Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Theodor Heynemann

(20. August 1878 Lemgo - 15. Dezember 1951 Hamburg)
Arzt (Gynäkologe), Universitätsprofessor
Rothenbaumchaussee 26 (Wohnadresse 1940 und auch später noch nach 1945)
Heynemannstraße (Langenhorn, 1960 benannt)


Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte.

Zur Heynemannstraße gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung: Umbenennung mit folgender Begründung: „Heynemann war als Leiter der Frauenklinik für die Durchführung von Zwangssterilisationen verantwortlich und hat bewusst die dauerhafte Schädigung von Menschen herbeigeführt. Er war bereits vor 1933 aktiver Vertreter der Eugenik, sprach sich für Zwangssterilisationen aus und versuchte diese in die universitäre Lehre zu integrieren. In exponierter Stellung setzte er sich aktiv für die Umsetzung nationalsozialistischen Gedankenguts im medizinischen Bereich ein. Da durch die Zwangssterilisationen Menschen bis zu ihrem Lebensende durch den Eingriff geschädigt worden sind, ist eine Umbenennung geboten.“ (Abschlussbericht der Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg, Feb. 2022, www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda98/data/empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen.pdf)

 

Theodor Heynemann wurde 1878 in Lemgo als erstes von vier Kindern eines Apothekers und einer Kaufmannstochter geboren.[1] Von 1888 bis 1897 besuchte er das Gymnasium in Lemgo, von 1897 bis 1903 studierte er Medizin an den Universitäten in Würzburg, München und Kiel. Als Student war er Mitglied in der Burschenschaft Corps Nassovia zu Würzburg, der er laut seiner Biographin Christina Quellmann bis an sein Lebensende verbunden blieb. 1903 beendete er das Studium mit dem Staatsexamen und der Approbation als Arzt. Nach einem kurzen freiwilligen Militärdienst zog er im selben Jahr nach Hamburg, wo er für vier Jahre zunächst als Volontär-, dann als Assistenzarzt am Allgemeinen Krankenhaus (AK) St. Georg arbeitete. Als nächste berufliche Station wirkte er zwischen 1907 und 1914 in Halle, wo er sich zunächst als Assistenzarzt zum Gynäkologen weiterbildete und seit 1910 als Oberarzt tätig war. In diesen Jahren forschte er zur Röntgenstrahlung und Radiumtherapie und veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Publikationen. Im Oktober 1910 habilitierte er sich mit einer Arbeit zur Bakteriologie, im Dezember 1913 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Ersten Weltkrieg wurde er bereits im August 1914 zum Militär eingezogen und war als Stabsarzt der Reserve an der „Ostfront“ tätig. Im Sommer 1917 wurde er nach Halle zurückgerufen, um bis Ende 1918 die Leitung der Klinik zu vertreten.[2]

Bereits im Juni 1914 war Heynemann vom AK Barmbek zum gynäkologischen Oberarzt ernannt worden, kehrte jedoch aufgrund des Krieges erst im Februar 1919 endgültig nach Hamburg zurück. Nachdem er im Mai 1919 von der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg zum ordentlichen Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie ernannt worden war, wechselte er im Juni an die Frauenklinik Eppendorf, als deren Leiter er bis 1950 fungierte. 1922 wurde er zum planmäßigen ordentlichen Professor berufen und als Beamter vereidigt. Nebenbei führte er eine eigene Praxis in seiner Privatwohnung.[3] 1926/27 amtierte er kurzzeitig als Dekan der Medizinischen Fakultät.[4] Seit Ende der 1920er Jahre setzte sich Heynemann für den Ausbau der Frauenklinik ein und protestierte u.a. gegen die räumlichen und personellen Zustände – Bemühungen, die seit 1931 auch zu Verbesserungen führten.[5]

Heynemann war Mitglied in mehreren Vereinigungen wie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGG), der Nordwestdeutschen Gesellschaft für Gynäkologie, dem Ärztlichen Verein und der Hamburger Geburtshilflichen Gesellschaft.[6]

