm durchzuführen und bin für die Schulung des Stahlhelms in meinem Sturmbann ausersehen." (14)
Das Jahr 1933 war im Hamburger Schulwesen ein Jahr des Umsteuerns auf allen Ebenen. Es war lange darum gerungen worden, wie die leitenden Positionen besetzt wurden. Wer würde Senator? Wer Landesschulrat? Wie wurden die leitenden Funktionen im NSLB besetzt? Da gab es natürlich persönliche Ambitionen und Frustrationen bei Nichtberücksichtigung. Hans Rösch, der im NSLB die Vertretung für die Lehrer der höheren Schulen übernommen hatte, nachdem der NSLB die bisherigen Lehrerorganisationen gleichgeschaltet hatte, war nicht einverstanden damit, dass der Philologenverein nicht gleich im NSLB aufging. Insbesondere der ehemalige Vorsitzende des Philologenvereins, Prof. Theodor Mühe, der auch noch in die Schulverwaltung berufen wurde, war ihm ein Dorn im Auge, von ihm als „reaktionär" bezeichnet. Aber auch der deutschnationale Schulsenator Karl Witt und das ehemalige DVP-Mitglied Wilhelm Oberdörffer, der sofort in die NSDAP übertrat, waren in Röschs Augen keine wirklichen Nationalsozialisten. Dabei war Rösch selbst früher DVP-Mitglied gewesen, wie er in seinem Lebenslauf einräumte. Vertrauter in der Schulverwaltung war für Rösch der schon 1931 in die NSDAP eingetretene ehemalige Oberlehrer der Oberrealschule an der Bogenstraße, OSR Walter Behne, der mit Hans Rösch eng kommunizierte, was Rösch im Laufe des Verfahrens 1934 immer offener preisgab. Auf Röschs Seite auch Prof. Gustaf Deuchler, Erziehungswissenschaftler und 1933 ambitioniert für eine führende Stellung im Hamburger Schulwesen, vorzugsweise als Schulsenator.
Rösch dachte radikal und prinzipiell und wollte nur Nationalsozialisten in führenden Stellungen, keine „Opportunisten“ und „Karrieristen“, für die er ehemalige Deutschnationale hielt. Deswegen nutzte er die Gelegenheit, als Bernhard Lundius, der neue Schulleiter des Wilhelm-Gymnasiums, ihm das Angebot machte, am 30.1.1934 die Festrede zum Jahrestag der Machtübertragung an die Nationalsozialisten zu halten. Da diese Rede nie veröffentlicht wurde und sich nur ein schwer lesbarer Durchschlag des Manuskriptes in Hans Röschs Personalakte befindet, möchte ich sie in weiten Zügen wiedergeben. Schulleiter Bernhard Lundius schilderte den Rahmen der Feierstunde:
„Am 30. Januar 1934 fand – nachdem die Landesunterrichtsbehörde angeordnet hatte, den Tag würdig zu feiern – auf Anordnung des Schulleiters in der Aula des W. G. in der 6. Stunde eine Gedenkfeier statt, die folgendes Programm hatte:
In die mit zahlreichen Hakenkreuz- und einigen schwarz-weiß-roten Fahnen festlich geschmückten Aula zogen nach einem vom Schulorchester gespielten Marsch die im Lichthof aufgestellten Schüler des J.V., der HJ und der SA bzw. SS feierlich ein und nahmen auf den ersten Bänken bzw. vor den Bänken Platz. Die gesamte Lehrerschaft war zugegen. Nach dem Einmarsch sang die ganze Schulgemeinde drei Strophen des Liedes ‚Der Gott, der Eisen wachsen ließ‘. Darauf trugen zwei Unterprimaner vaterländische Sprüche bzw. Auszüge aus Adolf Hitlers Reden vor. Dann folgte die Festrede des Herrn Dr. Rösch.“ (15)
Hans Rösch hielt folgende Rede:
Meine Herrn Amtsgenossen! Kameraden von der S.S., S.A., H.J. u. vom Jungvolk, liebe deutsche Jungs!
Und rufst du alle Mann für Mann, die Knechtschaft hat ein Ende! So der Dichter, und eben drangen, wie vor einem Jahr, Hitlers Worte in Ohr und Herz: „ Wir appellieren nunmehr an das deutsche Volk! -Denn wir wollen nicht kämpfen für uns, sondern für Deutschland!“ Beide zeitlich weit getrennt und doch wie eine Urkraft des deutschen Volkstums!
Kurz und einfach sind die Worte des Führers, wie alles, was er sagt. Eine Auslegung ist überflüssig, ja kann die Wirkung nur zerstören.
Willensstark und bekenntnishaft sind Worte und Schriften dieses Mannes! Seit dem Tage, da diese Worte gesprochen wurden, ist ein Jahr vergangen. – Und gewiß sind unser aller Herzen erneut diesem Manne zugeflogen, als wir heute Morgen schon in aller Frühe die Stadt bis in die kleinsten Gassen im Flaggenschmucke sahen – Wir brauchen in dieser Stunde keinen historischen Rückblick, lassen wir das denen die 100 Jahre nach uns sind. Wir haben vielmehr das unbeschreiblich köstliche Geschick, selber Teil des Geschehens zu sein. Wir leben in dieser Gegenwart nicht, um uns zu erbauen, sondern wir leben in ihr für die Zukunft. Wenn wir überhaupt zurückschauen, so nur um der Rechenschaft willen, und weil das, was im Jahre 33 unsere Wachsamkeit aufrief, auch im 2. Jahre des dritten Reiches noch fortzudauern den Versuch machen wird. Ich tue den Rückblick, weil ich aufgefordert bin, die Dinge um den 30. Januar so zu schildern, wie ich sie selbst mit Leib und Seele erlebt habe. Und dieser Rückblick soll sein, niemand zu Leid, niemand zur Freud, aber der Wahrheit zur Ehre!
Hitler appellierte an das Volk. Was ward aus diesem Apell? Diejenigen, die in seiner Gefolgschaft stehen, wissen genau, daß er bei diesem Wort sich keiner falschen Hoffnung hingab. Er wußte ja recht gut, und auch wir wissen es, wie es noch kurze Stunden zuvor in diesem Volke aussah. So ist sein Wort als der Ausdruck einer unbeirrbaren Zuversicht zu fassen, irgendwann einmal werde hinter der zum Siege durchbrechenden Bewegung das ganze deutsche Volk stehen. Diese Zuversicht stammte aus einem ganz unerschütterlichen Glauben an die guten Wurzeln der Kraft im deutschen Volke. Freilich solcher Glaube war nicht Angelegenheit des Liberalismus der vergangenen Epoche. Wer im Liberalismus glaubte, der „meinte“ nur und drehte ein Ding nach allen Seiten, ob es nicht vielleicht zwei oder mehr richtige Seiten habe und darunter auch eine persönlich nützliche. So meinte auch damals ein großer Teil des deutschen Volkes-und meint noch heute! Nur bei der N.S.D.A.P. war Glaube in jeder Stunde, und unser Führer hatte den Glauben an diese Schicksalsstunde. Liberalistisches Glauben kann keinen harten Proben standhalten, solche Proben zeigen, wer hinter Hitler steht oder nicht. Wir älteren wissen es noch ganz genau wie heute, wie man überall im Reich, also auch im Lehrerzimmer die Köpfe zusammensteckte und den wenigen unentwegten Anhängern Adolf Hitlers teils mit Schadenfreude, teils mit Mitleid, teils mit gütig warnendem Finger mitteilte, das Adolf Hitler offenbar nicht der kommende Mann sei, da er ja den Vizekanzlerposten abgelehnt habe. Das war eine solche Stunde der Prüfung. Die Worte klingen uns wenigen von damals noch in den Ohren und sie sind ja auch euch teilweise bekannt, dadurch daß sie in den Klassen gefallen sind. „Euer armer Hitler wird es nun doch wohl nicht machen“, „Hitler ist nicht der Mann, ich hab es ja immer gesagt, da müssen ganz andere Leute kommen, die ihm zeigen, wie’s gemacht wird.“ Etwa so Zentrum oder Staatspartei. Und die Kleinmütigen bestanden die Probe nicht, sie stießen zu den andern, die Wahlen zeigten es. (…) Alle Terrorakte von links sind nur möglich gewesen wegen dieser Haltung der „bürgerlichen, der parlamentarischen Mitte“. Die Nachwirkung dieser Haltung ist es auch, die während der Zeit des sog. Durchbruchs den wirklichen letzten Gegnern die vermeintliche Unterlage für ihr unglückseliges Treiben schuf. Das Reaktionäre hat sich mit dem Eigensinn eines Kindes auch durch das erste Jahr des dritten Reichs hinübergerettet. Die Reden von Röhm und Goebbels, die Reden von Heß und Schirach zeigen es, sie ist da die Reaktion, aber wir werden uns ihrer auch zu erwehren wissen. Diese Abwehrarbeit hat begonnen. Folgendermaßen etwa sieht es heute in meiner Generation aus: Ein Teil kann den Arm noch nicht oder schon wieder nicht mehr, ein Teil nur widerwillig erheben zum deutschen Gruß, und ein dritter tut es mit Eifer, weil es nützlich ist. Man könnte nun sagen: Warum erzählen wir uns nichts von dem herrlichen Errungenen? Gewiß! Es erfüllt uns mit Stolz. Auf den verschiedensten Gebieten ist Großes erreicht. Froh künden es die Hakenkreuzfahnen in Stadt und Land. Unsere Zeitungen erzählen es in langen Spalten. Aber wir wollen nicht klüger sein als die eben erwähnten Führer. Denn es ist doch so: In einer Zeit des Uebergangs, da das Reich noch im Kommen ist, müssen solche Erscheinungen als Symptome gewertet werden. Wir wissen es selber, einst kommt eine Zeit, wo auch über sie das „Belanglos“ gesprochen werden kann. Demgegenüber haben wir nun in Deutschland die verhältnismäßig kleine Schar derer, die aus voller Ueberzeugung, und weil sie gar nicht anders konnten, aus Herzensdrang um des dritten Reiches willen und um der völkischen Gemeinschaft willen zu Hitler getreten sind. Unter ihnen frühere Gegner!
