Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Stadtteile Barmbek und Uhlenhorst in der NS-Zeit


von Erika Draeger, entnommen dem Buch von Carmen Smiatacz: Stolpersteine in Hamburg.-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst. Biographische Spurensuche. Hrsg., von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Hamburg 2010.

In Barmbek Nord und Süd waren um 1933 knapp über 4.000 Parteimitglieder verzeichnet, das entsprach etwas mehr als 2 Prozent der Bevölkerung. Die SPD verzeichnete im Stadtteil knapp 10.000 Mitglieder, die KPD etwa 1300. Unter den NSDAP-Anhängern gab es viele Einzelhändler, selbstständige Handwerker, Angestellte, Beamte, Hausbesitzer und auch Gastwirte, die Räumlichkeiten zu Versammlungszwecken anzubieten hatten. Zwar war die Neuaufnahme von Mitgliedern bis 1937 blockiert, aber die Übernahme von Ehrenämtern in anderen Organisationen der NSDAP war gern gesehen. Dort gab es unzählige Ämter und Pöstchen, durch die Beteiligte in die Parteiarbeit eingebunden wurden, gleichzusetzen mit einem System gegenseitiger Kontrolle und zugleich Überwachung der Andersdenkenden. Bis 1945 stieg die Zahl der Barmbeker Parteimitglieder auf ca. 16.000 an, wobei erwachsene Männer – wie überall – den größeren Anteil stellten. Überzeugte Nationalsozialisten glaubten, einer Verwirklichung der „Volksgemeinschaft“ mithilfe von Denunziationen und Bespitzelungen ihres Wohn- und Berufsumfeldes näher zu kommen.

Die Parteistruktur im Stadtteil war hierarchisch gegliedert, sie bestand aus Hausgruppen (15 Haushalte), Blocks (40–60 Haushalte) mit Blockleitern, Zellen (4–8 Blocks) mit Zellenleitern, darüber standen Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und an der Spitze der Gauleiter. Teilnahme an Schulungen war erwünscht, Diskussionen oder gar kritisches Hinterfragen jedoch nicht. Ziel war die gemeinsame Arbeit am idealisierten „großen Werk“.

Mit Verbot oder Auflösung aller übrigen Parteien und der Gewerkschaften entfielen auch die meisten bisherigen Jugend- und Freizeitangebote, für die Gliederungen der NSDAP Ersatz anboten. Viele Angebote richteten sich an Kinder und Jugendliche und übten Anziehung aus, boten gleichzeitig Möglichkeiten der Indoktrination. In den Schulen, deren Leitungen durch Parteimitglieder ausgetauscht waren, standen Schüler und Lehrer unter Kontrolle, letztere nicht selten selbst begeisterte NSDAP-Anhänger. Außerschulische Aktivitäten fanden in Jungvolk, Hitlerjugend (HJ) und Bund deutscher Mädel (BdM) statt mit ihren Sport-, Wander-, Bastel-, Tanz-/Singkreisen mit Kurs- und Aufstiegsangeboten. Die zunächst freiwillige Mitgliedschaft war später Pflicht, wie beim Reichsarbeitsdienst, aus dem junge Männer für Parteiorganisationen, SA und SS/Waffen-SS angeworben wurden, umschmeichelt mit dem Nimbus der Elite: „aus SS-Mannen und ihren Angehörigen (wird) eine Führerschaft heranwachsen, die sich aus den Besten des Deutschen Volkes zusammensetzt“. Auch junge Barmbeker fühlten sich von diesem Ruf angezogen und leisteten Schwüre, deren Bedeutung sie vielleicht erst nach Kriegsbeginn in Gänze ermessen konnten.

Es gab Zwangsverbände für alle Berufsstände, Studentenbünde, NS-Frauenschaften, Gau-Frauenschaften, eingebunden in Tätigkeiten für Volkswohlfahrt und Winterhilfswerk, deren Angebote für Bedürftige im Rahmen umfangreicher ehrenamtlicher Arbeit realisiert wurden und den Nutznießern nach langen Entbehrungen das Gefühl vermittelte, dankbar sein zu müssen. Die neue Organisation „Kraft durch Freude“ ermöglichte armen Familien neben einer Vielzahl an Freizeitangeboten erstmals, an Urlaubsreisen in andere Länder teilzunehmen. Die Partei als Helfer und Wohltäter ließ sich feiern, die Zahl der NSDAP-Sympathisanten und -Mitläufer wuchs.

