Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Verein für Deutsche Schäferhunde

Büro der Fachschaft Ifflandstraße 8


Im Jahr 1899 gründete der Kavallerieoffizier Max von Stephanitz-Grafrath in Karlsruhe den Verein für Deutsche Schäferhunde (S.V.). Von Stephanitz-Grafrath – ab 1902 auch Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Zucht und Verwendung von Polizeihunden – hatte aus wölfischen Hütehunden eine neue Rasse gezüchtet, die die gleichen „Tugenden“ aufweisen sollte wie deutsche Soldaten: Treue, Gehorsam, Präzision und Leistungsfähigkeit. Der Prototyp des reinrassigen Schäferhundes mit deutscher Abstammung und ausgeprägtem Kampftrieb trug den Namen Horand von Grafrath und wurde als Nummer 1 in das Zuchtbuch des neu gegründeten Schäferhundvereins eingetragen. Seine Eigenschaften hatte von Stephanitz-Grafrath zuvor detailliert entworfen. Es folgte „systematisch und planvoll die Zuchtselektion nach dem Leitbild, Schäferhundezucht ist Gebrauchshundezucht’“.[1] Vor allem beim Militär und bei der Polizei sollte die neue Hunderasse zum Einsatz kommen.

Auf der Basis seinen Zuchterfahrungen verfasste von Stephanitz-Grafrath zudem das Buch „Der deutsche Schäferhund in Wort und Bild“. Es erschien erstmals 1901 und wurde später deutlich erweitert; die Auflage von 1921 etwa umfasste über 1000 Seiten. In der Publikation bezog sich von Stephanitz-Grafrath unter anderem auf den Arzt und Begründer der deutschen Rassehygiene,Alfred Ploetz(1860–1940). Diesen ernannte Reichskanzler Adolf Hitler später zum Professor. Die Begründung, nämlich dass Ploetz „den Aufbau des Dritten Reiches in hohem Maße beeinflusst“ hätte[2], liefert der Arzt und Ministerialrat im Reichsinnenministerium Arthur Gütt (1891–1949). Dieser war Mitverfasser des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das ab 1934 die Basis der nationalsozialistischen Zwangssterilisationspolitik bildete.[3] So schloss sich schon hier der Kreis aus Schäferhundezüchtern, Eugenikern und NS-Rassehygienikern.

Von Stephanitz-Grafrath hatte bei Ploetz gelesen, „wie man eine arisch-germanische Menschenrasse züchtet“, und das „sozusagen als Modellversuch auf den Hund angewandt“, stellte der Historiker Wolfgang Wippermann fest.[4] „Er wollte ein deutsches Symbol schaffen.“[5] So verband von Stephanitz-Grafrath in seinem Buch die Zucht von Schäferhunden mit der menschlichen Gesellschaft und warnte zugleich vor der „Aufzucht von Schwächlingen“: „Unsere hochgezüchteten Stämme entsprechen etwa den oberen Zehntausend (…), denen des Geistes, des Schwertes, der Arbeit. Im Gegensatz dazu haben wir auch ein ,Schäferhund-Proletariat’ – nicht so, wie das Wort in klassenverhetzendem Sinne gebraucht wird. Dazu rechnet alles Krankhafte, Ungesunde, die, denen der Ansporn fehlt, aus eigener Kraft zu steigen; (…) dann die durch Zucht, Aufzucht und Haltung körperlich und seelisch verkommenen, die ver- und überzüchteten, die Zwingerhunde. Die alle erhalten, heben zu wollen, wäre verlorene Liebesmühe. Es ist Rassenabfall, selbst als Zuchtdünger nicht mehr verwertbar.“[6] Und bei „zur Vernichtung bestimmten Jungen“, so Stephanitz, bringe man diese „am schnellsten und sichersten um, indem man sie von der Höhe des ausgestreckten Armes fest auf einen harten, möglichst mit Stein gepflasterten Boden oder aus entsprechender Entfernung gegen eine Mauer wirft.“[7]

Es verwundert daher nicht, dass der Schäferhund als „deutsches Symbol“ und mit seiner Zuchtgeschichte auch zum Symbol des Nationalsozialismus wurde. Nun stand er im Dienst des Reichs, der NS-Propaganda und des „Führers“. Bei den regionalen Gautreffen mussten auch Schäferhunde mit ihren Hundeführern durch die Straßen marschieren. Und Schäferhündin Blondi sollte Hitler nicht von der Seite weichen, vor allem nicht in Aufnahmen für die „Wochenschau“, eine wöchentliche Zusammenstellung von Filmberichten über politische, gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse im NS-Regime, die im Kino lief. „Mit seinem Hund hat er sich menschlich dargestellt“, so Wippermann. „Insofern ist der deutsche Schäferhund ein Teil des Führerkults.“[8]

