Peter Wörmke
(18. Oktober 1894 Alt-Rahlstedt – unbekannt)
Amt für Kunst und Volksbildung der Stadt Altona: 1929–Ende 1939
Wehrdienst: Januar–September 1940
Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR): September 1940–März 1944
NS-Propagandaorganisation „Welt-Dienst“: März 1944–Anfang 1945
Landeskunstschule Hamburg am Lerchenfeld: Juli–November 1945 und Januar 1947–März 1948
Altonaer Museum: April 1948–1959
Privatadresse: Im Dorf 64, Hamburg-Sülldorf
„Lediglich die durch öffentliche Sammlungen zusammengekommenen Bücher als Bibliothekar geordnet“? Der Kulturarbeiter Peter Wörmke als NS-Dabeigewesener
von Alina Laura Just und Yvonne Robel
Als Friedrich Ahlers-Hestermann 1945 die Leitung der staatlichen Hamburger Kunstschule am Lerchenfeld übernahm, stellte ihn dies zunächst vor allem vor personelle Herausforderungen. Die Kommission der Kulturverwaltung für Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst hatte infolge der Militärgesetzgebung und der Urteile der Entnazifizierungsausschüsse etliche der früheren Dozenten vom Dienst suspendiert oder in den Ruhestand geschickt.[1] Auch die Verwaltung war davon betroffen, doch ohne sie war kein Neubetrieb am Lerchenfeld organisierbar. Der bisherige Verwaltungsoberinspektor Richard Schrader, alter NSDAP-Parteigenosse seit 1931, hatte seinen Platz am 31. Juli 1945 auf Befehl der Militärregierung räumen müssen.[2] An Schraders Stelle war ein Mann aus Altona gerückt: Peter Wörmke. Am 26. Juli 1945 hatte er seine neue Stelle als Verwaltungsangestellter in der Geschäftsstelle an der Hansischen Hochschule für bildende Künste, wie die Nationalsozialisten die Landeskunstschule umbenannt hatten, angetreten.[3] Drei Monate lang war für Wörmke alles gut gelaufen und er hatte sich eilfertig in seine neuen Aufgaben am Lerchenfeld eingearbeitet.[4] Doch am 1. November 1945 erhielt er Nachricht vom neuen Kultursenator Hans Harder Biermann-Ratjen.[5] Wörmkes Fragebogen für das Entnazifizierungsverfahren war inzwischen ausgewertet. Darin hatte er seine Mitgliedschaften in den nationalsozialistischen Organisationen und seine Tätigkeiten während des Krieges wie gefordert angegeben.[6] Nun kündigte die Militärregierung ihm seine Tätigkeit im öffentlichen Dienst und entzog ihm alle Ruhegeldansprüche.[7] Seine Entnazifizierung lief also alles andere als reibungslos. Der Grund: Peter Wörmke war im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) tätig gewesen.
Wörmke hatte seit 1929 zunächst als Sachbearbeiter beim Amt für Kunst und Volksbildung der Stadt Altona gearbeitet. 1894 in Alt-Rahlstedt (Hamburg) geboren, hatte er eigenen Angaben zufolge[8] zunächst eine einjährige praktische Kaufmannslehre in seiner Heimatstadt absolviert, dann ein Semester Kunstgeschichte und Philosophie an der Sorbonne in Paris studiert und schließlich eine Ausbildung zum Buch- und Antiquitätenhändler in Leipzig abgeschlossen. Bis 1928 war er in diesem Beruf auch tätig, bis er arbeitslos wurde und im Jahr darauf in der Altonaer Verwaltung eine neue Anstellung fand. Dies markierte den Beginn von Wörmkes praktischem Engagement im Altonaer Kultursektor, welches er nach 1933 und seit 1938 im neuen Konstrukt Groß-Hamburg nahtlos fortsetzte. Mit dem nationalsozialistischen Regime schien er wenig zu fremdeln – 1933 trat er dem gleichgeschalteten Reichskriegerbund „Kyffhäuserbund“ bei, 1937 auch der NSDAP.[9] Vermutlich engagierte er sich zudem in lokalen Netzwerken der NS-Kulturgemeinde.[10]
