Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Georg Bonne

(12.8.1859 Hamburg – 1.5.1945 Hamburg)
Arzt, Wohnungs- und Lebensreformer, Publizist, Schriftsteller
Jürgensallee 42 (Wohnadresse 1939)
Georg-Bonne Straße (1949 benannt, 1996/97 teilweise umbenannt)


Georg Bonne wurde 1859 in Hamburg als eines von acht Kindern eines Kaufmanns geboren.[1] Er besuchte zunächst eine Privatschule und von 1875 bis 1880 Gymnasien in Stade und Glückstadt. Von 1880 bis 1884 studierte er Medizin in Leipzig, Marburg und Göttingen, wo er mit einer Arbeit zur Blutgerinnung promovierte. In den folgenden Jahren arbeitete er als Arzt in Würzburg und Barmen und durchlief eine militärärztliche Ausbildung, die zu seiner Ernennung zum Stabsarzt der Reserve 1895 führte. 1887 hatte er sich als Landarzt im damaligen Dorf Klein Flottbek niedergelassen. Im Ersten Weltkrieg nahm Bonne als Stabs- bzw. Oberstabsarzt teil. Im Mai 1915 wurde er auf Vorschlag des Regierungspräsidenten in Schleswig zum Sanitätsrat ernannt, 1920 erhielt er den Rang eines Generaloberarztes a.D. 1923 übergab er seine Arztpraxis einem seiner Söhne und zog nach Adendorf bei Lüneburg. Von 1926 bis zum Ende der 1920er Jahre arbeitete er als Gefängnisarzt in Lüneburg, um Anfang der 1930er Jahre nach Klein Flottbek zurückzukehren.[2]

Bonne engagierte sich seit den 1890er Jahren zum einen als Gemeindevertreter in Klein Flottbek,[3] zum anderen in verschiedenen Lebensreformbewegungen, die sich v.a. dem Gewässerschutz, der Wohnungsreform und der Bekämpfung von Rauschmitteln widmeten.[4] 1900 wurde er Vorstandsmitglied des „Internationalen Vereins zur Reinhaltung der Flüsse, des Bodens und der Luft“. In dieser Funktion, aber auch publizistisch engagierte er sich gegen die Verschmutzung von Gewässern und entwickelte eigene Vorschläge zur Elbsanierung und Abwasserverwertung.[5] 1899 initiierte er die Gründung des „Bauvereins der Elbgemeinden“, um dem „Wohnungselend“ und der Proletarisierung der Arbeiterschichten durch genossenschaftliche Selbsthilfe und die Anlage von Siedlungen am Stadtrand entgegenzuwirken. Bonnes Weltbild war von Großstadtfeindschaft geprägt und der Vorstellung, über „Dezentralisierung“ und den Bau von Siedlungen außerhalb der innerstädtischen Elendsviertel eine „Volksgesundung“ herbeiführen und revolutionären Bestrebungen entgegenwirken zu können.[6] Seit 1897 war er Mitglied des Guttempler-Ordens, der sich gegen den Alkoholkonsum einsetzte. Als Streiter gegen Alkohol- und Nikotinkonsum hielt Bonne zahlreiche Vorträge, verfasste Schriften und initiierte die Gründung weiterer Guttempler-Logen im Deutschen Reich. 1930 wurde er von seiner Loge durch die Benennung eines „Georg-Bonne-Haus“ in Altona geehrt, dessen Ausbau mit städtischen Mitteln gefördert wurde.[7]

Der gemeinsame Nenner bzw. Leitbild von Bonnes Aktivismus war, wie Jochen Eversmeier richtig konstatiert, der Schutz der „Volksgesundheit“ und die „Rassenhygiene“.[8] Bonne war Anhänger einer völkischen Ideologie, der in Mietskasernen, Tabak und Alkohol „Volksgifte“ erblickte.[9] Er entfaltete eine umfangreiche publizistische Praxis, allein bis 1934 erschienen an die 400 Publikationen von ihm. Darunter waren auch Romane, Gedichte und Theaterstücke.[10] Seit 1910 veröffentlichte er die teilweise autobiographisch geprägte Trilogie der Bände „Im Kampf um die Ideale“ (1910), „Im Kampf um den Weltfrieden“ (1930) und „Im Kampf gegen das Chaos“ (1931). Im ersten Band beschwor er u.a. die Überlegenheit des Germanentums als „Herrengeschlecht“ und zeichnete Figuren entlang eines Rassenschemas, wobei dem blonden „Typ des Ariers“ die kranken, dicken, jüdischen, degenerierten Menschen gegenübergestellt wurden.[11] Das Buch erlebte in mindestens 40 Auflagen eine enorme Verbreitung.[12] In seiner Schrift „Volksgesundung durch Siedlung!“ (1928) präsentierte er seine wohnungsreformerischen Vorstellungen, die er als sozial- und rassenhygienisches Rezept gegen den drohenden „Rassetod“ des deutschen Volkes anpries.[13] Antisemitismus zählte dabei spätestens seit den 1880er Jahren zum konstitutiven Bestandteil von Bonnes Weltbild.[14]

