Kasimir Binert Kasimir Brunislaus Binert
(23. September 1891 Posen, heute Poznań/Polen – unbekannt)
Zollbeamter
Adresse: Lortzingstr. 2, Hamburg-Bahrenfeld (1945 bis 1951)
Wirkungsstätte: Oberfinanzpräsident Hamburg, Hauptzollamt Lohseplatz, Zollamt Meyerstraße-Süd, Meyerstraße 6–8 (1936)
Kasimir Binerts Geburtsort Poznań war 1793 im Zuge der Zweiten Polnischen Teilung von preußischen Truppen besetzt worden und gehörte bis 1918 zum Königreich Preußen. Seine Eltern hießen Stanislaus Bi(e)nert und Pauline, geborene Billeb. Laut seiner Meldekarte im Bevölkerungsregister der Stadt Posen war er katholisch und von Beruf Musiker. Im September 1908 zog er nach Neustadt (Dosse) in Brandenburg um.[1]
Nachdem Binert als Kavallerist im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, trat er 1920 dem Stahlhelm bei. Dieser paramilitärische Wehrverband in der Weimarer Republik stand der antidemokratischen und antirepublikanischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahe und stellte bei deren Parteiversammlungen vielfach den – oft bewaffneten – Saalschutz. Angeblich „auf Anraten“ seines damaligen Dienstvorgesetzten habe Binert laut eigener Aussage den Stahlhelm 1925 wieder verlassen.[2]
Binert bekleidete seinen Angaben in seinem Entnazifizierungsfragebogen zufolge seit 1930 im Zollgrenz- und Abfertigungsdienst in der Kreisstadt Marienburg (heute Malbork/Polen) südöstlich von Danzig den Rang eines Zollassistenten, so die damalige Amtsbezeichnung für die unterste Besoldungsgruppe von deutschen Zollbeamten im Mittleren Dienst. Zum 1. Dezember 1933 wurde er zum Zollabfertigungsdienst in Hamburg versetzt. Er wohnte fortan in Altona, das damals noch zum Land Schleswig-Holstein gehörte. Eine Personalakte von Binert im Staatsarchiv Hamburg existiert nicht.[3] Ausweislich seiner Karte in der NSDAP-Zentralkartei war Binert bereits am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten (Mitgliedsnummer 2291510). Im folgenden Jahr trat er wieder aus und am 21. Februar 1935 wieder ein.[4] Darüber hinaus gehörte er einer Reihe von nationalsozialistischen Organisationen an: Ab Januar 1934 war er Mitglied im Reichsbund der deutschen Beamten, ab 1934 zudem in der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV), eine der NSDAP angeschlossene Wohlfahrtseinrichtung für Schwerkriegsbeschädigte und Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs, und ab 1936 in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) sowie im VDA, dem ehemaligen Verein für das Deutschtum im Ausland (ab 1933 Volksbund für das Deutschtum im Ausland). In all diesen Organisationen habe er weder eine Funktion noch ein Amt ausgeübt, gab er 1945 an. Im Zuge von Binerts Entnazifizierungsverfahren lagen dem Beratenden Ausschuss Zoll, der für Reichsbeamte der Behörde des Oberfinanzpräsidenten (OFP) Hamburg wie Binert zuständig war, allerdings Akten aus der NS-Zeit vor, die seine Angaben widerlegten. So habe er bereits seit dem 2. April 1933 der NSDAP angehört und darüber hinaus bis zu seiner Versetzung nach Hamburg 1933 auch die Funktion eines „Amtswalters“ in der Ortsgruppe Marienburg-Willenberg ausgeübt. Als Amtswalter wurden in der Anfangszeit der NS-Herrschaft die politischen Funktionäre der Partei bezeichnet, die einen Eid auf Adolf Hitler leisten mussten und auf der untersten Rangstufe zuständig für die kleinteilige Kontrolle, Bespitzelung und Indoktrinierung der Bevölkerung im nationalsozialistischen Sinne waren. In Binerts Personalakte, die dem Ausschuss 1945 noch vorlag, soll sich zudem ein Schreiben des Hamburger Sozialamts von 1935 befunden haben, nach dem sich Binert „voll und ganz in den Dienst der NSDAP“ gestellt habe. Binert dagegen verteidigte sich in seinem Entnazifizierungsverfahren damit, nur „zahlendes Mitglied“ gewesen zu sein.