Wörmke hatte bereits im Ersten Weltkrieg gekämpft, seit Januar 1940 leistete er abermals aktiven Wehrdienst als Teil des Infanterie-Regiments 502.[11] Sein Regiment gehörte zunächst zum Armeeoberkommando 16 und ab Mai 1940 zum Armeeoberkommando 9, welche zur Besatzungsarmee in Belgien und Nordfrankreich zählten.[12] Demzufolge nahm Wörmke am Einmarsch in Frankreich teil, den die Wehrmacht im Mai 1940 zeitgleich mit dem Überfall auf Belgien und die Niederlande gestartet hatte und der zur Besetzung von Paris im Juni führte. Im September 1940 jedoch wurde er vom Militärdienst zurückgestellt, „um in Hamburg-Altona die für die ‚Rosenberg-Bücherfreunde‘ eingesammelten Bücher zu sortieren, zu kleinen Auswahl-Lesekisten für die Truppe zusammenzustellen und der Wehrmacht zu übergeben.“[13] Es handelte sich dabei um Lieferungen für die Frontbuchhandlungen, die die zentralen Reichsinstanzen für Propaganda und Volksbildung, das Oberkommando der Wehrmacht und die Buchverlage in den besetzten Ländern initiierten.[14] Die Frontbuchhandlungen sollten die deutschen Truppen mit Literatur versorgen, um die Moral der Soldaten mit Kriegspropaganda zu stärken, im besetzten Gebiet kulturelle Überlegenheit zu demonstrieren und für Ablenkung zu sorgen. Zu Kriegsbeginn enthielten die Bücherlieferungen noch viel klassische Titel des bürgerlichen Kanons, auch konservative zeitgenössische Literatur und völkische Propaganda, aber ebenso viel Trivialliteratur, wie Kriminalromane oder Reisebeschreibungen. In den späteren Kriegsjahren stieg der Anteil an Unterhaltungsliteratur in den Frontbuchhandlungen deutlich und die ernsteren Texte nahmen ab.[15] Mit den Lesekisten für die Frontbuchhandlungen startete Peter Wörmke seine Tätigkeit für Alfred Rosenberg.
Rosenberg, altgedienter Mitstreiter Hitlers, hatte 1928 den „Kampfbund für deutsche Kultur“ etabliert und war 1934 zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ (sogen. „Amt Rosenberg“) ernannt worden. 1940 – im Zuge des Einmarschs der Wehrmacht in Frankreich, Belgien und den Niederlanden – nutzte er die Gunst der Stunde und initiierte die gelenkte staatliche Bereicherung mit Kunst- und Kulturgut. Der im Juli 1940 hierfür gegründete „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) plünderte und beschlagnahmte zwischen 1940 und 1944 unter anderem unzählige private und staatliche Bibliotheken und Archive in den besetzten Gebieten. Darunter fielen Bestände von geflohenen oder deportierten jüdischen Menschen, von Gegner*innen des Nationalsozialismus, von jüdischen Organisationen, Freimaurer- und Kirchenverbänden oder Museen sowie wissenschaftlichen Einrichtungen. Gesucht wurde nach allem, was für das Deutsche Reich als wertvoll – etwa auch für Forschung und Lehre – erschien. 1940 nahmen entsprechende Arbeitsgruppen in Brüssel, Paris und Amsterdam ihre Tätigkeit auf. 1941 vergrößerte der ERR seinen Personalstock und sein Aufgabengebiet und weitete den systematisch betriebenen Kunst- und Kulturraub auf Gebiete im Osten, inklusive Jugoslawien, Griechenland, das Baltikum, Weißrussland und die Ukraine aus.[16]
Wörmke war seit Februar 1941 zunächst in Brüssel mit dem Sortieren beschlagnahmter Bücher betraut.[17] Daraufhin wurde er im September des gleichen Jahres für seine weitere Tätigkeit für den ERR nach Paris versetzt. Sein Büro für die folgenden zwei Jahre befand sich im Gebäude der Alliance Israélite Universelle, die sich als der Aufklärung und den universalen Menschenrechten verpflichtete jüdische Selbsthilfeorganisation verstand und deren Räumlichkeiten und Archiv 1940 unter Mitwirkung von ERR-Mitarbeitern sofort nach dem deutschen Einmarsch in Paris beschlagnahmt worden waren.[18] Dort, in der Rue la Bruyère, sortierte Wörmke die umfangreichen Buch- und Bibliotheksbestände, die durch die deutschen Besatzer aufgestöbert und gesichert wurden. Dabei unternahm der ausgebildete Antiquar und Buchhändler auch Versuche, die eintreffenden Bestände zu systematisieren und per Zettelkatalog zu erfassen, kapitulierte eigenen Aussagen zufolge jedoch angesichts der Menge des beschlagnahmten Materials, das – so erinnerte er im Rückblick – „wie Kartoffeln auf dem Hof, ohne Begleitpapiere oder Angaben, aus denen die genaue Herkunft zu ermitteln gewesen wäre“, abgeladen worden war.[19] Schließlich verpackten Wörmke und seine Mitarbeiter*innen die Bücher in französischer, deutscher, aber auch russischer, polnischer, englischer und hebräischer Sprache in Kisten, um sie ins Deutsche Reich zu verschicken.