Bonne war seit 1910 Mitglied der Freimaurerloge „Phönix zur Wahrheit“, 1901 und 1914 taucht sein Name in den Mitgliederlisten des Alldeutschen Verbandes auf, und nach dem Ersten Weltkrieg war er Mitglied im deutschnational orientierten „Stahlhelm“ und im Kyffhäuserbund.[15] Obwohl er keiner politischen Partei angehörte, zählte er spätestens seit 1931 zu den Anhängern und Bewunderern Adolf Hitlers und seiner nationalsozialistischen Bewegung, was er in Briefen an Hitler zum Ausdruck brachte.[16] In einem Brief von 1936 behauptete er sogar, Hitler bereits in dessen Gefängniszeit (1923/24) Publikationen zugeschickt zu haben.[17] Dabei erteilte er diesem auch Ratschläge und kritisierte z.B. den Alkoholkonsum von Nationalsozialisten. 1932 schickte er Hitler das von ihm verfasste antisemitische Schauspiel „Judas Ischariot“ zu, das er selbst als „streng nationalsozialistisch“ charakterisierte, mit der Bitte, es Hitler widmen zu dürfen.[18]

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler schickte Bonne ihm ein persönliches Glückwunschschreiben, in dem er ihn als „Retter Deutschlands“ ansprach und bekräftigte, „der eiserne Besen“ sei notwendig, „um das Ungeziefer auszutilgen“.[19] In einem Briefwechsel von 1933 bezeichnete er sein eigenes Lebenswerk als „Wegbereitung“ und „vorbereitende Kleinarbeit“ für den Nationalsozialismus und diesen als „Erfüllung meiner Jünglingsträume“.[20] Seine Identifizierung mit Hitler gipfelte in der Behauptung, dass er sich mit diesem „in meinem ganzen Denken und Fühlen vollständig eins“ wisse, insbesondere nach der Lektüre von „Mein Kampf“.[21] Mit dem „Dritten Reich“ verband Bonne die Hoffnung auf die Umsetzung seiner wohnungs- und lebensreformerischen, aber auch antisemitischen Ideen.

Zum 1. Mai 1933 trat Bonne laut NSDAP-Mitgliederkartei der Ortsgruppe Altona der NSDAP bei.[22] Ende 1933 wurde er Mitglied im Reichsverband Deutscher Schriftsteller und in der Reichsschrifttumskammer.[23] Der Beleg für Bonnes Parteimitgliedschaft steht im Widerspruch zu seinen Angaben aus den folgenden Jahren, in denen er – etwa auf einem Fragebogen der Reichsschrifttumskammer von 1937 – eine Mitgliedschaft verneint.[24] Möglicherweise hatte seine Logenzugehörigkeit doch einer Mitgliedschaft im Weg gestanden, wie er in einem Schreiben von 1938 andeutet (so habe es ihn „tiefgeschmerzt [...], daß ich nicht [...] mit im Rahmen der Partei für Deutschlands Wiederaufstieg kämpfen darf“)[25] – allerdings hätte auch ein etwaiger Ausschluss auf Bonnes Karteikarte verzeichnet sein müssen.

