Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Stadt Hamburg Saar-Bauindustrie AG Saarlautern, Zweigstelle Hamburg

KZ-Außenlager Eidelstedt
Außenlager des KZ-Neuengamme direkt neben dem Güterbahnhof, heute Friedrichshulder Weg
Das Lager bestand vom 27.9.1944 bis 7.4.1945 und vom 20./21.4. bis 5.5.1945
Großunternehmen für den gesamten Hoch- und Tiefbau, Beton- und Eisenbetonbau, Bergwerks- und Hüttenbauten.
Schauenburgerstraße 15


Außenlager des KZ Neuengamme für 500 weibliche Häftlinge, ungarische und tschechische Jüdinnen, die zuvor in den Außenlagern Dessauer Ufer und Wedel untergebracht gewesen waren. Verlegung der Häftlinge am 7.4.1945 nach Bergen-Belsen. Zweite Belegung des bereits bestehenden Barackenlagers ab dem 20. April 1945 mit weiblichen Häftlingen, überwiegend Polinnen, aus dem Außenlager Helmstedt-Beendorf.

 

SS-Lagerkommandant Walter Kümmel

SS-Aufseherinnen: Ursula Oberstein, Liselotte Müller, Johanna Freund, Elisabeth Lütt, Ida Römer

Die Frauen mussten, überwacht von SS- Aufseherinnen, Schwerstarbeit leisten: Bombenschutt wegräumen, Deiche graben, Zementsäcke und Backsteine schleppen und Behelfsbauten für ausgebombte Hamburger*innen errichten. Das Lager wurde von außen und die Frauen auf dem Weg zur Arbeit von Wachleuten, ehemaligen Zöllnern, bewacht.

Der berüchtigte Lagerkommandant SS-Mann Walter Kümmel, der außerhalb des Lagers untergebracht war, soll stets eine Gummipeitsche bei sich getragen und die Frauen geschlagen haben.

2 Neugeborene sind durch Lagerkommandant Kümmel im Lager getötet worden: Der Knabe mit dem Nachnamen Domaracka kam am 4.12.1944 in Hamburg zur Welt. Er erhielt keinen Vornamen.

Seine Mutter Ruzena Domaracka, geb. Herszkovicz, geb. am 11.6.1918 in Iza/Karpaten, war 1944 zunächst in das Getto Theresienstadt und dann zusammen mit ihrem Ehemann in das KZ Auschwitz deportiert worden, weil beide jüdisch waren. Aufgrund einer Selektion für einen Arbeitseinsatz am 17. Juni 1944, Ruzena war im dritten Monat ihrer Schwangerschaft, wurde sie zusammen mit ihrer Schwägerin Hilde Lewkowitz einer Gruppe jüdischer tschechoslowakischer und ungarischer Frauen zugeteilt, die im Juli 1944 zur Zwangsarbeit nach Hamburg verbracht wurde. Ihr Ehemann blieb in Auschwitz und wurde ermordet.

Zunächst gelangten die Frauen in das Lager Dessauer Ufer zum Arbeitseinsatz im Hafengebiet, anschließend am 13. September 1944 in das Frauenlager Hamburg-Wedel. Am 27. September 1944, am Jom Kippur, dem Versöhnungstag und höchsten jüdischen Feiertag, erfolgte ihre Verlegung in das Außenlager des KZ-Neuengamme Eidelstedt, direkt neben dem Güterbahnhof, heute Friedrichshulderweg.

Ruzena Domaracka, auch „Rose“oder „Rozi“ genannt, hatte ihre Schwangerschaft in Auschwitz und auch noch in Hamburg verbergen können, ständig in Angst, in das KZ zurückverlegt zu werden, wenn dies bekannt werden würde. Möglicherweise hatte sie bei ihrem Aufenthalt im Lager Dessauer Ufer miterlebt, dass die zwei jüdischen tschechischen Frauen Ruth Huppert und Berta Reich wegen ihrer Schwangerschaft drei Tage nach ihrer Ankunft von dort in ein KZ zurückgeschickt worden waren. Aus der Biographie von Ruth Huppert ist zu erfahren, dass sie und Berta Reich zunächst in das Frauen-KZ Ravensbrück und von dort einige Zeit später zurück nach Auschwitz deportiert wurden. Beide haben überlebt.