In seinem Entnazifizierungsbogen bezeichnete Peter Wörmke seine Tätigkeit in Paris als „Büchereiarbeit“.[20] In späteren Befragungen betonte er, dass es sich mehrheitlich um Unterhaltungsliteratur ohne größeren Wert gehandelt habe.[21] Tatsächlich war der Wert der geraubten Bestände persönlich wie monetär alles andere als gering. Dazu passt, dass Wörmke seine Tätigkeit für den ERR zu einem Zeitpunkt aufgenommen hatte, als dieser sein Personal und sein Aufgabengebiet für den systematischen Kunst- und Kulturraub in West und Ost nochmals erweitert hatte. Rosenbergs Ressourcen waren mächtig und entsprechend reich war seine Beute.
Für die in Brüssel vorgenommenen „115 Arbeitsvorhaben“ nahm Wörmke persönlich „eine wertmässige Schätzung der Bücher und Kunstgegenstände [vor] und ermittelte einen Wert von RM 170.600.- für Bücher bzw. Lichtbilder (Diapositive) und RM 3.950.- für sichergestellte Kunstgegenstände.“[22] Er resümierte, dass diese Summen wohl „noch unter den wirklichen Werten“ lagen, weil einige Sonderbibliotheken im beschlagnahmten Bestand „auf ihren Spezialgebieten unbezahlbar“ und daher kaum statistisch zu erfassen seien.[23] Das betraf zum Beispiel die geraubte Bibliothek des Generalsekretärs der Sozialistischen Internationale in Brüssel, Friedrich Adler, der wegen seiner politischen Exponiertheit und jüdischen Herkunft 1940 in die USA emigrierte.[24] Allein der Bestand Adler umfasste 20 Bücherkisten und 111 Bilder – Peter Wörmke schätzte ihn auf einen Wert von rund 10.000 Reichsmark.[25] Zum Vergleich: Ein Oberlehrer im Staatsdienst verdiente in den 1930er Jahren im Deutschen Reich ungefähr 500, eine Schreibkraft 200 und eine Reinigungskraft 100 Reichsmark monatlich. Schon allein der Brüsseler Kulturraub hatte folglich den etwa 700-fachen Wert eines durchschnittlichen Monatsgehalts der Zeit.
Drei Jahre lang gingen zahlreiche Bücher aus Privatbibliotheken und staatlichen Einrichtungen durch Wörmkes Hände, zuerst in Brüssel, dann über seinen Pariser Schreibtisch. Diesen Dienst versah Wörmke als Teil eines groß angelegten Raub-Apparats. Die gestohlenen Buchbestände waren insbesondere für das seit 1937 geplante Projekt einer Eliteuniversität der NSDAP vorgesehen. Diese sogenannte „Hohe Schule“, zu deren Errichtung am Chiemsee es zwar nie gekommen ist, mit deren Aufbau Rosenberg jedoch seit 1940 offiziell betraut war, sollte unter anderem eine Zentralbibliothek beinhalten. Für ihren Aufbau lieferte der ERR systematisch Material ins Deutsche Reich. Wörmke und seinen Mitarbeitern waren die Zielorte der Kisten, die sie in Paris verpackten, sehr wohl bekannt.[26] Zu diesen Zielorten gehörte auch das „Institut zur Erforschung der Judenfrage“, welches 1941 als Außenstelle von Rosenbergs „Hoher Schule“ in Frankfurt am Main eingerichtet worden war. Dass das Institut sich im Feld der „Judenforschung“ profilieren konnte, verdankte es nicht zuletzt der engen Verbindung zum ERR.[27] Entsprechend hob Peter Wörmke die für diesen Zweck seiner Ansicht nach besonders geeigneten Raubstücke in seiner Dokumentation für die Reichsbehörden genau hervor: „Zu den Bildern ist zu bemerken, dass es sich durchweg um jüdisch-rituelle Darstellungen jüdischer Künstler handelt. Diese Bilder sind also für die Erforschung der Juden und ihres Rituals und auch der jüdischen Kunst mehr oder weniger einmalig.“[28] Damit ist klar, dass Wörmke von der politischen Indienstnahme der Raubgüter wusste und ihr bereitwillig zuarbeitete.
