Heinrich Reincke
(21.4.1881 Hamburg – 3.11.1960 Hamburg)
Historiker, Direktor des Hamburger Staatsarchives
Moorreye 58 (Privatadresse)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof, Grablage P 10, 1-4
Reinckeweg, Hummelsbüttel, benannt 1975 nach Dr. Julius Reincke (1842-1906), Physiker und nach seinem Sohn Prof. Dr. Heinrich Reincke (1881-1960), Direktor des Staatsarchives in Hamburg. Teilumbenennung im April 2024: Nun heißt der Reinckeweg nicht mehr nach Heinrich Reincke, sondern ausschließlich nur nach Julius Reincke, nach dem seit 2009 in Hamburg-Eppendorf noch eine weitere Verkehrsfläche heißt: Julius-Reincke-Weg.
Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte.
Zum Reinckeweg gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung: Umbenennung mit folgender Begründung: „Reincke engagierte sich über seine berufliche Aufgabe hinausgehend u. a. durch Meldungen an die Gestapo über jüdische Abstammungen einzelner Personen. Reincke war damit unmittelbar an der nationalsozialistischen Ausgrenzung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden und als „jüdisch“ etikettierten Menschen beteiligt. In Vorträgen und Publikationen transportierte er nationalsozialistische Ideologien von „Blut und Boden“-Ideen über Antisemitismus bis zum Führerkult. Die Kommission empfiehlt die Änderung des Erläuterungstextes, nicht die Umbenennung des Straßennamens, da die Straße auch nach Heinrich Reinckes Vater Julius Reincke benannt ist und diese Benennung bestehen bleiben soll. Nur nach Heinrich Reincke soll die Straße zukünftig nicht mehr benannt sein. Die Benennung soll nur nach dem Physiker Dr. Julius Reincke erfolgen. Gleichzeitig sollte auf dem Erläuterungsschild auf die Geschichte des Straßennamens und die Aberkennung der Benennung nach Heinrich Reincke hingewiesen werden.“ (Abschlussbericht der Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg, Feb. 2022, www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda98/data/empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen.pdf)
Heinrich Reincke: Promotion 1906, ab 1909 im Staatsarchiv Hamburg tätig, ab 1933 Direktor des Staatsarchivs. Joist Grolle schreibt über Heinrich Reincke in der Hamburgischen Biografie: „ Reinckes wissenschaftliches Verdienst ist überschattet durch kritiklose Gefolgschaftstreue während der NS-Zeit. Bereits im Jahre 1933 erschien seine Hamburg-Geschichte [zuerst erschienen 1925] in einer überarbeiteten Ausgabe, die durchgehend an den Geist der neuen Machthaber angepasst war.“ 1) Und Jürgen Sielemann veröffentlicht dazu: „Nach 1945 hätte Reincke das Buch beinahe erneut umgeschrieben, um es mit den geänderten Zeitverhältnissen in Einklang zu bringen. Diese Haltung entsprach einer Auffassung, die er 1942 in einem Schreiben an Gauamtsleiter Rodde vom Reichspropagandaamt Hamburg wie folgt formuliert hatte: ‚Geschichte ist stets Vergegenwärtigung, also Zusammenführung von Vergangenheit und Gegenwart. Es gibt keine zeitlose Geschichte, jeder Historiker ist seiner Zeit verfallen, und das soll er auch ehrlich bekennen. Auf dieser Basis werden sich echte ernste Propaganda und lebensvolle Geschichtsforschung stets zusammenfinden.‘
‚Jeder Historiker ist seiner Zeit verfallen“ – diese Feststellung bedeutet für Reincke offenbar einen Freibrief für die schnelle Anpassung von Geschichtsforschern an die jeweils herrschende politische Situation.“ [2]
Heinrich Reincke gehörte seit 1937 der NSDAP an. „Bei offiziellen Anlässen war er ein dem Regime ergebener Festredner. Während des Krieges stellte er seine Feder als Historiker vorbehaltlos in den Dienst der Eroberungspolitik Hitlers. Im Dezember 1945 wurde Reincke von der britischen Militärregierung als Archivdirektor amtsenthoben, im September 1946 jedoch wieder eingesetzt. Mit Erreichen der Altersgrenze trat er im Januar 1948 in den Ruhestand. (…) Zu Reinckes 75. Geburtstag verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität Hamburg die Ehrendoktorwürde, der Verein für Hamburgische Geschichte die Lappenberg-Medaille in Gold.“ [3]
Jürgen Sielemann schreibt über Reincke und seinen Mitarbeiter Hans Kellinghusen weiter: „Wie sehr Kellinghusen und Reincke vom nationalsozialistischen Rassenwahn erfüllt waren und wie stark sie ihn unterstützten, offenbaren der Vernichtung entgangene Dokumente aus der damaligen Geschäftsaktenregistratur des Staatsarchivs Hamburg. Sie zeigen, wie beide Beamten verfuhren, wenn bei den Nachforschungen ‚nichtarische‘ Vorfahren festgestellt wurden. In solchen Fällen informierten sie ohne Wissen der betroffenen Antragsteller deren Arbeitgeber und Parteidienststellen. Über diese Eigeninitiative berichtete Kellinghusen der Berliner Gauleitung im Dezember 1937 das Folgende: ‚Im Staatsarchiv wird schon seit 1933, sobald eine artfremde oder jüdische Abstammung festgestellt wird, den in Frage kommenden Dienststellen des Staates oder der Partei Mitteilung gemacht. Zu diesem Zwecke wird bei mündlichen Anfragen regelmäßig die Frage gestellt, welcher Stelle der Abstammungsnachweis zu erbringen ist. [...] Wir sind gern bereit, [...] darüber hinaus in jedem Falle, wenn der Antragsteller in Berlin wohnhaft ist und artfremder oder jüdischer Einschlag festgestellt wird, dem Gaupersonalamt Mitteilung zu machen.‘ Die gleichen Angebote offerierten Reincke und Kellinghusen auch anderen Gauleitungen und dienten ihnen ebenso als emsige Denunzianten. Durchschriften ihrer Auskünfte erhielt das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS.
Vielfältige Beziehungen bestanden zum Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern und zu Dr. Wilhelm Holzmann, dem fanatischen Leiter des Hamburger Amts für Rasseforschung. (…)
Wie viele Menschen durch Kellinghusens und Reinckes Denunziationen geschädigt wurden, lässt sich nicht beziffern. Nur ein Teil ihrer damaligen Tätigkeit ist dokumentiert. Doch zeigen die erhaltenen Dokumente in aller Deutlichkeit, dass beide nicht als ohnmächtige Erfüllungsgehilfen agierten, sondern starken Ehrgeiz bei der Aufspürung von ‚nichtarischen‘ Vorfahren entwickelten. Als willige Diener des nationalsozialistischen Rassenwahns taten sie alles, was zur Ermittlung von ‚Nichtariern‘ in ihrer Macht stand.“ [4]