Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Peter R. Hofstätter

(20.1.1913 Wien - 13.6.1994)
Wehrmachtpsychologe, ab 1959 Professor für Psychologie an der Universität Hamburg
Rupertistraße 54 (Wohnadresse, 1963)


Dr. Hans-Peter de Lorent hat das Portrait über Prof. Peter R. Hofstätter verfasst und in seinem Buch „Täterprofile, Band 2“ veröffentlicht.

In den 1960er- und 1970er-Jahren lehrte in Hamburg der Psychologe Prof. Peter Hofstätter. Auch viele Hamburger Lehrerinnen und Lehrer, die in dieser Zeit ausgebildet wurden, kamen in Kontakt mit Hofstätter bei Vorlesungen und seiner vielfältigen und auflagenstarken psychologischen Literatur. Hofstätter war 1963 in einen publizistisch und politisch Aufsehen erregenden Konflikt verwickelt, der mit dem Thema „Vergangenheitsbewältigung“ zu tun hatte, nachdem Hofstätter für eine „Generalamnestie für Kriegsverbrechen“ plädierte und in einer Podiumsdiskussion argumentiert hatte, die Tötung von Juden während des Zweiten Weltkrieges könnte nicht als Mord gewertet werden sondern als Kriegshandlung. Während der antiautoritären Studentenbewegung kursierten unter den Studierenden Gerüchte, dass Hofstätter während des Krieges Wehrpsychologe und Nationalsozialist gewesen wäre. Dies alles kann aufgeklärt und dargestellt werden.

Intensive Recherchen haben dazu geführt, dass die Material- und Dokumentenlage zu Peter Hofstätter außerordentlich umfangreich ist. So liegen neben seiner Personalakte von der Universität Hamburg auch eine Personalakte der Wehrmacht aus seiner Zeit als Wehrpsychologe vor, sowie Unterlagen aus dem Reichsjustizministerium, als Hofstätter als Psychologe im Kriminalbiologischen Dienst des Strafgefängnisses Berlin-Tegel tätig gewesen war. Hofstätter selbst hatte 1992 in dem Band 3 der „Psychologie in Selbstdarstellungen“ seine Sicht der Dinge veröffentlicht. Die Auseinandersetzung um Hofstätters umstrittene Aussagen 1963 ist ausführlich dokumentiert in einer Handakte, die der damalige Pressechef des Hamburger Senats, Erich Lüth, der selbst Beteiligter der Podiumsdiskussion gewesen war, angelegt hatte. Zudem besteht eine Dokumentation des jüdischen Malers und Schriftstellers Arie Goral, der ebenfalls an der Diskussion 1963 leidenschaftlich beteiligt war.

Peter R. Hofstätter wurde geboren am 20.10.1913 in Wien als Sohn des bekannten Gynäkologen Robert Hofstätter (1883–1970). In seiner Selbstdarstellung berichtete Peter Hofstätter, dass seine Eltern vor ihrer Hochzeit „von der katholischen in die lutherische Kirche übergetreten waren, da diese ihnen – gegebenenfalls – eine Scheidung und die Wiederverheiratung erleichtern würde“.1 Die Eltern führten eine ungewöhnliche Ehe mit einem Zusammenleben „in getrennten Bereichen der geräumigen Wohnung, das eigentlich nur beim gemeinsamen Mittagessen in Erscheinung trat“. Der Sohn wusste aber: „Ganz sicher war ich jedoch, dass sie – jeder Teil für sich – mich inständig liebten und mich als einziges Kind wohl auch zum Ersatz für das fehlende ‚Familienleben‘ maßlos verwöhnten.“2

Über seinen Vater berichtete Hofstätter: „Die häufigen Theaterbesuche mit ihm waren ein großer intellektueller Gewinn. Sein Denken wurzelte ganz bewusst in der klassischen Antike, deren große Erinnerungsstätten – Athen, Delphi, Konstantinopel und Rom – er mich auf Ferienreisen kennen und lieben lehrte. Dazu kam eine Maxime, die ich erst allmählich zu verstehen begann: Sie stellte das Gefühlsleben – nicht nur die Sexualität – unter den Imperativ: ‚Halte heilig die Ekstasen!‘ Im Kern bedeutete auch für ihn, wie das C. G. Jung von Freud berichtet, ‚die Sexualität ein Numinosum‘ – und das ist sie wohl aller Modernität zum Trotz wirklich!“3

Hofstätter berichtete, dass beide Eltern „aus dem gehobenen Wiener Bürgertum“ stammten, „wobei in der väterlichen Linie der Offiziersberuf als besonders anstrebenswert galt“. Die Eltern ließen sich dann tatsächlich 1927 scheiden und gingen danach jeweils eine zweite, glücklichere Ehe ein.4

Hofstätter besuchte in Wien die Volksschule und dann das von Benediktinern geleitete altrenommierte „Schottengymnasium“. In seinen Erinnerungen schrieb Hofstätter: „In der Volksschule hatte der Geist des ‚roten‘ Wien geherrscht, aus dem heraus der Klassenlehrer uns als kaum Achtjährigen das sozialistische ‚Freundschaft‘ als Klassengruß oktroyierte, um uns sodann – es muß wohl 1922 gewesen sein – auf ewige Treue zur Republik Österreich buchstäblich zu vereidigen. Bei den Schotten war man dagegen konservativ und im Grund wohl monarchistisch eingestellt. Im ganzen habe ich nur angenehme Erinnerungen an das Gymnasium. Es lenkte uns, ohne unsere Freiheit einzuschränken, und ließ zum Beispiel mir genügend Zeit, um Oper und Konzerte zu besuchen und ganz hemmungslos für den Dirigenten Wilhelm Furtwängler zu schwärmen.“5

Peter Hofstätter ging nach dem Abitur 1932 an die Wiener Universität, um Physik und Chemie zu studieren, mit der Intention, Lehrer zu werden. „Nur am Rande und sozusagen zum Ausgleich hörte ich Karl Bühlers Hauptvorlesung, die ‚Allgemeine Psychologie‘, von der ich mir einbildete, das meiste ohnedies schon aus meiner auf eigene Faust getriebenen Lektüre zu wissen.“6 Hofstätter litt schon damals nicht an Minderwertigkeitskomplexen. „Die Psychologie, so meinte ich, würde ein amüsantes Hobby für einen Gymnasiallehrer sein, der sich von diesem Beruf nur eine beamtenhafte Lebenssicherung erwartete, sofern es ihm nicht gelingen sollte, in der eigentlichen Forschung als Physiker oder als Chemiker voranzukommen.“7

Er war beeindruckt und steigerte seine Wertschätzung für die Psychologie als er mit einem von Bühlers Assistenten, Egon Brunswik (1903–1955) in Berührung kam, der bei ihm einen eher naturwissenschaftlichen Zugang zur Psychologie bestärkte. Vorher hatte sich die Psychologie für Hofstätter so dargestellt, dass dort, „wo sie thematisch interessant wird, sehr viel bloß verbale Schaumschlägerei stattfindet, während sie dort im naturwissenschaftlichen Sinn umso exakter wird, wo sie sich – wie in der Psychophysik – anscheinend mit lauter Belanglosigkeiten abgibt.“8

Hofstätter wechselte das Hauptstudienfach, weil ihn Brunswik darin bestärkte, dass seine bisher mathematisch-naturwissenschaftliche Ausbildung für die Psychologie nützlich sein würde. Damit änderte sich allerdings auch die Berufsperspektive für Hofstätter, obwohl er wusste, „daß es für Psychologen nur sehr wenige Stellen geben würde. Durch meinen Vater und die Zuwendungen seitens des zweiten Mannes meiner Mutter war ich aber in der glücklichen Lage, noch nicht so schnell an das Geld verdienen denken zu müssen. Eine wissenschaftliche Laufbahn schien daher möglich zu sein.“9

Das Studium der Psychologie dauerte damals bis zur Promotion acht Semester, da „recht wenige akademische Pflichtleistungen verlangt wurden“.10 Hofstätter nutzte die Zeit und besuchte kunsthistorische Lehrveranstaltungen und solche in der Medizin und der Psychiatrie.