Lieferungen aus den deutschen Beschlagnahmungen erhielt außerdem die Bibliothek der antisemitischen Propagandaorganisation „Welt-Dienst“. Diese war 1933 zunächst als eigenständige Nachrichten- und Propagandaagentur gegründet worden, die über die Auswertung „jüdischer“ Zeitungen und Zeitschriften über das „internationale Judentum“ aufklären wollte. Inklusive der bis dahin aufgebauten Bibliothek und des Archivs wurde sie 1938 von Rosenberg übernommen.[29] Die Organisation, die 1939 dem gerade im Aufbau befindlichen „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ in Frankfurt am Main angegliedert worden war, machte sich seit 1942 vor allem auch die Auswertung jüdischer und freimaurerischer Materialien zur Aufgabe. Bis 1945 veröffentlichte der „Welt-Dienst“ ein eigenes Nachrichtenblatt unter demselben Namen, mit dem er weltweit antisemitische und nationalsozialistische Propaganda betrieb.[30]
Bei eben jenem „Welt-Dienst“ war Wörmke seit März 1944 eingesetzt, nachdem er seine Tätigkeit in Paris beendet hatte. In Nierstein am Rhein, wohin die antisemitische Propagandaorganisation nach der Bombardierung Frankfurts (a.M.) unter anderem ihre Bestände auslagert hatte, inventarisierte er Papiere und Schriftstücke des zu dieser Zeit im KZ Buchenwald internierten französischen Ministerpräsidenten Léon Blum und verschiedener Freimauererlogen. Auch hier war er folglich an der Sicherung geraubten Kulturguts, in diesem Fall von Schriftbeständen, beteiligt. In den letzten Kriegsmonaten ab circa Ende 1944 war Wörmke in Bad Schwalbach (wo der Welt-Dienst ebenfalls einen Standort hatte) im Volkssturm eingesetzt. Von dort kehrte er 1945 nach Hamburg zurück, um im Juli seine Tätigkeit als Verwaltungsangestellter in der staatlichen Hamburger Kunstschule am Lerchenfeld aufzunehmen.
Peter Wörmke war durch seine Tätigkeit für den ERR am systematischen Raub von Kunst- und Kulturgütern beteiligt. In diesem Sinne zählt er zu den Dabeigewesenen. Diese Bezeichnung hätte er für sich selbst freilich niemals gewählt. Gegen seine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst durch die Militärregierung im Herbst 1945 legte Wörmke sofort Widerspruch ein. Zuständig für das Verfahren war die Kommission der Kulturverwaltung zur Prüfung der Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst. Am 6. November 1945 schrieb Wörmke an die dortigen Mitarbeiter, er habe lediglich „auf ausdrückliche Anordnung der damaligen Landesbezirksverwaltung“ als „Sachbearbeiter für Kunst- und Kulturfragen“ gehandelt und es sei um einen unpolitischen „reinen Kriegseinsatz“ gegangen. „Eine braune Uniform habe und hätte ich nie angezogen“, beteuerte Wörmke. „Meine Tätigkeit beim Einsatzamt Rosenberg bestand ausschließlich in Bibliotheksarbeiten, wie sie zur Bewältigung großer Büchermengen erforderlich und üblich sind.“[31] Ungeachtet der Tatsache, ob Wörmke bei seiner Arbeit eine Parteiuniform trug oder nicht, war er seit 1937 Mitglied der NSDAP und seine „üblich[en] Bibliotheksarbeiten“ besiegelten die Enteignungen zahlreicher Verfolgter. Er selbst präsentierte sich freilich als jemand, der von seinem Vorgesetzten, dem Altonaer Schulsenator und Stadtrat Hermann Saß, zum Eintritt in die NSDAP gezwungen worden sei.