Paul Heitmann
(15.11.1892 - 4.10.1973)
Lehrer
Kirchdeich 16 (Wohnadresse; ehemalige Straßenbezeichnung, heute: Ochsenwerder Kirchdeich)
„1933 konnte sehr wohl ein politischer und menschlich rechtschaffend denkender und handelnder Beamter der Täuschung zum Opfer fallen und guten Glaubens der NSDAP beitreten.“
Eine vielseitige Person war der in Ochsenwerder geborene Paul Heitmann. Er gehörte zur Gruppe der in den Vier- und Marschlanden ansässigen Lehrer, die schon am 1.5.1933 der NSDAP beitraten und an den kleinen Schulen im Landkreis mit nur ein oder zwei Lehrkräften in der NS-Zeit auch die Schulleitungsfunktion übernahmen. Da Heitmann gleichzeitig die Funktion des Organisten und Kantors in der Kirche Ochsenwerder innehatte, geriet er in Konflikte mit der NSDAP, der er angehörte. Dies sollte dann nach 1945 eine Rolle in seinem Entnazifizierungsverfahren spielen.
Paul Heitmann wurde als Sohn eines Lehrers am 15.11.1892 in Ochsenwerder geboren. Nach der Volksschule besuchte er seit Ostern 1907 die Präparandenanstalt in Oldesloe. Am 1.4.1910 wechselte er auf das Lehrerseminar Rendsburg, wo er am 8.2.1913 die Abschlussprüfung bestand. Danach wurde er Hilfslehrer in Allermöhe und war an verschiedenen Schulen tätig, bis er zum 1.1.1919 fest angestellter Lehrer in Ochsenwerder wurde, wo er auch am 25.8.1920 die zweite Lehrerprüfung bestand. Heitmann wechselte 1924 für einige Jahre an die Knaben-Volksschule Holstenwall 14.[1]
Zwischenzeitlich hatte er sich freiwillig als Soldat gemeldet, um am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Er wurde in der Armee bis zum Leutnant befördert und beendete den Krieg am 1.12.1918, dekoriert mit dem EK I und II.[2]
Zu den vielfältigen Interessen Heitmanns gehörte es, am 6.6.1919 an die Oberschulbehörde das Gesuch zu stellen, in den deutschen Auslandsschuldienst zu wechseln. Seine Präferenz war es, „nach Südamerika (Argentinien oder Chile)“ zu gehen.[3] Dem Gesuch fügte er ein kurzes Gutachten von Landesschulinspektor Hollburg bei, in dem es hieß: „Heitmann ist von ehrenhaftem Charakter, ein Lehrer der seine Amtspflichten gewissenhaft erfüllt, mit Geschick unterrichtet, gute Disziplin hält und in unterrichtlicher und erziehlicher Hinsicht wohl befriedigende Ergebnisse erzielt. Über sein außeramtliches Verhalten ist nie etwas Nachteiliges bekannt geworden.“[4]
Paul Heitmann blieb dem Hamburger Schulwesen erhalten. Er heiratete am 23.2.1928.[5]
Am 1.5.1933 wurde Heitmann Mitglied der NSDAP, gleichzeitig gehörte er dem NSLB und der NSV an, sowie dem NS Reichskriegerbund.[6]
1933 wurde Paul Heitmann Schulleiter der Schule Ochsenwerder-Kirchendeich, deren kleines Kollegium noch aus zwei Lehrern und zwei Lehrerinnen bestand.[7] Der Hintergrund für diese Schulleiterbestellung sollte im Entnazifizierungsverfahren noch eine Rolle spielen. Augenscheinlich hatte es aber auch etwas mit dem gleichzeitigen NSDAP-Beitritt von Paul Heitmann zu tun.