Er schloss seine Studien schon nach vier Jahren mit der Promotion als Dr. phil. im Dezember 1936 ab. Von Mai 1936 bis März 1938 arbeitete Hofstätter als unbezahlter Assistent an Bühlers Institut.11

Durch seine Besuche in medizinischen Lehrveranstaltungen bekam Peter Hofstätter Kontakte zu Medizinstudenten, die einen „Akademischen Verein für medizinische Psychologie“ gegründet hatten, dem er sich anschloss. „Zu unseren Aufgaben gehörte die Veranstaltung je eines Vortrages pro Woche sowie mehrere Seminare und Kurse“, zu denen beispielsweise Anna Freud, Alfred Adler und, als junger Arzt, Konrad Lorenz, als Vortragende eingeladen wurden.12

Die Arbeit in diesem Verein sollte folgenreich für Hofstätters weitere wissenschaftliche Karriere werden. Am 8. Mai 1936 veranstaltete der Akademische Verein eine Geburtstagsfeier zu Sigmund Freuds 80. Geburtstag im großen Wiener Konzerthaussaal. Peter Hofstätter hatte als damaliger Präsident die Ehre, den Festredner anzukündigen: Thomas Mann, der über das Thema „Freud und die Zukunft“ sprechen sollte.13

Peter Hofstätter erinnerte das Szenario so:
„Ich bin – so glaube ich – niemals mit größerer Nervosität auf einem Podium gestanden als an jenem Abend, an dem ich die völlig überflüssige Aufgabe hatte, Thomas Mann einzuführen. Niemand, der damals im kulturellen Wien Rang und Namen besaß, fehlte – außer Freud, dem seine Krankheit nicht einmal erlaubt hatte, bei sich zuhause unsere Glückwünsche persönlich entgegenzunehmen. Außerdem mißtraute er der ihm gezeugten Anerkennung: ‚welch ein Unsinn, die Mißhandlungen eines langen Lebens zu einem bedenklichen Termin gut machen zu wollen! … Nein, wir bleiben lieber Feinde‘, hat er schon im voraus am 21.2.1936 an Arnold Zweig geschrieben.“14

Peter Hofstätter war bei diesem „ehrenvollen Auftritt“ 22½ Jahre alt, es war das Jahr 1936 und in Kenntnis der weiteren historischen Entwicklung war abzusehen, dass die öffentlich so stark wahrgenommene Feierlichkeit für den jüdischen Psychoanalytiker Sigmund Freud mit dem Festredner und späteren Emigranten Thomas Mann in Kreisen, die schon bald auch in Österreich herrschen sollten, mehr als skeptisch gesehen wurde.

Im September 1937 bekam Hofstätter seine erste Anstellung als Heerespsychologe beim österreichischen Bundesheer, das nach Anschluss Österreichs an Deutschland in die deutsche Wehrmacht eingegliedert wurde. Hofstätter schrieb dazu:

„Nach kaum mehr als einem halben Jahr ging meine Tätigkeit als Österreichischer Heerespsychologe zu Ende. Ich käme mir schäbig vor, wenn ich heute leugnen wollte, dass ich den ‚Anschluß‘ begrüßt habe. Er entsprach nicht nur der ersten Verfassung der Republik ‚Deutsch-Österreich‘, die sich darin als einen Teil des Deutschen Reiches verstand, sondern auch der allseits als hoffnungslos betrachteten wirtschaftlichen Lage des Landes. Bereits im November 1928 hatte es eine große Unterschriften-Aktion gegeben, in der sich neben den Bürgermeistern der Hauptstädte von allen österreichischen Bundesländern – auch Wiens! – sämtliche Rektoren der österreichischen Hochschulen und zahlreiche Vertreter von Kunst, öffentlichem Leben und Wissenschaft ohne parteiliche oder konfessionelle Unterschiede dafür aussprachen, endlich den verfassungsgemäßen, aber von den Siegermächten bisher nicht gestatteten Anschluss zu vollziehen.

Was die NSDAP anlangte, schien es das einfachste, Mitglied zu werden, wie auch im ‚christlichen Ständestaat‘ ab 1933 jeder Träger eines öffentlichen Amtes der ‚Vaterländischen Front‘ hatte angehören müssen. Man zahlte seinen bescheidenen Beitrag, und das war‘s dann auch schon. Von Hitler aber galt, was Joachim C. Fest als kritischer Biograf noch 1976 ausführte: Wenn er ‚Ende 1938 einem Attentat zum Opfer gefallen wäre, würden nur wenige zögern, ihn einen der größten Staatsmänner der deutschen, vielleicht den Vollender ihrer Geschichte, zu nennen.‘ Persönlich brauchte er einem deshalb nicht besonders sympathisch zu sein. Wäre mir das wohl Bismarck mit seiner viel zu hohen Stimme und seiner antiösterreichischen Politik gewesen? Schließlich weiß man aus der Gruppendynamik, daß die Führungsrolle nicht an jemanden zu gehen pflegt, der bloß beliebt und sympathisch ist.“15

Hofstätter sah es also als einen „einfachen Akt“ an, in die NSDAP einzutreten. Sicherlich geschah dies auch aus Opportunismus, um seine Beschäftigungsmöglichkeiten nicht zu gefährden. Immerhin hatte Peter Hofstätter kein grundsätzliches Problem mit der Parteimitgliedschaft. Auch nicht damit, das parallel zu seinem Aufnahmeantrag und dem Beginn seiner Tätigkeit bei der Prüfstelle XVII der deutschen Wehrmacht Prof. Karl Bühler verhaftet worden war, so dass Peter Hofstätter über seine Arbeit als Volontär-Assistent, wie er es bezeichnete, kein Zeugnis beibringen konnte, „da Professor Bühler sich in Untersuchungshaft befindet“.16

Aus Hofstätters Personalakte bei der Wehrmacht geht auch hervor, dass er am 1.7.1940 in die NSDAP aufgenommen wurde, nach zweijähriger Wartezeit (Mitgliedsnummer 8450352).17

Im Zeugnis, das die heerespsychotechnische Stelle in Wien ihm am 4.5.1938 ausstellte, hieß es:
„Dr. Peter Hofstätter, welcher noch keinen Militärdienst geleistet hat, war vom Anfang seiner hiesigen Dienstverwendung erfolgreich bemüht, sich in die militärische Umwelt einzuleben und den soldatischen Formen anzupassen. In fachlicher Hinsicht oblag Dr. Hofstätter die wissenschaftliche Überprüfung der in Anwendung befindlichen Untersuchungsmethode sowie die Mitarbeit bei der Verfassung der Gutachten. Er hat hierbei gut entsprochen und war sehr bemüht, den an ihn als einzigen Fachpsychologen gestellten zahlreichen Anforderungen nach Möglichkeit zu entsprechen. Das dienstliche und private Verhalten des Dr. Hofstätter war jederzeit einwandfrei.“18