Bereits 1933 zeigt das Beispiel des weißen Schäferhundes, wie zudem die Auslese innerhalb der Schäferhundezucht im Nationalsozialismus verlief. Der weiße Schäferhund kam ursprünglich bevorzugt als Hütehund zum Einsatz, da er sich vor allem in der Dunkelheit gut von angreifenden Wölfen unterscheiden ließ. Für den Militärdienst dagegen war er bereits im Ersten Weltkrieg untauglich, da er ein weithin sichtbares Ziel darstellte. Auch dem NS-Regime passte der weiße Schäferhund nicht ins Bild, jedoch aus anderen Gründen. Ihm wurden alle Erbdefekte bei der Zucht zugeschrieben, darunter Fehlentwicklungen des Hüftgelenks oder des Ellbogens, Blindheit und Taubheit, Unfruchtbarkeit sowie allgemeine Lebensuntüchtigkeit. So wurde er mit Zustimmung Max von Stephanitz-Grafraths aus dem Rassestandard des Schäferhundevereins entfernt und nicht mehr zur Zucht zugelassen.[9]

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bildeten die drei größten Organisationen des deutschen Hundewesens bereits am 1. Oktober desselben Jahres den neuen, „gleichgeschalteten“ Reichsverband für das Deutsche Hundewesen. Dieser unterstand dem Deutschen Reichsbund für Leibesübungen, einer von der NSDAP betreuten Organisation.[10] Die einzelnen Vereine, darunter der Verein für Deutsche Schäferhunde, wurden Fachschaften. Die Hamburger Fachschaft bestimmte 1934 ihr langjähriges Mitglied Louis Bodenstab aus Hamburg-Hohenfelde zum Vorsitzenden. „Außerordentlich rege“ setzte er sich für Zucht und Leistung der deutschen Schäferhunde ein, fungierte als Richter bei Zuchtschauen im In- und Ausland.[11] 1934 und 1935 befand sich zudem das Büro der Fachschaft in seinem Wohnhaus in der Ifflandstraße 8.[12]

1937 löste Hermann Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan und zugleich Reichsjägermeister die 19 Jagdhundefachschaften aus dem neuen Reichsverband; noch im selben Jahr wurde dieser als Reichsfachgruppe Deutsches Hundewesen e.V. dem Reichsverband Deutscher Kleintierzüchter e.V.untergeordnet.[13]

Knapp zwei Jahre später wurden die Hundezuchtvereine im Zuge der Kriegsvorbereitungen wieder aufgewertet, in den selbstständigen Reichsverband für Hundewesen überführt und dem Oberkommando des Heeres unterstellt.[14] Dieses veröffentlichte am 8. September 1939, sieben Tage nach Kriegsbeginn, „Bestimmungen und Richtlinien für den Dienstbetrieb der Hundeersatzstaffeln”. Nun sollten nicht nur verstärkt Soldaten, sondern auch Hunde rekrutiert werden: „Die (…) abgelieferten Hunde sind anzukaufen und gehen in das Eigentum des Heeres über. Als durchschnittlicher Richtpreis sind 70 RM anzusetzen. Für besonders gute Gebrauchshunde aus nachgewiesener Leistungszucht kann bis zu 120 RM gezahlt werden.“[15]

1941 folgte der Wechsel unter das Dach der SS.[16] Damit einher ging ab 1942 der Einsatz der Schäferhunde in Konzentrationslagern. Oswald Pohl, Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS, ließ im Juli 1942 in seinem Amt die neue Hauptabteilung Schutz- und Suchhunde einrichten. Zu ihren Aufgaben gehörte die Beschaffung, Zucht und Ausbildung von für das KZ vorgesehen Hunden – die zu einem Großteil aus Ortsgruppen des ehemaligen Vereins für Deutsche Schäferhunde sowie anderen Hundezuchtvereinen kamen.[17]

