Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Gottfried Hagemann Dr. Gottfried Hagemann

(23.07.1901 – Todesdatum unbekannt)
Richter der Wehrmacht
Adresse: Hamburg-Stellingen, Rahlskamp 13a (1948)
Wirkungsstätte: Stellvertr. Generalkommando X. Armeekorps, Knochenhauerstraße 14;
Civil Document Team / Ziviler Dokumentenstab, Sophienterrasse 14 (1946)


Gottfried Hagemann, geboren am 23. Juli 1901 als Sohn eines Landrats in Liegnitz, nahm noch an den letzten Monaten des Ersten Weltkriegs teil und studierte nach dem Krieg Rechtswissenschaften in Halle, München und Jena. Seine Assessorprüfung bestand er 1931; am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei, und wenig später auch der SA. 1935 wurde Hagemann in Marienwerder zum Amtsgerichtsrat ernannt und war als Leiter des Entschuldungsamtes Marienwerder tätig. 1937 bewarb er sich beim Heeresjustizdienst um eine Tätigkeit als Heeresrichter und begann am 1. Februar 1937 seinen Probedienst beim Gericht der 22. Division in Bremen. Bei Kriegsbeginn versetzte ihn die Wehrmacht zum Gericht des XXIII. Armeekorps; im Februar 1941 wurde er für kurze Zeit zum Gericht der Division Nr. 180 nach Bremen versetzt. Bereits im März 1941 wurde er „fliegender Richter“ beim Gericht des Armeeoberkommandos (AOK) 11, d.h., man setzte ihn überall an der Front im Bereich des AOK 11 als Heeresrichter ein. Im April 1941 ernannte ihn die Wehrmacht zum Oberkriegsgerichtsrat. Von Ende November 1942 bis Juni 1943 war er als Richter bei Heeresgruppe Don eingesetzt; im Juni 1943 folgte ein Einsatz als Korpsrichter beim Gericht der Wehrmachtkommandantur Posen. Hier war er als „dienstaufsichtsführender Richter“ vor allem als Rechtsberater des Gerichtsherrn tätig, hat aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch selbst Urteile gefällt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war er in leitender Position bei der NS-Militärjustiz beschäftigt. Im November 1944 wurde Gottfried Hagemann schließlich an die „Heimatfront“ versetzt und als Korpsrichter beim Stellvertretenden Generalkommando des X. Armeekorps in Hamburg eingesetzt. In dieser Position war er vor allem als Rechtsberater des Befehlshabers des Wehrkreises X tätig (General der Infanterie Wilhelm Wetzel), der noch in den letzten Kriegstagen zahlreiche Todesurteile in Hamburg bestätigte.
Unter Aufsicht der britischen Militärregierung existierten zahlreiche Wehrmachtsdienststellen auch nach der Kapitulation weiter, um für die Abwicklung der Wehrmacht und ihres Personals zu sorgen, darunter auch das Stellvertretende Generalkommando des X. Armeekorps, jetzt Wehrmachtstandortältester Groß Hamburg. Diese Dienststelle war dem „Deutschen Hauptquartier Nord“ unterstellt. Offenbar erschien Gottfried Hagemann – trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft – den Briten als wertvoll für diese Arbeit, und so leitete er ab etwa Sommer 1945 das Gericht des Wehrmachtstandortältesten Groß-Hamburg. Im Februar 1946 lösten die Briten das Deutsche Hauptquartier Nord auf und entließen Hagemann aus der Wehrmacht. Doch er blieb – nun in Zivil – als Leiter der Abteilung Gerichtsakten im „Zivilen Dokumentenstab“ in der Sophienterrasse 14. Die Tätigkeit des Zivilen Dokumentenstabes war nunmehr auf die Abwicklung der verbliebenen Akten und Dokumente beschränkt. Gottfried Hagemann „beaufsichtigte“ somit mehr als 20.000 kriegsgerichtliche Akten der Hamburger Kriegsgerichte, die sich noch in der Sophienterrasse befanden. Mit der Auflösung des Civil Document Teams am 15. August 1946 gingen die Akten an die Sammelstelle für wehrmachtgerichtliche Akten beim Hanseatischen Oberlandesgericht über. Sie liegen heute im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv in Freiburg/Breisgau.