Hofstätter gab am 7.5.1938 eine Erklärung ab, in der es hieß, dass er nicht vorbestraft sei, „niemals den marxistischen oder den legitimistischen Parteien angehört habe, niemals Mitglied einer Loge oder einer logeähnlichen Vereinigung gewesen“ war und „daß ich mich mit ganzem Herzen und rückhaltlos zum nationalsozialistischen Staate bekenne“.19

Peter Hofstätter wollte unbedingt eine Anstellung als Heerespsychologe in Wien erhalten und wandte sich an die „Hauptstelle der Wehrmacht für Psychologie und Rassenforschung“ am 4.6.1938 mit dem dringlichen Gesuch, nicht in Berlin sondern in Wien eingesetzt zu werden, „da ich bei meinem Vater lebe, der selbst geschieden und nahezu ohne gesellschaftlichen Umgang, durch meine dauernde Versetzung schwer getroffen würde. Ferner strebe ich die Habilitierung an der Universität Wien an. An dritter Stelle möchte ich noch anführen, daß die Trennung von meinem Bekanntenkreis in Wien für mich eine schwere menschliche Belastung bedeuten würde.“20

Es dauerte einige Zeit, bis alle Formalia geregelt werden konnten, Hofstätter kam nach Berlin, ihm wurde mitgeteilt dass er „zum dauernden Tragen von Uniformen verpflichtet“ wäre.21 Die Bedingung für seine Einstellung und Beförderung zum Regierungsrat war außerdem ein zweimonatiger Dienst als Rekrut bei einem Artillerieregiment, der am 28.1.1940 absolviert war.22

In diesem Zusammenhang wurde auch der Antrag auf NSDAP-Mitgliedschaft seit Juli 1938 behandelt und am 1.7.1940 positiv beschieden. Hofstätters Beförderung zum Regierungsrat in der Wehrmachtspsychologie wurde dann „im Auftrage des Stellvertreters des Führers am 31.5.1940 zugestimmt“.23

In einem Befähigungsbericht der Dienststelle für Eignungsuntersuchungen III in Berlin vom 20.2.1941 wurde über Peter Hofstätter festgehalten, er trete „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat ein“, er „hat es gelernt, sich bei der Truppe genügend durchzusetzen und Prüfungen entsprechend zu organisieren“. Er wurde als „diensteifrig“ und als „beliebter Kamerad“ beschrieben, der „sicher auftreten“ konnte und „gute gesellschaftliche Formen“ besaß. Über seine charakterliche Veranlagung hieß es: „Von ruhigem Selbstbewusstsein, schlagfertig und von trockenem Humor. Im Umgang trotz deutlicher Bewusstheit aufgeschlossen und gefühlsmäßig gut ansprechbar. Besitzt einen wachen Umweltblick und kritisiert gern sich und andere, ohne dabei Mitgefühl und Herzenswärme vermissen zu lassen. Reife, in sich geschlossene und gefestigte Persönlichkeit.“ Einschränkend wurde ergänzt: „Bedarf in soldatische Hinsicht noch der Förderung.“24

Ein Wort noch zu Hofstätters Beziehung zu Karl und Charlotte Bühler und Egon Brunswik. In Hofstätters Biografie machte es sich für ihn gut, nach 1945 auf Wiener Kontakte zu den Bühlers und die Episode der Geburtstagsfeier von Siegmund Freud hinzuweisen. Faktisch hatte der damals 22- bis 25-jährige Student keine wirkliche Beziehung zu Karl und Charlotte Bühler gehabt. In deren großem Institut mit über 30 Doktoranden war Hofstätter als unbezahlter Mitarbeiter mit „wissenschaftlichen Hilfsarbeiten“ betraut, nach achtsemestrigem Studium, in dem er 1935, 1936 und 1937 im Sommer monatelang in Korea, Japan und China gewesen war, um einerseits seine Mutter zu besuchen, die mit ihrem zweiten Mann in Korea lebte und um Testuntersuchungen mit japanischen und koreanischen Kindern durchzuführen, die Bestandteil seiner Doktorarbeit waren25, gehörte er auch nicht zu der Gruppe um Karl und Charlotte Bühler, die im Sommer 1937 mit 30 Doktoranden nach Paris fuhren, um an dem internationalen Psychologenkongress und zwei weiteren Kongressen teilzunehmen.26

Hofstätter schmückte sich später mit Namen, er betrieb namedropping ohne realen Hintergrund. Im Falle der Bühlers war seine Hinwendung zu den Nationalsozialisten, wenngleich aus purem Opportunismus, sicherlich eine Enttäuschung für Karl und Charlotte Bühler, sofern sie es überhaupt mitbekommen hatten.

Charlotte Bühler beschrieb in ihren Lebenserinnerungen die politische Naivität, mit der sie nach Wien gekommen waren. Karl Bühler war 1922 an der Universität Wien Professor für Psychologie und Leiter des Psychologischen Instituts geworden. Am 4.4.1916 hatte Bühler, 37-jährig, damals Professor in München, die 22-jährige Charlotte Malachowski geheiratet, die ihm, inzwischen selbst promoviert und habilitiert, 1923 mit zwei Kindern nach Wien folgte. Sie schrieb:
„Leider wurde unser Einleben in Wien durch einen Umstand erschwert, den wir erst nach Jahren zu verstehen und einzuschätzen lernten. Karl hatte, ohne jede politische Deutung, die Einladung des Stadtschulrates, Vorlesungen für Volksschullehrer zu halten, angenommen. Auch ich arbeitete mit Lehrern, und die Stadt Wien stellte mir später, als ich mit Babys zu experimentieren begann, die städtische Kinderübernahmestelle für diesen Zweck zur Verfügung. Wie viele deutsche Professoren hatten Karl und ich weder ein politisches Wissen noch politische Interessen. In Wien jedoch wurde unsere Tätigkeit im Rahmen des Volksschulwesens und Karls Annahme eines Instituts im Gebäude des Stadtschulrates als Zeichen unserer sozialistischen Gesinnung gedeutet, womit wir uns in den Reihen konservativer Kollegen sehr viele Feinde machten. Unsere politische Ignoranz ist letztlich auch der Grund, warum später unsere Existenz in nicht zu erwartender Weise zusammenbrach. Es war unsere Torheit, nicht vorauszusehen, was kommen würde.“27

Charlotte Bühler beschrieb weiter, in welchem Maße sie und ihr Mann wissenschaftliche Kontakte insbesondere in die USA aber auch in verschiedene europäische Länder hatten. Karl Bühler hatte ihr zuliebe einen Ruf der Harvard-Universität abgelehnt. Sie schrieb weiter:
„Erst 1937, als die Situation in Österreich bedenklich wurde und als Karl und ich zwei Rufe an die Fordham University in New York bekamen, wollte ich, daß wir annehmen sollten; diesmal war jedoch Karl abgeneigt, weil er inzwischen in Wien festen Boden gefasst hatte und hoffte, daß Österreich sich gegen Hitler halten würde. Schließlich jedoch gab Karl nach, und wir nahmen die Rufe für den Herbst 1938 an. Dies erwies sich als zu spät. Am 12. März marschierten die Nazis in Wien ein, als ich glücklicherweise in London war. Karl wurde gefangengesetzt, und es gelang mir erst im Herbst, von Norwegen her, wo ich zu Vorträgen war, ihn und meine Kinder zu befreien. Die Lehrstühle in Fordham gingen uns infolge des Einflusses gewisser Persönlichkeiten verloren. Wir waren 1938 in Norwegen in einer völlig unerwarteten Lage.“28

