Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Walter Brauel

(16.3.1902 Harburg – 2.2.1973)
Lehrer, Konrektor der Bartholdschule, einer Volksschule für Mädchen, Lehrer an der Jungenschule Heimfelder Straße 36
Hoppenstedtstraße 57 (Wohnadresse 1955)


Dr. Hans-Peter de Lorent hat über Walter Brauel ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:

„Er ist wohl ein Mensch, der in politischen Dingen den Verstand ganz und gar ausgeschaltet hatte.“
Zur Gruppe der jungen Lehrer in Hamburg, 1902 geboren, die eine seminaristische Ausbildung und danach aufgrund der prekären ökonomischen Situation die Schwierigkeit hatte, mit einer festen Anstellung in den Schuldienst zu gelangen, zählte auch Walter Brauel. Aus dieser Gruppe rekrutierten sich viele Anhänger der NSDAP, die den sozialen Versprechungen glaubten und über eine Mitgliedschaft in der NSDAP zum 1.5.1933 sich zumindest materiell abzusichern oder Karriere zu machen hofften. Interessant ist, dass Brauel auch zu denen gehörte, die in den 1950er Jahren wieder auf eine stellvertretende Schulleiterstelle gelangten.
Walter Brauel wurde als Sohn des Lokomotivführers Georg Brauel am 16.3.1902 in Harburg geboren. Er besuchte dort bis Ostern 1916 die Knaben-Mittelschule und bereitete sich danach an der Präparandenanstalt in Gifhorn auf das Lehrerseminar in Lüneburg vor. In Lüneburg bestand er am 28.2.1922 die erste Lehrerprüfung. Aufgrund der angespannten Einstellungssituation im Bereich der Harburger Schulen arbeitete Brauel anschließend in der Harburger Gummiwarenfabrik „Phoenix“ in der Verwaltung und der Kalkulationsabteilung. Danach erhielt Walter Brauel 1925 vertretungsweise eine Lehrerstelle an einer kleinen Hilfsschule im Kreis Harburg.[1]
Die Anstellungssituation blieb schwierig für den Junglehrer Brauel. Er wurde jeweils befristet in unterschiedlichen Schulen beschäftigt und erhielt dabei durchaus positive Zeugnisse. So schrieb Schulrat Voigt über ihn am 25.9.1926:
„Der Lehrer Brauel in Wilhelmsburg hat eine erfreuliche Entwicklung durchgemacht. Er verspricht ein gewissenhafter und fleißiger Lehrer zu werden. Die von ihm geführte Klasse (das zweite Schuljahr) ist außerordentlich gleichmäßig und gut gefördert. Die Kenntnisse im Deutschen, Rechnen, in der Heimatkunde und in der Religion sind erfreulich gute. Die Methode des Lehrers ist leicht fasslich, modern, ohne jedoch extrem zu sein.“[2]
Am 15.10.1928 wurde Walter Brauel an der Volksschule in Asendorf im Kreis Winsen/Luhe hospitiert, mit einem niederschmetternden Ergebnis. Schulrat Reese notierte über Walter Brauel:
„Die Besichtigung galt dem Schulamtsbewerber Brauel. Das Ergebnis musste als mangelhaft bezeichnet werden. Brauel war schlecht vorbereitet; eine schriftliche Vorbereitung lag nicht vor. Die religiöse Besprechung über den zwölfjährigen Jesus im Tempel war dürftig. Die Belehrung über die Verdoppelung der Mitlaute war ungewandt, teils unrichtig. Seit 1. Mai waren zwei Aufsätze angefertigt, aber beide nicht nachgesehen. Der Leseunterricht war nicht genügend. Im Rechnen wusste Brauel nicht einmal, wieviel Abteilungen vorhanden waren. Im Singen war die Stimmbildung ganz vernachlässigt, auch die Tonbildung war ungepflegt. Die Besprechung des Fibelbildes mit der Unterstufe war trocken und ohne festes Ergebnis.“[3] Das verbesserte sicherlich nicht seine Einstellungsmöglichkeiten.
