Willi Bulau Willi Max Bulau
(16. Mai 1885 in Alt Kischau, heute Stara Kiszewa/Polen – unbekannt)
Kriminalsekretär
Adresse: Flerrentwiete 2, Hamburg-Rissen (1945–1951)
Wirkungsstätte: Kriminalpolizei Hamburg, erkennungsdienstliche Abteilung im Polizeipräsidium Stadthaus, Kriminal-Hafenrevier 4
Willi Bulaus Geburtsort war ein Dorf in damaligen Pommern, etwa fünfzig Kilometer südwestlich von Danzig. Von 1891 bis 1899 besuchte er dort die Volksschule, weiterführende Schulen laut seinem Entnazifizierungsfragebogen von 1945 nicht. Über seine berufliche Ausbildung ist nichts bekannt. Im November 1910 stellte die Polizeibehörde Hamburg den damals 25-Jährigen ein, nur ein Jahr später wurde er zum Hauptwachtmeister der Schutzpolizei befördert. 1919 erwarb er ein Gartenhaus in seinem neuen Wohnort Hamburg-Rissen, zu dem eine etwa 2000 Quadratmeter große Gartenfläche gehörte.[1]
1925 wurde Bulau verbeamtet und 1927 zum Polizeimeister ernannt. Er gehörte nun der erkennungsdienstlichen Abteilung der Kriminalpolizei an, seit Juli 1930 im Range eines Kriminalsekretärs, der nach Kriminalassistent-Anwärter und Kriminalassistent untersten Rang- und Besoldungsstufe von Kriminalpolizeibeamten in der Weimarer Republik. In der NS-Zeit kamen weitere Ränge hinzu, wodurch der Kriminalsekretär in der Polizeirangordnung etwas nach oben kletterte.[2] Seine Dienststelle war das Polizeipräsidium im Stadthaus an der Stadthausbrücke in der Hamburger Neustadt – von 1933 bis 1943 eine Zentrale des nationalsozialistischen Terrors in Hamburg, an dem sich die Kriminalpolizei auf verschiedene Weise beteiligte. Ab Ende 1933 gehörte zu deren Aufgaben beispielsweise die Überwachung, Verfolgung und KZ-Einweisung sogenannter Berufsverbrecher und Asozialen sowie von Homosexuellen.
Bulau gab im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens an, 1928 „aus persönlicher Überzeugung“ aus der evangelischen Kirche ausgetreten zu sein. Vier Jahre später, am 1. Dezember 1932, trat er in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 1408404)[3] und gehörte damit zu den „Alten Kämpfern“ der Partei. Der Beamte rechtfertigte diese frühe Mitgliedschaft auf einem Ergänzungsschreiben zu seinem Entnazifizierungsfragebogen vom November 1945 damit, dass ihm die NSDAP im Dezember 1932 noch als eine „normale“, legale Partei erschien, deren menschenverachtende Ziele ihm noch nicht bewusst gewesen seien. Seinen „Irrtum“ habe er jedoch spätestens bei der Röhm-Affäre im Jahr 1934 erkannt. Einmal dabei, hätte es für ihn als Beamten aber kein Zurück mehr gegeben. Denn ein Austritt, so behauptete er, hätte den Verlust seiner Stellung bis hin zur Unterbringung in ein KZ bedeutet. Laut dem Politkwissenschaftler Jürgen W. Falter, der mehrere große empirische Forschungsprojekte zur NSDAP durchführte, verließen insgesamt rund 760.000 Mitglieder die NSDAP freiwillig wieder, von denen 40 Prozent zwischen 1925 und Januar 1933 eingetreten waren.[4] Wer austrat, so Falter, musste eventuell berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Manche, die der NSDAP den Rücken kehren wollten, gaben später an, man habe ihnen gedroht, sie würden im KZ landen. Ihm sei aber kein Fall bekannt, in dem das geschehen wäre.[5] Bulau wollte aber im „damaligen System nicht brotlos“ werden und blieb daher in der Partei. Seine Beamtenstellung hätte ihn zudem dazu gezwungen, nach Hitlers Machtübernahme Funktionen zu übernehmen – „auf Druck des Ortsgruppenleiters und des damaligen Polizeipräsidenten“.