Politisch war Heynemann seit ca. 1910 Mitglied der Nationalliberalen Partei und dann von 1918 bis 1933 Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP).[7] Quellmann zufolge war er ein bekennender „Bismarckianer“. Als „typischer Vertreter“ der Professorenschaft verstand er sich selbst als „unpolitisch“ und „national denkend“ und stand der Republik kritisch gegenüber.[8] Im Gefolge der Novemberrevolution führte dies 1919 zu Konflikten Heynemanns mit kommunistischen Krankenhausräten am AK Barmbek.[9] Als im Mai/Juni 1932 eine Ausstellung „Gesunde Frau – Gesundes Volk“ des Zentralinstituts für Volksgesundheitspflege am Deutschen Hygiene-Museum auch in Hamburg gezeigt wurde, organisierte Heynemann ärztliche Führungen seiner Mitarbeiter durch die Ausstellung. In der Ausstellung waren u.a. auf völkische Eugenik zielende Aufforderungen wie „Wähle als Deutsche nur einen Gatten gleichen oder artverwandten Blutes“ oder „Bei der Wahl Deines Gatten frage nach seinen Vorfahren“ zu lesen.[10]

Theodor Heynemann trat 1933 nicht, wie andere DVP-Mitglieder, der NSDAP bei. Mitglied wurde er im November 1933 aber im NS-Lehrerbund, und im selben Monat unterzeichnete er das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“.[11] Seit April 1934 war er zudem Förderndes Mitglied der SS und seit 1935 in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), für die er mindestens zwischen 1936 und 1938 als „Vertrauensarzt“ fungierte. 1935/36 war er Mitglied im Reichskolonialbund.[12]

Die Durchdringung der wissenschaftlichen und medizinischen Institutionen mit nationalsozialistischem Gedankengut schlug sich auch in der von ihm geleiteten Frauenklinik nieder. So gab es dort zwischen 1935 und 1937 wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften zu Themen wie „Probleme der Rassenhygiene“ oder „Erbfragen in Geburtshilfe und Gynäkologie“, die Heynemann laut Quellmann „toleriert haben [muss], auch wenn er sich nicht aktiv daran beteiligte“.[13] Am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) bekleidete er vom Juni 1934 bis April 1936 den Posten als stellvertretender ärztlicher Leiter.[14]

Nachdem zum 1. Januar 1934 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft getreten war, wurden in Hamburg rund 22.000 rassenhygienisch begründete Zwangssterilisationen von als „erbkrank“ stigmatisierten Personen, darunter rund 9.700 Frauen, durchgeführt.[15] Quellmann schätzt die Zahl der an der UKE-Frauenklinik Heynemanns durchgeführten Zwangssterilisationen auf rund 2.000.[16] Dies geschah ohne Anzeichen von Widerspruch oder Verweigerung. Heynemann hatte sich bereits seit 1931 in Beiträgen und Briefen positiv auf die eugenische Sterilisation als Form notwendiger Prophylaxe „bei bestimmten Geisteskrankheiten und gewissen verbrecherischen Anlagen“ bezogen.[17] Für die ersten Jahre der NS-Herrschaft sind keine Äußerungen von ihm zum Thema überliefert. Im September 1936 beschwerte er sich bei der Unterrichtsbehörde über den Rückgang an Zuweisungen eugenischer Sterilisationen und pochte darauf, dass diese „unbedingt in den akademischen Unterricht“ gehörten.[18] Zwangssterilisationen inklusive einer Vorführung der zu sterilisierenden Personen vor den Studierenden waren demnach Teil der Lehre. Ein halbes Jahr nach seinem Protestbrief konnte Heynemann beruhigt feststellen, dass sich der „Zugang an eugenischen Sterilisierungen inzwischen gebessert habe“.[19] Für Quellmann entsprach Heynemanns Position der Haltung der Mehrzahl der Mediziner, die Zwangssterilisationen zur medizinischen „Alltagsroutine“ zählten. Eine „besondere Rigororisität“ des Klinikleiters kann sie nicht erkennen.[20] Bei den chirurgischen Eingriffen wie der sogenannten Tubenquetschung, mit der Frauen sterilisiert wurden, starben laut Schätzungen Gisela Bocks reichsweit rund 5.000 Betroffene (90 Prozent davon waren Frauen).[21]