Resümierend stellte Charlotte Bühler fest:
„Im Oktober 1938 kamen Karl und meine Tochter Ingeborg in Oslo an. Karl war befreit, aber das Gefängnis und die Behandlung, die er erfahren hatte, hatten ihn zerbrochen. Er kämpfte weiter um seine, um unsere Existenz, aber er war nicht mehr derselbe.“29 Karl Bühler erhielt einen Ruf als Professor in Minnesota, während Charlotte Bühler eine Professur in Oslo wahrnahm. Karl Bühler schrieb seiner Frau dringende Telegramme und redete ihr zu, ihm zu folgen, „weil Hitlers Einbruch in Norwegen von Amerikanern vorausgesagt wurde“. „Ich wußte, daß mein Leben, wenn ich in die Hände der Nazis geraten würde, beendet werden würde, da ich auf der schwarzen Liste der Nazis stand. So beschloß ich, dem Rat meines Mannes folgend, jedenfalls für den Sommer nach den Staaten zu gehen, und ich verließ Oslo am 29. März 1940. Am 10. April brachen die Nazis in Norwegen ein. Es stellte sich heraus, daß mein Flugzeug das letzte war, welches aus einem freien Norwegen nach England flog.“30

Charlotte Bühler war als Tochter des jüdischen Regierungsbaumeisters Hermann Malachowski und seiner Frau Katharina Rose, in Berlin geboren, natürlich besonders gefährdet gewesen. In der Zeit, in der Karl Bühler verhaftet und sein Leben und das seiner Frau durch die Nationalsozialisten gefährdet war, trat ihr ehemaliger „Volontärassistent“, wie Hofstätter es selbst bezeichnete, in die NSDAP ein und wurde Wehrpsychologe bei der deutschen Wehrmacht.

Auch Bühlers Assistent Egon Brunswik, von dem Hofstätter geschrieben hatte, dass er durch ihn angeregt worden war, weil dieser in seiner Habilitation zum Thema „Wahrnehmung und Gegenstandswelt“ eine „dynamische Vorstellung vom Wesen der Wahrnehmung entwickelt“ hatte31, war schon 1936 in die USA gegangen, nachdem er einen Ruf an die Berkeley University in Kalifornien erhalten hatte.32

Peter Hofstätter nannte die „Deutsche Wehrmachtspsychologie eine imponierende Organisation, die im Krieg noch durch eine große Anzahl von Universitätsdozenten und Professoren verstärkt wurde“. Er schrieb aber auch: „Jedoch hielt ich nicht viel von den diagnostischen Verfahren, die vor allem bei der Auswahl der Offiziersanwärter zum Einsatz kamen. Es gab dabei eine Unmenge Ausdruckspsychologie – von der Graphologie bis zur mimischen Analyse –, aus der man zwar auf die momentane Gefühlslage, aber nur sehr indirekt und mit geringer Sicherheit auf den Charakter eines Probanden schließen kann. Trotz der mir aus der Literatur bekannten Einwände musste ich mich weitgehend auf die Exploration verlassen, bei der Psychologen mit Psychiatern zusammenarbeiteten. Was dem ganzen System der Wehrmachtspsychologie fehlte, waren groß angelegte Bewährungs- und Validitäts-Untersuchungen für unsere Gutachten. Die dazu erforderlichen Rückmeldungen aus der Truppe ließen sich während des Krieges selbstverständlich nicht organisieren. Erst sehr spät habe ich verstanden, warum die Tätigkeit der Psychologen beim Heer und bei der Luftwaffe mit Erlaß des Oberkommandos der Wehrmacht zum 1. Juli 1942 beendet wurde. Angesichts ihres riesigen Personalbedarfs konnte sich die Truppe gar nicht an unsere Gutachten halten – und sie tat es auch immer seltener.“33

Am 7.3.1942 heiratete Peter Hofstätter Herta Stein (geboren 1923 in Berlin), mit der er vier Kinder bekam (geboren 1944, 1947, 1960, 1962).34

1940 hatte Hofstätter auch das Angebot von Wilhelm Wirth (1876–1952) dem Direktor des psychophysikalischen Seminars der Universität Leipzig, bekommen, der Hofstätter eine Position anbot, die zu einer Professur führen würde nach der Vervollständigung seiner Habilitation. Dies versuchte Hofstätter, bekam aber Probleme durch den Wiener Prof. Gunther Ipsen (1899–1984), der die Stelle von Karl Bühler übernommen hatte. Gunther Ipsen listete drei Hauptgründe gegen die Habilitation von Peter Hofstätter auf:

1. Dessen Verbindung zu Sigmund Freud und der Psychoanalyse, besonders die Einführung des Emigranten Thomas Mann bei der Geburtstagsfeier von Sigmund Freud;

2. seine Verwendung statistischer Methoden, die dem deutschen Geist widersprechen würden;

3. seine Verbindung zu Bühlers Psychologischem Institut, das Ipsen wahrnahm als so etwas wie eine Freimaurerloge.35

Der Dekan der Wiener Philosophischen Fakultät, Prof. Viktor Christian riet Hofstätter, seine Bewerbung zurückzuziehen. Hofstätter insistierte und bekam den Soziologen Arnold Gehlen als Prüfer. Mit viel Glück bestand er das Kolloquium und die Philosophische Fakultät der Universität Wien verlieh ihm am 15.2.1941 den Grad des Dr. phil. habil. mit der Einschränkung, dass ihm zwar die Lehrbefähigung, nicht aber die Lehrbefugnis erteilt wurde. Damit konnte Hofstätter das Angebot von Prof. Wirth in Leipzig nicht wahrnehmen. Er blieb somit im psychologischen Service der deutschen Wehrmacht. Nach seiner Habilitation wurde er 1941 zum Regierungsrat befördert.36

Nach Beendigung seiner Tätigkeit als Wehrpsychologe beriet das Oberkommando des Heeres in einem Schreiben an das Justizministerium, wie Hofstätter weiter einzusetzen sei:
„Der Regierungsrat Dr. Hofstätter ist infolge Auflösung des Personalprüfwesens aus seiner bisherigen Stelle ausgeschieden. Das Heerespersonalamt, dem das Personalprüfwesen unterstand, hat im Einvernehmen mit dem Wehrverwaltungsamt unter dem 31.1.1943 angeordnet, dass in die Personalpapiere des Regierungsrats Dr. Hofstätter folgender Satz aufgenommen wird:
„Er hat sich in aufopfernder Tätigkeit im Personalprüfwesen in enger Zusammenarbeit mit der Truppe besondere Verdienste erworben, konnte aber noch nicht zum Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse mit Schwertern eingereicht werden, da bei der Auflösung des Personalprüfwesens noch Dienstältere mit gleichen Verdiensten auszuzeichnen waren.“37

Da Hofstätter weiter im politisch sensiblen Bereich eingesetzt werden sollte, wurde erneut ein politisches Führungszeugnis eingeholt. Die Gauleitung Berlin der NSDAP bestätigte am 21.5.1943, dass bei der Gauleitung „in politischer Hinsicht nichts Nachteiliges bekannt geworden ist“.38

Anschließend wurde Hofstätter zum Kriminalbiologischen Dienst abgeordnet, kam als Psychologe zur Einarbeitung ins Zuchthaus Brandenburg, anschließend ins Jugendgefängnis und in die Anstalt für Erziehungsbedürftige, Kaiser Ebersdorf in Wien und wurde dann dem Generalstaatsanwalt in Stettin zur Verwendung im Kriminalbiologischen Dienst im Jugendgefängnis Naugard zur Verfügung gestellt.39