In seinen Publikationen aus den 1930er und 1940er Jahren transportierte Bonne nationalsozialistische, rassistische und antisemitische Ideologieelemente. Mit der 1935 erfolgten Neuausgabe seiner Schrift „Wie können wir Deutschlands Ernährung vom Auslande unabhängig machen?“ (1921) wollte er einen Beitrag zu den Autarkiebestrebungen des NS-Staates liefern – gegen den „jüdisch geleiteten Marxismus“.[26] In „Das Geschlecht der Lappe“ (1939) rief er zur Unterstützung des Nationalsozialismus auf, in dem er die „Verschmelzung des völkischen Gedankens“ mit einem Christentum der Tat erblickte. Die NS-Rassentheorie aufgreifend, erblickte er in Jesus und Goethe Vertreter des „arische[n] Geist[es]“ und Blutes.[27] Bonne war stolz darauf, mit seinen Büchern zur Festigung nationalsozialistischer Auffassungen im Volk beizutragen, was er in einem Schreiben mit dem Beispiel eines einfachen Arbeiters illustrierte, der ihm gegenüber angeblich erklärt habe: „die ihre Bücher gelesen haben, sind jetzt alle begeisterte Verehrer von Hitler, der ja dasselbe will, wie Sie“. Er habe so „viele Hunderte“ seiner Patienten „für Hitler und unseren Nationalsozialismus gewonnen“.[28]

Mit 76 Jahren nahm Georg Bonne 1935 seine Praxis als Arzt in Klein Flottbek wieder auf.[29] Zu seinen Geburtstagen oder seinem 50-jährigen „Doktorjubiläum“ erschienen ehrende Artikel in der gleichgeschalteten Hamburger Presse. „Die Synthese des Nationalen mit dem Sozialen, wie wir sie heute im Nationalsozialismus verkörpert sehen, ist seit 50 Jahren Ziel und Richtung für Bonnes gesamte Lebensarbeit gewesen“, lobten ihn etwa die Altonaer Nachrichten 1934.[30]

Nationalsozialistische Funktionäre teilten diese Meinung nicht unbedingt. Das Reichspropagandaministerium verfügte 1937, das Buch „Im Kampf gegen das Chaos“ einzuziehen und zu beschlagnahmen, nachdem Beschwerden aus der Reichsschrifttumskammer laut geworden waren, dass Bonne sich dort „in schamloser Weise“ über Hitler und den Nationalsozialismus geäußert habe. Anfang 1938 wurde es in die Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ aufgenommen und jede weitere Verbreitung verboten.[31] Ausschlaggebend waren Passagen, in denen Bonne Ludendorffs „Haß gegen die Juden“ als „unfruchtbar“ kritisiert, und solche, in denen er Hitler Ratschläge erteilt bzw. erklärt hatte: „Der Adolf Hitler mit seinen Nationalsozialisten weiß offenbar selbst nicht, was er will“.[32] Bonne erblickte in dem Verbot zunächst ein Missverständnis, wie er seinem Verleger gegenüber erklärte: „Daß aber die Nationalsozialisten mich jemals als ihren Gegner ansehen könnten, – auf den Gedanken wäre ich selbst in Fieberträumen nicht gekommen [...].“[33]Er legte Einspruch ein und bat schließlich darum, beanstandete Passagen ersetzen zu dürfen – beide Bemühungen waren vergeblich.[34]

Bereits 1935 war es zu einem Konflikt mit NS-Funktionären gekommen, nachdem Bonne in der Zeitschrift Ethik Artikel veröffentlicht hatte, in denen er die NS-Pläne zur Sterilisierung „Minderwertiger“ als nicht ausreichend kritisierte.[35] Bonne teilte zwar die völkische Perspektive des Regimes und ging von der Existenz „Millionen von […] Minderwertige[r]“ aus, sah die Ursache jedoch v.a. im Alkohol- und Nikotinkonsum, deren Bekämpfung er aus rassenpolitischer Sicht für zentral hielt.[36] Das Rassenpolitische Amt der NSDAP kritisierte den Text als streckenweise „antinationalsozialistisch“, Bonne musste sich vor der Gestapo verantworten.[37] In diesem wie in anderen Fällen (etwa einem Schreiben an SA-Stabschef Ernst Röhm) sah sich Bonne selbst im Einklang mit den Gedanken Adolf Hitlers, aber im Konflikt mit den „vielen ,kleinen Hitler[n]ʻ“.[38]