Das Gros des Volkes erfreute sich in Friedenszeiten auch in unserem Stadtteil an „Brot und Spielen“, ehemals Arbeitslose hatten zu essen, trotz Rationierung, die Olympischen Spiele 1936 hielten das Land in Atem, Kriegsvorbereitungen waren noch nicht deutlich sichtbar und wer dies behauptete, wurde wegen Verleumdung verfolgt. Spiele, Ausfahrten und Sommerfeste, Theater- und Filmvorführungen dienten der Propaganda. Erst relativ wenige Haushalte verfügten zu Beginn der dreißiger Jahre über ein teures Rundfunkgerät oder bezogen überregionale Tageszeitungen. Flugblätter, Wandzeitungen und Transparente oder Parteiorgane wie die „Gaunachrichten“ sorgten für die Verbreitung gefilterter Informationen, die Massenproduktion eines preiswerten „Volksempfängers“, einem Radio mit Sender auf einer Frequenz, diente der Verbreitung von Nachrichten aus Berlin und Worten des „Führers“, dem es mit Hilfe von Rundfunk und Film gelang, die Massen für seine Zwecke zu mobilisieren.

Trotz aller Zustimmung, Machtdemonstrationen, Gleichschaltungen und Einschüchterungskampagnen wissen wir aber auch von Anstrengungen innerhalb der Arbeiterparteien, sich in Barmbek zu formieren und Widerstand zu leisten.

Wie ist „Widerstand“ zu definieren? Organisierte politische Aktionen konnten nach dem Verbot sämtlicher Parteien und Gewerkschaften und der Abschaffung demokratischer Rechte ab 1933 nur in der Illegalität stattfinden. Führende Kommunisten und Sozialdemokraten wurden zur Einschüchterung gleich nach der Machtübernahme der NSDAP in Hamburger Gefängnisse verbracht, hamburgweit über 5.000 Verhaftungen vorgenommen. Im selben Jahr wurde das KZ Fuhlsbüttel eröffnet, ein SS-Sturmbannführer als Leiter der Staatspolizei eingesetzt. Ab Ende 1933 gab es kaum jemanden, der unabhängig Recht sprechen konnte, kritische Richter waren aus ihren Ämtern verdrängt. Viele Inhaftierte verbrachten lange Jahre in Gefängnissen und Zuchthäusern, manche waren schweren Misshandlungen und Folterungen ausgesetzt. In öffentlichen Schauprozessen wurden Todesurteile ausgesprochen. Unter diesen Umständen offen Widerstand zu leisten, waren nur wenige Menschen bereit oder sahen darin einen Sinn. Es gibt Berichte über verdeckte Aktionen der Barmbeker Reichsbannerabteilungen (SPD) und deren Schutzformationen („Schufos“), die zwar nicht aufsehenerregend, aber gefährlich waren. Rechtzeitig versteckte Waffen kamen nicht zum Einsatz, es wurden Netzwerke geknüpft zwischen unerschrockenen Genossinnen und Genossen, die als Kuriere Informationen und Schriften schmuggelten und verbreiteten und in Kontakt mit den Büros der Exil-Vorstände standen. Widerstandsgruppen ehemaliger ReichsbannerMitglieder, meist jüngerer Sozialdemokraten in Arbeiterstadtteilen und von Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK) hat es noch bis mindestens 1937 gegeben. Kämpferische junge Kommunisten ließen sich trotz brutalster Verfolgungen lange nicht einschüchtern, Tausende sollen in den ersten Jahren der NS-Herrschaft in Hamburg aktiv gewesen sein, wobei auch der Einsatz von Schusswaffen überliefert ist. In Dulsberg wurden Schüsse auf einen SA-Umzug abgegeben, in der Von-Essen-Straße ein Bombenanschlag auf ein SA-Versammlungslokal durchgeführt. Die Gestapo zerschlug immer wieder KPD-Widerstandsgruppen (illegale Nachfolgegruppen des verbotenen RFB) und hob illegale Druckereien aus, auch in Barmbek und dem benachbarten Winterhude, bis die Strukturen 1937/38 zerstört waren und die wichtigsten Initiatoren sich in Zuchthäusern oder KZs befanden. Vorzugsweise nachts führte die Gestapo Hausdurchsuchungen und oft willkürlich wirkende Verhaftungen mit brutaler Gewalt durch. Neben immer perfekteren Überwachungsmethoden gab es auch zahlreiche Spitzel und Denunzianten, die sich den Parteiorganen andienten und persönliche Vorteile erhofften.