Vom Vorstand des Jugendgefängnisses in Naugard erhielt Hofstätter im Namen des Generalstaatsanwaltes folgendes Zeugnis:
„Während dieser Zeit hat er mit großem Interesse und anerkennenswertem Fleiß eine Anzahl von Jugendlichen, die in kriminalbiologischer Hinsicht von besonderem Interesse waren, begutachtet und manche gute Anregung für den weiteren Verlauf des Vollzuges gegeben. Ich halte allgemein den Einsatz eines Psychologen im Jugendstrafvollzug für unbedingt erforderlich und würde es begrüßen, wenn Dr. Hofstätter noch für längere Zeit im hiesigen Jugendgefängnis tätig sein könnte, zumal ich mich selbst infolge der hohen Überbelegung und der schlechten Personalbesetzung um die Persönlichkeitsforschung der jugendlichen Gefangenen nicht in dem Maße kümmern kann, wie es erforderlich wäre.“40

Auch von einer anderen Station seines Wirkens wurde über ihn ein Zeugnis erstellt. So schrieb der Vorstand des Strafgefängnisses Tegel:
„Seine Gutachten sowie die von ihm gestellten sozialen Prognosen waren meist zutreffend und eingehend begründet. Sie ließen in allen Fällen tiefgehende psychologische Kenntnisse erkennen. Dr. Hofstätter ist eine ausgeglichene Persönlichkeit mit gediegenem Wissen und ausgeprägtem Pflichtgefühl. Nach meinem Eindruck kann er unbedenklich im Kriminalbiologischen Dienst eingesetzt werden. Ob und wieweit Dr. Hofstätter als Sachverständiger auf dem Gebiet der Erb- und Rassenforschung anzusprechen ist, vermag ich nicht zu beurteilen.“41

Seine Beförderung zum Regierungsrat beim wehrpsychologischen Dienst der Wehrmacht hing nicht nur mit der NSDAP-Mitgliedschaft, sondern sicherlich auch noch mit einer anderen Aktivität Hofstätters zusammen. Im Herbst 1941 veröffentlichte er in der Monatszeitschrift für das deutsche Volk, „Deutschlands Erneuerung“, den Aufsatz „Die Krise der Psychologie: Betrachtungen über den Standort einer Wissenschaft im Volksganzen.“42

In seinen Erinnerungen etwa 50 Jahre später, 1992, marginalisierte Hofstätter diese Schrift mit der Einleitung: „Als Heerespsychologe, der die Leistungsfähigkeit von Offiziersanwärtern beurteilt, Pazifist zu sein, hätte wahrscheinlich einen unlösbaren Konflikt mit sich gebracht. So ähnlich mag es auch den Sanitätsoffizieren ergangen sein, nur war unsere Situation schwieriger, weil wir nicht wie sie die Möglichkeit hatten, die Leiden, die der Krieg mit sich gebracht hatte, für Einzelne – die Verwundeten – zu lindern. Aus dieser Überlegung und nicht zuletzt um meine Selbstachtung zu erhalten, wagte ich mich Ende 1941 mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, eine psychologisch geleitete Seelsorge zu etablieren, die Ratsuchenden und Menschen, die im Krieg erlittene Verluste an den Rand der Verzweiflung getrieben hatten, dabei helfen sollte, wieder Halt zu finden. Daß eine solche Institution – ähnlich wie die ‚NS-Volksfürsorge‘ – nur im Einverständnis mit der Staatspartei geschaffen werden konnte, war unter den obwaltenden Verhältnissen selbstverständlich – in den sechziger Jahren ist mir das trotzdem zum Vorwurf gemacht worden, nachdem ein aufmerksamer Kollege (nomina sunt odiosa) Ablichtungen meines Aufsatzes bei passender Gelegenheit versandt hatte.“43

Da dieser Aufsatz in den 1960er-Jahren noch eine besondere Rolle spielen sollte und er für die Denkart von Peter Hofstätter und seinem Kniefall vor den Nationalsozialisten kennzeichnend ist, soll etwas ausführlicher daraus zitiert werden.

Hans Gundlach stellte die Frage, wie der Text von Peter Hofstätter 65 Jahre nach seinem Erscheinen gelesen werden kann. Was war ernst gemeint, was ironisch oder sarkastisch, wo lag Hofstätters Motivation? Gundlach, der seinen Aufsatz auf Englisch in einer amerikanischen wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichte, bemerkte, dass bei der Übersetzung Sprache und Intentionen von Hofstätter verloren gehen könnten.44 Aber was wollte Hofstätter tatsächlich? Für mich ist sein Aufsatz insbesondere eine Anbiederung an die braunen Machthaber, einerseits opportunistisch und andererseits ernst gemeint, der Versuch, dafür zu werben, die Notwendigkeit der Arbeit von Psychologen zu begründen und die dafür notwendigen Arbeitsplätze „im Volksganzen“ zur Verfügung zu stellen. Das wäre aus seiner damaligen beruflichen Situation nachvollziehbar. Nicht jedem gefiel, sicherlich auch im Kreise der Nationalsozialisten, dabei die Eitelkeit des Bildungsbürgers, der auch sprachlich sein Wissen zur Schau stellen musste, seine Neigung, prätentiös zu formulieren.

Eine Reihe von Zitaten aneinandergereiht, belegen aus meiner Sicht, dass Peter Hofstätter als Nationalsozialist, Fremdenfeind und Antisemit auftrat, ganz im Kontrast zu seinen Versuchen, die Bühlers, Sigmund Freud und später William Stern, wenn es ihm nützlich erschien, für sich zu vereinnahmen.

Der Anknüpfungspunkt zu Karl Bühler war ein formaler. Bühler hatte 1925 einen Aufsatz zum Thema „Die Krise der Psychologie“ geschrieben. Hofstätter führte aus:
„1925 und auch noch 1933 war die Psychologie Mode, sie wurde von weiten Kreisen der Gebildeten aufmerksam verfolgt, die wissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Terminologie sickerte in die Alltagssprache. Die Schriften fanden reißenden Absatz. Heute verlohnt es sich – Gott sei Dank kaum mehr, ein populärpsychologisches Buch zu schreiben, denn – anscheinend mit einem Male – will niemand mehr etwas von der Psychologie wissen. Zweifelsohne ist dafür die Ausschaltung des Judentums aus dem deutschen Geistesleben nicht ohne Bedeutung gewesen und sicherlich war das allgemeine Gefühl auch nicht so sehr im Unrecht, wenn man die Psychologie im Hinblick auf viele ihrer Vertreter als eine undeutsche Wissenschaft brandmarken zu müssen glaubte. Zwei Gründe aber lassen die Ursachen zentraler suchen: einmal, daß andere Wissenschaften kaum weniger fremdrassige Elemente beherbergen, und zum anderen, daß die Wertschätzung der Seelenkunde seit dem Aufhören der Überfremdung nicht zugenommen hat. Im Gegenteil! Allerdings steckt das Undeutsche in der Psychologie viel tiefer, nämlich in der durch das Christentum dogmatisierten Leitvorstellung von der Seele im Gefängnis des Leibes.“45