Sie sind nicht die Schlechtesten, wenn sie nur aus einem revolutionären Lager kommen. Unter meinen S.A.Kameraden befinden sich ehemalige Kommunisten. Denn es kommt darauf an, ob jemand revolutionär war. Wenn er dann ins falsche Lager geriet, war es der Geist der Führer, denen er schicksalsmäßig in die Hände fiel. Die Rechten unter den Neuen sind auch daran zu erkennen, daß sie still und wie selbstverständlich an den linken Flügel gehen, um sich zunächst in die neue Gedankenwelt einzuarbeiten. Zumeist sind sie auch, wenn sie nicht im Stahlhelm waren, soweit es ihre Gesundheit gestattete, sofort in die S.A. eingetreten, oder haben sich sonst zu jeglicher Arbeit an unterster Stelle zur Verfügung gestellt. Hingegen wird man als unrecht erkannt, wenn man noch nach dem Umbruch, etwa gar noch im Jahr 34 um den Eintritt in den Stahlhelm nachsucht. Denn den alten Stahlhelm in Ehren, - sehen wir ruhig darüber hinweg, daß er zu seinem guten Teile das Kommen des dritten Reichs durch seine Tempelhofer Demonstration verlangsamte-, seit dem 5.März mußte es jedem klar sein, wohin der Anhänger Adolf Hitlers gehört. Stahlhelmgeist ist zwar ein guter Geist, aber er ist nur die Hälfte vom S.A. - Geist. Soweit die älteren, auf die das Reich nur sehr teilweise gegründet werden kann. Und jetzt zu euch, liebe Schüler! Auch ihr müßt heute die Dinge sehen, wie sie sind, ohne Beschönigung. Euer Verhältnis zur Bewegung ist ein ganz anderes, ja glücklicheres. Ihr seid für den Führer das kommende Geschlecht, an dem einstmals meine Hoffnung erfüllt werden soll: „Das ganze Volk wird hinter dem Dritten Reiche stehen,“ Ihr seid noch nicht in das Hin und Her, das Für und Wider parlamentarischen Wesens verstrickt gewesen. Eure jungen Herzen sind den herrlichen Gedanken unseres Führers rückhaltlos geöffnet. Und wie eure Herzen ihm entgegenschlagen, so seines euch. Wie sagte doch euer Führer Baldur von Schirach so schön „Euch zwang Hitlers Liebe vielmehr als sein Befehl in seine harte Gefolgschaft.“ – Harte Gefolgschaft!?----Ihr erinnert euch, wie ich vor zehn Monaten hier das erste nationalsozialistische Wort vor der Schulgemeinde sprechen konnte, da sagte ich euch: Es ist unendlich schön, und erfüllt mit Stolz, daß der Führer gerade euch verlangt. Aber es ist auch hart. Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß man von euch verlangt, ihr sollt die Kinderschuhe früher ausziehen als die Generationen vor Euch. Und früher als sonst soll in euer Spiel der Ernst der Verantwortung treten. Wir hofften damals, daß es nun leichter werden würde als es bisher gewesen war. Teilweise gegen die Eltern. Sicher aber gegen die Schulte hattet ihr längst den Weg zur Bewegung gefunden. Gelegentlich besuchten wir wenigen unter den Lehrern euch auf den Veranstaltungen des N.S.S.B. Dann gründeten wir aus dem Bedürfnis nach manneswürdiger Betätigung heraus unsere Segelfliegergruppe. Das konnte man uns schlecht verwehren. Zusammen mit unsern Freunden von der Flieger- S.A. zogen wir denn hinaus. Die deutschnationale Reaktion versäumte es nicht, uns Schwierigkeiten zu machen. Wir konnten uns auch gegen sie und die Behörde durchsetzen. Mitten in unser fröhliches Fliegerdasein fiel dann die Kunde vom Blutsonntag in Altona. Das gab uns so recht die nötige Wut uns durchzubeißen. Wir denken noch an unsere Propagandazüge, unsere Wahlarbeit, wie auch den von uns allein bestrittenen deutschen Abend. Nach unserer Heimkehr steigerte sich je nach der politischen Lage Duldung und Nichtduldung unseres Braunhemdes und unserer Abzeichen. Unter diesen Widerständen erstarkte die Hitlerjugend, und das ist das einzige Verdienst um die H.J., das die Schule mit ihrem Widerstreben gewann, wenn auch ungewollt. Und die Hitlerjugend marschierte, sie marschierte noch mancher Mal. Sie sah auch einen zweiten Bluttag in Altona. Wie das erste Mal waren auch jetzt meine Söhne dabei. Kein Wunder, das in uns allen eine heillose Wut wuchs, und wir den Tag der Abrechnung herbeisehnten. Weil es so sein mußte, aus innerstem Herzenszwang, nicht aus Ungehorsam zogt ihr am Tage nach der Märzwahl die Hakenkreuzfahne auf. Korrektes Bürgertum holte sie wieder zur Mitte herunter. Da nahmt ihr eine andere, heftetet sie an eine hölzerne Stange und ließet sie zum Klassenfenster hinauswehen. Und unvergeßlich ist es, wie nun auf dem Schulhof jubelnd aus euren Kehlen das Lied emporbrandete, unser Kampflied: „Die Straße frei!...“ Die ganze bisher nur schlecht verhehlte Wut der Hitlergegner brandete über uns wenige und euch! Umsonst! Am nächsten Morgen hißten wir, nicht wie es hätte sein sollen- unter der Beteiligung der ganzen Schule-, nein unter der Teilnahme der uns doch fremden jubelnden Bevölkerung, die dicht gedrängt an der Verbindungsbahn stand, unsere Flagge aufs neue. So hat damals die Schule alles getan, um den Anschluß an die Bewegung gründlich zu verpassen. Sie hätte auch dann noch Vieles wieder gutmachen können. Aber es war über ihr wie ein schweres Geschick: gerade sie, deren Aufgabe es doch gewesen wäre, sie hat deutsche Jugend in Braunhemd immer noch nicht begriffen. Sie wird euch auch nicht begreifen, bis der überwiegende Teil der Lehrer aus euren Reihen hervorgegangen sind. Das kann Jahre dauern. Obwohl wir wenigen nichts versäumen, die Behörde auf das immer noch nicht geregelte Verhältnis der Schule zur H.J. hinzuweisen, geschieht nichts, um das Wachstum der deutschen Reichsjugend, wie man die H.J. einmal nach Erfassung aller wird nennen können, geschieht nichts sage ich, um es zu fördern, dagegen alles, um es zu stören. Gerade in diesem Punkte habe ich in der Unterhaltung völlige Uebereinstimmung mit Herrn Oberschulrat Dr. Behne feststellen können. Und ich bedaure es außerordentlich, daß er aus dienstlichen Gründen dieser Erinnerungsstunde nicht hat beiwohnen können. Dabei sind von Anfang an praktische Vorschläge sowohl von Lehrern wie von dem Vertrauensmann der H.J. bei der Behörde gemacht worden. Auch über diese Vorschläge besteht volle Uebereinstimmung mit dem genannten Oberschulrat. Die Schule tut bis auf einzelne besondere Fälle das Gegenteil. Bei der Flaggenhissung, die ja eigentlich so recht Angelegenheit der H.J. und des J.V. wäre, tretet ihr immer noch nicht geschlossen an. Euerer müßte die Ausgestaltung dieser Feierstunde sein. Wir sehen nichts davon. Statt dessen beschäftigt sich die Behörde mit