Die Stellensituation änderte sich nicht. In einem Aktenvermerk notierte Schulrat Voigt am 19.2.1929, „dass ich mit dem Antragsteller Brauel bereits persönlich unterhandelt habe. Ich habe ihm eröffnet, dass eine Übernahme in den Schuldienst von Harburg/Wilhelmsburg zur Zeit nicht möglich ist. Freie Stellen sind in Harburg/Wilhelmsburg nicht vorhanden. Ihre Gründung für 1929 ist nicht in Aussicht genommen. Der Antragsteller ist von mir bereits dahin beschieden worden, dass es zweckmäßig für ihn sei, sich in die Liste der hiesigen Bewerber einzutragen. Die Einberufung würde erfolgen, wenn Stellen vorhanden sind und wenn er vom Magistrat oder der Regierung gewählt wird. Eine Sicherheit dafür kann ihm nicht gegeben werden.“[4]
Walter Brauel hatte zumindest seine zweite Lehrerprüfung am 21.3.1927 ablegen können und am 5.7.1929 geheiratet. In den weiteren Jahren war er an verschiedenen einklassigen Schulen im Landkreis Harburg beschäftigt. Eine unerfreuliche und nahezu perspektivlose Situation, die sicherlich dazu beigetragen hat, sich 1933 der NSDAP zuzuwenden. Er trat am 1.5.1933 der NSDAP bei, war gleichzeitig Mitglied im NSLB und im NS-Reichsbund für Leibesübungen sowie in der NSV, in der er die Funktion als Stützpunkts-Amtsleiter innehatte.[5] Dieses Engagement führte immerhin dazu, dass Walter Brauel von dem Harburger NSDAP-Kreisschulrat Karl Himstedt[6] am 9.5.1944 zum Konrektor der Bartholdschule, einer Volksschule für Mädchen in der Woellmerstraße 11 in Harburg, befördert wurde.
Karl Himstedt war langjähriges NSDAP-Mitglied in Harburg und hatte andere Kriterien als seine Vorgänger. Seinen Vorschlag begründete er so:
„Der Lehrer Walter Brauel ist Mitglied der NSDAP seit dem 1. März 1933. Er ist politischer Leiter und Mitglied des Kreisstabes Hamburg VIII. Er war in der Bewegung immer aktiv.
Brauel ist verheiratet. Er hat drei Kinder. Die deutschblütige Abstammung für ihn und seine Ehefrau ist nachgewiesen worden.
Lehrer Brauel war von 1925 bis heute an den verschiedensten Schulen in Harburg und Wilhelmsburg tätig. Er hat auf allen Stufen gearbeitet, mit besonderem Erfolge in den letzten Jahren vor dem Kriege in den Abschlussklassen der Jungenschule Heimfelder Straße 36. Von 1928 bis 1935 war er Lehrer an einklassigen Schulen im Landkreis Harburg. Er hat sich hier als Lehrer und Schulleiter bestens bewährt, sodass er nach seinen dienstlichen Leistungen und Fähigkeiten den vollen Anforderungen des höheren Amtes entspricht. An seiner Fortbildung hat er immer gewissenhaft gearbeitet, besonders ist er in den Leibesübungen tätig gewesen. In meiner Lehrerarbeitsgemeinschaft für Leibeserziehung war er Lehrender. Wie in der Schule so leistete er auch hier vorbildliche und gewissenhafte Arbeit. Zur Zeit steht Lehrer Walter Brauel bei der Wehrmacht, die ihn seit eineinhalb Jahren als Ausbilder eingesetzt hat.“[7]
Aus dem letzten Satz in dem Beförderungsvorschlag wurde deutlich, dass Walter Brauel sich gar nicht in der Schule befand, als er auf eine stellvertretende Schulleiterstelle gesetzt wurde. Ein übliches Verfahren für bewährte Nationalsozialisten, die in Abwesenheit bei der Wehrmacht in ihrem Arbeitsbereich befördert werden sollten. Walter Brauel war seit dem 10.10.1940 bis zum 31.3.1945 bei der Wehrmacht, zuletzt als Leutnant.[8]
Am 27.7.1944 wurde Walter Brauel, immer noch im Krieg, sogar zum Oberschullehrer ernannt.[9]
Nach Ende der NS-Herrschaft erfolgte Walter Brauels Suspendierung am 3.10.1945 mit Schreiben von Senator Landahl.[10]
Walter Brauel legte Einspruch gegen die am 7.11.1945 ausgesprochene Entlassung aus dem Beamtenverhältnis ein und argumentierte:
„Am 1.5.1933 wurde ich Mitglied der NSDAP. Ich habe mich weder durch Wort noch durch Schrift propagandistisch für die NSDAP eingesetzt. Meine Tätigkeit bestand nur darin, dass ich von Oktober 33 bis April 35 im Landkreis Harburg in der NSV Amtsleiter eines Stützpunktes (kleiner als eine Ortsgruppe) war und dort zum Wohle bedürftiger Volksgenossen wirkte.