1935 wurde Binert zudem SA-Mitglied. Der ihm bekannte Musikzugführer der Reiter-SA in Hamburg, so der Zollbeamte im Juli 1945, hätte ihn überredet, „als ehemaliger Kavallerist und Musiker in den Musikzug der SA einzutreten“. Dort sei sein höchster Rang der eines Oberscharführers gewesen. Der SA-Musikzug wurde im März 1936 in das Nationalsozialistische Reiterkorps (NSRK) überführt, das alle berittenen Einheiten der NS-Kampforganisationen innerhalb der NSDAP zusammenfasste, darunter auch die Reiter-SS.
Im Februar 1938 erfolgte Binerts Beförderung zum Zollsekretär. Sein genauer Dienstort – ob beispielsweise in der Zollabfertigungsstelle in Altona oder im Hauptzollamt St. Annen in der Speicherstadt – ist unbekannt. Auch lässt sich nicht nachweisen, ob er persönlich an NS-Verbrechen beteiligt war. Seine Behörde allerdings, der Oberfinanzpräsident (OFP) Hamburg, wie das Landesfinanzamt ab 1937 hieß, beteiligte sich in der NS-Zeit im Zusammenspiel mit der Gestapo und staatlichen Behörden an der wirtschaftlichen und finanziellen Existenzvernichtung von Jüdinnen:Juden und anderen NS-Verfolgten. Finanz- und Zollbeamt:innen setzten jüdische Geschäftsinhaber:innen mit Steuern, Sonderabgaben, Kontrollen und Strafen systematisch unter Druck und trieben deren Geschäfte in den Ruin, um sie in „arische“ Hände zu überführen oder zu liquidieren.[5]
Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs 1945 entließen die Briten den Zollbeamten Kasimir Binert in der ersten Säuberungswelle der Hamburger Behörden von Nationalsozialist:innen am 25. Juli 1945 aus politischen Gründen. Binert, der eine Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg geltend machte und auch eine kleine Versehrtenrente bezog, legte Berufung gegen seine Entlassung sowie gegen seine Einstufung in die Kategorie III (ab Oktober 1946, „Minderbelastete“) im Rahmen des späteren Entnazifizierungsverfahrens ein. Sein Kampf um Rehabilitierung und Wiedereinstellung mitsamt der Pensionsansprüche erstreckte sich über mehrere Jahre. In einem Schreiben aus dem September 1946 an seinen ehemaligen Arbeitgeber, den OFP Hamburg, behauptete Binert erneut, nach seinem Eintritt am 5. Mai 1933 keine Funktion in der NSDAP ausgeübt zu haben. Außerdem sei er nur Mitglied des Musikzugs, aber nicht der SA gewesen.
Seine Entlastungsversuche zeigten Wirkung: Der Leiter der Zentralstelle für Berufungsausschüsse empfahl im Dezember 1946 eine rasche Entscheidung in der Sache mit dem Hinweis, dass Binert schwer kriegsbeschädigt sei. Außerdem meldete er Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit an: Angeblich sei der Ex-Zollbeamte infolge einer Kopfverletzung „geistig nicht ganz auf der Höhe“ und „seelisch nicht intakt“.
Im Januar 1947 korrigierte Binerts Frau Anna die Angabe ihres Mannes auf dem Entnazifizierungsbogen von 1945. Danach sei er nicht Scharführer, sondern nur einfacher SA-Mann in der Reiterstandarte gewesen. Die Briten lehnten Binerts Berufung jedoch am 24. Januar 1947 ab.
Rund fünf Monate später bestätigte der Beratende Ausschuss Zoll beim OFP Hamburg Binerts Einstufung in Kategorie III, was sowohl die fortgesetzte Sperrung seines Vermögens bedeutete als auch die Wiedereinstellung in den Dienst verhinderte. Binert sei auch gar nicht schwer, sondern nur zu zehn Prozent kriegsbeschädigt, gab der Ausschuss zu Protokoll. Die Kopfverletzung mit schwerer Gehirnerschütterung habe er sich zudem erst bei einem „Dienstunfall“ 1940 zugezogen und nicht im Ersten Weltkrieg. Binert sei aber „von jeher darauf bedacht, durch seine Kriegsbeschädigung Bevorzugung zu erlangen.“ Auch hätte er der Behörde vor 1945 sehr viel Arbeit dadurch gemacht, „dass er entdeckt hatte, mit dem früheren Minister Ribbentrop verwandt zu sein.“ Der Ausschuss hatte eine klare Meinung über den Zollbeamten. Er beschrieb Binert als jemanden, der zwar „kein Geisteslicht“ sei, aber „geistige Beschränktheit hat niemanden gehindert, ein sehr brauchbarer Nationalsozialist zu sein, vielmehr war sie insoweit sehr förderlich. Binert war früher sehr darauf aus, seine Zugehörigkeit zu ,unserer Bewegung’ hervorzuheben.“ Jetzt würde er versuchen, sich politisch anders darzustellen und „seine früheren nationalsozialistischen Ergüsse als Auswirkungen seelischer Gestörtheit“ darzustellen. Auch wegen „erheblicher Falschmeldungen im Fragebogen“ und aufgrund seiner „frühen Parteizugehörigkeit“ plädierte der Ausschuss dafür, ihn in Kategorie III zu belassen.