einer Kompetenzabgrenzung von H.J. und Schule. Dabei ist da gar nichts abzugrenzen, Schule und H.J. sollten vielmehr ein Herz und eine Seele sein. Und trotzdem sagen wir uns immer wieder, es kann doch unmöglich am guten Willen fehlen. Die ganze Schwierigkeit hängt wohl damit zusammen, daß Schule etwas ist, was aus der Zeit des Liberalismus her noch so etwas wie ein Privatdasein zu führen sich für berechtigt hält. Den Errungenschaften auf manchen anderen Gebieten steht also auf dem der Schule nur wenig gegenüber. Glaubt man wirklich, man könne in den Grundsätzen des Nationalsozialismus unterrichten, wenn man selbst gegen das Wachsen nationalsozialistischer Lebenshaltung anarbeitet? – Und wer kann dann von Nationalsozialismus reden, der N.S. Schüler von 29, oder der N.S. Lehrer von 1934? Die von unserm Führer so eindeutig angegebene Richtung einer Umwandlung der schulischen Erziehung wird einfach nicht beachtet. Ein krasses Beispiel dafür ist die körperliche Erziehung, über deren traurige Aussichten das Hamburger Tageblatt von gestern Abend Auskunft gibt. Wir haben jetzt miteinander, die ältere und die jüngere Generation, die Geschehnisse und ihre Begleiterscheinungen an unserm Auge vorüberziehen lassen. Das Ergebnis der Schau ist nicht besonders. Das darf uns und soll uns nicht entmutigen. Wir wissen, daß keine irdische Gewalt auch nur ein Tütelchen streichen kann von den Forderungen, die Adolf Hitler für euch und euer Wohl erhoben hat in seinem Buch „Mein Kampf“. Der Liebe und Aufmerksamkeit, die unser Führer eurer Erziehung zuwendet, muß bei euch trotz des wenig erfreulichen Rückblicks die höchste Disziplin entsprechen. Euer fester Glaube an die Durchführung nationalsozialistischer Erziehungsgedanken gibt euch die Kraft dazu. Baldur von Schirach hat auch gesagt, daß ihr mit Recht eure Schullehrer als eure Führer ablehnt. Sie sind nicht mit euch in der Bewegung herangewachsen und sie haben mit wenigen Ausnahmen beim Kommen des Reichs eine traurige Rolle gespielt. Das gibt euch aber nicht das Recht, ihre Unterweisung in den wissenschaftlichen Fächern abzulehnen. Ihr sollt vielmehr nie vergessen, daß sie auch in Zeiten, die nun durch die Hitlerbewegung zum Abschluß gekommen sind, kein höheres Ziel und keine andere Pflicht und keine größere Liebe gekannt haben, als nach ihrem besten Wissen euch zu brauchbaren Menschen zumachen. Nur über den brauchbaren Menschen und die Wege zu ihm ist Hitler oft anderer Meinung. Es wäre ein schlechter Dank an den Führer und an das Schicksal, da euch in die Bewegung hineingeboren werden ließ, wolltet ihr in Ueberheblichkeit euch zu Zuchtlosigkeiten hinreißen lassen. Gewiß, in der Schule gilt der Satz ganz besonders „Man kann nicht von einem Manne lernen, den man nicht leiden kann“. Das entschuldigt aber nie ein Verlassen der rechten Zucht. Ihr müßt dessen bewußt sein, daß in der Schule ein Notstand herrscht, bis die Lehrer herangewachsen sind, die auch eure Führer sein können, da sie durch die Schule eurer S.A. und H.J. gingen. Das aber liegt noch im weiten Felde. Dann aber wird es in den Schulen wahre Volksgemeinschaften geben. Und es wird sich vielleicht ein Nebeneinander von Schule und H.J. erübrigen, weil dann in ihr selbst alle Vorbedingungen der H.H. gegeben sind. Bis dahin bleibt ihr im Gehorsam. ----Trotz des wenig erfreulichen, was das Jahr 33 für das Schulwesen gebracht hat, lassen wir uns Freude und Stolz an dem nicht nehmen, was das deutsche Volk erreicht hat. Was sonst nicht Jahrhunderte an Wandel bringen, das hat dies Jahr vermocht. Mit unserm Führer gehen wir zuversichtlich in das zweite Jahr des dritten Reiches, möge es ein Vorwärts auf den eingeschlagenen Wege bringen! Möge es auch allen Gewalten zum Trotz das Wachsen des braunen Heeres der S.A. HJ.u.J.V. bringen. Es ist dies braune Heer nicht nur die große Schutzmauer des deutschen Blutes und damit der deutschen Zukunft, sondern auch die Schule der Brüderlichkeit, der Ueberwindung der Klassengegensätze, der Beseitigung der Standesvorurteile, der nationalen Opferbereitschaft und die Schule der nationalen Disziplin und des Gehorsams. Möge immerdar von euch liebe Jugend Hitlers Wort gelten „Unerhört ist der Jugend freiwilliger Opferdienst, der Leichtsinn der Jugend frührerer Generationen ist ihr fremd, das bürgerliche Wohlleben unbekannt! Die Schonung des eigenen Ichs unverständlich, Gewinn und Vorteil scheiden aus, ja, wenn nötig, erscheint selbst das eigne Leben als ein Nichts. Deutschland ist alles! An alle gesunden Jungen aber richtet heute der Führer das „Bis wann zaudert ihr noch? Wann faßt ihr entschlossen ein Herz euch?“ Schüler und Lehrer aus S.S., S.A.,H.J., u. Jungvolk versprechen sich aufs neue Garanten der nationalsozialistischen Revolution zu sein. Niemand soll uns Wasser in den Feuerwein gießen! Wir werden, auch wenn es für uns Unangenehmes bringt, es wäre ja nicht das erste Mal- den Finger auf Mulmiges und Wurmstichiges leben. Beide, Lehrer und Schüler des braunen Heeres und alle, die aus Herzenszwang zu Hitler treten, erneuen das Treugelöbnis…….Unserm Führer, unserm Volk, unserem Vaterland, dem nationalsozialistischen dritten Reich…Sieg Heil! "(16)
Es ist nachvollziehbar, dass diese Rede vor der gesamten Schüler- und Lehrerschaft zu heftigen Reaktionen im Kollegium und bei der Schulleitung führte. In der Konferenz des Kollegiums schon am nächsten Tag um 11:00 Uhr wurde durchaus kontrovers argumentiert. Während Prof. Franz Geppert erklärte, er „werde nie wieder an einer Feier teilnehmen, bei der Herr Dr. Rösch die Rede hielte. Kein Kollegium könnte sich gefallen lassen, vor der Schülerschaft in dieser Weise kritisiert zu werden. Gerade im nationalsozialistischen Staat sei der Zusammenhalt besonders nötig." (17) Werner Fuß (stellvertretender Schulleiter) „gibt seiner Empörung darüber Ausdruck, dass die Würde des gestrigen Tages in dieser Weise herabgesetzt worden sei." Auf die Frage von Schulleiter Lundius, wer die Rede Rösch billigen würde, gaben nur die Kollegen Klein, Ibel und Schaub keine ablehnenden Stellungnahmen ab. Schulleiter Bernhard Lundius ließ dann folgende Erklärung protokollieren:
„Herr Dr. Rösch! Ich hatte Sie gebeten, die Festrede zu halten, weil ich Ihnen Vertrauen entgegenbrachte, und Sie daher auch nicht besonders aufgefordert, sich während der Rede loyal zu verhalten. Ich habe Ihnen während meiner ganzen Amtszeit hier stets Wohlwollen und Vertrauen entgegengebracht. Dieses Vertrauen haben Sie gründlich getäuscht und missbraucht. Ich habe Ihnen folgendes zu sagen: Als Schulleiter, der vom nationalsozialistischen Staat mit der Führung des W. G. beauftragt worden ist, muss ich diese Entgleisung eines mir unterstellten Beamten auf schärfste tadeln. Ich kann es nicht ruhig ansehen, dass in meiner Gegenwart und der meiner gesamten Herren Kollegen vor der gesamten Schule meine Anordnungen kritisiert und als politisch verdächtig hingestellt werden. Ich kann es nicht dulden, dass meinen Mitarbeitern und mir coram publico die heute mehr denn je nötige Lehrerautorität verkleinert wird. Ich betrachte Herrn Dr. Röschs Verhalten als maßlose Disziplinlosigkeit und Aufhetzung der Schüler gegen die Schule und ihre Lehrer. Ich verlange daher, dass Herr Rösch zunächst jetzt sofort gegenüber den Herren Kollegen seine Worte zurücknimmt und bedauert und ferner von derselben Stelle, von der er seine Anklagen geschleudert hat, eine klare Entschuldigung und Zurücknahme seiner Vorwürfe ausspricht und dadurch die Autorität des Schulleiters wieder voll hergestellt." Vermerkt ist im Protokoll der Lehrerversammlung noch: „Herr Dr. Rösch versuchte, während der Rede zu widersprechen und den Raum zu verlassen, wurde aber durch die Empörung der Kollegen daran gehindert. Auf die Frage, ob er bereit sei, die obige Forderung zu erfüllen, verneinte er. Daraufhin erklärte der Schulleiter, er werde die Angelegenheit der Behörde übergeben und schloss die Versammlung." (18)
In einem Schreiben an die Landesunterrichtsbehörde präzisierte Lundius seinen Ärger, der „Schulleiter und seine Mitarbeiter" wurden „vor den Augen und Ohren der Schüler getadelt und in ihrer Würde herabgesetzt". (19)
Gezielt von Hans Rösch offenbar auch die nächste Provokation, die ihren Stachel hinterlassen hatte: „Außerdem wurde der Stahlhelm als minderwertig bezeichnet, dem der Schulleiter und sein Stellvertreter sowie mehrere Kollegen angehören; die mittlere, bürgerlichen Schicht wurde für alles Vergangene verantwortlich gemacht, der Kommunist dem Nationalsozialisten als Revolutionär zur Seite gestellt." (20)
Am 6.2.1934 meldete Lundius, die Schüler hätten für Hans Rösch Partei ergriffen und insbesondere der Schüler und SA-Mann Baberadt hänge Anschläge ans HJ-Brett. Die Disziplin sei untergraben. Lundius erwarte eine baldige Entscheidung der Behörde. (21)
Und auch die SA mischte sich ein. Der Standartenführer der SA-Standarte 265, Lüdemann, wandte sich an Senator Wilhelm von Allwörden:
„In der Anlage überreicht die Standarte 265 eine Meldung des SA-Scharführers Dr. Hans Rösch. Rösch ist seit 1931 im NS Lehrerbund (Beamtengruppe Bahrenfeld) gewesen und seit Anfang 1933 in der SA. Kinder des R. sind in der HJ bzw. SS. Die Standarte 265 bittet Sie Herr Senator, einmal den Hans Rösch, der als Nationalsozialist seit 1929 den Lokstedtern und Niendorfern bekannt ist, anhören zu wollen. R. ist ein Mann der im geraden Ton das rügt, was nach seiner Ansicht noch nicht durchgeführt ist. Auch unserem verstorbenen alten Ortsgruppenleiter Josepf Klandt war R. persönlich bekannt." (22)
Hans Rösch beteiligte sich heftig an der Auseinandersetzung durch regelmäßige Schreiben an die SA. So erklärte er, er habe „von dem deutschnationalen Chef meiner Anstalt" den Auftrag für die Rede erhalten. „Die Rede hat viele vor den Kopf gestoßen, was bei der Verfassung der Hamburger Lehrerschaft nicht weiter zu verwundern ist." (23)
Durch Schreiben von OSR Walter Behne vom 6.2.1934 wurde Hans Rösch mitgeteilt, dass er auf Anordnung des Präsidenten der Landesunterrichtsbehörde, Karl Witt, „bis auf weiteres vom Schuldienst beurlaubt werde". (24)
Karl Witt richtete kurz darauf ein sechsseitiges Schreiben an Senator von Allwörden und begründet detailliert, warum er die Rösch-Rede für untragbar hielt. „Ich ersehe aus den ganzen Äußerungen des Herrn Dr. Rösch eine starke Beleidigung der Behörde und besonders meiner Person, die er ja in einem Schreiben an die SA in einer vollkommen disziplinlosen Art weiter angreift. Bemerken möchte ich noch, daß mit dem Schreiben an die SA nicht nur ich, sondern der gesamte Senat und auch der Herr Reichsstatthalter, der meine Ernennung sowohl zum Senator als auch zum Präsidenten der Landesunterrichtsbehörde vorgenommen hat, auf das schärfste beleidigt sind." (25)
Der Justiziar der Behörde, Dr. Schultz, untersuchte die Festrede und kam zu dem Schluss: „Diese Kritik muss jedenfalls vor dem Forum der Schülerschaft aller Jahrgänge als eine für einen Pädagogen bedauerliche Entgleisung bezeichnet werden." (26)
Zu einem Dienstgespräch am 28.2.1934 mit Senator von Allwörden, Präsident Karl Witt und Landesschulrat Willi Schulz brachte Hans Rösch seinen Sturmbannführer Losch und einen weiteren SA-Mann mit. Justiziar Schultz protokollierte die lange politische Auseinandersetzung zwischen Senator und SA-Obersturmbannführer und die abschließende Erklärung von Hans Rösch, er werde auch in Zukunft dienstliche Meldungen über Schulfragen an die SA geben. (27)
„Die alsdann begonnene persönliche Vernehmung zur Sache konnte wegen vorgerückter Zeit und auch mit Rücksicht auf die persönliche Erregung des Beschuldigten nicht durchgeführt werden", resümierte Protokollführer Dr. Schultz. (28)
Hans Rösch wurde am 3.3.1934 und am 6.3.1934 vernommen. Er gab an, dass der Erziehungswissenschaftler und SA-Mann Professor Gustaf Deuchler, der selbst gerne Schulsenator geworden wäre, „die Rede durchweg billigte", als Gutachter hinzugezogen werden sollte. (29)
Nicht erleichtert dürfte Karl Witt gewesen sein, als er am 12.2.1934 die telefonische Mitteilung überliefert bekam, dass sich der stellvertretende NSDAP-Gauleiter Henningsen „über den Inhalt der Rede sehr gefreut und die Angelegenheit an den Herrn Reichsstatthalter weitergegeben" habe. (30)
Es war absehbar, dass ein verwaltungsmäßiges Verfahren mit einer Person wie Hans Rösch, der „überraschend gewisse Allüren zeigen konnte", „absolut in sein Eigenleben gehüllt sein" konnte, „oft recht eigenbrötlicher Natur" war und dem, „wenn es ihm um Wichtiges ging, Umgangsformen, die er sonst durchaus liebenswürdig zu handhaben wusste, vollkommen gleichgültig" waren, wie sein ehemaliger Schüler Günther Scheefe beschrieb (31), nicht erfolgreich für diesen Menschen enden würde.