[32] Ebenso fadenscheinig wirkt aus heutiger Sicht Wörmkes Erklärungsversuch, den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg vom Amt Rosenberg zu trennen: „Im Interesse völliger Klarheit muss ich noch hinzufügen, dass der ‚Einsatzstab Rosenberg‘ nicht mit dem ‚Amt Rosenberg‘ zu verwechseln ist. Ich hatte mit dem ‚Amt Rosenberg‘ nichts zu tun und war auch nicht gezwungen, mich irgendwie mit der Ideologie des Herrn Rosenberg zu befassen, die – auch heute noch – mir fremd geblieben ist.“[33] Faktisch arbeitete der ERR dem Amt Rosenberg jedoch in allem zu. Das Amt war die Steuerungsinstanz im Reich, der ERR der weisungsgebundene operative Arm, der das Material für die weltanschauliche Erziehung und Parteiarbeit im Sinne der NSDAP systematisch beschaffte. Die beiden Einrichtungen waren eng verflochten und die vermeintliche Differenzierung Wörmkes unzutreffend – unabhängig davon, wieviel ideologische Doktrin er persönlich wahrgenommen oder mitgetragen hat oder nicht.
Trotzdem hielt die Kulturverwaltung inne und bat die Leitung der Kunstschule zunächst um Auskunft.[34] Friedrich Ahlers-Hestermann bestätigte Wörmkes angebliche Unbescholtenheit. Freilich zählte für den Schulleiter vor allem, dass ihn Wörmkes möglicher „Ausfall jetzt, vor Eröffnung der Schule, […] in die schwerste Verlegenheit setzen“[35] würde. Ahlers-Hestermann, der selbst durch das NS-Regime zu beruflichem Schaden gekommen war und die nationalsozialistischen Jahre mühsam freischaffend arbeitend überstanden hatte,[36] kümmerte sich nicht um die Verstrickungen seines Verwaltungsleiters in Rosenbergs Raubzüge. Ihn interessierten die Gegenwart und die erfolgreiche Eröffnung der ihm neu anvertrauten Institution.
Doch Friedrich Ahlers-Hestermann Hoffnung wurde enttäuscht. Er musste bei der Neueröffnung der Landeskunstschule am 5. Januar 1946 tatsächlich ohne Peter Wörmke auskommen. Peter Wörmkes Entlassung blieb bestehen und weitete sich zur Berufungssache aus. Ahlers-Hestermann sandte deshalb am 16. Januar 1946 ein umfängliches Leumundsschreiben und Wörmke einen weiteren Brief am 25. Februar 1946.[37] Darin schilderte er die Umstände seiner Versetzung ins besetzte Frankreich und Belgien. Außerdem hängte Wörmke noch eine ausführliche Lebensbeschreibung an. Trotz der neuen Details und Anlagen waren diese zusätzlichen Schreiben im Kern inhaltsgleich mit der Eingabe vom November 1945: Sie entwarfen ein Narrativ der Unfreiwilligkeit und Kriegspflicht und entbanden Wörmkes Tätigkeit im ERR damit von jeglicher ideologisch-politischer Intention. Die Ungewissheit quälte Wörmke. Deshalb suchte er in dieser Zeit verstärkt den persönlichen Kontakt zu und die Bestätigung durch Friedrich Ahlers-Hestermann. Wörmke wusste wohl, dass von der Unterstützung des Direktors, der sich zwischen 1933 und 1945 in keiner Weise dem Regime angedient hatte und daher Glaubwürdigkeit bei den Alliierten genoss, Vieles abhing. Er warb um Ahlers-Hestermann Vertrauen und Sympathie, indem er sich selbst mit Abstand zu den Nationalsozialisten zu inszenieren versuchte. Diese hätten ihm so „manche quälende und böse Stunde gemacht“, „Millionen in Elend und Tod geschickt“ und „alle so unglücklich gemacht“. Auch würde er sein momentanes „Ungemach unschwer“ schultern, wenn er nur „den leisesten Anhalt fände“, dass ihm „recht geschähe.“ Doch so sei es eben nicht, ganz im Gegenteil: „[…] ich habe unter dem Nationalsozialismus seelisch all die Jahre schon sehr gelitten, verdanke ihm auch nicht den geringsten materiellen Vorteil. […] Ich war so freudig bei der Sache, aber was nun geschieht nagt an meiner Lebenslust“, lautete Peter Wörmkes Resümee.[38] Wahrscheinlich changierte er dabei zwischen echter Verzweiflung und strategischer Larmoyanz. Hanne Leßau, die „Entnazifizierungsgeschichten“ auf breiter Basis ausgewertet hat, hebt hervor, dass Verweise auf eine aus der eigenen Persönlichkeit resultierende innere Distanz zum NS-Regime nach 1945 keine Seltenheit waren.[39]