Am 18. Oktober 1937 beantragte Heynemann die Aufnahme in die NSDAP, aufgenommen wurde er zum 1. Mai 1937.[22] Laut eigenen Angaben in der Entnazifizierung folgte er damit „repeated oral requisitions and two written invitations on the part of the chancellery of the Reichsstatthalter“.[23] Gemeint sein könnte damit das Schreiben des Präsidenten der Kultur- und Schulbehörde Karl Witt, der sich nach Lockerung der Aufnahmesperre im Mai 1937 mit einem Schreiben an alle Mitarbeiter der Behörde wandte und um die Mitteilung von Beitrittsgesuchen bat. Heynemann meldete sich daraufhin und erklärte, bereit zu sein, „die Pflichten eines Parteigenossen auf mich zu nehmen“.[24]

Im Zweiten Weltkrieg blieb Heynemann als Leiter der Frauenklinik im Dienst.[25] Spätestens 1941 amtierte er als Vorstandsmitglied der DGG, die 1933 vom NS-Regime „gleichgeschaltet“ worden war.[26] Sein Einkommen erfuhr im Laufe des Krieges eine enorme Steigerung. Lag es 1933-1939 noch zwischen 17.500 und 30.000 RM jährlich, stieg es auf knapp 40.000 RM (1941), 61.000 (1942) und schließlich knapp 82.000 RM (1943/44).[27]

Die Militärregierung sah im September 1945 keinen Anlass, gegen Heynemann vorzugehen.[28] Er war weiterhin als Arzt, Professor und Leiter der Frauenklinik tätig. Nachträglich wurde er 1950 in die Kategorie V eingestuft.[29] Gegen Ende der 1940er Jahre gehörte er einer Kommission zum Wiederaufbau des UKE an.[30] Seine für 1947 vorgesehene Emeritierung wurde mangels Nachfolger und auf Antrag Heynemanns verschoben, er ging erst 1950 in den Ruhestand.[31] In dieser Zeit wurde er von der Nordwestdeutschen Gesellschaft für Gynäkologie (1948), der Hamburger Geburtshilflichen Gesellschaft (1948) sowie der DGG (1951) zum Ehrenmitglied ernannt.[32]

Im Dezember 1951 starb Heynemann. Das Hamburger Abendblatt würdigte ihn in einem Nachruf als „Idealgestalt eines Klinikdirektors“, der „mit ungewöhnlich erzieherischer Begabung ausgezeichnete Lehrer herangebildet“ habe.[33] Auf Vorschlag der Hamburger Ärztekammer wurde 1960 eine Straße in Langenhorn nach ihm benannt. Feierlich eingeweiht wurde die Heynemannstraße von früheren Schülern des Gynäkologen.[34] Im Juni 1967 wurde eine Büste Heynemanns im Hörsaal der Universitätsfrauenklinik Eppendorf aufgestellt.[35]

Um 1980 wurden die im „Dritten Reich“ durchgeführten Zwangssterilisationen zunehmend als Unrecht skandalisiert und auch historisch aufgearbeitet. Erst in diesem Jahr erkannte der Bundestag die Betroffenen als NS-Verfolgte an und bewilligte einmalige Entschädigungen in Höhe von jeweils 5.000 DM.[36] 1998 kam es zu einer Diskussion um eine mögliche Umbenennung der Heynemannstraße.[37] 2016 thematisierte der Autor und Regisseur Michael Batz die Person Heynemann in einem Stück über das Haus Rothenbaumchaussee 26 und dessen Bewohner/innen, in dem er darauf aufmerksam machte, dass Heynemann von einer „Wohnraum-Arisierung“ profitiert hatte. Als „glühender Anhänger des Rassenprogramms der Nazis“ wurde er in diesem Zusammenhang im Hamburger Abendblatt charakterisiert.[38]

Text: David Templin