Der mit ihm sympathisierende Kollege Kurt Klein, der das Manuskript der Rede vorab gelesen und keine Bedenken dagegen geäußert hatte, ergänzte einen Charakterzug von Hans Rösch in einer Vernehmung bei Justiziar Schultz: „Wenn er sich irgendein Ziel gesetzt hat, so kennt er keinerlei Hemmungen und Rücksichten, das ist allgemein bei ihm zu beobachten." (32)
Es soll nun im Weiteren nicht darum gehen, alle Einzelheiten bis zur Entlassung von Hans Rösch minutiös aufzuführen. Vielmehr soll illustriert werden, was sich 1933 und 1934 bei dem Umbruch des Hamburger Schulwesens abspielte. So schrieb Rösch, dass er mit Bruno Peyn und Walter Machleidt im Februar 1933 von Reichsstatthalter Karl Kaufmann den Auftrag erhalten habe, „im Einvernehmen mit den Oberschulräten Schulz und Behne einen Vorschlag für die Gestaltung der Behörde auszuarbeiten" und sie dabei die Erfahrung machten, „daß diese Aufgabe schlechterdings nicht zu lösen war“. Hinderlich dabei waren der nur noch kurz im Amt befindliche Landesschulrat Meyer und insbesondere der neue Oberschulrat Theodor Mühe, der „die Übelstände der Verschiedenheit der politischen Herkunft und des Alters in seiner Person vereinigte". (33)
Gegen Theodor Mühe und auch gegen den 1933 weiter im Amt belassenen Oberschulrat Wilhelm Oberdörffer hatte Rösch bei einer Kreisversammlung des NSLB im August 1933 schon einmal heftig polemisiert. Er war von Willi Schulz am 18.8.1933 nachdrücklich gebeten worden, durch eine „bedauernde Erklärung" dieses zu bereinigen, was er nicht hat. (34)
Gustaf Deuchler, der selbst einen Sohn am Wilhelm-Gymnasium hatte, bestätigt, dass er die Rede von Hans Rösch „vom pädagogischen Standpunkt aus gut und geschickt aufgebaut" fand. Er verwandte sich in einem Schreiben an Senator von Allwörden für Hans Rösch. (35)
Rösch wurde in der Dienststrafsache am 5.4.1934 mit einem Verweis bestraft, eine vergleichsweise milde Ahndung. (36)
Es war schon zu vermuten, dass Hans Rösch, der „keine Hemmungen und Rücksichten kennt, wenn er sich Ziele gesetzt hat“, dies nicht auf sich beruhen lassen würde. Zu den Protokollen seiner Vernehmungen fertigte er eine „Beweisakte" an, mit der er sich auf die dritte Vernehmung durch Justiziar Schultz vorbereitete. Darin beschrieb er, wie die Schulleiterliste für die höheren Schulen zum Sommer 1933 zu Stande gekommen war. Wenn es so war, konnte es dem Fachschaftsleiter für höhere Schulen im NSLB, der Rösch zu dem Zeitpunkt war, nicht gefallen haben. Rösch war in seiner Funktion in enger und ständiger Kommunikation mit den Verantwortlichen, insbesondere mit dem „alten" Nationalsozialisten Walter Behne. Insofern kam seinen Aufzeichnungen Brisanz zu und sie beleuchteten Abläufe, die der Öffentlichkeit sonst verborgen blieben. Rösch schrieb: „Die Führung der Behörde hat eine durch parlamentarischen Kuhhandel zu Stande gekommene Schulleiterliste genehmigt, trotzdem ihr von der Gauleitung des NSLB eine rein nationalsozialistische Schulleiterliste vorgelegt worden war. Die Einzelheiten des Kuhhandels berichtete Oberschulrat Behne. Nach dem Bericht Behnes setzten sich Landesschulrat Meyer, Oberschulrat Mühe (deutschnational) Oberschulrat Oberdörffer (Volkspartei) und Oberschulrat Behne an einen Tisch. Schlug nun Behne einen Nationalsozialisten vor, so überstimmten ihn sofort die drei anderen, wenn ihnen der Vorschlag aus irgendeinem Grunde nicht genehm war. So kamen vorwiegend Mitglieder des Philologenvereins, nicht aber des NSLB auf die Liste. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Äußerung des Schulleiters Kowallek, er hätte sich eigentlich sagen müssen, dass er Schulleiter würde, da er ja lange Jahre im Vorstand des Philologenvereins gewesen sei. Behne legt nun Witt die Kuhhandelsliste vor. Witt musste nun glauben, dass es sich um die nationalsozialistische Liste handele, fragte aber trotzdem noch einmal nach, ob die Liste so gut sei, und genehmigte dann die Liste, ohne die ihm vorliegende Liste des NSLB zum Vergleich heranzuziehen. Witt ist noch einmal fernmündlich in der Nacht vom 10. zum 11. Juli von der Gauleitung des NSLB auf die Unhaltbarkeit der Schulleiterliste aufmerksam gemacht worden. Es geschah nichts. Wahre Disziplin und der Glaube an die Führerautorität wird untergraben, wenn der Oberschulrat, der, von der nationalsozialistischen Bewegung getragen, in die Behörde berufen wird, sich gegenüber der Reaktion für ohnmächtig erklärt." (37)
Diese von Rösch erst einmal für die dritte Vernehmung vorbereitete Veröffentlichung des Hin und Hers unter Beteiligung aller relevanten Akteure des Hamburger Schulwesens entwickelte Brisanz, weil Rösch sein Papier in der Folgezeit weitergab, streute, der SA übermittelte und für eine unangenehme Öffentlichkeit sorgte. In seinem Papier waren für alle behaupteten einzelnen Punkte die Beteiligten namentlich als Zeugen angegeben.
Rösch war vorgeworfen worden, dass seine Rede zur Disziplinlosigkeit am Wilhelm-Gymnasium beigetragen habe, darum begann er jeden Beweispunkt: „Wahre Disziplin wird untergraben, wenn…".