Schwerpunkte der Untergrundarbeit waren Kurierdienste, die Weitergabe von Informationen und Schriften, die legal nicht erhältlich waren, sowie das Sammeln von Geld zur Unterstützung von Familien, deren Männer in Gefängnissen oder Zuchthäusern saßen, und zur Ausschleusung besonders gefährdeter Verfolgter.

Nach Kriegsbeginn entstanden neue Widerstandsgruppen, besonders aus den Reihen der KPD nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1942. In Fabriken, die kriegswichtige Produkte herstellten, gab es Sabotageakte. Die Oppositionellen nahmen auch Kontakte zu polnischen und russischen Zwangsarbeitern auf, die in der Firma Heidenreich und Harbeck tätig und in einem Lager an der Burmesterstraße untergebracht waren. Auch aus den Firmen Spaeter und Kampnagel ist betrieblicher Widerstand aus den Kriegsjahren überliefert.

Kleinen, KPD-nahen Gruppen (z. B. Bästlein-Jacobs-Abshagen-Gruppe oder Etter-Rose-Hampel-Gruppe) gelang es nach Auskunft von Zeitzeugen noch bis Kriegsende, unter Lebensgefahr Flugblätter zu produzieren und zu verteilen, in der Absicht, damit Berichte über die tatsächlichen Zustände im Reich und an der Front zu verbreiten und verbliebene Genossinnen und Genossen zu ermutigen. Zusammenkünfte waren als Ausflüge oder Wanderungen getarnt, als neutrale Treffpunkte dienten Sportveranstaltungen und -Vereine; so haben SPD- und KPD-Mitglieder im Arbeitersportverein USC Paloma gemeinsame Aktionen geplant und Fluchten vorbereitet.

Neben politisch motivierten Widerständlern gab es Verweigerer und sich der Anpassung widersetzende Menschen aus unterschiedlichen sozialen Kreisen, denen Anstand und Gewissen verbot, sich an der Ausgrenzung von Mitmenschen oder an Denunziationen zu beteiligen. Sie behielten den ungetrübten Blick für die alltäglichen gewaltsamen Übergriffe auf Andersdenkende und halfen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Verfolgten mit kleinen Gesten. Zeitzeugen, auch jüdische Überlebende, berichteten später darüber. Manche Helfer blieben unbehelligt, andere waren selbst Denunziationen ausgesetzt. Diesen Menschen entgingen auch nicht die stetigen Verschärfungen gegen jüdische Mitmenschen und deren Verdrängung aus öffentlichen Einrichtungen, aus Schulen, Mietverhältnissen, Lebensräumen. Wer gut beobachten und kombinieren konnte, ahnte den künftigen Kurs und den Beginn eines Krieges und konnte dennoch nur wenig tun, ohne sich oder Angehörige zu gefährden.

Dann gab es die Empörten und Nonkonformisten, die sich wagemutig über persönliche Einschränkungen hinwegsetzten, sich des Risikos entweder nicht bewusst waren oder es ignorierten. Dazu zählt die „Swingjugend“, die auch in Barmbek Anhänger hatte, sich im weit über den Stadtteil hinaus bekannten „Café König“ zum Tanzen traf und schließlich Verfolgungen und Verhaftungen ausgesetzt war. Andere hörten trotz Verbot ausländische Radiosender, ließen sich den Mund nicht verbieten und äußerten sich kritisch zur Lage im Land, zeigten Mangel an Respekt gegenüber nationalsozialistischen Amtsträgern und Anordnungen oder gefährdeten sich durch die Weigerung, den Hitlergruß zu praktizieren.

Ab Juni 1935 begann nach Verschärfung des § 175 – der bis 1969 Bestand hatte – eine Jagd auf Homosexuelle; in Barmbek und Uhlenhorst wurde seit dem Jahr 2000 mehreren Opfern durch Stolpersteinverlegungen gedacht.

Roma und Sinti unterlagen wie Juden den sogenannten Rassegesetzen, es gab in Barmbek einzelne Verfolgte und Opfer, deren Biographien in diesem Buch nicht enthalten sind, da die Rom und Sinti Union eine eigene Publikation vorbereitet, die nicht mit der Gedenkform „Stolpersteine“ im Zusammenhang steht.