Ab April 1933 gehörte Bulau zum „Korps der politischen Leiter“ in der NSDAP, zunächst als Block- und kurze Zeit später als Zellenleiter. Letztgenanntes Amt übte er bis zum August 1940 aus. Der Zellenleiter stand an sechster und damit zweitletzter Stelle in der Rangliste der NSDAP-Funktionäre. Er kümmerte sich um die Verwaltung und politische Aufsicht von etwa vier bis acht Wohnblocks, die jeweils von einem Blockleiter („Blockwart“) geführt wurden. Von Mai bis „etwa August“ 1933 war Bulau kurzzeitig auch Mitglied des Reichsbunds der deutschen Beamten (RdB). Mitgliedschaften in weiteren NS-Organisationen verneinte er auf seinem Entnazifizierungsfragebogen vom November 1945.
Seine Behörde, die Hamburger Kriminalpolizei, erhielt 1936 den Status einer Kriminalpolizeileitstelle, der die Kriminalpolizeistellen in Lübeck, Kiel, Flensburg, Altona und Harburg-Wilhelmsburg unterstanden. Gestapo und Kripo waren fortan Teile der Sicherheits- polizei (Sipo). Am 1. Januar 1937 umfasste die Kriminalpolizeileitstelle Hamburg insgesamt 416 Beamte und 1 Beamtin, davon 242 und damit mehr als die Hälfte, im Dienstgrad Kriminalsekretär der Gehaltstufe B II 15, darunter auch Bulau. Sie gliederte sich im Februar 1938 in drei Kriminalgruppen: Kriminalgruppe I (Hauptgeschäftsstelle und Erkennungsdienst), der Bulau angehörte, der Kriminalgruppe II (Gewerbs- und gemeingefährliche Straftaten) und der Kriminalgruppe III. Bulau war laut der Personalstärke-Liste der Kripo-Leitstelle vom Januar 1937 mit 51 Jahren und 8 Monaten einer der jüngeren Beamten – der jüngste Kriminalsekretär war 28 Jahre alt, der älteste war 62 Jahre und kein NSDAP-Mitglied – und gehörte dem Dezernat Kriminal-Hafenrevier 4 an.[6] Im Zweiten Weltkrieg verringerte sich der Personalbestand der Hamburger Kriminalpolizei, da zahlreiche Beamte in die vom Deutschen Reich besetzten Länder abkommandiert wurden. Dort übernahmen sie Funktionen in den örtlichen Kriminalpolizeistellen oder gehörten den SS-Einsatzgruppen an.
Seine Weigerung, anlässlich des NSDAP-Reichsparteitages 1939 in Nürnberg entsprechende Parteiabzeichen zu kaufen und im Dienst zu tragen, sowie sein Rücktritt vom Amt des Zellenleiters im August 1940 sollen zu nicht näher beschriebenen „Zusammenstößen“ mit dem NSDAP-Ortsgruppenleiter und seinen Vorgesetzten bei der Polizei geführt haben, gab Bulau 1945 an. Anlässlich des Tods seiner Frau Anfang Februar 1941 hätte ihm sein damaliger Chef, der Leiter der Kriminalpolizeileitstelle Hamburg, Oberregierungsrat und Polizeioberst Walter Bierkamp[7], sein Beileid bekundet. Bei dieser Gelegenheit soll er ihn „unter strengster Verschwiegenheit“ ermahnt haben, wieder „aktiv“ zu werden und ein Parteiamt zu übernehmen – damit er ihn auch für Beförderungen vorschlagen könnte. Ob es dazu kam, ist unbekannt, weitere Belege dafür existieren nicht.
Wegen Dienstunfähigkeit infolge eines Herzleidens ließ sich Kriminalsekretär Bulau zum 1. Mai 1945, also noch vor der Kapitulation Hamburgs und der kampflosen Übergabe der Stadt an die Briten zwei Tage später, auf eigenen Antrag hin im Alter von 60 Jahren in den Ruhestand versetzen. In seiner Besoldungsgruppe A 7a hatte er seit mindestens 1931 ein Jahresgehalt in Höhe von 4106 RM erhalten.