Hans Röschs Antipode und Inkarnation des „Reaktionären" war Theodor Mühe, der als Philologenvereins-Vorsitzender bis 1932 für Rösch eine einheitliche Lehrerorganisation hintertrieb: „Wahre Disziplin wird untergraben und der Glaube an die Führerautorität der Behörde wird gefährdet, wenn statt Nationalsozialisten mit gleichwertiger Vorbildung Deutschnationale und Volksparteiler in die Behörde kommen oder dort verbleiben. Es muss dies als eine Vergewaltigung und Verhöhnung der Bewegung und ihrer Träger erscheinen, umso mehr, wenn man ‚Mein Kampf‘ Seite 657 liest: „Aus dem Grundstamm der alten Bewegung hat sie nicht nur alle wichtigen Positionen des eroberten Gebildes zu besetzen, sondern auch die gesamte Leitung zu bilden.‘
Wahre Disziplin und Führerautorität werden untergraben, soweit ein Nationalsozialist eine solche einem im Mai übergetretenen Deutschnationalen zusprechen kann, wenn er über die Fehler der Liste aufgeklärt, ihre unheilvollen reaktionären Folgen noch verstärkt durch Bestätigung des ihm als reaktionär bekannten Oberschulrates Mühe. Unbedingt reaktionär ist man, wenn man gegen nationalsozialistische Reichsleiter, wie den Kultusminister Schemm und die ihm unterstellte Reichsorganisation anarbeitet. Dies tat Mühe, als er in der am 29.4.1933 auf Anordnung des Senates stattfindenden Erzieherversammlung als Redner auftrat und durch seine Ausführungen das Wachstum des NSLB schädigte. Nach dieser Zeit wurde der Gauleitung des NSLB wiederholt bekannt, dass nach Ansicht von Oberschulrat Mühe ein Eintritt in den NSLB überflüssig sei. Senator Witt erklärte mir, dass es ganz unmöglich sei, den kommissarischen Oberschulrat Mühe vom Reichsstatthalter bestätigt zu erhalten, da er von allem anderen abgesehen viel zu alt sei, nämlich 59 Jahre. Auch widersprach er nicht, als ich ihn in dieser wie in einer früheren Unterredung auf dem Stephansplatz auf die Untragbarkeit dieses Mannes für die Bewegung hinwies. Bald darauf erfuhr ich, dass Mühe und Behne zusammen bestätigt und Schulz Landesschulrat werden sollte. Ich ging sofort zu Behne und erfuhr hier, dass Witt seine Meinung über Mühe geändert und nun folgende Absicht habe: ‚Zuoberst lege ich Schulzens Angelegenheit, hinten (zu Behne) Ihre und dazwischen packe ich den Fall Mühe. Wenn Kaufmann dann länger bei dem Fall Mühe verweilen will, dann sage ich, schnell etwas von SA-Mann geworden und sehe zu, dass er darüber hinweggeht.‘ Hier liegt ein ganz offener Versuch vor, dem Reichsstatthalter über einen wichtigen Umstand im Unklaren zu halten. Gleichzeitig habe ich an den Reichsstatthalter und an den Landesleiter des NSLB Oberschulrat Schulz in meiner Eigenschaft als Landesfachschaftsleiter der Lehrer an höheren Schulen im NSLB geschrieben, sie möchten diese Verewigung der Reaktion in der Behörde verhindern." (38)
Hier wurde es nun für Walter Behne und Karl Witt problematisch, weil Hans Rösch intimes Insiderwissen offenbarte. Walter Behne war der Hauptinformant für Rösch, die sich in dieser Phase als NSDAP-Achse verstanden. Und Karl Witt hatte sich Rösch gegenüber offenbar deutlich geäußert und nicht damit gerechnet, dass Rösch diese auf konkrete Personen, Oberschulräte in seiner Behörde vorgenommenen Qualifizierungen öffentlich machen würde. Insbesondere Röschs Behauptung, die Schulleiterbestellungen wären das Ergebnis eines „parlamentarischen Kuhhandels" wurde ihm im Weiteren vorgehalten.
Dass Hans Rösch noch ein sehr persönliches Motiv hatte für seinen unversöhnlichen Kampf erklärt sich aus dem nächsten Punkt. Er selbst war als Schulleiter vorgesehen und wurde im letzten Moment von der Schulleiterliste gestrichen: „Wahre Disziplin wird auch in folgendem Fall untergraben. Wie im Fall Mühe, so schillerte der Präses auch im Falle Oberdörffer. Am 10.7.1933 sprach ich zum ersten Male aus Anlass meiner Rede vom 7.7.1933 mit dem Senator Witt. Dieser teilte mir mit, dass ich mittags von der Schulleiterliste abgesetzt sei wegen einer gegen Oberdörffer gerichteten Beleidigung. Die Unterlagen für diesen Angriff erhielt ich von Oberschulrat Dr. Behne, der auch nach Zurücknahme eines Teils meiner Äußerungen auf dem Standpunkt stand, dass der Angriff dennoch nach den Tatsachen berechtigt sei. Die teilweise Zurücknahme erfolgte, da mir Witt und Oberdörffer mündlich versicherten, dass ich falsch unterrichtet sei, und dass sie schriftliche Unterlagen hätten, aus denen mein Irrtum ersichtlich sei (es ging dabei um die Behauptung, Oberdörffer hätte sich zwischen 1914 und 1918 vor dem Kriegsdienst gedrückt, de L.). Im Verlaufe des Gesprächs vom 10. Juli erklärte mir Witt, dass er Oberdörffer lieber heute als morgen los sei. ‚Geben Sie mir einen Paragraphen, Rösch, und der Mann ist morgen draußen.‘ Ich sagte darauf, ein Nationalsozialist habe in seinem Gewissen seinen Paragraphen. Darüber, wie er Oberdörffers Charakter einschätzte, ließ der Senator in seinen Ausdrücken keinen Zweifel. Bei einer nächsten Besprechung nach den Sommerferien 33 war ich dann ganz überrascht, wie Witt seine Meinung über Oberdörffer geändert hatte; wie aber wuchs mein Erstaunen, als ich folgende Begründung hörte: ‚Was meinen Sie, würde mir und meiner Stellung geschehen, wenn ich Oberdörffer hinausschmeißen wollte?! Der Mann hat ja einen Freund im Senat, Herrn Burchardt-Motz‘. Heute möchte der Präses Witt den Fall Oberdörffer/Rösch gern wieder aufgreifen, er vergisst aber dabei, dass dies nur ein kleiner Teilangriff jener Rede ist, die im übrigen, wie mir dienstlich im Auftrage des Senators von Herrn Oberschulrat Behne mitgeteilt wurde, einen ganz großen Eindruck auf Witt gemacht und seine völlige Billigung gefunden hatte." (39)
Nun war vollends deutlich, dass Hans Rösch für Senator Karl Witt und Oberschulrat Walter Behne und deren Reputation äußerst gefährlich werden konnte. Damit war auch klar, dass Rösch keine Chance haben würde, zumal er, „wenn er sich ein Ziel gesetzt hat, keine Hemmungen und Rücksichten kennt."
Hans Rösch handelte als Nationalsozialist, der für sein Handeln eine Grundlage in Adolf Hitlers „Mein Kampf" fand und diese immer wieder zitierte: „Als Nationalsozialist, SA-Mann, Fachschaftsleiter und Lehrer habe ich zu handeln, wie es der Führer vorschreibt: ‚Ein Mensch, der eine Sache weiß, eine gegebene Gefahr kennt, die Möglichkeit einer Abhilfe mit seinen Augen sieht, hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, nicht im Stillen zu arbeiten, sondern in aller Öffentlichkeit gegen das Übel auf- und für seine Heilung einzutreten. Tut er das nicht, dann ist er ein pflichtvergessener elender Schwächling, der entweder aus Feigheit versagt oder aus Faulheit und Unvermögen.‘ (Mein Kampf, S. 399).“ (40)
Hans Rösch wurde nach seiner Beurlaubung und dem ausgesprochenen Verweis an die Lichtwarkschule umgesetzt. Dort leitete der Nationalsozialist und erfahrene Offizier Erwin Zindler die Schule. In der Behörde wird man gedacht haben, dass eine Autorität wie Zindler mit Rösch fertig würde. Rösch legte am 7.4.1934 Einspruch gegen die Versetzung an die Lichtwarkschule ein und bat um Beurlaubung bis Ende des Verfahrens. (41) Oberschulrat Behne teilte ihm am 13.4.1934 mit, dass es „keinen Grund für weitere Beurlaubung gebe." Es ergab sich ein Hin und Her. Altphilologe Rösch sollte an der Lichtwarkschule Deutsch, Erdkunde und Geschichte unterrichten. Rösch weigerte sich. Erwin Zindler beauftragte ihn dann schriftlich: „Soeben, 13:15 Uhr, erhalte ich von Herrn Oberschulrat Dr. Behne den von dem Herrn Präsidenten Witt erteilten Auftrag, daß sie in den ihnen zugewiesenen Unterrichtsfächern den entsprechenden Unterricht zu erteilen haben. Es ist allgemeine Übung, daß Lehrkräfte mit philosophischer Propädeutik für die erste Stufe Deutsch und Geschichte mindestens bis zur Mittelstufe einschließlich geben. In Bezug auf Erdkunde sind wir bei dem Mangel an Fachlehrern - an der Lichtwarkschule ist nur ein einziger - genötigt, zu behelfsmäßigen Maßnahmen zu greifen und zu erwarten, daß die betreffenden Lehrkräfte sich schnellstens einarbeiten. Darf ich bei dieser Gelegenheit persönlich als Kollege und zugleich als Parteigenosse Sie bitten, sich jeden Schritt Ihrerseits reiflich zu überlegen, damit Ihnen keine unnötigen Schwierigkeiten entstehen." (42)
Formal fügte sich Hans Rösch. Am 9.5.1934 wurde er unangemeldet von Oberschulrat Walter Behne und Schulleiter Erwin Zindler in seinem Unterricht hospitiert, in Deutsch, Erdkunde und Geschichte. Im Hospitationsbericht schrieb Behne nach der Erdkundestunde: „Den Hauptwert legt Herr Dr. Rösch auf die Betonung der nationalsozialistischen Weltanschauung, was besonders zum Ausdruck kam bei der Behandlung der Bevölkerungsfrage." (43)
In der Aussprache erklärte Hans Rösch, dass er „absichtlich" in allen drei Klassen, in denen er in diesen drei Fächern eingesetzt werde, „zunächst einmal die Klärung der Begriffe über das Wesen des Nationalsozialismus vorgenommen hätte. Dies ist einerseits nötig, um die Schüler und Schülerinnen gegenwärtig immer wieder zu dem Gedankengut des Nationalsozialismus zu erziehen. Andererseits hätte er diesen Weg gehen müssen, da er bisher in diesen Fächern und auf dieser Stufe nicht unterrichtet hätte. Wenn also auch nicht der Unterricht rein stofflich gesehen dem Stundenplan entspricht, so muß doch zugegeben werden, daß Herrn Dr. Rösch pädagogische und weltanschauliche Gründe veranlasst haben, den Unterricht in dieser Form zu geben." (44) Und OSR Behne fand sogar Gefallen daran und bemerkt:e „Um mit den Schülern und Schülerinnen Fühlung zu bewahren, geht er bewußt als Nationalsozialist von der Durcharbeitung des Gedankengutes des Nationalsozialismus aus. Dies muss ganz ohne Frage die Grundlage für den gesamten Unterricht sein, und in dieser Beziehung ist die Unterrichtsweise von Herrn Dr. Rösch als vorbildlich hinzustellen. Ja, es ist damit die Frage aufgeworfen, ob überhaupt nicht im gegenwärtigen Augenblick der Gesamtunterricht an allen Schulen die Aufnahme des nationalsozialistischen Gedankengutes in der Art, wie Herr Dr. Rösch es tut, durchführen soll." (45)
Da erwiesen sich die Nationalsozialisten Rösch und Behne also wieder als Brüder im Geiste.