Danach passierte lange nichts. Auf die seitenweisen Widersprüche, Leumundsschriften und Briefwechsel vom Jahresanfang 1946 erhielt Wörmke der Aktenlage zufolge monatelang keine Meldung. Solange blieb seine Entlassung bestehen. Ende November 1946, ein Jahr nach der ursprünglichen Kündigung, sprachen sich der Beratende Ausschuss und der Fachausschuss schließlich für eine Wiedereinstellung Peter Wörmkes aus. In ihrer Begründung bestätigten sie das Argument, Wörmke habe seine Tätigkeit beim ERR unfreiwillig und nur wegen seiner Dienstverpflichtung versehen. Wörmke selbst stuften sie als „politisch unbelastet“ ein – als Indiz führten sie ebenfalls die Unterscheidung zwischen dem Amt Rosenberg und dem ERR ins Feld. Zudem betonten sie genauso wie der Überprüfte selbst, „dass er dort lediglich die durch öffentliche Sammlungen zusammengekommenen Bücher als Bibliothekar geordnet hat“.[40] Die Argumentation der Entlastung schloss sich folglich im Wesentlichen der Selbstdarstellung Wörmkes als im Grunde Nicht-Beteiligter an.
Dass die „Sammlungen“ im besetzten Frankreich und Belgien alles andere als „öffentlich“ gewesen waren, ja, dass es sich nicht um bloße „Sammlungen“, sondern um unrechtmäßige Beschlagnahmungen und Plünderungen gehandelt hatte, benannten die Beteiligten nach dem Krieg nicht. Involvierte Akteure wie Wörmke verschleierten die Vorgänge oder bewerteten sie gar nicht erst als Verbrechen. Die frühen Entnazifizierungsbüros wiederum verfügten nicht über die Kapazitäten für eine genauere Untersuchung von Kulturraub oder die individuellen Motive Einzelner bzw. entsprach dies gar nicht ihrer Zielsetzung. Vielmehr waren die Alliierten an einem einfachen schematischen Verfahren interessiert, um politische Belastung möglichst schnell zu erfassen und das öffentliche Leben in Deutschland rasch wieder funktionsfähig zu machen.
Erst 1955 wurde das Bundesamt gegründet, das sich mit der Restitution von Kulturgütern befasste, die „während der Besetzung eines Gebiets“ durch „Formen erzwungener Besitzentziehung“ nach Deutschland gelangt waren.[41] Als dieses Bundesamt für äußere Restitutionen umfangreiche Recherchen zum Verbleib von in Frankreich, Belgien und den Niederlanden beschlagnahmten Büchern, Manuskripten, Archivmaterialien, Zeitungen und Zeitschriften sowie jüdischen Kultusgegenständen anstellte und dabei Kontakt zu zahlreichen ehemaligen Mitarbeiter*innen des ERR suchte, wurde immer wieder auf Wörmke als Zuständigem in Paris und potenziellem Auskunftsgeber verwiesen.[42] Dies verdeutlicht, dass der Hamburger keineswegs, wie er selbst wiederholt betonte, zu den kleinsten Rädchen des Kulturgutraubs unter Rosenberg gehörte. Vielmehr war ihm Personal unterstellt und galt er als Ansprechperson, auch dann, wenn es beispielsweise um Interessensbekundungen Dritter an Buchbeständen aus Frankreich ging. So hatte sich etwa der Zweite Direktor des Botanischen Gartens und des Botanischen Museums in Berlin-Dahlem, Robert Pilger, 1944 durch Rücksprache mit Wörmke einige für ihn wertvolle botanische Werke gesichert, die bis dahin in der Pariser Rue la Bruyère lagerten.[43] Offensichtlich besaß Wörmke hierbei also Entscheidungsspielräume.
Zu Wörmkes hiervon abweichender Selbstdarstellung gehörte unter anderem auch, dass er verschiedentlich widerständisches Verhalten an den Tag gelegt habe. In Bezug auf seine Abkommandierung nach Belgien hielt er bereits direkt nach dem Krieg in einem Schreiben an die Hamburger Landeskunstschule fest, „daß ich in der zweiten Hälfte des Januars 1941, der Zeit in der ich gegen meinen Willen dem Einsatzstab Rosenberg zugeteilt wurde, kein Mittel unversucht liess, um mich dieser Kommandierung zu entziehen“.[44] Dass sich der Hamburger wehrte, ins Ausland versetzt zu werden, ist nicht unwahrscheinlich. Gegen seine Zurückstellung vom aktiven Wehrdienst wegen der Büchersortierung in Hamburg im Herbst davor hatte er allerdings offensichtlich keinen Einspruch erhoben. Zugleich kreierte Wörmke im Zuge seiner Entnazifizierung auch ein Selbstbild des eigentlich feingeistigen Kulturarbeiters. Er assoziierte sich mit dem Hamburger Mäzen und Dichter Richard Dehmel, der gemeinsam mit seiner Frau Ida vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs den Großteil der hamburgischen Kulturelite kannte, förderte und regelmäßig versammelte. Wörmke ordnete sich diesen Kreisen zu und glaubte, dies als ein Zeugnis politischer Immunität vorweisen zu können.[45] Dabei wiesen die künstlerisch-intellektuellen Kreise im Hamburg der Vor- und auch Zwischenkriegszeit alle Facetten des politischen Spektrums auf. Allein die Bekanntschaft mit einem ihrer in der Tat liberalen Impulsgeber sagt nichts über Wörmkes eigene politische Gesinnung aus. Doch Wörmke fuhr fort: „Als im Februar 1944 weitergehende Ansprüche wie Selektierung ‚unerwünschten Schrifttums‘ von mir verlangt wurden, habe ich passiven Widerstand geleistet und bin daraufhin völlig kalt gestellt und von aller Arbeit ferngehalten worden.“[46] Auffallend ist, dass Wörmke hier von einem „Kaltstellen“ spricht, just für den Zeitpunkt, als er zwar durchaus (früher als der endgültige Abbruch aller Zelte des ERR ab Juli) aus Paris abgezogen, aber beim parteipolitisch eingebundenen Welt-Dienst eingesetzt worden war, wo er zudem prominentes Schrifttum gesichtet hatte. Die Widerstandserzählung aus Wörmkes Entnazifizierungsakte findet sich in den umfangreichen Stellungnahmen aus den 1960er Jahren an keiner Stelle wieder.
Ende 1946 galt Peter Wörmke als entlastet und konnte seinen Dienst an der staatlichen Hamburger Kunstschule zur Erleichterung von Direktor Ahlers-Hestermann wieder antreten. Die britische Militärregierung hatte das Urteil der Ausschüsse am 16. Dezember 1946 bestätigt. Zwischen Januar 1947 und März 1948 koordinierte Wörmke sodann die Geschicke der Landeskunstschule. Danach wechselte er ans Altonaer Museum, wo er bis zur Erreichung der Altersgrenze im Jahr 1959 als Verwaltungsleiter tätig war. Im Jahrbuch des Museums wurde ihm rückblickend insbesondere für seinen Einsatz in den Jahren des Wiederaufbaus und für die Etablierung der seit 1949 regelmäßig angebotenen „Hauskonzerte im Altonaer Museum“ gedankt. Bereits in den 1930er Jahren hatte sich der damalige Sachbearbeiter der Stadt Altona offensichtlich für die Nutzung der Altonaer Heiligen-Geist-Kapelle als Konzertsaal eingesetzt.[47] Wörmkes andere Vergangenheit, seine umfangreiche Tätigkeit für den ERR, war in der Nachkriegszeit schlicht nicht von Interesse. Museen wie das in Altona bzw. deren Mitarbeiter*innen pflegten nach 1945 allzu sehr das Selbstbild einer angeblich unpolitischen Kulturarbeit während des Nationalsozialismus.[48]