Die Personalakte von Paul Heitmann dokumentiert, dass er neben seiner Schulleiter- und Lehrertätigkeit in Ochsenwerder als Organist und Kantor der dortigen Kirche tätig war und in dem Spar- und Darlehenskassenverein als Geschäfts- und Rechnungsführer. Somit war er in Ochsenwerder eine zentrale Persönlichkeit.[8]
Deutlich wird aber auch, dass Paul Heitmann regelmäßig zu Wehrübungen herangezogen wurde. Vom 5. bis zum 24.4.1937 nahm er an einer Einweisungsübung bei der Flak teil, 1938 war er für eine Woche abermals beim Flakregiment Oldenburg, für das er im September 1938 erneut vom Schuldienst befreit wurde. Vorher hatte er noch eine Pflichtübung als Oberleutnant absolvieren müssen. Vom 16.8. bis zum 12.9.1939 nahm er an einer Schießübung teil.[9]
Am 25.2.1939 war er zum Hauptlehrer befördert worden.[10]
Zum Kriegsdienst zog die Wehrmacht Paul Heitmann am 12.10.1939 ein, am 1.12.1943 wurde er zum Major befördert, durchaus ungewöhnlich für einen Volksschullehrer.[11] Aber Paul Heitmann hatte ja bereits den Ersten Weltkrieg vier Jahre mitgemacht und war am Ende als Leutnant in die Schule zurückgekehrt.
Am 9.5.1945 wurde Paul Heitmann aus der Wehrmacht entlassen, er hatte nach seiner Beförderung zum Hauptlehrer lediglich knapp acht Monate in diesem Amte gearbeitet.[12]
Über seine Arbeit an der Schule Ochsenwerder liegt nur ein Bericht von Schulrat Dietrich Ossenbrügge vom 16.6.1936 vor, auf Anforderung der Wehrmacht geschrieben, in dem es heißt:
„Leutnant der Reserve Heitmann ist Schulleiter der Gemeindeschule in Ochsenwerder bei der Kirche. Schon diese Stellung bürgt dafür, dass politische Bedenken gegen ihn nicht bestehen. In seiner Schulgemeinde besitzt er größtes Vertrauen. Sein Verhalten in und außer Dienst kann nur als korrekt und tadellos bezeichnet werden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse dürfen nach Ansicht der Landesunterrichtsbehörde als gut bezeichnet werden. Nachteiliges über seine Ehefrau ist nicht bekannt geworden.“[13]
Paul Heitmann war von der Britischen Militärregierung am 1.10.1945 als Lehrer bestätigt worden.[14] Man setzte ihn aber nicht wieder als Hauptlehrer, d. h. als Schulleiter ein, wobei es merkwürdig war, dass Heitmann als Lehrer ausgerechnet an der Schule in Ochsenwerder Bei der Kirche weiterbeschäftigt wurde, an der er vorher als Schulleiter tätig gewesen war.
Paul Heitmann legte Einspruch gegen die Entscheidung ein und machte Bemerkungen zu dem von ihm ausgefüllten Entnazifizierungsfragebogen:
„Im Jahre 1935 musste ich in der Ortsgruppe in der NSV tätig sein, obwohl ich mich aus gesundheitlichen Gründen dagegen wehrte (Verschüttung in der Flandernschlacht 1917). Ich wurde nicht als politischer Leiter verpflichtet und war ein Jahr in der NSV tätig. Im NSLB war ich Vertrauensmann meiner Schule. Als solcher zog ich die Beiträge für den NSLB ein, d. h. für zwei Lehrer.
Im März 1939 stellte der Ortsgruppenleiter an mich das Ansinnen, das Amt des Organisten, welches ich nebenamtlich an der St. Pankratiuskirche in Ochsenwerder seit 1933 ausübte, niederzulegen. Ich weigerte mich. Die Gründe für meine Weigerung waren folgende: Der Kirche stand ich von jeher positiv gegenüber. Das Amt war seit 1890 von meiner Familie ausgeübt worden. Mir selbst war es Herzenssache und in meinem Bestreben, den Gottesdienst durch mein Spiel zu verschönern, erhielt ich durch meinen Bruder, den Professor Fritz Heitmann aus Berlin, der wohl zu den größten Orgelkünstlern gerechnet werden kann, wertvolle Anweisung. Der Ortsgruppenleiter setzte mich unter Druck und meldete mich beim Kreis. Ich blieb bei meiner Weigerung. Darauf wurde mir das Tragen des Parteiabzeichens verboten. Außerdem hielt man mich nicht mehr für würdig, das Amt des Vertrauensmanns im NSLB (Einziehen der Beiträge) zu bekleiden. Sehr erschwert wurde mir die Arbeit im Kinderchor, der zum Gottesdienst sang und den ich leitete, durch die HJ.“[15]
Diese Aussage wurde von Pastor Fritz Schade aus Ochsenwerder mit dem Amtssiegel der Kirche bestätigt. Die Bemerkungen erinnern an das Muster von Erklärungen von NS-Belasteten, die damit argumentierten, in Auseinandersetzungen mit Gliederungen der Nationalsozialisten geraten zu sein. Schulleiter hatten zumeist Konflikte mit der HJ gestanden. Paul Heitmann jedoch muss die Unterstützung der Schulverwaltung und der NSDAP gehabt haben, sonst wäre er nicht am 25.2.1939 zum Hauptschullehrer befördert worden.