Binert schaltete daraufhin die Rechtsanwälte Dr. Kohlsaat & Grotefend aus Altona ein. Im Januar 1948 beantragten sie bei der Zentralstelle für Berufungsausschüsse die Wiederaufnahme des Verfahrens. Angesichts der Kriegsverletzung und eines „wahrscheinlichen Defekts“ ihres Mandanten sei die Zahlung einer Pension oder Teilpension gerechtfertigt. Binert sei selbst nur „beschränkt verteidigungsfähig“ aufgrund „seiner Hirnverletzung, die nicht zuletzt Ursache vieler nicht verständlicher Handlungen von ihm war“, behaupteten die Anwälte. Im Übrigen würde es sich bei Binert nur um einen „kleinen Fall“ handeln, während zugleich viele „aktive Nationalsozialisten“ sehr milde behandelt und oft sogar in Kategorie V („Entlastete“) eingestuft würden. Binerts Frau Anna appellierte im Mai 1948 zudem an das Wohlwollen des Ausschusses, weil sich ihre Familie in einer „sehr großen Notlage“ befände, sie „total bombengeschädigt“ seien und ihr Mann „sehr schwer kriegsbeschädigt“.
Schließlich empfahl der Fachausschuss VIIIa im März 1949 Binerts Einstufung in die Kategorie IV („Mitläufer“). Nach der Zustimmung der Zentralstelle für Berufungsausschüsse wurde damit die Entscheidung vom Juni 1947 aufgehoben: Ab April 1949 erhielt der Zollbeamte Binert eine Teilpension von 60 Prozent und ab dem 65. Lebensjahr von 80 Prozent zugesprochen. Er könne nicht als „gefährlicher Naziaktivist“ bezeichnet werden, urteilte der Ausschuss jetzt, weshalb die Pensionszahlungen auch „unter Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse“ gerechtfertigt seien.
Binerts Verlangen auf Wiedereinstellung und vollständige Pensionsbezüge wies der OFP allerdings mit dem formalen Argument zurück, dass jener als Zollsekretär nicht Beamter der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) gewesen sei, sondern Reichsbeamter und die Stadt somit der falsche Adressat seiner Klage. In dem sich über diese Frage von Binert angestrengten Rechtsstreit gab das Landgericht Hamburg im Januar 1950, der Beklagten, also der FHH, Recht.[6]
Unverdrossen wandte sich der inzwischen knapp 60-jährige Binert im September 1950 an den Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung und forderte in seinem Fall die „Beseitigung unbilliger Härte“: „Ich bin [ein] kleiner Beamter“, schrieb der „Zollsekretär i.R.“ und wiederholte seine Behauptung, dass er „vom 1. Weltkrieg her infolge eines Kopf- und Bauchschusses schwerbeschädigt“ sei. Aus Gründen, die nicht zur Sache gehörten, sei er aber „durch einen Zivilversorgungsschein abgefunden worden.“ Binerts Antrag auf volle Pensionsbezüge oder Wiedereinstellung untermauerte ein „Persilschein“, den ihm der Betriebsrat Henze der Oberfinanzdirektion Hamburg (der Nachfolgebehörde des OFP) ausstellte und nach dem er als „politisch völlig harmlos“ bekannt gewesen sei.
Binerts Hartnäckigkeit im Kampf um seine Rehabilitierung wurde schließlich belohnt: Gemäß § 3 des Gesetzes zum Abschluss der Entnazifizierung vom 10. Mai 1950 wurde er im November 1950 in die Kategorie V („Entlastete“) eingestuft und zum 1. Mai 1951 tatsächlich wieder eingestellt – allerdings nur als Zollassistent. Der Leitende Ausschuss wollte im August 1951 aber keine „unbillige Härte“ erkennen und lehnte Binerts Wiedereinsetzung in seinen früheren Dienstrang als Zollsekretär mit entsprechenden Pensionsansprüchen ab: „Die Entscheidung ist endgültig.“[7]
Text: Frauke Steinhäuser