Ärzte des Krankenhauses Barmbek beteiligten sich an Zwangssterilisationen von angeblich „Fortpflanzungsunwürdigen“ und „Erbkranken“, oft handelte es sich um Menschen mit sogenanntem abweichenden Verhalten, das nicht ins Schema der Machthaber passte. Zu erforschen bleibt, in welchem Maße Anstalten dieses Stadtteils beteiligt waren an der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Rahmen des Euthanasieprogramms, später auch T4-Aktion genannt. Es gibt Hinweise auf Deportationen von Opfern aus dem Versorgungsheim Oberaltenallee, dem Waisenhaus in der Averhoffstraße – (…) und der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, in der psychisch Kranke oder sozial auffällige Menschen behandelt wurden.

 

Ressentiments gegen Juden im Stadtteil

Um 1925 lebten 544 Menschen „israelitischer“ Religionszugehörigkeit in Barmbek, nach einer Volkszählung im Juni 1933 waren es 724 Personen, 344 weibliche und 380 männliche. In Uhlenhorst waren 242 Personen gemeldet, davon 139 männliche und 103 weibliche. Die Gesamtzahl ist im Vergleich zu anderen Stadtteilen gering.

Während politische Verfolgte in Barmbek und Uhlenhorst sich oft auf ein soziales Netz in ihrem Wohnumfeld verlassen konnten, waren die jüdischen Mitbürger nach Beginn der Verfolgungen weitgehend auf sich gestellt.

Bis 1933, mit Einschränkungen sogar noch ein paar Jahre darüber hinaus, war dies anders, die im Vergleich zur Bevölkerungszahl in Barmbek und Uhlenhorst sehr kleine Minderheit war nach Zeitzeugenberichten soweit integriert oder assimiliert, dass ihre Existenz kaum jemandem als etwas Besonderes erschien. Jüdische Geschäfte konnten im Stadtteil auch nach den NSDAP-Boykottaktionen auf ihre Kunden zählen, von jüdischen Ärzten ist bekannt, dass sie sehr beliebt waren und nicht selten Patienten aus armen Haushalten kostenlos versorgten. Jüdische Krankenhausärzte hatten mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ schon 1933 ihre Arbeitsplätze verloren, ihre niedergelassenen Kollegen mit eigenen Praxen mussten spätestens 1938 aufgeben.

Interviewte Barmbeker und Barmbekerinnen mit unterschiedlicher politischer Herkunft haben gleichlautend versichert, Judenfeindlichkeit sei innerhalb der Bevölkerung bis 1933 unbekannt und bis 1938 kaum zu bemerken gewesen. Manchmal habe man erst in diesen Jahren von der jüdischen Abstammung eines Nachbarn, Klassenkameraden oder Ladeninhabers in nächster Nähe erfahren. Staatliche Eingriffe in das Leben jüdischer Mitbürger und -bürgerinnen zeigten allerdings bereits 1933 auch in Barmbek Auswirkungen in Form von Auswanderungen jüdischer Nachbarn, ihrem Verschwinden aus öffentlichen Ämtern oder der aggressiven Parteipolitik gegen sie. Den „Nürnberger Gesetzen“ 1935 folgten weitere Ausgrenzungen, ab Ende 1938 mussten jüdische Schüler staatliche Schulen verlassen, Juden wurden aus Vereinen gedrängt, Firmen trennten sich von Mitarbeitern.

Zwischen staatlichem Terror und dem Verhalten der Bevölkerung bestanden offenbar Diskrepanzen, in Barmbek und Uhlenhorst blieben Nachbarschaften noch einige Jahre relativ intakt. Auch jüdische Betroffene, soweit noch Zeugen befragt werden konnten, haben sich ähnlich geäußert; im Rückblick führten sie ein ganz normales Alltagsleben und beteiligten sich am sozialen Miteinander in der Nachbarschaft, Erinnerungen an Übergriffe vor 1933 gab es im Stadtteil keine und bis 1938 allenfalls in verdeckter Form, die der Öffentlichkeit oft nicht auffiel.