Eltern der Lichtwarkschule sahen das anders. Ein Vater, G. vom Hau, offenbar Untersuchungsrichter beim Landgericht in Hamburg, wandte sich an Schulleiter Zindler: „Seit Ostern 34 ist in der Klasse meines Sohnes Peter Herr Dr. Rösch mit 5 Stunden Deutsch wöchentlich angesetzt. Bis heute hat jedoch Herr Dr. Rösch noch keinen Deutschunterricht erteilt. Er hat Stunde für Stunde über die grundlegenden nationalsozialistischen Probleme gesprochen, ohne aber jemals ein Thema zu vertiefen, das die Kinder zu einer Arbeit zwang. Ein oder zweimal haben sie eine Rechtschreibenummer zur Hausarbeit aufgehabt, sonst ist weder in der Schule noch im Hause eine schriftliche Arbeit, Diktat oder Aufsatz geleistet worden. Herr Dr. Rösch erzählt vor der Klasse, er sei strafversetzt worden, er sei Latein- und Griechischlehrer und kein Deutschlehrer, er gäbe erst Unterricht, wenn Befehl von oben käme. Da dieser Zustand die Arbeitsauffassung der Kinder untergräbt, bitte ich dringend um Änderung und Klärung des Falles.“ (46)
Damit war Hans Rösch nicht mehr zu halten. Am 12.6.1934 wurde er erneut beurlaubt. (47) und am 23.6.1934 leitete Karl Witt gegen Rösch ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Dienstentlassung ein. (48)
Neben der Art seines Unterrichts an der Lichtwarkschule und den Versuchen von Hans Rösch, am Wilhelm-Gymnasium eine Versammlung durchzuführen und sich dort mit befreundeten Kollegen zu treffen, wurde Rösch jetzt als gravierendster Punkt vorgeworfen, der Behörde gegenüber bei der Beantwortung des Fragebogens zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 die Frage nach der früheren Parteizugehörigkeit falsch bzw. irreführend beantwortet zu haben: „In seiner zu dieser Frage gegebenen näheren Erklärung hat der Beschuldigte am Schluß vermerkt: ‚Seit Weihnachten 1931 in der Bewegung. Seit 1933 1. März in der SA Res. 31/76‘. Durch diese Angabe wurde der Eindruck erweckt, als ob der Beschuldigte bereits seit Weihnachten 1931 Mitglied der NSDAP, und erst seit 1. März 1933 in der SA-Reserve sei. Der Beschuldigte kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, daß er von einer Mitgliedschaft zur NSDAP überhaupt nichts erwähnt habe. Die Gegenüberstellung ‚Bewegung‘ und ‚SA-Reserve‘ in der Erklärung des Beschuldigten sowie der Umstand, daß die in Rede stehende Ziffer 5a des Fragebogens ganz klar und unzweideutig nach der Parteizugehörigkeit und deren Dauer fragt, zwangen unbedingt zu der Annahme, daß mit ‚Bewegung‘ die ‚NSDAP‘ gemeint sei. Hierüber kann auch bei dem Beschuldigten, als er seine Erklärung abfaßte, keinerlei Zweifel bestanden haben. Wie der Behörde aber jetzt zur Kenntnis gekommen ist, ist der Beschuldigte erst seit März 1933 Mitglied der Partei. Fest steht danach, daß der Beschuldigte der Behörde gegenüber auf dienstliches Befragen unwahre Angaben gemacht hat. Der Beschuldigte hat nicht Anstand genommen, seine vorgesetzte Behörde durch seine unwahre bzw. gewollt irreführende Erklärung zu täuschen und damit gegen die für jeden Beamten vornehmste Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit gröblichst verstoßen." (49)
Falsche Angaben über den Eintritt in die NSDAP galten als sehr gravierend. (50) Das verübelte insbesondere auch der Reichsstatthalter Kaufmann, zu dem Rösch anfänglich einen guten Kontakt gehabt hatte. Peinlich für Hans Rösch erwies sich überdies, dass er in seinem ganzen Auftreten öffentlich stets den Eindruck erweckt hatte, ein „alter Kämpfer" zu sein. Dass er letztlich zum selben Zeitpunkt wie der von ihm geschmähte Wilhelm Oberdörffer in die NSDAP eintrat und formal in der SA Mitglied wurde, parallel zu Theodor Mühe, dürfte bei seinen Kontrahenten eine gewisse Schadenfreude bewirkt haben.
Dass die Landesunterrichtsbehörde das Ziel verfolgte, Rösch ernsthaft zu bestrafen und aus dem Verkehr zu ziehen, wurde auch daran deutlich, dass sie als ihren Vertreter im Disziplinarverfahren in der Disziplinarkammer Hamburg am 25.4.1935 den letzten Vorsitzenden des Philologenvereins, Karl Züge, einem enger Freund von Röschs Antipoden Theodor Mühe benannt hatte.