Etwas später schrieb Hofstätter: „Die Ermüdung und Überverfeinerung der hellenistischen Gesellschaft, das Nachlassen ihres Lebenswillens, machte sie empfangsbereit für die jüdische Anschauung vom Menschen, der vor allem eigenen Tun schon schuldbeladen und göttlicher Gnade bedürftig ist. Wenn es etwas gab, das den Tatwillen des faustischen Menschen vergiften konnte, so war es dieser Sündenbegriff. Statt zum Steuermann eines schaffenden Tuns zu werden, geriet das Gewissen in die Sklaverei eines unschöpferischen und handlungsfernen Weltbildes … Wir alle wissen, daß unser Weltanschauungskampf heute in besonderem Maße der Erbsündenlehre gilt. Die Verdammung des Natürlichen entspricht unserem Denken nicht mehr. Der Durchbruch des nordischen Glaubens mußte also die Psychologie treffen, denn in ihren Fundamenten sind fremdrassige Anschauungsweisen eingemauert.“46 Oder: „Wir haben bisher die Gründe der Krise aufzudecken getrachtet. Daß sie bei uns zu Lande stärker und früher erlebt wurde als anderswo, hat seine Ursache im deutschen Aufbruch, der an jeden Einzelnen höhere Anforderungen stellt als das statische Sein anderer Völker.“47

Zu einem Zeitpunkt, wo Massen von Nationalsozialisten aus der Kirche austraten, schrieb Hofstetter:
„Je weniger der deutsche Mensch sich innerlich mit den Wesenseigentümlichkeiten des Christentums abfinden kann, je stärker in ihm der Glaube der Nordmark auflebt, umso weniger findet er Rat und Hilfe in der Seelsorge. Sollte es nicht gerade dieses Zusammentreffen sein, das der Psychologie ihren Standpunkt im Lebensgefüge unseres Volkes zuweist? Solange der Psychologie dieser Platz durch konfessionelle Ideen und überindividualistische Vorurteile vorenthalten wurde, konnte diese nicht zu ihrem eigenständigen Wesen kommen. Heute ist es umgekehrt, die einmal errungene Freiheit bedarf einer Institution, die aus dem Geiste des Nationalsozialismus heraus die Seelsorge zu leisten vermag!“48

Hofstätter beschrieb den Platz der Psychologie im Nationalsozialismus:
„Sie kann und muß zunächst die persönliche Eigenart feststellen, damit die Volksgemeinschaft jedem Einzelnen die Aufgaben zuzuweisen vermag, deren Lösung von ihm erwartet werden darf. Das setzt die Untersuchung des Charakters voraus. Da wir in steigendem Maße gezwungen sein werden, die uns zur Verfügung stehenden menschlichen Arbeitskräfte – im weitesten Sinne – so ökonomisch wie möglich zu bewirtschaften, hat die Psychologie ein weites Feld vor. Die Eignungsuntersuchungen, wie sie heute seitens der Wehrmacht, der Arbeitsämter und durch einzelne Industrien vorgenommen werden, sind dazu nur ein Anfang. Wie E. R. Jaensch einmal angedeutet hat, ist die Psychologie auch dazu berufen, sich in den Dienst bevölkerungspolitischer Eugenik zu stellen.“49

Auffällig ist, daß sich Peter Hofstätter der Sprache der Nationalsozialisten bedient: „Manchmal wird den Psychologen die Aufgabe eines Katalysators zuteil. Es ist das eine ebenso bescheidene wie wichtige Rolle. Hier sehe ich ganz große und völkisch ungemein bedeutungsvolle Arbeitsmöglichkeiten.“50 „Im abgelaufenen, liberalistischen Zeitalter …“51; „Daß Menschen innere Konflikte haben, ist eine natürliche Folge ihrer Mischerblichkeit.“52 „Wir haben dabei in erster Linie nicht die groben Fälle von Rassenbastardisierung im Auge, obwohl sich gerade hier der Zusammenhang von psychischer Unausgeglichenheit und Mischerbigkeit sehr deutlich erkennen lässt.“53

„Das Versagen der Psychoanalyse hat uns gelehrt, daß das bloße Wissen um die Wurzeln eines Konflikts diesen noch nicht behebt. Das konnte ja auch nur bei einem so wenig naturverwachsenen und so weitgehend intellektualisierten Volk, dem jüdischen, vorausgesetzt werden.“54

Bei der Frage, wo die Psychologen mit seelsorgerischen Aufgaben angesiedelt sein sollten, brachte Hofstätter die Parteiorganisation ins Gespräch:

„Es scheint uns, als hätte die politische Organisation die Aufgabe der seelsorgerischen Betreuung erhalten. Ich habe selbst jede Gelegenheit benutzt, in diesem Tätigkeitsgebiet in dieser Richtung zu wirken, dennoch muß man sich darüber Rechenschaft ablegen, daß dafür Voraussetzungen bestehen, die nicht von jedem politischen Leiter erfüllt werden können. Vielleicht wäre aber schon damit der Anfang gemacht, wenn es in jeder Ortsgruppe der NSDAP einen beratenden Psychologen gäbe. Es ist bestes deutsches Brauchtum, daß die Seelsorge Vorrecht und Verpflichtung des Führers ist.“55

Hier wollte jemand auf sich aufmerksam machen.

Im Februar 1943 beantragte Hofstätter erneut die Lehrbefugnis oder Dozentur, diesmal an der Berliner Universität. Auf eine Anfrage aus Berlin schrieb der Wiener NSDAP-Dozentenführer im März 1943 einen Report, in dem er sich nicht explizit für Hofstätter einsetzte, ihn aber als „politisch heute durchaus tragbar“ bezeichnete56. Da die Wiener Universität aber auch die Stellungnahme von Gunther Ipsen mitgeschickt hatte, gelang es Hofstätter nicht, sich wie ein „makelloser Nationalsozialist zu präsentieren“, wie Gundlach es ausdrückte. Gundlach wies auch darauf hin, dass insbesondere der Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes in Berlin, Walter Malmsten Schering, gegen Hofstätters Ehrgeiz obstruierte.57

So gelang Hofstätter der Sprung in eine akademische Karriere nicht, er wechselte, wie schon beschrieben, in den kriminalbiologischen Dienst des Reichsjustizministeriums. Auch das war nicht von langer Dauer. Peter Hofstätter wurde eingezogen und „diente als Kanonier bei einer in Italien eingesetzten Infanteriedivision, in der ich es bis zum Unteroffizier brachte. Hauptsächlich war ich als Dolmetscher für Italienisch und Englisch tätig.“58

Hofstätters Erinnerungen 1992 zeigten kein überragendes Reflexionsniveau. So schrieb er einerseits:
„Bei der Truppe stellte ich schnell fest, daß der ‚Landser‘ schlechthin an den deutschen Endsieg um diese Zeit so wenig glaubte wie ich selbst; aber man sprach darüber im Kameradenkreis nicht. Man tat seine Pflicht unter dem Druck des Feindes, weil man sich den Kameraden verpflichtet fühlte, aber auch weil man die Grausamkeit der aus der Zivilbevölkerung plötzlich hervorbrechenden Partisanen kannte.“59 Der Psychologe erwähnte nur die Grausamkeit der anderen. Und er bot eine merkwürdige Konstruktion an: „Wer weiter dachte, sagte sich, daß intakte deutsche Streitkräfte im Falle eines ernsthaften Konfliktes zwischen Angelsachsen und Russen als Zünglein an der Waage von unschätzbarem Wert wären.“60 Das war gewiss ‚wishfull thinking‘. Aus den Lebenserinnerungen von Peter Hofstätter 1992! Oder wie der Krieg für die deutsche Wehrmacht doch noch ein gutes Ende hätte nehmen können.