Direkt im Anschluss an diese Tätigkeit bewarb Gottfried Hagemann sich als Staatsanwalt bei der Hamburger Justizverwaltung. Der Beratende Ausschuss Justiz stufte ihn als „Mitläufer“ ein und empfahl am 19. Dezember 1946 seine Anstellung als Staatsanwalt mit Dienstleistungsauftrag. Im März 1947 berief ihn der Generalinspekteur im Zentral-Justizamt für die Britische Zone auf Vorschlag des Generalstaatsanwalts in Hamburg als öffentlichen Ankläger zum Spruchgericht in Bergedorf; im Mai trat er hier seinen Dienst an. Am 6. September 1947 jedoch widerrief das Zentral-Justizamt diesen Auftrag bereits wieder – und zwar mit sofortiger Wirkung. In einem erneuten Verfahren vor dem Berufungsausschuss „Justiz“ am 30. Juni 1948 beschloss der Ausschuss, dass Hagemann von nun an weder geeignet sei, ein öffentliches oder halböffentliches Amt zu bekleiden, noch als Rechtsanwalt tätig zu werden. Er wurde sogar bis zum Mai 1950 in die Kategorie III („Minderbelastete“) zurückgestuft. Allerdings stufte der Ausschuss ihn im Rahmen einer periodischen Neuüberprüfung 1950 wieder in die Kategorie IV („Mitläufer“), und mit Wirkung vom 1. Mai 1952 galt er sogar als komplett „entlastet“.
Der Hintergrund dieses recht ungewöhnlichen Vorgangs der Herabstufung war, dass der Rechtsanwalt Walter Krusemark im August 1947 ein Todesurteil des Gerichtes der Wehrmachtkommandantur Hamburg vom 3. April 1945 an Generalstaatsanwalt Feyen schickte, das Hagemann als Verhandlungsleiter unterzeichnet hatte. Vertreter der Anklage war Oberfeldrichter Richard Stoldt gewesen. Das Urteil aus den letzten Kriegstagen war gegen zwei junge Offiziere ergangen, die von Hagemann wegen unerlaubter Entfernung zum Tode verurteilt worden waren, obwohl dieses Delikt ursprünglich gar nicht mit der Todesstrafe belegt werden konnte. Um das Todesurteil schließlich zu erwirken, hatte das Gericht den NS-geprägten Strafschärfungsparagrafen § 5a der Kriegssonderstrafrechtsverordnung in Anwendung gebracht, nach dem nahezu jedes Delikt mit der Höchststrafe belegt werden konnte, sofern die „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ das erfordere. Beide Offiziere wurden am folgenden Tag auf dem Standortschießplatz Höltigbaum erschossen.
Gottfried Hagemann fertigte im Oktober 1947 ein 7-seitiges Rechtfertigungsschreiben an, in dem er versuchte, zu erklären, warum er die beiden Offiziere zum Tode verurteilt hatte. Er gab zu bedenken, dass man berücksichtigen möge, unter welchen Verhältnissen das Kriegsgericht sein Urteil gefällt habe und wie die militärische Lage im April 1945 gewesen sei. Dieses Schreiben gipfelte in den zynischen Sätzen: „Wir mussten bei unseren Erwägungen von dem Standpunkt des einfachen Mannes an der Front ausgehen, für den ein Offizier Vorbild sein soll. Die Männer an der Front hätten kein Verständnis für ein milderes Urteil gehabt.“
Gottfried Hagemann wurde nicht wieder in den Hamburger Justizdienst eingestellt, obgleich er es jahrelang versuchte. Doch weder er noch Richard Stoldt wurden wegen ihrer Urteile juristisch zur Verantwortung gezogen.
Text: Claudia Bade