Albert Schäfer
(13.1.1881 Köln – 22.1.1971 Hamburg)
Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der Phoenix Gummiwerke AG 1933-1946, Mitglied der Ernannten Bürgerschaft in Hamburg 1946, Präses der Handelskammer Hamburg 1946-1956, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages 1951-1954, Ehrungen u. a. Bürgermeister-Stolten-Medaille 1951, Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg 1956, Ehrenvorsitz der Handelskammer Hamburg auf Lebenszeit 1956, Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband 1966.
Hannoversche Straße 100, Phoenix AG (Wirkungsstätte)
Adolphsplatz 1, Handelskammer (Wirkungsstätte)
Albert-Schäfer-Weg, Eißendorf (benannt 2003)
Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte.
Zum Albert-Schäfer-Weg gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung: Umbenennung mit folgender Begründung: „Schäfer war als Vorstandsvorsitzender verantwortlich für den Zwangsarbeitereinsatz bei den Phoenix-Werken. Mit den Zweigwerken in Riga und Prag, in denen jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, beteiligte sich das Unternehmen aktiv an der nationalsozialistischen Ausbeutungspolitik in den besetzen Gebieten in Osteuropa. Schäfer betrieb die ‚Arisierung‘ der gemeinsam mit seinem jüdischen Geschäftspartner Max Goldschmidt gegründeten Firma Metallgummi GmbH und leistete nach 1945 erst Wiedergutmachung, als Goldschmidt diese erstritt.“ (Abschlussbericht der Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg, Feb. 2022, www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda98/data/empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen.pdf)
Albert Schäfer übernahm im April 1933 die Leitung der Harburger Gummiwarenfabrik Phoenix. Der gelernte Kaufmann blickte zu diesem Zeitpunkt auf eine mehr als drei Jahrzehnte währende Berufslaufbahn zurück. Zwischen 1912 und 1929 war er alleiniger Vorstand der Gummiwerke Titan B. Polack, anschließend in leitender Funktion bei der Continental AG in Hannover tätig. Schäfer war als Parlamentär an der kampflosen Übergabe Hamburgs im Mai 1945 beteiligt. 1946 wurde er zum Präses der Handelskammer Hamburg ernannt und hatte diese Position bis 1956 inne. Anlässlich seines 75. Geburtstags im selben Jahr wurde Schäfer vom Senat der Stadt Hamburg und anderen städtischen Akteuren öffentlich mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet.
Eine nach wie vor zentrale Frage der Unternehmensgeschichtsschreibung zur Zeit des Nationalsozialismus ist die nach Bedeutung und Umfang unternehmerischer Entscheidungs- und Handlungsspielräume.[1] Albert Schäfer war 1933 in die Deutschen Arbeitsfront (DAF) eingetreten, jedoch kein Mitglied in der NSDAP oder einer ihrer engen Unterorganisationen. Dennoch verfügte der Unternehmer gerade in den ersten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft nicht nur über ausreichend Handlungsspielräume, die ihm eine Umstrukturierung der Phoenix AG nach seinen Vorstellungen erlaubten. Vielmehr nutzte er die erst durch den Nationalsozialismus geschaffenen Handlungsspielräume zu seinen unternehmerischen Gunsten aus. Dies betraf insbesondere die von Schäfer vorgenommene Ausrichtung der Produktion auf Rüstungsgüter und die damit verbundene Annahme staatlicher Aufträge, das Feld der „Arisierung“ jüdischer Unternehmen, die Beteiligung an der nationalsozialistischen Ausbeutungspolitik in den besetzten Gebieten Europas und den Einsatz von Zwangsarbeiter:innen im eigenen Unternehmen. Nicht durch Zufall lassen sich die Verhaltensweisen Albert Schäfers und der Führungsriege der Phoenix, bei denen sie Handlungsspielräume des Nationalsozialismus ausnutzten, ausreizten, vielleicht sogar überreizten, für eine spezifische zeitliche Phase der nationalsozialistischen Herrschaft nachweisen. Dies waren die „Jahre der Euphorie“ zwischen 1938 und 1942, als sich angesichts riesiger Profitmöglichkeiten eine „Goldgräberstimmung“ in den großen Unternehmen ausbreitete und Vorbehalte gegenüber dem Regime verflüchtigten.[2]