Tatsächlich war es so, dass Hofstätter in britische Kriegsgefangenschaft geriet, die er ein knappes halbes Jahr in einem Kriegsgefangenenlager bei Rimini verbrachte.61 „Für mich bedeutete das, daß die Engländer niemanden, der seine Heimat in Wien oder in der von den Russen besetzten Zone Österreichs hatte, dorthin entließen. Ich kam bereits im September 1945 nach Graz in der Steiermark, wo ich Verwandte und gute Freunde besaß.“62

Ich könnte mir vorstellen, dass es noch andere Gründe gab, warum Hofstätter zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt an die Stätte seines früheren Wirkens zurückkehren wollte. Bei dem Bericht seiner weiteren beruflichen Tätigkeit, blieben Hofstätters Erinnerungen ungenau. Er schrieb: „An der Grazer Universität konnte ich kurz vor Weihnachten 1945 die Probevorlesung über ‚die Stellung der Psychologie im Geistesleben‘ halten, um die venia legendi zu erhalten.“ Und: „Ende 1945 war ich nun in Graz Dozent geworden, der allerdings bis zum Beginn seiner Vorlesungstätigkeit warten mußte, bis ihn die zuständigen Stellen von der Registrierungspflicht als ehemaliges Mitglied der NSDAP entbanden. In dieser Zeit leitete ich in Graz die Psychologische Beratungsstelle der Volkshochschule.“63 Christian Fleck schrieb dazu: „In den Monaten und Jahren nach der Wiedererrichtung der Republik Österreich kam es zur sogenannten Entnazifizierung, d.h. zur Registrierung früherer Parteimitglieder, die in der Folge mit Sühnefolgen belegt wurden.“64

Auch die Legende, die Peter Hofstätter über seine Zeit in Graz kolportierte, stimmte so nicht. In einer jüngeren Veröffentlichung des Leiters des Universitätsarchivs der Karl-Franzens-Universität Graz, Prof. Alois Kernbauer, der sich insbesondere mit Hofstätter Stiefvater Fritz Hansgirg beschäftigte, wurde der Ablauf der Habilitationsbemühungen Hofstätters in Graz auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Unterlagen rekonstruiert.65 Danach hatte Hofstätter am 16.10.1945 an die Universität Wien ein „Gesuch um Zulassung zum Probevortrag“ gestellt, worauf ihm mitgeteilt worden war, dass dies „wegen Zugehörigkeit zur NSDAP nicht möglich war“. Danach wandte sich Hofstätter an die Universität Graz zur „Wiederaufnahme und Fortführung seines Habilitationsverfahrens“. Dort entschied man sich, „das Staatsamt wegen eventueller Parteimitgliedschaft damit zu befassen“. In der Fakultätssitzung am 14.12.1945 wurde dann beschlossen, Hofstätter zur Abhaltung der Probevorlesung zuzulassen, die er dann wenige Tage später zum Thema „Die Stellung der Psychologie im Geistesleben“ hielt. Damit war das Habilitationsverfahren formal abgeschlossen, die Lehrbefugnis hatte er „als ehemaliger Nationalsozialist jedoch damit nicht erlangt“. Hofstätter war auch keineswegs Dozent an der Universität Graz gewesen, wie er behauptete. Erst als am 17.2.1947 eine gesetzliche Neuregelung des Umgangs mit „minderbelasteten Nationalsozialisten“ in Kraft trat, war eine neue Situation entstanden. Die Fakultätssitzung beschloss, den Antrag Hofstätters um Bestätigung der Lehrbefugnis für Psychologie mit einer Befürwortung an das Ministerium weiterzuleiten. Als im Herbst immer noch keine Reaktion seitens des Ministeriums vorlag, entschied die Fakultät, „die weiteren Schritte einzuleiten“. Laut seiner Personalakte erhielt Hofstätter die Lehrbefugnis in Graz erst am 12.1.1948.

Alois Kernbauer stellte fest, dass Hofstätter in Graz im Sommersemester 1948 und im Wintersemester 1948/49 zusammen 5 mehrstündige Vorlesungen und Übungen anbot, bis er Graz verließ.

Der Bürgersohn Peter Robert Hofstätter löste seine Probleme über persönliche Beziehungen. Während die Psychologen, von denen Hofstätter in Wien gelernt hatte, in die USA emigrieren mussten oder schon während der NS-Zeit einen Ruf erhielten, „flüchtete“ Hofstätter nach 1945 in die USA, weil er wegen seiner Verstrickung und seiner Anbiederung an die Nationalsozialisten nach 1945 in Österreich oder Deutschland keine Einstellungschance erhielt. Eigentlich eine tragische Situation für einen formal so hoch Qualifizierten, der aufgrund seiner Kontakte vor 1933 und weil er in der NS-Zeit „die Überheblichkeit seiner Klasse nicht verbergen wollte oder konnte“, wie Christian Fleck es in Anlehnung an Horst Gundlach formulierte66, trotz Parteimitgliedschaft und opportunistischer Anbiederung die angestrebte Professur nicht realisieren konnte. Über seine Familie, seine Mutter und deren zweiter Ehemann lebten seit 1941 nicht mehr in Korea sondern in den USA, erhielt Hofstätter im Februar 1949 von dem in New York ansässigen Viking-Fund ein Forschungsstipendium.

Da bald darauf der zweite Mann seiner Mutter überraschend an einem Herzinfarkt verstarb, ergab sich für Hofstätter und seine Familie (Frau und das erste Kind) allerdings „eine finanzielle Situation, in der es für mich einfach hieß: Geld verdienen. In den USA war das damals gar nicht so schwierig: schon im Herbst 1949 konnte ich als ‚Research Associate‘ am berühmten Massachusetts Institut of Technology (MIT) einen für neun Monate beurlaubten Kollegen vertreten, dessen Vorlesungen und Seminare aus ‚Psychologie für Nationalökonomen‘ ich übernahm. Während dieser Zeit interessierte ich mich vor allem für ‚Gruppendynamik‘, wie sie Kurt Lewin am MIT entwickelt hatte“.67

Nach und nach konnte sich Peter Hofstätter in den USA etablieren, wenngleich noch immer auf Nachwuchsstellen, die sich großartiger anhörten, als sie faktisch waren. So nannte er sich ein Jahr Visiting und dann nach einem weiteren Jahr Associate Professor an der Catholic University of America in Washington D.C., einer päpstlichen Universität unter der Obhut der amerikanischen Bischöfe. Immerhin, der Fuß war in der Tür einer akademischen Laufbahn und Hofstätter profitierte von den Methoden und den Forschungsergebnissen der amerikanischen Psychologie, die er in Aufsätzen verarbeitete, die in amerikanischen Zeitschriften veröffentlicht wurden. Und Hofstätter sammelte Material für seine Bücher, die er später, als er wieder nach Deutschland kam und die amerikanische Psychologie eine große Strahlkraft hatte, in deutschen Lehrbüchern veröffentlichte. Bis dahin war es aber noch ein weiter Weg, von 1949 bis 1956 lebte und arbeitete Hofstätter in den USA.68

Seine Rückkehr erfolgte über eine alte Verbindung, um nicht von Seilschaft zu reden. In seinen Worten: „Mit der Zeit war abzusehen, daß diese Arbeiten nach Zahl und Gewicht der Norm für eine Ernennung zu einem auf Lebenszeit angestellten Full Professor entsprechen würden. Da erreichte mich im Frühjahr 1955 eine Anfrage von O. Kroh (1887–1955) aus Berlin, der sich dort schon 1942 für mich eingesetzt hatte, ob ich bereit wäre, den Lehrstuhl für Psychologie an der neu gegründeten ‚Hochschule für Sozialwissenschaften‘ in Wilhelmshaven zu übernehmen.“69