Kurz vor ihrer Niederkunft wurden Ruzena Domaracka und die ebenfalls hochschwangere Zwangsarbeiterin Alice Dubova angewiesen, im Lager zu bleiben; es sollte verhindert werden, dass sich Hamburger*innen über Schwerstarbeit von Hochschwangeren empören könnten.

Am 3. Dezember 1944 setzten bei Ruzena Domaracka die Wehen ein, die sich über 24 Stunden hinzogen. Am Abend des 4. Dezember 1944 brachte sie im Lager mit Hilfe der „Lagerärztin“ Ruzena Zimmerova und der „Häftlingskrankenschwester“ Luise Haarburger, alias Wassermann, einen gesunden Knaben mit schwarzen Haaren zur Welt.

Eine SS-Frau, die zum Wachpersonal gehörte und die Zwangsarbeiterinnen auf dem Weg zur Arbeit bewachte, zeigte kurze Zeit später der frisch Entbundenen ihr totes, in einem Pappkarton abgelegtes Kind. Ruzena erfuhr später von ihrer Freundin Cecilia Wassermann, geb. Roth, der Lagerkommandant Kümmel habe das Kind ertränkt.

Ehemalige Zwangsarbeiterinnen, die im Mai 1981 als Zeitzeuginnen in einem Untersuchungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg gegen den wegen Mordes an zwei neugeborenen Kindern angeklagten Lagerleiter und SS Mann Kümmel aussagten, berichteten, dass Kümmel das Neugeborene in einem Bündel Zeitungspapier oder Lappen in den Waschraum gebracht und unter einem Wasserstrahl oder in einem Wasserkübel ertränkt habe. Danach habe er das Bündel in einen Abfallkübel geworfen und anschließend von einer Totgeburt gesprochen. Im Hamburger Sterberegister sind Geburt und Tod beider Knaben nicht eingetragen.

Ruzena Domaracka, die nach dem Krieg nach Israel emigriert war, sagte 1982 als Zeugin in diesem Prozess gegen Walter Kümmel aus: „Mir war von Anfang an klar, dass man das Kind töten würde.“ „Ich blieb nach der Geburt noch 10 Tage im Revier … Danach wurde ich von ihm zur schwersten Arbeit herangezogen. Obgleich ich kaum laufen konnte, musste ich schwere Zementplatten und Zementsäcke schleppen.“

Viel zu spät war nach dem Krieg Anklage gegen Kümmel erhoben worden. Seine Beteiligung an der Tötung der Neugeborenen wurde vom Gericht nur als Beihilfe zum Mord gewertet, trotz der Aussagen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen. Kümmel seien keine niedrigen Beweggründe nachzuweisen – und außerdem sei das Verbrechen seit 1960 verjährt. Kümmel wurde 1982 freigesprochen.

In einer Fernsehsendung über das Lager Eidelstedt, äußerte sich Kümmel selbst zu den Anschuldigungen; er sagte, dass es im Lager Eidelstedt keine Möglichkeit gegeben hätte, die Kinder unterzubringen, wörtlich: „Deshalb haben die ja schließlich auch draufgedrungen, die sollten umgebracht werden, die Kinder. Das war’n Geheimbefehl!“

 

Auch der Knabe mit dem Nachnamen Dubova, der im Januar 1945 in Hamburg zur Welt gekommen war und keinen Vornamen erhalten hatte, wurde von Kümmel getötet.

Das gesunde Kind war von Alice Dubova im Lager Eidelstedt mit Hilfe der „Lagerärztin“ Ruzena Zimmerova und der „Häftlingskrankenschwester“ Luise Haarburger, alias Wassermann, geboren worden. SS-Mann Walter Kümmel soll laut Zeitzeuginnenaussagen den neugeborenen Knaben in einem Wasserkübel ertränkt, ihn in einen Abfallkübel geworfen und dann von einer Totgeburt gesprochen haben, so wie er es auch mit dem neugeborenen Sohn der einen Monat zuvor niedergekommenen Mitgefangenen Ruzena Domaracka getan habe. Im Hamburger Sterberegister sind Geburt und Tod beider Knaben nicht eingetragen worden.

Text: Margot Löhr