Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Gebr. Böhling Metallwarenfabrik

Rohrbogenwerk
Großmannstr. 118
Firmengemeinschaftslager für Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenenlager
Grusonstraße (Lager Böhling)


Lager für 816 Zwangsarbeiter mit 14 Wachen geplant; die Firma Böhling hatte über 200 Zwangsarbeiter dort untergebracht, 14 weitere Firmen belegten das Lager. Ein Lager für russische Kriegsgefangene war abgetrennt. Ob ein im Juli 1942 geplantes zusätzliches Lager für 237 Zwangsarbeiter gebaut wurde, ist ungewiss.
Das Lager bestand von Oktober 1943 bis April1945. Lagerführer war Heinrich Meyer.
Die Firma hatte 1919 ein Patent für den „Hamburger Rohrbogen“ erhalten.
Dipl. Ing. Rudolf Böhling, geb. 1903, wohnhaft 1943 Volksdorf Halenreihe 1, 1943-1947 Elbchaussee 105, war seit 1931 in der väterlichen Firma tätig, 1934 wurde er Teilhaber und nach dem Tod seines Vaters (Freimaurer) 1937 Alleininhaber der Fabrik.
Mitgliedschaften: seit 1933 Mitglied der NSDAP und stellvertretender Blockleiter, Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), seit 1938 des VDJ, Mitglied des NS Altherrenbundes. Im August 1945 wurde er von der Military Government verhaftet, in Fischbek interniert und nach 28-monatiger Haft von der Entnazifizierungskommission im Juli 1948 in Gruppe IV einkategorisiert, ohne weitere Sanktionen, da er sich nicht aktiv in der Partei betätigt und genug gebüßt habe.

In dem Lager waren auch Zwangsarbeiterinnen mit ihren Kindern untergebracht.
Im Folgenden einige Beispiele hierfür:
Wladimir Kireewa kam am 8.4.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Mutter Anna Kireewa, geb. Arieschkowa, geb. am 3.6.1918 in Rilck / Kursk, war griechisch-katholischen Glaubens und seit dem 1. April 1933 in Kursk mit Wladimir Kireewa verheiratet. Dessen Aufenthaltsort und Schicksal sind nicht bekannt. Anna Kireewas Eltern Sergey und Katharina Arieschkowa lebten in Kursk. Aus ihrer Heimat Russland verschleppt, musste Anna Kireewa in Hamburg-Billbrook als „Fabrikarbeiterin“ und „Küchenhelferin“ für die Firma Gebr. Böhling oder andere Firmen Zwangsarbeit leisten. Sie war im „Ostarbeiter-Gemeinschaftslager“ Grusonstraße untergebracht und in dieser Zeit schwanger.
Am 8. April 1944 um 2:30 Uhr brachte Anna Kireewa dort ihren Sohn Wladimir zur Welt. Noch am selben Tag kam sie zum Wochenbett in die Frauenklinik Finkenau, Hamburg-Uhlenhorst. Acht Tage nach der Entbindung wurde sie mit ihrem Sohn Wladimir am 16. April 1944 zurück in das Lager Grusonstraße entlassen. Der Arbeiter Georg Scholljegerdes, Hamburg Berzeliusstraße, zeigte den Geburtsfall beim Standesamt mündlich an. In welcher Beziehung er zu Anna Kireewa stand, ist nicht bekannt.
Im Lager Grusonstraße musste Wladimir die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn dort völlig unzureichend.
Er verstarb am 8. Mai 1944 um 18:15 Uhr im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort.
In der Sterbeurkunde ist als Todesursache „Frühgeburt, schwere Ernährungsstörung“ angegeben. Der Lagerführer Heinrich Meyer, wohnhaft Hamburg-Billstedt, Möllner Landstraße 240, zeigte den Sterbefall beim Standesamt mündlich an. 1)

Michel Mickickwe kam am 17.11.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Mutter Elena Mickickwe, geb. am 10.3.1914 in Stanislaw/Bukowina, war katholischen Glaubens und ledig. Aus ihrer Heimat Russland / Ukraine verschleppt, musste sie als „Arbeiterin“ in Hamburg-Billbrook vermutlich für die Firma Gebr. Böhling Zwangsarbeit leisten. Sie war im „Ostarbeiterlager“ Grusonstraße untergebracht und in dieser Zeit schwanger.
Dort brachte sie am 17. November 1944 um 16:00 Uhr ihren Sohn Michel zur Welt. Sie zeigte den Geburtsfall mündlich beim Standesamt an. Im Lager Grusonstraße musste Michel die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn völlig unzureichend.
Er verstarb dort am 23. Dezember 1944 um 9:00 Uhr. In der Sterbeurkunde ist als Todesursache „Lungenentzündung“ angegeben. Seine Mutter zeigte den Todesfall beim Standesamt mündlich an. Sie unterschrieb, wie im Geburtsregister, „wegen Schreibensunkunde“ mit ihrem Handzeichen, mit drei Kreuzen.2)

Stephan Prokobjuk kam am 24.12.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Eltern, Desmenica Prokobjuk, geb. am 22.9.1916, und Iwan Prokobjuk, geb. 26.12.1914, stammten beide aus Czernowitz / Bukowina und waren vermutlich russisch-orthodoxen Glaubens, registriert als „orthodox“. Aus ihrer Heimat Rumänien mit ihren beiden ebenfalls in Bukowina (Bukarest) geborenen Kindern, Michael, geb. 1939, und Stefania, geb. 1941, verschleppt, gelangten sie über Berlin nach Hamburg-Billbrook und mussten als „Rüstungsarbeiter“ vermutlich für die Firma Gebr. Böhling Zwangsarbeit leisten. Sie waren seit dem 23. September 1944 im „Ostarbeiterlager“ Grusonstraße untergebracht. In dieser Zeit war Desmenica Prokobjuk schwanger.
Einen Tag vor der Geburt ihres Kindes wurde sie in der Frauenklinik Finkenau, Hamburg-Uhlenhorst, aufgenommen. Neun Tage nach der Entbindung kam sie mit ihrem Sohn Stephan am 1. Januar 1945 zurück in das Lager Grusonstraße. Dort musste Stephan die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn völlig unzureichend.
Wo und wann er zur Zeit des Kriegsendes verstarb, ist nicht bekannt; in den Hamburger Sterberegistern ist er nicht aufgeführt, lediglich in den Grabregistern. 3)
Text: Margot Löhr