Kaum bekannt – selbst für Juden, die sich nicht aktiv am Gemeindeleben beteiligten und eher säkular lebten – war die Existenz einer Synagoge im Stadtteil seit 1920, betrieben vom „Jüdischen Gemeinschaftsbund Barmbeck, Uhlenhorst und Umgegend“, der sich später „Schewes Achim“ nannte, d. h. Brüdereintracht. In der Gluckstraße 7–9 erwarb der Deutsch-Israelitische Synagogenverband ein Grundstück von der benachbarten „Barmbecker Brauerei“, zwei daraufstehende, zurückliegende Villen wurden umgebaut und am 9. September als Synagoge eingeweiht und genutzt bis zu ihrer zwangsweisen Schließung im November 1938. Gewaltsame Übergriffe oder Schändung in der Pogromnacht fanden nicht statt. (…)

Veränderungen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung fanden für jüdische Menschen in Barmbek also zunächst überwiegend auf offizieller Ebene statt, im Kontakt mit Behörden und Ämtern und aufgrund der massiv gegen Juden gerichteten nationalsozialistischen Hetze und Propaganda, flankiert von immer neuen Gesetzen und Verordnungen mit dem Ziel ihrer Ausgrenzung, Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und letztlich ihrer Vertreibung aus dem öffentlichen Leben, aus Stadt und Land.

Den Stolperstein-Biographien sind die schrittweisen Verschärfungen zu entnehmen, die schließlich auch in unserem Stadtteil spätestens ab 1938 nicht mehr zu übersehen waren. Jüdischen Ärzten, die bisher durchgehalten hatten, wurden 1938 die Approbationen entzogen. Sie mussten Praxen schließen und verloren damit ihre Existenzgrundlage. Mit der Pogromnacht am 9. November schließlich und der kurz darauf folgenden „Verordnung zur Ausschaltung von Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ war die systematische „Arisierung“ abgeschlossen. Verbliebene jüdische Betriebe verloren ihre Lizenz, wurden „abgewickelt“ oder zwangsweise „arisiert“ bzw. an „politisch unbedenkliche“ Interessenten verkauft, oft zu Spottpreisen. Allein in der Hamburger Straße waren mindestens 30 Geschäfte betroffen.

Juden wurden ab Ende 1938 letzte Freiräume genommen, das Bleiberecht streitig gemacht, Judenfeindlichkeit von Antisemiten offen ausgelebt. Jüdische Nachbarn verschwanden, weil sie wochen- oder monatelang in „Schutzhaft“ genommen waren, ab 1939 ihr Wohnrecht verloren und in „Judenhäusern“ Zuflucht suchen mussten, emigriert waren oder Suizid begangen hatten.

Trotzdem kennen wir Berichte von nachbarschaftlichem Zusammenhalt, von freundlichen älteren Polizisten etwa, die einen jüdischen Schüler begleiteten und ihm zur Sicherstellung der familiären Ritualgegenstände Zugang zur geschlossenen Synagoge verschafften. Einer ihrer Kollegen in Barmbek Nord warnte seine jüdische Nachbarin vor der Pogromnacht und forderte sie auf, Verwandte aus einem anderen Stadtteil zur Sicherheit zu sich zu holen (…9.

Mit Kriegsbeginn im September 1939 verschärften sich die Drangsalierungen. Betriebene Auswanderungen, die oft per Schiff über England stattfinden sollten, mussten storniert werden. Nur wenige Länder erteilten überhaupt noch ein Visum. Gab es nach hohen Zwangsabgaben noch Vermögen, so war es anzumelden und auf ein Sicherungskonto einzuzahlen, von dem nur geringe monatliche Summen abgehoben werden durften. Auf Lebensmittelkarten standen Juden nur halbe Rationen zu, Produkte wie Fleisch wurden ihnen ganz verwehrt. Sie unterlagen nächtlicher Ausgangssperre, durften nicht telefonieren, ihren Wohnort nicht verlassen, kein Radio hören. Wöchentliche neue Verordnungen schränkten ihr Leben weiter ein.

1941 erfolgten von Hamburg aus die ersten Deportationen, betrieben von Reichsstatthalter Kaufmann, der in Berlin darauf mit der Begründung drängte, es werde nach ersten Zerstörungen durch alliierte Bomben Wohnraum gebraucht.

Die genaue Zahl der davongekommenen oder ermordeten jüdischen Familien und Einzelpersonen aus Barmbek und Uhlenhorst ist unbekannt. Unsere Recherchen anhand vorhandener Namen haben traurige, bedrückende Schicksale aufgezeigt. Zerrissene Familien, deren Kinder in der Fremde einer ungewissen Zukunft ausgesetzt waren, während die Eltern, bis zuletzt die Auswanderung betreibend, ihrer Deportation nicht entkommen konnten. Familien, die komplett ausgelöscht wurden. Nichtjüdische oder „halbjüdische“ Angehörige, die als Hinterbliebene weiteren Repressalien ausgesetzt waren.