Auch eine Veröffentlichung des bereits 1932 vollendeten Schauspiels „Judas Ischariot“ gelang Bonne nicht bzw. erst 1942 unter dem Titel „Der Ewige Jude“.[39] Es verfolgte eine Geschichte der Juden bzw. des jüdischen Geistes vom Mord an Jesus bis zur russischen Revolution und enthielt eine Vielzahl antisemitischer Stereotype: die Schuld der Juden am Tod Jesu; die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung mit dem Ziel der Weltherrschaft; die Vorstellung von Juden als Parasiten mit den Deutschen als „Wirtsvolk“; der Händler-, Wucherer- und Schachergeist sowie die Raffgier von Juden; die Verschlagenheit von Juden, die sich mit falschen Namen tarnten; die Kontrolle der Presse durch Juden; die Lenkung sowohl der Finanzwirtschaft als auch des Bolschewismus durch Juden; sowie die „Vernichtung Deutschlands“ als Ziel der jüdischen „Rasse“. Hinzu kam, dass Bonne die Auffassung vertrat, Juden würden über die Alkohol- und Tabakindustrie das deutsche Volk verdummen. Im letzten Akt des Schauspiels erkennt Judas seine Schuld, zieht gen Palästina und erhängt sich selbst. Bonne wollte mit dem Schauspiel „jüdische[n] Verrat und jüdische Anmaßung“ aufzeigen und über die „Gefahren“ aufklären, die der Welt „durch die jüdische Pest drohen“.[40] Die Deutschen müssten sich unter der „genialen Führung“ Adolf Hitlers „mit allen unseren Kräften“ gegen die Juden als „Fremdkörper in dem Fleisch unserer Nation“ wehren.[41] Bonne sah sein Werk als Teil eines „heiligen Kampf[es]“ an und als öffentliche „Rechtfertigung unserer Haltung gegen die Juden“ – also als schriftstellerische Legitimationsarbeit für die NS-Judenpolitik.[42]

Er versuchte zwischen 1932 und 1934 einen Verlag zu finden und wandte sich u.a. persönlich an Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg, jedoch ohne Erfolg.[43] Erst 1942, als die NS-Judenpolitik bereits in die organisierte Massenvernichtung, den Holocaust, übergegangen war, gelang ihm die Herausgabe des Schauspiels im Dresdener Strom-Verlag. Die Auslieferung des Buches wurde jedoch im Februar 1943 durch das NS-Propagandaministerium mit der Begründung verboten, es sei „völlig veraltet“.[44] Ein Jahr zuvor waren bereits die Restbestände von Bonnes 1927 erschienenem Buch „Verbrechen als Krankheit“ von der Gestapo beschlagnahmt worden. Nachdem der Chef der Sicherheitspolizei und des SD einen Verbotsantrag gestellt hatte, ordnete das Reichspropagandaministerium im Februar 1943 die vollständige Beschlagnahme an.[45]

Kurz vor dem Ende des „Dritten Reiches“ starb Georg Bonne am 1. Mai 1945.[46] Zu einer Entnazifizierung kam es daher nicht mehr. Bereits vier Jahre nach seinem Tod wurde eine Straße in Hamburg-Nienstedten nach ihm benannt.[47]

Bis in die 1990er Jahre wurde Bonne vor Ort als „Wohltäter“, als „Engel von Flottbek“ und Vorkämpfer ökologischer Bestrebungen verehrt und publizistisch gewürdigt.[48] Erst 1995 entspann sich eine Debatte um die Umbenennung der Georg-Bonne-Straße, nachdem bekannt geworden war, dass der Internationale Seegerichtshof in die Straße ziehen sollte. Während u.a. Vertreter der SPD auf die NS-Belastung des Namensgebers hinwiesen, wurde Bonne im Nienstedtener Heimatbote als „Idealist“ gelobt, der im Stadtteil „beliebt und geachtet“ gewesen sei. Seine antisemitischen Äußerungen wurden als „impulsiv“ und „emotional“ heruntergespielt.[49] Der Streit endete 1997 mit einem „Kompromiss“. Der Senat beschloss, dass ein Teil der Straße ihren Namen beibehalten, ein zweites Stück „Am internationalen Seegerichtshof“ heißen und ein dritter Abschnitt in „Christian-F.-Hansen-Straße“ umbenannt werden sollte.[50] Im Zuge erneuter Debatten um die Umbenennung NS-belasteter Straßennamen und nach der Veröffentlichung eines entsprechenden Gutachtens des Verfassers, das im Auftrag des Staatsarchiv Hamburgs erstellt worden war, beschloss die Bezirksversammlung Altona im Februar 2020 die Umbenennung der Georg-Bonne-Straße und des Bonneparks.[51]

Text: David Templin