Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

„Staatskommissar für die Ausschaltung von Nationalsozialisten“

in der heutigen Spielbank Hamburg
Stephansplatz 10/Ecke Esplanade


In diesem Gebäude hatte ursprünglich das „Hotel Esplanade“ (Standort: 1908–1939) seinen Sitz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war während der Zeit der britischen Militärregierung in dem nun nicht mehr als Hotel genutzten Gebäude die Senatskommission „Staatskommissar für die Ausschaltung von Nationalsozialisten“ untergebracht.

Gut zwei Monate nach der militärischen Zerschlagung des „Dritten Reiches“ tagte vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 auf Schloß Cecilienhof bei Potsdam die Potsdamer Konferenz der „Großen Drei“: Harry S. Truman (1884–1972), Josef W. Stalin (1879– 1953) und Winston Churchill (1874–1965). Als Ergebnis formulierte das Potsdamer Abkommen für die vier Besatzungszonen gemeinsame programmatische Zielsetzungen, die ein Alliierter Kontrollrat zeitnah umsetzen sollte. Neben Demilitarisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung ging es den Alliierten vor allem um eine umfassende Denazifizierung Deutschlands, das heißt, die deutsche und österreichische Gesellschaft sollte in allen Bereichen von nationalsozialistischen Einflüssen gesäubert, aus Politik, Ökonomie, Jurisdiktion, Kultur und Presse sollten sämtliche Nationalsozialisten entfernt werden. NS-Organisationen wurden verboten, NS-Gesetze aufgehoben, jede Erinnerung an das „Dritte Reich“ in der Öffentlichkeit untersagt. Allerdings enthielt das Abkommen kein einheitliches Verfahren für alle Besatzungszonen, so dass jede Be­satzungsmacht in ihrer Zone nach eigenen Prämissen und mit unterschiedlicher Härte agierte. Während sich 22 führende Repräsentanten des NS-Regimes seit dem 20. November 1945 vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg verantworten mussten (gegen zwölf von ihnen wurde am 1. Oktober 1946 die Todesstrafe verhängt), diente den Besatzungsmächten zur Einschätzung der deutschen Bevölkerung ein fünf Kategorien umfassendes Grobraster: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. In einem 131 Fragen umfassenden Fragebogen hatte jeder erwachsene Deutsche sein Verhältnis zum Nationalsozialismus offenzulegen. Ein Verfahren, das einen enormen bürokratischen Aufwand bedeutete, ohne von den Deutschen, die sich nach Kriegsende kaum noch zum Nationalsozialismus bekannten, akzeptiert zu werden. Zudem zeigte sich schnell, dass eine wirklich umfassende Entnazifizierung, die alle Nationalsozialisten aus ihren Funktionen entfernt, interniert und bestraft hätte, in der Praxis kaum durchführbar war. Zum einen existierte in Deutschland keine ausreichend große Ersatzelite, die durch ihre Distanz zur NS-Herrschaft nicht diskreditiert war, zum anderen war insbesondere Großbritannien angesichts seiner kriegsbedingt gebeutelten Ökonomie und der hohen Besatzungskosten daran gelegen, den Zeitraum der Besatzung möglichst kurz und die Zahl seiner Truppen möglichst gering zu halten, um – wie es Churchill formulierte – in Deutschland nicht auf Dauer „an einen Leichnam gefesselt zu sein“. Immerhin hatten die Briten mit knapp 23 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nicht nur die bevölkerungsreichste, sondern auch die am wenigsten zur Selbstversorgung fähige Besatzungszone übernommen, wobei Hamburg als größte Stadt mit 1946 wieder mehr als 1,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ein besonderes Versorgungsproblem darstellte. Insgesamt ein Gebiet, das langfristig von außen am Leben erhalten werden musste, wenn es nicht gelang, über die politische auch die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren. Praktisch bedeutete das: keine Experimente, sondern politischer Pragmatismus auf einer Ebene, die es möglichst vielen Deutschen ermöglichen sollte, ihren Frieden mit einer demokratisierten Gesellschaft zu machen.

Um nicht einen Großteil der deutschen Bevölkerung vom politischen Leben auszuschließen, lag es nahe, die Hürde für eine Beteiligung an der verordneten Demokratie nicht zu hoch zu bauen. Zunächst galt es, exponierte Nationalsozialisten ihrer Funktionen zu entheben, was in Hamburg bis zum Herbst 1945 mit der Entlassung einiger Tausend Beamten und Angestellten aus der öffentlichen Verwaltung geschah, und einige Hundert besonders belastete Funktionäre zu internieren. Nach Angaben der Militärregierung lag die Zahl der Entlassenen in Hamburg-Mitte August 1945 bei 6,4 Prozent (ca. 2800 von insgesamt 43330 Personen), wobei der Anteil unter den höheren Beamten mit ca. 20 Prozent deutlich höher ausfiel. Annähernd 200000 Personen waren 1946 in den drei Westzonen interniert und warteten auf ihre Verfahren vor den Spruchkammern. Dabei diente in Hamburg das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme zur Unterbringung der Häftlinge, bei denen es sich vor allem um höhere Funktionäre der NSDAP und ihrer zahlreichen Unterorganisationen handelte. Bis zum 1. Januar 1947 war knapp die Hälfte wieder entlassen, wobei das verhängte Strafmaß in der Regel mit der Internierungszeit abgegolten war. Zu diesem Zeitpunkt wurde die amerikanische und britische Besatzungszone zum „Vereinigten Wirtschaftsgebiet“ der „Bizone“ zusammengefasst. Für die Briten Anlass genug, die meisten staatlichen Tätigkeiten, wie z. B. die Fortführung der Entnazifizierung, an deutsche Stellen zu übergeben und sich künftig auf deren Kontrolle zu beschränken. Ein Jahr später war die Entnazifizierung im britischen Einflussbereich faktisch beendet. Ausgenommen waren lediglich Verfahren, die vor dem 1. Januar 1948 eingeleitet oder zur Wiederaufnahme – etwa wegen erwiesener Fragebogenfälschung – zugelassen worden waren. Nach Auffassung der Militärregierung war der größte Teil der ehemals aktiven Nationalsozialisten seiner Ämter enthoben und bestraft. Eine abschließende Statistik der Entnazifizierung in Hamburg legt allerdings andere Vermutungen nahe. Betrug die Zahl der insgesamt bearbeiteten Fälle 327157, so lag die Zahl der „Entlasteten“ bei 131119, die der „Mitläufer“ bei 15052 und die der „Minderbelasteten“ bei 1084. Als „unbelastet“ galten 179902 Personen. Die Statistik wurde dadurch verzerrt, dass die Militärregierung auch Zuordnungen in die beiden ersten Gruppen („Hauptschuldige“ und „Belastete“) vorgenommen hatte, deren Gesamtzahl jedoch nicht veröffentlichte. Als Beispiel dafür, welche milden Maßstäbe bei der „Entnazifizierung“ im Zeichen des heraufziehenden Kalten Krieges Verwendung fanden und die Verfahren in den Augen etlicher Zeitgenossen endgültig zur Farce machten, mag der Prozess gegen den ehemaligen Hamburger Bürgermeister, Carl Vincent Krogmann (1889–1978, siehe Profil), vor der Spruchkammer in Bielefeld dienen, der am 14. April 1948 begann. Krogmann, angeklagt in seiner Eigenschaft als Mitglied des Korps der Politischen Leiter, verstand es, seine Befugnisse und Kenntnisse während der NS-Herrschaft zu bagatellisieren, indem er dem ehemaligen Gauleiter und Reichsstatthalter von Hamburg, Karl Kaufmann (1900– 1969, siehe Profil), die alleinige Verantwortlichkeit zuschrieb. Der Prozess endete mit der Verurteilung zu einer Geldstrafe von 10000 Reichsmark, die durch die Internierungshaft als verbüßt galt. Obwohl es das Gericht für erwiesen hielt, dass Krogmann erhebliche Kenntnisse von den Verbrechenskomplexen Judenverfolgung und Verfolgung politischer Gegner hatte, hieß es in der Urteilsbegründung, man habe ihm unter Würdigung seiner einwandfreien Persönlichkeit, seines Werdegangs und seiner Tätigkeit eine entehrende Freiheitsstrafe ersparen können. Nach Überzeugung des Gerichts habe der Angeklagte auch mannhaft zugegeben, was er wusste. Es sei möglich, dass er sich keine besonderen Gedanken darüber gemacht habe, ob das politische Führerkorps bei verbrecherischen Maßnahmen mitwirkte. Nach der Urteilsverkündung schrieb die „Hamburger Freie Presse“: „Am Sonntagmittag aß Herr Krogmann noch im Uhlenhorster Fährhaus zu Mittag, herzlich begrüßt von zahlreichen Gästen. Er wusste wohl, dass ihm nicht viel bevorstand.“

Text: Joachim Szodrzynski