Die Disziplinarkammer erklärte Rösch des Dienstvergehens für schuldig und entschied auf Versetzung in den Ruhestand bei Kürzung des Ruhegehalts für die Dauer von zwei Jahren um 25 %. (51)
Im Revisionsverfahren vor dem Disziplinarhof am 5.11.1935 entsandte die Landesunterrichtsbehörde Berthold Ohm, den stellvertretenden Schulleiter der Lichtwarkschule, einen langjährigen Schatzmeister des Philologenvereins, der sich schulintern in der Schule erfreut darüber geäußert hatte, Rösch wieder los geworden zu sein. (52)
Der Disziplinarhof Hamburg verfuhr milder mit Rösch. Er anerkannte, dass Rösch „ohne Parteigenosse zu sein, sich schon seit Jahren im Sinne der Bewegung betätigt hat". (53) Insbesondere die SA, in der Rösch nach wie vor aktiv tätig war (später zum Oberscharführer befördert), aber auch Oberschulrat Behne hatten sich positiv zu Rösch geäußert. Behne räumte sogar ein, dass bei seinem Bericht gegenüber Rösch, Peyn und Machleidt über die „Koalitionslösung" der Schulleiterliste der Ausdruck „Kuhhandel" verwandt worden wäre, „von einer oder anderen Seite" und er froh gewesen wäre, dass „wenigstens einige Männer der nationalsozialistischen Lehrerliste Schulleiter geworden seien“. (54)
Rösch war seinerseits nicht untätig gewesen und hatte sich an die Privatkanzlei von Adolf Hitler und persönlich auch an Rudolf Hess gewandt, Hitlers Stellvertreter. Das dürfte alles sehr viel Staub hinter den Kulissen aufgewirbelt haben. Hans Rösch begann nach der Entlassung aus dem Schuldienst ein Zahnmedizinstudium, das er 1940 mit Prädikat abschloss. Er blieb aktiv in der SA, wurde dort zum Sturmführer befördert. Parallel kämpfte er um Rehabilitation und Wiedereinstellung in den Schuldienst. Senator von Allwörden lehnte das aber weiterhin ab. Am 16.12.1939 erklärte Reichserziehungsminister Rust, den Rösch mehrfach persönlich angeschrieben hatte: „Im Hinblick auf die durch den Krieg gegebenen Verhältnisse bin ich bereit, Dr. Rösch außerhalb Hamburgs zunächst für ein Jahr probeweise zu beschäftigen." (55)
Das staatliche Gymnasium in Kiel benötigte Lehrer. Tatsächlich bekam Rösch dann das Angebot, am Katharineum in Lübeck zu unterrichten. Rösch tat die Stelle aber nicht an, sondern wurde als Leutnant zur Wehrmacht eingezogen. Am 1.7.1941 wurde er zum Oberleutnant, am 1.8.1942 zum Hauptmann befördert. (56)
Am 24.5.1943 wurde seiner Frau mitgeteilt, Hans Rösch werde seit Januar 1943 in Stalingrad vermisst. 1946 meldete Frau Rösch der Schulverwaltung, dass ihr Mann in russischer Kriegsgefangenschaft sei. Am 11.1.1950 berichtete sie der Schulverwaltung, dass im September 1949 das letzte Mal Post angekommen sei. Durch Heimkehrer, die mit Hans Rösch am 18.11.1949 gesprochen hatten, wusste sie, dass er Anfang Dezember 1949 entlassen werden sollte. „Er ist bisher aber nicht gekommen." Am 21.4.1950 vermerkte Oberregierungsrat Grotmack, Rösch sei seit dem 18.11.1949 verschollen, „Ableben ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen." Kurz danach teilte Frau Rösch mit, ihr Mann sei am 3.5.1950 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. (57)
Unmittelbar davor hatte Henriette Rösch für ihren Mann den Entnazifizierungsfragebogen ausfüllen müssen. Sie schrieb: „Soweit bin ich in der Lage, Angaben zu machen. Ich füge hinzu: Mein Mann ist sieben Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Wir verloren im Krieg zwei Söhne und ein Pflegekind." (58) Vorher war sie selbst entnazifiziert worden und als unbelastet in Kategorie V eingestuft worden.
Nach siebenjähriger Kriegsgefangenschaft baute Hans Rösch sich seine Zahnarztpraxis wieder auf und konzentrierte sich auf eine intensive Kriegsgefangenen-Korrespondenz, die er schon in russischer Kriegsgefangenschaft begonnen hatte.
Am 21.6.1953 starb Hans Rösch, 65-jährig an einem Herzschlag.
Was für ein Leben! Sein ältester Sohn, der sich als SS-Mann und Führer in der Hitlerjugend für ihn am Wilhelm-Gymnasium kurz vor seinem Abitur vehement eingesetzt hatte, war als Soldat im Krieg gefallen, ein zweiter Sohn an Kinderlähmung gestorben.
Sein ehemaliger Schüler, Günther Scheefe, hatte auch nach Röschs Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft wieder Kontakt zu ihm. Er schrieb:
„Entscheidend bleibt die Persönlichkeit. Dr. Rösch hat sich politisch geirrt. Er ist in der Wahrnehmung seiner Überzeugung übers Ziel geschossen. Es ging ihm um die Sache. Für sich hat er nie Vorteile erstrebt, schon gar nicht mit verwerflichen Mitteln. Als Persönlichkeit war er integer. Er war ein reiner Tor. Und - er hat, ein wahrer Humanist, sich nicht in die Niederungen des Hasses und der Verzweiflung niederziehen lassen, er hat gekämpft, auch in aussichtslosen Lagen, und immer wieder hat er sich dem Leben zugewandt, aufrecht und hilfreich. Neben dem schließlich erfolgreichen Kampf um sein Amt hat er mit voller Hingabe Medizin studiert und als alle Examina summa cum laude bestanden. Aus seiner Überzeugung hat er seine erfolgreiche Praxis unterbrochen und sich freiwillig an die Ostfront gemeldet. In Stalingrad ist er für acht Jahre in russische Gefangenschaft gegangen. Auch hier hat er sich dem Leben zugewandt, hat Russisch bis zur Vollendung gelernt, Holzskulpturen geschnitzt, Beschwerden nach Moskau aufgesetzt, so dass ein Kommissar im Lager erschien. Er ist für seine Überzeugung in den Hungerstreik getreten, hat die Haft in der Einzelzelle, Fleckfieber und Typhus überstanden. Hans Rösch hat nie den Versuch einer Entschuldigung oder erklärenden Beschönigung seines Irrtums unternommen, sondern ihn offen bekannt und bedauert. Dieser Irrtum hat zahlreiche Schüler nicht davon zurückgehalten, ihn später aufzusuchen in dankbarer Erinnerung an das Schöne und Großartige, was er gewirkt und geleistet hat, noch davon, ihm in Dankbarkeit und Verehrung das letzte Geleit zu geben." (59)
Im „Hamburger Abendblatt“ gab es unter der Überschrift „Helfer der Gefangenen" einen kurzen Nachruf auf Hans Rösch: „In Niendorf ist der Zahnarzt und frühere Studienrat am Wilhelm-Gymnasium, Dr. phil. Dr. med. dent. Hans Rösch, im 66. Lebensjahre gestorben. Im letzten Kriege Truppenoffizier, geriet er 1942 vor Stalingrad in Gefangenschaft und hat seinen Mitgefangenen als Kamerad, Arzt, Helfer und Vorbild das Martyrium siebenjähriger Gefangenschaft mannigfach erleichtern können. Er kehrte im Mai 1950 in die Heimat zurück und wurde nicht müde, den Angehörigen der noch nicht Heimgekehrten Nachrichten über den Verbleib ihrer Väter und Söhne zu vermitteln. Dr. Rösch es heute mittag in Niendorf beigesetzt worden." (60)
Und der „Hamburger Anzeiger“ schrieb: „Viele werden seinen Namen von der umfangreichen Kriegsgefangenen-Korrespondenz her kennen, die er nach seiner Rückkehr aus Russland führte. Bereits im Lager sorgte er dafür, daß zahlreiche Familien die erste Nachricht über ihre vermissten Angehörigen erhielten, indem er Heimkehrer die Namen und Anschriften zurückbleibender Kameraden auswendig lernen ließ. Von Hamburg aus suchte er viele Familien selbst auf, um ausführlichen Bericht über das Schicksal kriegsgefangener Söhne und Männer zu erstatten." (61)
Ein Kondolenzschreiben existiert auch vom Schulleiter des Wilhelm-Gymnasium, Prof. Franz Bömer. Bömer der erst 1955 nach Hamburg kam und zum Schulleiter des Wilhelm-Gymnasiums berufen wurde, nachdem er in Bonn wegen seiner nationalsozialistischen Aktivitäten, u.a. in der SA, einige Jahre nicht wieder an die Universität und in den Öffentlichen Dienst zurückkehren durfte, schrieb der Witwe Henriette Rösch am 25.6.1953: „Nun ist Ihr Gatte als Dritter in kurzer Zeit aus den Reihen der Ehemaligen des W.G. abberufen worden. Die historischen Ereignisse der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts haben dem Entschlafenen schwere Schicksale gebracht. Wir fühlen mit Ihnen, wie schwer der Verlust Sie und Ihre Angehörigen gerade in einer Zeit, die ein Aufatmen nach schwerem Leid zu bringen schien, getroffen hat.“ (62)
Text: Hans-Peter de Lorent