Im Bereich der „Arisierung“ zeigte sich dies bei der Metallgummi GmbH, einer Firma, die vom jüdischen Ingenieur und Unternehmer Max Goldschmidt und der Phoenix AG unter Albert Schäfer 1934 zusammen gegründet und dann kurze Zeit später, angesichts der wachsenden Bedrohungslage gegenüber Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich, unter direkter Beteiligung von Schäfer gänzlich übernommen wurde.[3] Erst auf Initiative ihres ehemaligen Geschäftspartners Goldschmidt, der nach Kriegsende erfolgreich das Wiederkaufsrecht seiner Anteile erstritt, leisteten Schäfer und die Phoenix Wiedergutmachung. Schäfers aktiv erstrebte Mittäterschaft bei der Enteignung und Verdrängung von Jüdinnen und Juden werden anhand eines im Centre for German-Jewish Studies der University of Sussex archivierten Briefwechsels zwischen ihm und Max Goldschmidt mehr als deutlich.[4]
Auch die Firmenpolitik der Phoenix in den besetzten Gebieten in Europa reizte die durch den Nationalsozialismus geöffneten Handlungsspielräume vollständig aus. Neben den Firmen in West- und Nordeuropa, wo die Phoenix lukrative Lizenzverträge abschloss, zeigt sich dies in besonderer Weise in den besetzten Gebieten im Osten Europas. In Riga und in Prag unterhielt die Phoenix Zweigwerke, mindestens das Werk in Riga war nicht nur gepachtet, sondern seit 1942 im vollständigen Besitz der Phoenix AG. Dass Albert Schäfer keine zwei Monate nach der Besetzung Rigas durch deutsche Truppen im Juli 1941 mit dem Vorstandsmitglied und Ingenieur Eduard Stübiger einen seiner wichtigsten Angestellten für Sondierungen nach Riga schickte und im September selbst dorthin reise, wohl um die drei großen Gummifabriken der Stadt auf ihre Übernahmetauglichkeit zu überprüfen, zeigt, wie Albert Schäfer die ihm zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume nutzte. Die Gummifabrik Quadrat, für die sich Schäfer und der übrige Vorstand schließlich zur Übernahme entschieden, konnte vermutlich zu einem Preis erworben werden, der deutlich unter dem Marktwert lag. Die beiden Werke in Riga und Prag waren wichtige Teile des Produktionsnetzes der Phoenix, die Firma in Prag trug in den letzten Kriegsjahren einen erheblichen Anteil am Gesamtumsatz des Unternehmens bei. Die Bedeutung der annektierten Firmen im Osten Europas zeigt sich nicht nur an den Investitionen der Phoenix und dem Anteil am Gesamtumsatz, sondern ferner an der persönlichen Kapitalanlage Schäfers in Riga und der kontinuierlichen Entsendung zahlreicher leitender Angestellter und Fachkräfte aus dem Stammwerk in die jeweiligen Werke im Osten.
Der Einsatz von Zwangsarbeiter:innen in der Phoenix AG ist schon länger bekannt und über dessen Ausmaß gibt es einige Anhaltspunkte.[5] Im Stammwerk in Harburg stellten Zwangsarbeiter:innen während des Zweiten Weltkriegs zeitweilig die Hälfte der dortigen Belegschaft. Unter ihnen befanden sich viele zivile Arbeiter:innen insbesondere aus Russland und der Ukraine sowie russische, italienische, französische und aus anderen Nationen stammende Kriegsgefangene. Auch in den Firmen in den besetzten Gebieten vor allem in Osteuropa spielte Zwangsarbeit eine große Rolle. Es gibt einige Hinweise, dass der Einsatz von Zwangsarbeiter:innen in der Phoenix nicht allein fremdbestimmt war, sondern durchaus im Einklang mit dem Eigeninteresse der Unternehmensführung stand und von dieser aktiv angestrebt wurde. Systematische Misshandlungen von Zwangsarbeiter:innen in der Phoenix tauchen in den bisher bekannten Quellen nicht auf, jedoch kam es zu individuellen Misshandlungen mit zum Teil schweren Verletzungsfolgen, die vonseiten der Firmenleitung nicht sanktioniert wurden.
Albert Schäfer selbst war kein NSDAP-Mitglied, jedoch zahlreiche Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte der Phoenix AG. In einigen Fällen hatten Albert Schäfer und andere Mitglieder der Unternehmensführung ihnen persönlich und unter Verweis auf das Wohl der Firma zu einem Parteieintritt geraten. Diese Strategie demonstriert zweierlei. Zum einen war sie ein unternehmerisches Instrument, mit dem NS-Regime umzugehen und dessen Wohlwollen zu erhalten. Zum anderen zeigt dieses Beispiel eindrucksvoll, dass deutsche Firmenchefs wie Schäfer nach 1933 nicht selbst in die NSDAP eintreten mussten, um Teil der NS-Wirtschaft zu sein und eine erfolgreiche Unternehmenspolitik zu betreiben. Zugespitzt ließe sich formulieren, dass sogar eine – selbstverständlich nicht offen geäußerte – Ablehnung der NS-Ideologie keinen Widerspruch dazu bilden musste, nach 1933 als Unternehmer weiter in der Wirtschaft mitzumischen und damit Teil des Nationalsozialismus zu sein.
Text: Sebastian Justke