Die britische Militärregierung in Hamburg entzog Bulau die Pension jedoch sieben Monate später, zum 30. Dezember 1945, wieder. Sie hatte den ehemaligen Kriminalbeamten als „alten Kämpfer“ der NSDAP und „Blockleiter“, also Parteifunktionär, identifiziert. Deshalb wurde er zudem in seinem Entnazifizierungsverfahren in Kategorie III („Minderbelastete“) eingeordnet. „Alter Kämpfer“ war eine im Oktober 1933 eingeführte Bezeichnung für Mitglieder der NSDAP aus der „Kampfzeit“ vor Hitlers Machtantritt im Januar 1933 sowie für „Amtswalter der NSDAP“ ab dem 1. Oktober 1932. Darüber hinaus galten gemäß der alliierten Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 all jene, die während der NS-Zeit ausschließlich aufgrund seiner Zugehörigkeit zur NSDAP ein Amt oder eine Stellung erhalten hatten, als „Nutznießer“ und somit als „Belastete“. In einem Spruchkammerverfahren konnten den Betroffenen bestimmte Sühnemaßnahmen auferlegt werden, außer einer Inhaftierung etwa die Einziehung des Vermögens oder der Verlust von Rechtsansprüchen auf eine aus öffentlichen Mitteln zu zahlende Pension oder Zuwendung.
Im Juni 1946 legte Bulau mit einem Schreiben an den „Chef der Deutschen Polizei in Hamburg“, so seine etwas unbeholfene Anrede, Einspruch gegen den Entzug seiner Pensionsbezüge ein, die das städtische Wirtschaftsamt im Februar 1946 bestätigt hatte. Er sei, schrieb er an seinen früheren Arbeitgeber, am 1. Mai 1945 „wegen Dienstuntauglichkeit ordnungsgemäß in den Ruhestand“ versetzt worden. Zudem versuchte er die Vorwürfe wegen seiner NS-Belastung durch eine Reihe von Leumundszeugnissen zu entkräften.
Der Fabrikant Alfred Reipert aus Hamburg-Rissen beispielsweise sagte aus, dass Bulau wie von diesem dargestellt seit 1934 „gegen die NSDAP“ gearbeitet hätte. Ferdinand Westheimer, Inhaber des gleichnamigen Gummiwerks in Hamburg-Altona, entlastete Bulau im August 1946 ebenfalls: „Während meiner Zeit als Schutzhäftling im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel wurde ich 1943 auch dem Erkennungsdienst im Stadthaus Hamburg zugeführt.“ Bulau hätte ihm dort unter anderem Schriftproben abnehmen müssen. „Trotz Gegenwart anderer Beamter erkundete sich Herr Bulau bei mir nach den Gründen meiner Haft, bedauerte mich usw.“. Und Felicitas „Zita“ Lahusen, Frau des Apothekers Georg Lahusen aus Hamburg-Rissen und „nichtarischer Abstammung“, bescheinigte Bulau im Dezember 1946, er sei „spätestens seit dem Jahre 1934 antifaschistisch eingestellt“ gewesen. Als Beweis führte sie an, gemeinsam mit Bulau ausländische Sender „abgehört und die Meldungen, wo es uns möglich war, weiter verbreitet“ zu haben.
Im September 1947 gab der Berufungsausschuss 6 in einer mündlichen Verhandlung Bulaus Berufung statt. Der ehemalige Kriminalsekretär kam nunmehr in die Kategorie IV („Mitläufer“) und erhielt zwei Drittel seines gesetzlichen Ruhegehalts zugesprochen. Bulau sei zwar, hieß es in der Begründung, ein „alter Kämpfer“ und mehrere Jahre lang Zellenleiter der NSDAP gewesen. „Er hat jedoch den Berufungsausschuss davon überzeugt, dass er sich mindestens zu Beginn des Krieges endgültig von der NSDAP abgewendet und in einem erheblichen Umfang unter Gefährdung seiner eigenen Sicherheit gegen das Naziregime gearbeitet hat.“
Bulau gab sich damit jedoch nicht zufrieden. Nachdem der ehemalige Leiter der NS-Reichsschrifttumskammer Hanns Johst in München 1949 nur als „Mitläufer“ eingestuft worden war – ein Urteil, das allerdings kurz darauf wieder revidiert wurde –, sah er seine Chance gekommen. Im August 1949 beantragte er die Wiederaufnahme seines Verfahrens mit dem Ziel, sein volles gesetzliches Ruhegehalt zu bekommen. Er argumentierte nun vor allem mit seinem schlechten Gesundheitszustand aufgrund seines „Herzleidens“, das sich in den letzten Jahren, in denen er sich ohne Pension „schlecht und recht durchs Leben geschlagen“ habe, noch verschlechtert hätte. Zudem behauptete er, nur „ein ganz kleiner Beamter“ gewesen zu sein und den Dienst rund vierzig Jahre lang „einwandfrei“ verrichtet zu haben. Vom NS-Staat habe er sich seit der Röhm-Affäre 1934 „ferngehalten“, betonte er. Dass er nicht „als zuverlässiger ,Nazi’“ angesehen worden sei, ginge allein schon daraus hervor, dass er „während der ganzen Nazizeit keinerlei Beförderung erfahren habe, obwohl jüngere Kollegen mehrfach befördert“ worden seien.