Paul Heitmann nahm sich jetzt einen Rechtsanwalt, Fritz Grabbe, dessen Hauptargumentation darin bestand, den Ablauf bei der Schulleiterernennung von Paul Heitmann zu rekonstruieren. Er schrieb am 15.7.1948:
„Die Herunterstufung ist als politische Maßregelung anzusehen. Diese Regelung findet jedoch in dem politischen Verhalten und der gesamtpolitischen Belastung keinen Anhalt. Offenbar ist man bei der Maßnahme von der Annahme ausgegangen, dass Heitmann aufgrund seiner politischen Tätigkeit zu dieser Dienststellung gekommen ist. Dieser Irrtum ergibt sich zweifellos daraus, dass Heitmann im Jahre 1933 nach Ochsenwerder versetzt ist. Diese Annahme ist jedoch irrig. Heitmann ist gebürtig aus Ochsenwerder. Er ist seit 1913 Lehrer. Im Jahre 1933 wurde er damals Schulleiter in Ochsenwerder. Karl Schwemer ist aus politischen Gründen seines Postens enthoben und es wurde ihm nahegelegt, einen Kollegen zu suchen, der mit ihm nach Ochsenwerder tauscht. Dieser wandte sich an den ihm bekannten Heitmann, mit der Bitte, diesen Tausch vorzunehmen. Heitmann, der wie gesagt selbst aus Ochsenwerder stammt und aus seiner damaligen Tätigkeit sehr beliebt war, kam diesem Wunsche nach.“[16]
Laut Hamburgischem Wählerverzeichnis des Schuljahres 1935/36 war Karl Schwemer nach 1933 tatsächlich an Heitmanns ehemaliger Schule Holstenwall 14 tätig, sie hatten also die Schulen getauscht.[17] Aber es ist natürlich völlig undenkbar, dass dieser Wechsel nicht im Einvernehmen mit der Schulverwaltung und der NSDAP vonstatten ging und Paul Heitmann war zum 1.5.1933 in die NSDAP eingetreten.
Paul Heitmann bekam am 30.6.1948 ein Unterstützungsschreiben, das von Pastor Fritz Schade organisiert und von 19 anderen Mitgliedern des Pfarramtes Ochsenwerder unterschrieben worden war. Darin wurde verwiesen auf die Weigerung Heitmanns, 1939 das Organistenamt aufzugeben. Und es wurde auch darauf verwiesen: „Wir stellen in unserer Umgebung fest, dass Beamte sich wieder im Amte befinden, die fraglos nach dem Urteil der Bevölkerung nicht weniger ‚belastet‘ sind als Herr Lehrer Heitmann.“[18]
Dafür gab es sicherlich mehrere Beispiele, das entlastete aber den am 1.5.1933 in die NSDAP eingetretenen Paul Heitmann nicht.