Kroh war der einflussreichste Universitätspsychologe im Deutschen Reich während der NS-Zeit gewesen. 1942 war er an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin Direktor des Psychologischen Instituts, mit besonderer Berücksichtigung der Heerespsychologie, in der Zeit also, als Hofstätter Heerespsychologe bei der deutschen Wehrmacht in Berlin gewesen war. Oswald Kroh war 1933 NSDAP-Mitglied geworden, hatte 1934 eine Abhandlung „Völkische Anthropologie als Grundlage deutscher Erziehung“ geschrieben und führte Lehrveranstaltungen durch zum Thema „Völkische Menschenkunde als Grundlage deutscher Erziehung – Übungen zur Rassenseelenkunde“. Seit 1914 leitete Kroh die Deutsche Gesellschaft für Psychologie bis Kriegsende.70 1945 war Kroh wegen seiner NS-Mitgliedschaft und seiner NS-Aktivitäten als Hochschullehrer entlassen worden, erhielt aber 1948 an der neu gegründeten Freien Universität Berlin einen Lehrauftrag, 1950 wurde er dort zum Ordinarius für Psychologie ernannt. Zu seinen Schülern gehörte Heinrich Roth, der ebenfalls NS-belastet war, und später Klaus Holzkamp. Oswald Kroh starb am 11.9.1955, noch bevor Peter Hofstätter wieder deutschen Boden betrat.71

Hofstätter und seine Familie trafen mit der „S.S. United States“ am 3.2.1956 in Bremerhaven ein, nachdem der Ruf an die kleine Wilhelmshavener Hochschule tatsächlich realisiert worden war. Rückschlüsse auf das Ego von Peter Hofstätter bieten seine Aussagen:
„Nach einigen Erkundigungen bei deutschen Freunden und weil ich es für dringend hielt, der deutschen Psychologie den Anschluss an die amerikanische Forschung zu erleichtern, ließ ich mich 1956 auf das Abenteuer ein, von der kleinsten deutschen Hochschule aus, die nie mehr als 200 Hörer hatte und die wegen eines Vetos der Universität Göttingen nicht einmal der deutschen Rektorenkonferenz angehören durfte, eine ganze Disziplin zu beeinflussen. Das mußte eigentlich zu interkollegialen Reibungen führen, und das umso mehr, als mein 1957 im Fischer-Lexikon erschienener Band ‚Psychologie‘ es auf eine Auflage von 638.000 Exemplaren brachte, mit denen ich in den sechziger Jahren so viele Haupt- und Nebenfach-Studenten der Psychologie erreicht haben dürfte, daß auch einige akademische Lehrer sich zu einer Modernisierung ihrer Vorlesungsmanuskripte genötigt sahen.“72

Schon in Wilhelmshaven verstand es Hofstätter, mit einer Studentenschaft, die noch nicht antiautoritär auftrat, in den 1950er-Jahren in Konflikte zu geraten. So berichtete er:
„Als eine schwache, von keiner Tradition getragene Hochschule war Wilhelmshaven offenbar auch für jene Kreise interessant, die später als sogenannte ‚68er‘ die großen Universitäten zu kommunistischen Kaderschmieden umzufunktionieren versuchten. In Wilhelmshaven begannen die von den gleichen geistigen Vätern ausgehenden Aktionen schon um ein Jahrzehnt früher damit, daß eine Studentenzeitschrift dem Begriff ‚Vaterland‘, der in unserer von Minister Grimme stammenden Immatrikulationsformel vorkam, eine radikale Absage erteilte. Als Rektor der Hochschule entschloß ich mich zu einer symbolischen Geste, die darin bestand, daß ich den Verkauf der Zeitschrift vor dem Hörsaal untersagte und damit auf die Mensa beschränkte. Der Wirbel, der zu endlosen Diskussionen geführt hatte, beruhigte sich zu Ferienbeginn. Ich hatte bei dieser Gelegenheit die ausgezeichneten journalistischen Verbindungen der Akteure und ihrer Hintermänner kennengelernt. Schon nach wenigen Tagen wußte ‚Le Monde‘ zu berichten, daß sich ein deutscher Rektor an der Pressefreiheit vergriffen habe.“73

Man musste damit rechnen, dass es Hofstätter nicht genügen würde, Rektor einer winzigen Hochschule zu sein, die „nicht einmal der deutschen Rektorenkonferenz angehören durfte“, und da er schon in Wilhelmshaven die Bildung einer „kommunistischen Kaderschmiede“ im Keime erstickt hatte, war seine nächste akademische Station die Universität Hamburg.

In Kenntnis seiner NS-Anfälligkeit und seiner auch antisemitischen Formulierungen in der Zeitschrift „Deutschlands Erneuerung“ erscheint es schon schwer erträglich, wenn er sich bei seinem Wechsel nach Hamburg explizit auf seine jüdischen Vorgänger bezog:
„Ich folgte 1959 einem Ruf als Nachfolger von Curt Bondy (1894–1972) auf den 1916 von William Stern gegründeten Lehrstuhl an der Universität Hamburg.“74

Die Philosophische Fakultät der Universität Hamburg hatte die Nachbesetzung des Lehrstuhls, auf dem bisher Curt Bondy gelehrt hatte, vorgeschlagen. Sehr stark wurde dieser Vorschlag vom Direktor des Seminars für Erziehungswissenschaft, Prof. Hans Wenke, unterstützt, der gleichfalls in der NS-Zeit kompromittierende Aufsätze veröffentlicht hatte und parallel zu Hofstätter in den 1960er-Jahren wegen seiner NS-Verstrickung in Schwierigkeiten geriet.75

In dem Berufungsvorschlag der Philosophischen Fakultät wurde, möglicherweise von Curt Bondy aufgesetzt, der den Ruf an Peter Hofstätter mit initiiert hatte, eine sehr selektierte, vorteilhafte Kurzbiografie von Peter Hofstätter vorgestellt, die ihn in den Kreis der Bühler-Schüler stellte. So hieß es:
„Prof. Dr. Peter R. Hofstätter ist im Jahre 1913 als Sohn des apl. a. o. Prof. für Gynäkologie und Geburtshilfe in Wien geboren. Von 1932–1936 studierte er in Wien Psychologie, Physik und Philosophie und erhielt unter Karl Bühler den philosophischen Doktorgrad mit einer Arbeit über Testuntersuchungen an japanischen Kindern und das Reifungsproblem. Im Jahre 1941 erwarb Hofstätter in Wien den Dr. phil. habil., erhielt aber erst Ende 1945 in Graz die venia legendi für Psychologie. Von 1935–1937 war er unter Karl und Charlotte Bühler Volontär-Assistent am psychologischen Institut der Universität Wien.“76

Ein uninformierter Leser entnimmt dieser Darstellung, dass Hofstätter ein enger Mitarbeiter des emigrierten jüdischen Professoren-Ehepaars Bühler war, dem die Nazis die venia legendi verweigert hatten, die er dann erst nach der NS-Herrschaft, Ende 1945, erlangte.

Was Curt Bondy bewog, sich für Hofstätter einzusetzen, ist nicht ergründet. Curt Bondy, am 3.4.1894 in Hamburg als Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie geboren, hatte in Hamburg Psychologie studiert, bei William Stern 1921 promoviert mit einer Arbeit über „Die proletarische Jugendbewegung in Deutschland“. