Finanzbehörde
Gänsemarkt 36
Die Rolle der Finanzbehörden in der Judenverfolgung
Siehe auch Hans Nieland
Als sich der jüdische Kaufmann Berthold Walter im August 1935 vom siebten Stock des Finanzgebäudes am Gänsemarkt in den Lichthof zu Tode stürzte, wies er mit seinem Suizid symbolisch auf die besondere Rolle der Finanzbehörden in der Judenverfolgung hin.
Von Anfang an legten die nationalsozialistischen Machthaber großen Wert darauf, das Vermögen der Juden schrittweise zu konfiszieren und den – wie sie es nannten – „Abfluss von Judenkapital“ ins Ausland zu verhindern. Bei diesem handelte es sich nach nationalsozialistischer Definition nämlich nicht um Privatbesitz, sondern um „Volksvermögen“. Deshalb entwickelte der NS-Staat ein ausgeklügeltes System von Steuern und Zwangsabgaben, um Juden vor allem bei der Emigration weitgehend auszuplündern.
Eine besondere Rolle spielte dabei die „Reichsfluchtsteuer“, die ab Mai 1934 schon bei einem Vermögen über 50000 Reichsmark erhoben wurde. Im Haushaltsjahr 1938/39 spielte die Reichsfluchtsteuer 342 Millionen RM in die Staatskasse. Noch im Februar 1938 erfassten die Listen der bei den Hamburger Finanzämtern registrierten „reichsfluchtsteuerfähigen Nichtarier“ insgesamt 877 Personen.
Tauschten Juden bei der Auswanderung ihre Reichsmark in ausländische Devisen, mussten sie eine Abschlagszahlung an die „Deutsche Golddiskontbank“ (Dego) leisten, die bereits im August 1934 insgesamt 65% der transferierten Gesamtsumme betrug und bis September 1939 auf 96% stieg. Wer zu diesem Zeitpunkt auswanderte und 100000 RM in Devisen umtauschen wollte, konnte also nur 4000 RM tatsächlich transferieren.
Im April 1938 wurden alle deutschen Jüdinnen und Juden gezwungen, deren Vermögen 5000 RM überstieg, ihren Besitz in umfangreichen Vermögenslisten aufzuführen und den zuständigen Finanzämtern einzureichen, so dass die Finanzverwaltung über den Gesamtbesitz der deutschen Jüdinnen und Juden genauestens informiert war.
Nach dem Novemberpogrom 1938 erhoben die Finanzämter die so genannte „Judenvermögensabgabe“, die den damals noch im Deutschen Reich lebenden Jüdinnen und Juden als Zwangskontribution auferlegt wurde, um u. a. die Pogromschäden zu beseitigen. Sie erbrachte mehr als 1,25 Milliarden RM und wurde vielerorts – auch in Hamburg – noch durch „Auswandererabgaben“ ergänzt, die von der Gestapo erhoben wurden.
Seit November 1941 wurde schließlich nicht nur das in Deutschland verbliebene Vermögen der jüdischen Emigranten, sondern auch der Besitz der jüdischen Deportierten zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert. Für die „Verwertung“ des Besitzes der Deportierten wurde eigens eine „Vermögensverwertungsstelle“ eingerichtet.
Eine besonders aktive Rolle in der Judenverfolgung spielte die Devisenstelle der jeweiligen Oberfinanzdirektion, die sich in Hamburg am Großen Burstah befand und von Oberregierungsrat Josef Krebs [1891– 1966] geleitet wurde. Durch Reichsgesetz wurden sie in die Lage versetzt, so genannte „Sicherungsanordnungen“ zu erlassen, die den jüdischen Eigentümern jegliche Verfügungsgewalt über ihr Vermögen raubten, das auf „Sicherungskonten“ eingezahlt wurde, über die nur mit Genehmigung der Devisenstelle verfügt werden konnte. Bis November 1939 erließ allein die Hamburger Devisenstelle insgesamt 1372 dieser „Sicherungsanordnungen“.
Wie sich diese zahlreichen Einzelmaßnahmen zu einem lückenlosen finanziellen Ausplünderungsnetz verknüpften, wird am Beispiel des Hamburger Kaufmanns Albert Aronson deutlich, der im Juli 1938 noch zu den wohlhabendsten Geschäftsleuten Hamburgs gehörte. Er war Alleininhaber der Schokoladenfabrik „Reese & Wichmann GmbH“, der Zigarettenimportfirma „Havana-Import-Compagnie“ und von 36 Grundstücken, darunter einige in exponierter Lage. Der Gesamtwert seines Besitzes betrug über 4 Millionen RM. Als Aronson sechs Wochen später nach London auswanderte, konnte er nur 1,7% seines Vermögens ins Ausland retten. Um Geld für die Auswanderung zu erhalten, hatte er bei seiner Bank M. M. Warburg & Co. einen Kredit von 800000 RM aufgenommen, von denen nur 66000 RM (=5413£) transferiert wurden, während 734000 RM als Abschlagszahlung an die Deutsche Golddiskontbank flossen. Zur Tilgung des Kredits hatte Aronson den größeren Teil seiner Grundstücke zum Schleuderpreis verkaufen müssen, während seine beiden Firmen „arisiert“ wurden. Der Erlös der Firmenverkäufe von 800000 RM, der dem tatsächlichen Firmenwert nicht entsprach, wurde auf ein Sicherungskonto überwiesen, über das Aronson nicht frei verfügen konnte. Die Hamburger Oberfinanzdirektion hatte am 12. Juli 1938 nämlich eine Sicherungsanordnung gegen ihn erlassen. An Abgaben musste Aronson 613713 RM „Reichsfluchtsteuer“, 245410 RM „Judenvermögensabgabe“ und 100000 RM an einen Geheimfonds des Hamburger NSDAP-Gauleiters zahlen, um die Freigabe seines Passes zu erreichen. Das verbleibende Geldvermögen und die restlichen Grundstücke wurden aufgrund der 11. Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert, das sich damit 98,3% seines Besitzes angeeignet hatte.
Keiner der Hamburger Finanzbeamten wurde nach 1945 für seine Beteiligung an der Judenverfolgung zur Rechenschaft gezogen.
Text: Frank Bajohr