Paul Heitmann bekam auch noch ein Leumundsschreiben von dem Hamburger FDP-Vorsitzenden 1948, Willy Max Rademacher:
„Von September 1939 bis Januar 1940 waren Sie und ich bei einer Flakabteilung auf der Veddel eingezogen. Sie bekleideten damals den Rang eines Oberleutnants und ich war Ihnen als Unteroffizier unterstellt. Sehr bald stellte sich zwischen uns beiden eine menschliche persönliche Beziehung her, die wohltuend von dem üblichen preußischen Vorgesetztenverhältnis abwich. Dadurch hatte ich auch Gelegenheit, mich mit Ihnen freimütig sehr häufig über die politische und militärische Situation zu unterhalten. Es bestand keine Meinungsverschiedenheit darüber, dass Hitlers verbrecherisches Abenteuer nur einen schlechten Ausgang für das deutsche Volk nehmen könne.“[19]
Der Berufungsausschuss 17 unter Vorsitz von Rechtsanwalt Soll, der in vielen Fällen milde urteilte, wies die Berufung ab, „insoweit sie auf die Bestätigung als Hauptlehrer gerichtet ist“. Heitmann wurde in Kategorie IV eingestuft und mit Wirkung vom 1.10.1949 in die Kategorie V. Es wurde zwar festgestellt: „Nach den glaubwürdigen Leumundszeugnissen hat er es abgelehnt, ein Amt zu übernehmen und als Organist auszuscheiden, so dass er deswegen als Vertrauensmann abgesetzt und ihm das Tragen des Parteiabzeichens verboten wurde. Seine formale politische Belastung ist gering.“ Aber: „Als 1933er Pg. ist er jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen als Hauptlehrer nicht tragbar. Hinzu kommt, dass Heitmann 1933 das Amt des Hauptlehrers nur deswegen erhielt, weil er das Vertrauen der NSDAP genoss.“[20]
Sicherlich ist der Fall Paul Heitmann nicht von größter Bedeutung und die Argumentation der Schulbehörde und auch des Berufungsausschusses ist aus meiner Sicht stringent und nachvollziehbar. Andererseits war die Entnazifizierungspraxis insgesamt nicht konsistent und nicht alle Entscheidungen transparent und nachvollziehbar. Ich verweise auf den Fall von Wilhelm von Bergen, den ich im Anschluss beschreibe. Das war möglicherweise ein Beispiel, was die Unterzeichner des Schreibens des Pfarramtes Ochsenwerder vor Augen hatten.[21]
Rechtsanwalt Fritz Grabbe mühte sich im Weiteren mit Schriftsätzen, ohne Erfolg. In einem Schreiben vom 16.6.1949 zeigte er durchaus Schwächen der Argumentation in den Entnazifizierungsverfahren auf:
„Der Beschwerdeführer wurde darauf hingewiesen, dass die Schulbehörde grundsätzlich ehemalige Mitglieder der NSDAP nicht in der Stellung eines Schulleiters beschäftigt. Wie der Unterzeichnete feststellen konnte, ist diese Behauptung nicht richtig, denn entgegengesetzte Fälle hat, wie gesagt, der Unterzeichnete feststellen können. Demgegenüber mag vielleicht nunmehr eingewandt werden, dass die Betreffenden viel später in die Partei eingetreten sind. Diese Erklärung kann eigentlich nur für, nicht aber gegen den Beschwerdeführer angeführt werden. 1933 konnte sehr wohl ein politisch und menschlich rechtschaffend denkender und handelnder Beamter der Täuschung zum Opfer fallen und guten Glaubens der NSDAP beitreten. 1937 kann man gegen den guten Glauben schon schwere Bedenken haben. Wenn einer noch der NSDAP beitrat, nachdem die Judengesetze und das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erlassen waren, so musste er schon ein erheblich weiteres Gewissen haben, als jemand der diesen Schritt im Mai 33 tat.“[22]
So konnte man auch mit einer gewissen Berechtigung argumentieren. Wobei die meisten Rechtsanwälte bei den 1937 in die NSDAP Eingetretenen geltend machten, dass es in der Lehrerschaft von dem stellvertretenden Gauamtsleiter des NSLB und Oberschulrat für den Volkschulbereich, Albert Mansfeld, ein als bedrohlich angesehenes Schreiben gegeben hatte, in dem die Lehrer ultimativ zum Eintritt in die NSDAP aufgefordert worden waren. Dies Schreiben hatte tatsächlich dazu geführt, dass ängstliche Personen in Kenntnis des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragten, um sich und ihre Familie nicht der Entlassung auszusetzen. Schwierige Zeiten.
Paul Heitmann bekam am 1.4.1953 Glückwünsche zum 40-jährigen Dienstjubiläum. Sein 20-jähriger Sohn Peter besuchte ab dem 1.10.1948 in Hermannsburg, Kreis Celle, ein Missionsseminar mit dem Ziel, Missionar zu werden.[23]
Paul Heitmann trat am 31. März 1958 in den Ruhestand, er unterschrieb seine Korrespondenz mit der Schulbehörde konsequent als Hauptlehrer z. Wv., zur Wiederverwendung.[24]
Heitmann starb am 4.10.1973.[25]
Text: Hans-Peter de Lorent