Die Leitung der Abteilung übernahm nebenamtlich der ebenfalls 1942 eingesetzte Beauftragte für das Diensthundewesen beim Reichsführer-SS, Franz Mueller-Darß (eigentlich nur Mueller; 1890–1976). Er galt als anerkannter Hundezüchter und -ausbilder und hatte nach 1933 in NSDAP und SS Karriere gemacht.[18] Sein Buch „Abrichten und Führen des Jagdhundes“ wurde noch 1994 in einer Neuauflage verlegt.[19] Mueller-Darß’ oberster Vorgesetzter, der Reichsführer-SS Heinrich Himmler, hatte 1943 seine Vorstellungen zum Einsatz von Hunden in Konzentrationslagern deutlich formuliert: „Hunde, die an der Außenseite der Lager revieren, müssen zu derartig reißenden Bestien erzogen werden, so wie es die Hetzhunde in Afrika sind. Sie müssen so abgerichtet sein, daß sie mit Ausnahme ihres Wärters jeden anderen zerreißen. Dementsprechend müssen die Hunde gehalten werden, damit kein Unglück passieren kann. Sie sind eben nur bei Dunkelheit heranzulassen, wenn das Lager geschlossen ist und müssen morgens wieder eingefangen werden.“[20]

Allerdings dienten die Schäferhunde in Konzentrationslagern nicht nur als Wachhunde, sondern auch als Folterwerkzeuge und Tötungsinstrumente: „Die Kinder von Theresienstadt kannten einen einzigen Hund im Lager, einen großen Deutschen Schäferhund, der stets die Zähne fletschte. Er begleitete immer seinen Herrn, der auf seinem Pferd durch Theresienstadt ritt. Denn der Lagerkommandant war ein großer ‚Sportsmann und Jäger‘. So hetzte er zum Beispiel den Lehrer Titelmann zu Tode, als dieser gerade mit den Kindern auf den Schanzen spazieren ging und die vier Windrichtungen erklärte…,Saujud, lauf!’ brüllte der Kommandant und ließ seine Reitpeitsche knallen, bis Titelmann erschöpft zu Boden sank. Der Hund hielt den am Boden liegenden Mann mit den Vorderpfoten nieder…“[21]

Ein Jahr nach Kriegsende, 1946, wurde der Verein für Deutsche Schäferhunde wiedergegründet und die Hauptgeschäftsstellen „mit eigenem Zucht-, Kör- und Leistungsbuch“ wieder eröffnet. In Hamburg betätigte sich wie früher Louis Bodenstab als Richter und Körmeister[22] (in letztgenannter Funktion wählte er anhand der Vereinsvorschriften geeignete Schäferhunde für die Züchtung aus). Vorsitzender der Hamburger Ortsgruppe war zu jener Zeit Josef Berger.[23]

Am 18. Januar 1948 fand die offizielle Wiedergründung des Vereins für Deutsche Schäferhunde statt, am5. Februar 1948wurde sie mit einem großen Fest und vielen Gästen in Hamburg gefeiert.[24] Vermutlich werden die Gäste angesichts des zu schaffenden Wirtschaftswunders nicht über die zurückliegende „schlechte Zeit“ gesprochen haben. Doch was schreibt der Verein heute zu seiner Rolle in der NS-Zeit? Ganze drei Sätze. Und das Wenige folgt dem bekannten Opfermythos: „1933 vollzog sich dann die große Veränderung – auch im deutschen Hundewesen. Zwangsweise wurden bisher unabhängige Vereine in einen ‚Reichsverband‘ überführt. Die Rasse wurde zu Propagandazwecken missbraucht. Viele tausend Schäferhunde wurden in dem grausamen Zweiten Weltkrieg als Melde-, Gasspür- und Munitionsträgerhunde eingesetzt oder auch als lebende Bomben geopfert. Die gesamte Population war bedroht.“[25]

Mehr als 30.000 deutsche Schäferhunde waren für den Zweiten Weltkrieg beschlagnahmt worden.[26] Nur wenige von ihnen überlebten. Das Leid, das den Tieren angetan wurde, steht außer Frage. Dass aber auch in Konzentrationslager Schäferhunde zum Einsatz kamen, die von Ortsgruppen des Vereins für Deutsche Schäferhunde gezüchtet und ausgebildet worden waren, spielt in der aktuellen Geschichtsdarstellung des Vereins keine Rolle – ein bis heute typischer Umgang der meisten deutschen Vereine und Verbände mit ihrer Rolle in der NS-Zeit, so der Historiker Henning Borggräfe: „Während die Würdigung eigener Verdienste im Krieg zumindest aus Publikationen rasch verschwand, blieb die Ausblendung der Beteiligung an der NS-Herrschaft durch die eigene Vereins- und Verbandspraxis über Jahrzehnte konstitutiv.“[27]

Autorin: Frauke Steinhäuser