Bulaus Klagen wurden erhört: Die Zentralstelle für Berufungsausschüsse ordnete im April 1949 die Wiederaufnahme des Verfahrens und eine erneute mündliche Verhandlung an. Der Berufungsausschuss VIII b entschied daraufhin am 28. April 1950, dass Bulau zwar in Kategorie IV verbleibe, aber rückwirkend ab dem 1. April 1950 Anspruch auf achtzig Prozent seiner Pension hätte. Das bedeutete eine Erhöhung von 164 DM auf 202 DM netto. Der Ausschuss gab Bulaus Berufung nur teilweise statt, vor allem aus menschlichen Gründen angesichts dessen Gesundheitszustands infolge des Herzleidens sowie wegen seiner geringen Pensionshöhe. Zwar erschien ihm Bulaus Abkehr vom Nationalsozialismus 1939/40 glaubhaft, aber dennoch: Als „alter Kämpfer“, der immerhin sieben Jahre lang NSDAP-Ämter innegehabt habe, war ihm eine Einstufung Bulaus als „entlastet“ unmöglich.
Bulau ließ auch jetzt nicht locker und stellte noch im Juni 1950 einen „Antrag auf Beseitigung einer unbilligen Härte nach § 6 des Gesetzes zum Abschluss der Entnazifizierung“. In einem Schreiben an den Staatskommissar für die Entnazifizierung in Hamburg betonte er nochmals, dass er „als kleiner Beamter und wie erwiesen, als harmloser kleiner Nazi besonders hart betroffen“ wäre. Zum Beweis fügte er einen Zeitungsausschnitt seinem Schreiben hinzu, wonach ein weiterer NS-Hauptschuldiger gnädiger behandelt würde als er: Emil Ehrich, der ehemalige Landesgruppenleiter der NSDAP in Italien, der ab 1949 Referent im Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrates tätig war. Dort genoss er das Vertrauen von Bundesminister Heinrich Hellwege und wurde im Entnazifizierungsverfahren in Kategorie V eingestuft.
Obwohl sich Bulau selbst als „völlig entlastet“ bezeichnete,[8] lehnte der Leitende Ausschuss des Hamburger Staatskommissars für die Entnazifizierung und Kategorisierung den Antrag des ehemaligen Kriminalbeamten auf Erhalt seiner vollen Pensionsbezüge im Juni 1951 ab. Mit neuem Anwalt klagte Bulau auch gegen diesen Bescheid, nun mit Erfolg: Am 14. Juli 1954 verurteilte das Landgericht Hamburg die Stadt, vertreten durch den Staatskommissar für Entnazifizierung und Kategorisierung, dazu, an Bulau 2589,40 DM als Ausgleich für die Pensionskürzungen von Oktober 1947 bis März 1951 – also seit seiner Einstufung in Kategorie IV – zu zahlen. Die Zinsansprüche in Höhe von vier Prozent verweigerte es dem Kläger jedoch. Das neue Antragsrecht Bulaus begründete das Landgericht damit, dass die „ersten höchstgerichtlichen Entscheidungen zu den Ansprüchen entnazifizierter Personen“ erst Ende 1951 ergangen seien. „Erst danach hat die Rechtsprechung allmählich die Grundsätze herausgearbeitet, die für die Behandlung von Gehalts- oder Pensionsansprüchen entnazifizierter Beamter maßgebend sind.“[9]
Gegen die Ausgleichszahlung legte wiederum die Stadt Hamburg im August 1954 Berufung ein und begründete dies mit dem „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ vom 10. April 1951. Danach sollten u.a. Beamten, denen im Entnazifizierungsverfahren die vollen Pensionsbezüge aberkannt wurden, diese – erst – ab April 1951 wieder in voller Höhe erhalten. Der Rechtsstreit endete schließlich im Januar 1955 mit einem Vergleich vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht: Die Stadt musste Bulau rückwirkend ab 1. April 1949 bis 31. März 1951 sein volles Ruhegehalt nachzahlen. Bulau wiederum verzichtete auf weitere Ruhegehaltszahlungen für die Zeit vor dem 1. April 1951.[10] Fast zehn Jahre lang hatte Bulau die Behörden, Kommissionen und Anwälte mit seinen Pensionsansprüchen beschäftigt.
Text: Frauke Steinhäuser