Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

KZ-Außenlager Dessauer Ufer, Schuppen F und H

Veddel-Kleiner Grasbrook
KZ-Außenlager des KZ Neuengamme
Dessauer Ufer, Schuppen F und H


Am 17. Juni 1944 kam ein Transport mit etwa 1000 tschechischen und ungarischen Jüdinnen nach Hamburg in das Lager Dessauer Ufer, ein Außenlager des KZ Neuengamme. Die Frauen waren im KZ Auschwitz für einen Arbeitseinsatz selektiert worden. Darunter befanden sich auch die Zeitzeuginnen Dagmar Lieblová und Margit Herrmannova, deren Erinnerungen von 1999 im Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme verwahrt sind.
Dagmar Lieblová berichtet über die schweren Arbeiten im Hamburger Hafen: „Am ersten Tag haben wir Fässer voll von Teer, die durch die Bomben irgendwie auseinandergerollt waren, ... an einem Ort gestapelt. Das war eine ziemlich schwere Arbeit. ...Wir waren das nicht gewöhnt, wir hatten solche Arbeit nie gemacht. Und dann haben wir Eisenstücke aus den Trümmern holen müssen und Maschinen irgendwohin getragen. ... Ein anderes Mal haben wir aus den Trümmern Steine geholt und abgeklopft. Einmal mussten wir von einem Schiff Ziegelsteine abladen. ... Da wir ohne Handschuhe arbeiteten, hatte ich später ganz wunde Finger von den Ziegeln.“
Auch Margit Herrmannová wurde dort für schwere Aufräumarbeiten in den Raffinerien im Hamburger Hafen nach den Bombenangriffen eingesetzt: „Aufstehen mussten wir etwa um vier Uhr früh. ... Da wurden wir zum Schiff gebracht, das uns dann zu den Raffinerien brachte, nach Moorburg oder nach Finkenwärder. Meistens haben wir dann auf dem Schiff weitergeschlafen. ... Es war ja Sommer, also nicht so kalt. ... Die ersten Arbeitsstätten waren die großen Raffinerien an der Süderelbe. Ich war zunächst bei Ebano. Dort waren bei einem Fliegerangriff die Tanks mit Teer getroffen worden und der Teer war ausgeflossen. Unsere Aufgabe war es, den Teer in Eisenfässer zu schaufeln. ... Später kam ich zu Rhenania. Dort war der große Vorteil ..., dass nach Luftangriffen eine Extrasuppe verteilt wurde an die Arbeiter. Und wir haben auch Suppe bekommen…“
Bei der Selektion am 14. Juli 1944 in Auschwitz für den Transport nach Hamburg wurde nicht nur bei Rozana Domaracka und Alice Dub (siehe Eidelstedt, Lager Friedrichshulderweg) übersehen, dass sie schwanger waren, auch Ruth Huppert, geb. 6. Oktober 1922 in Moravska Ostrava/Tschechoslowakei, und Berta Reich, geb. 1913 Tschechoslowakei, konnten ihre Schwangerschaft verbergen. Nach ihrer Ankunft im Lager Dessauer Ufer wurde diese jedoch gleich bei ihrer ersten Untersuchung entdeckt.
Einen Tag später wurden sie mit einer Bewachung und dem Versprechen, dass sie ihre Kinder zunächst in Ruhe entbinden sollten und dann wieder zurückkämen, in einem Zug zunächst zum KZ Ravensbrück und dann nach Auschwitz verbracht. Durch die Vortäuschung, dass die Niederkunft kurz bevorstehe, konnten sie einer Selektion für die Gaskammern zweimal entgehen. Sie kamen jedoch in die Krankenbaracke in Auschwitz und wurden jeden Tag von dem berüchtigten SS-Arzt Mengele in Augenschein genommen, seine Worte dabei: „Legt euch nur hin und entbindet, dann werdet ihr ja weitersehen!“
Ruth Huppert berichtet 1988, nun unter dem Namen Ruth Elias, in ihrem Buch von ihrer Entbindung einer gesunden kleinen Tochter, ohne Tücher, ohne Wasser und mit einer nicht sterilisierten Schere. Auf Mengeles Befehl musste ihr die „Lagerärztin“, ebenfalls eine tschechische Zwangsarbeiterin, die Brüste ganz fest bandagieren. Ruth Huppert war es verboten, ihr Kind zu stillen. Auf ihre Frage nach dem Warum, sprach eine Mithäftlingsfrau es aus: „Mengele will einen Versuch machen, wie lange ein Neugeborenes ohne Essen aushalten kann.“
Die Qual zusehen zu müssen, wie ihr Kind litt, war für sie unerträglich. Mit einer Art Lutscher, in kleine Fetzen eingewickelte kaffeegetränkte gekaute Brotkrumen, versuchte sie zunächst mit Hilfe anderer Frauen das Neugeborene zu beruhigen. Nach einer Woche half ihr eine Lagerärztin, dem Leiden ein Ende zu machen. Es sollte noch vor der nächsten Untersuchung von Mengele geschehen, da zu erwarten wäre, dass sie dann in das Gas geschickt werden würde. Über einen Sanitäter besorgte die Ärztin unter gefährlichen Bedingungen Morphium und eine Spritze. Da sie den Eid als Ärztin Leben zu retten, für sich erhalten wollte, übergab sie die Spritze Ruth Huppert, sie sollte es selbst tun. Unter großer Trauer und Verzweiflung gab sie ihrem Kind die Spritze und erlöste es von den Leiden. Desgleichen musste auch Berta Reich einige Tage später mit der Geburt ihres Kindes dessen Leiden qualvoll ertragen. Sie hatte schon zuvor in Auschwitz den Tod ihres fünfjährigen Jungen hilflos erleiden müssen.
Des Weiteren berichten die Zeitzeuginnen Blumova und Kulankova von der Geburt des Säuglings der Hedda Levitova, deren Kind nur 2- 3 Wochen lebte und an Hunger verstarb, weil die Mutter es nicht stillen konnte. Die Zeugin Arnstein erinnerte 2 Geburten. Das eine Kind sei nur ein paar Tage bei der Mutter gewesen, da die Mutter es nicht nähren konnte, das andere Neugeborene sei gleich nach der Geburt verstorben.

Text: Margot Löhr