Ich habe keiner Formation angehört, die im Nürnberger Prozess als Verbrecherorganisation angeklagt ist. Durch meine Mitgliedschaft in der NSDAP habe ich keine persönlichen und finanziellen Vorteile gehabt. Meine Ernennung zum Konrektor am 1.4.1944 kann nicht damit in Zusammenhang gebracht werden, da ich zu diesem Zeitpunkt über drei Jahre im Militärdienst stand und in dieser Zeit die geforderten freiwilligen Mitgliedsbeiträge nicht leistete, und da ich ferner im September 36 vom Kreisgericht der NSDAP wegen körperlicher Züchtigung eines flegelhaften Hitler-Jungen, der der Sohn eines alten Parteigenossen war, aus der Partei und dem Schuldienst entfernt werden sollte und seitdem als schwarzes Schaf nur noch geduldet war.“[11]
Das sah Kreisschulrat Karl Himstedt offenbar anders, der schon seit 1926 NSDAP-Mitglied in Hamburg gewesen war. Leichte Ungereimtheiten gab es auch wegen des Entnazifizierungsfragebogens, in den Brauel zum Beispiel bei SA mit Bleistift „Mitglied der Marine-SA“ eingetragen hatte, sonst nirgendwo erwähnt. Walter Brauel war am 18.7.1946 von Oberschulrat Karl Hoffmann aufgefordert worden, Stellung zu nehmen zu der Aussage von Karl Himstedt anlässlich Brauels Beförderung, dieser sei Politischer Leiter gewesen und Mitglied des Kreisstabes Hamburg VIII.
Walter Brauel antwortete darauf am 5.8.1946:
„Die auf meinem Fragebogen gemachten Angaben entsprechen den Tatsachen und sind lückenlos. Alle Amtsträger der NSV, die Pgs waren, galten als Amtsleiter und waren den Politischen Leitern gleichgestellt ohne jedoch dem Korps der Politischen Leiter anzugehören. Statt der goldenen Rangabzeichen trugen diese solche in Silber. Wie ich Ihnen schon damals persönlich mitteilte, war ich ungefähr ein halbes Jahr 1936 stellvertretender Blockleiter in Hamburg, wurde aber nicht bestätigt, sondern wegen des im Einspruch erwähnten Kriegsgerichtsverfahrens dieses Postens enthoben und nachher nicht mehr eingesetzt. Dem Kreisstabe des Kreises 8 gehörte ich nicht an. Ich habe gelegentlich zur Entlastung meines Bruders, der Kreissportleiter war, die Handballmannschaft des Kreises 8 trainiert und selbst an den Rundenspielen teilgenommen.
Auf Bestreben des damaligen Schulrats Himstedt sollte ich 1938 stellvertretender Kreisschulungsleiter werden und als solcher den Nachwuchs der Politischen Leiter schulen. Da ich aber so schon als Turnlehrer der Knaben-Volksschule Heimfeld des öfteren mit der HJ kollidierte, hat man meiner Ablehnung stattgegeben.“[12]
OSR Karl Hoffmann konnte danach gegenüber dem Berufungsausschuss für die Schulverwaltung feststellen:
„Der Konrektor Walter Brauel ist gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Partei eingetreten. Nach einer Aktennotiz des damaligen Schulrates ist er Politischer Leiter gewesen und war in der Partei aktiv. Er selbst behauptet, nur ein halbes Jahr lang stellvertretender Blockleiter gewesen zu sein. Als Stützpunktamtsleiter der NSV widmete er sich der sozialen Arbeit. Kollegen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, sagen aus, dass er sich in der Schule und im persönlichen Verkehr stets anständig benommen und politisch zurückgehalten habe. Es ist auch sonst nicht bekannt geworden, dass er in der Öffentlichkeit propagandistisch aufgetreten ist. Er ist 1944 zum Konrektor ernannt worden. Ich schlage vor, ihn als Lehrer mit Lehrer-Gehalt zu beschäftigen.“[13]
In einer handschriftlichen Notiz hatte der Beratende Ausschuss vermerkt:
„Herr Brauel war Nazi, auch tätig als solcher, aber in mehr harmloser Weise. Er versah zum Beispiel auch die Lehrerkrankenkasse (im Kriege vertrat ihn seine Frau, was immerhin anerkennenswürdig ist). Es ist wohl ein Mensch, der in politischen Dingen den Verstand ganz und gar ausgeschaltet hatte. Die verschiedenen Daten in Fragebogen und Akten machen eine Entscheidung schwer. Falls die Angaben des Fragebogens zutreffen, wäre folgende Entscheidung als gerecht zu vertreten: Wohl ein Nazi, aber ein anständiger, deshalb Bestätigung als Lehrer, nicht als Konrektor!“[14]
Die offizielle Stellungnahme des Beratenden Ausschusses vom 15.6.1947 fiel dann etwas anders aus:
„Der Konrektor Walter Brauel war zwar Nationalsozialist, zählt aber durchaus zu den harmlosen. Er ist politisch nicht besonders hervorgetreten und charakterlich gut beurteilt. Der Beratende Ausschuss setzt sich für seine Wiedereinstellung als Lehrer in den Schuldienst ein.“[15]
Der Berufungsausschuss 3 urteilte dann am 14.7.1947 in diesem Sinne, stufte ihn in Kategorie IV ein und entschied, ihn als angestellten Volksschullehrer wieder zu beschäftigen und nach einem Jahr dann wieder in das Beamtenverhältnis zu überführen. Nach Eindruck des Ausschusses konnte Brauel als „politisch harmlos angesehen werden und nicht als aktiver Nationalsozialist“. Allerdings: „Immerhin ist Brauel von 1933 bis zum Zusammenbruch Stützpunktleiter in der NSV gewesen. Es scheint deshalb geboten, ihn nicht als Konrektor, sondern nur als Volksschullehrer einzustellen.“[16]
Somit wurde Walter Brauel zum 1.8.1948 wieder als Lehrer der Schule Sinstorf zugeordnet, vorerst als Angestellter, nach einem Jahr wieder im Beamtenverhältnis.
Am 8.12.1953 meldete sich Walter Brauel bei der Schulbehörde und wies darauf hin, dass er zum Personenkreis der unter Art. 131 Grundgesetz fallenden Personen gehöre.[17] Das sogenannte „131er-Gesetz“ besagte, dass alle öffentlich Bediensteten, die beim Entnazifizierungsverfahren nicht als „Hauptschuldige“ oder „Belastete“ eingestuft worden waren, wieder eingestellt werden durften. Nach § 10 durfte jeder Beamte, der zu dem Personenkreis des Art. 131 GG zählte und dienstfähig war, die ihm zustehende Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „zur Wiederverwendung (z. Wv.)“ weiter führen. Walter Brauel hatte zwischenzeitlich über Jahre als Konrektor a. D. mit der Schulbehörde kommuniziert.
Am 29.1.1957 war er einstimmig vom Kollegium der Schule Sinstorf als stellvertretender Schulleiter vorgeschlagen und dann von der Behörde tatsächlich zum 31.5.1957 bestätigt worden. Bei der Zusammenlegung beider Schulen in Sinstorf war er dann 1961 wieder ausgeschieden, weil ein älterer Kollege, der an der anderen Schule stellvertretender Schulleiter gewesen war, diese Funktion übernahm. Es wurde Brauel aber bescheinigt, „das Amt gut und erfolgreich geführt zu haben und eine Stütze des Schulleiters gewesen zu sein“.[18]
Nach Ausscheiden dieses anderen Kollegen drei Jahre später, hatte die Schule dann Walter Brauel einstimmig als Stellvertreter gewählt. „Durch den Neubau der Schule ist der Schulleiter stark beansprucht und benötigt Hilfe eines erfahrenen Stellvertreters.“[19]
Walter Brauel wurde dem Kollegium vorgeschlagen, einstimmig gewählt und von der Schulbehörde am 4.11.1964 bestätigt.[20]
So schloss sich ein Kreis, Walter Brauel hatte wieder die Stellvertreterfunktion übernommen, eine Funktion, für die er 1944 schon einmal ernannt worden war, ohne sie auch nur einen Tag ausgefüllt zu haben, weil er sich damals bei der Wehrmacht befand. So versöhnlich kann eine Berufsgeschichte enden. Am 31.3.1967 trat Walter Brauel in den Ruhestand.
Er starb am 2.2.1973.[21]
Text: Hans-Peter de Lorent