Wilhelm Schlochauer Nachfolger, Juteweberei
Liebigstraße 88
Firmenlager für Zwangsarbeiter*innen
Liebigstraße 86/88
Unbewachtes Lager mit fünf Holzbaracken für 461 ausländische Frauen und Männer. Das Lager bestand von August 1940 bis November 1944.
Inhaber des Betriebes: Gustav H. Griessbauer, Liebigstraße 88, Hans Timm, Kurfürstenstraße 11, Wandsbek und Gustav Timm, Claudiusstraße 32, Wandsbek
Im Zwangsarbeiter*innenlager waren auch Säuglinge untergebracht.
Zwei Kinder aus diesem Lager kamen in der Frauenklinik Finkenau, Hamburg-Uhlenhorst, zur Welt. Ein Kind kam im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn zur Welt. 1 Abort ist im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn verzeichnet. 1 Kind verstarb in der Frauenklinik Finkenau, Hamburg-Uhlenhorst. 2 Kinder verstarben im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort.
Einige Beispiele:
Ursula Johanna Bartosik kam am 24.6.1944 in Hamburg zur Welt. Ihre Mutter, Sophie Bartosik, geb. am 12.2.1920 in Lodz, war ledig. Aus ihrer Heimat Polen verschleppt, musste sie in Hamburg-Billbrook für die Hamburger Juteindustrie A.G, Jutefabrikate Wilhelm Schlochauer, Liebigstraße 88, Zwangsarbeit leisten. Sie war im Lager Liebigstraße 86 untergebracht und in dieser Zeit schwanger.
Bereits drei Wochen vor der Geburt ihres Kindes wurde sie in der Frauenklinik Finkenau, Hamburg-Uhlenhorst, aufgenommen. Nach zwei Tagen Aufenthalt kehrte sie jedoch wieder zurück in das Lager Liebigstraße. Am Tag der Geburt ihres Kindes kam sie erneut in die Frauenklinik Finkenau. Acht Tage nach der Entbindung wurde Sophie Bartosik mit ihrer Tochter Ursula Johanna am 2. Juli 1944 zurück in das Lager Liebigstraße entlassen.
Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für Ursula völlig unzureichend.
Sie lebte dort nur zwei Tage. Am 4. Juli 1944 um 19:00 Uhr verstarb sie im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort. Im Sterberegister ist als Todesursache „Frühgeburt“ „Hydrocephalus“ (Wasserkopf, Ansammlung des Liquors im Schädel) angegeben. Der Arbeiter Kasimir Otto (geb, 17.2.1915 Lonz, polnischer Zwangsarbeiter seit 8.6.1940, Lager Liebigstraße 86), wohnhaft Billbrockdeich 87, zeigte den Sterbefall beim Standesamt mündlich an. In welcher Beziehung er zu Sophie Bartosik stand, ist nicht bekannt.1)
Johann Jaworski kam am 19.7.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Mutter Stanislawa Jaworska, geb. am 3.5.1917 in Lodz, war römisch-katholischen Glaubens und ledig. Aus ihrer Heimat Polen verschleppt, musste sie in Hamburg-Billbrook bei der Hamburger Juteindustrie A.G, Jutefabrikate Wilhelm Schlochauer, Liebigstraße 86/88, Zwangsarbeit leisten. Sie war im Lager Liebigstraße 86 untergebracht und in dieser Zeit schwanger.
Einen Tag vor der Geburt ihres Kindes wurde sie im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn mit der Diagnose „Beinschwellung“ aufgenommen. Am 19. Juli 1944 brachte sie dort ihren Sohn Johann zur Welt.
Fünfzehn Tage nach der Entbindung erfolgte für beide am 3. August 1944 die Entlassung. Laut Krankenhausliste musste sich Stanislawa Jaworska beim Arbeitsamt Hamburg einfinden und Johann kam in das Lager Liebigstraße.
Aufgrund dieser Aufzeichnungen kann nur vermutet werden, dass Stanislawa Jaworska an diesem Tag sofort einem Arbeitseinsatz zugeteilt wurde, wie das nach dem Wochenbett üblich war. Die Säuglinge waren weitgehend tagsüber im Lager sich selbst überlassen bzw. wurden von älteren Kindern oder einer „Pflegerin“, ebenfalls eine Zwangsarbeiterin, notdürftig betreut. Im Lager Liebigstraße musste Johann die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn völlig unzureichend.
Am 3. Oktober 1944 um 3:00 Uhr verstarb Johann im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort. Im Sterberegister ist als Todesursache „Krämpfe“ „Dystrophie“ (durch Mangelernährung ungenügende Versorgung von Organen) angegeben. 2)
Der Knabe mit dem Nachnamen Karalowa verstarb am 19.7.1944 während der Geburt in Hamburg. Er erhielt keinen Vornamen. Seine Mutter Maria Karalowa, geb. am 25.10.1908 in Russland, war römisch-katholischen Glaubens und ledig. Aus ihrer Heimat verschleppt, musste sie in Hamburg-Billstedt bei der Hamburger Juteindustrie A.G, Jutefabrikate Wilhelm Schlochauer, Zwangsarbeit leisten. Sie war im Lager Liebigstraße 88 untergebracht und in dieser Zeit schwanger.
Am 7. Juni 1944 wurde sie in der Frauenklinik Finkenau, Hamburg-Uhlenhorst, mit der Diagnose „drohende Frühgeburt“ aufgenommen, jedoch nach einem Tag wieder zurück in das Lager Liebigstraße entlassen. Sechs Wochen später kam sie am 18. Juli 1944 erneut in die Frauenklinik Finkenau.
Am nächsten Tag verstarb ihr Sohn dort während der Geburt am 19. Juli 1944 um 18:15 Uhr. Er war 51 cm groß. In der Todesbescheinigung des Krankenhauses ist als Todesursache „Übertragung, unter der Geburt abgestorben, intrauterine Asphyxie“ (Unterversorgung des Fötus durch ungenügende Sauerstoffzufuhr) und als unterzeichnender Arzt Anders angegeben. 3)
Text: Margot Löhr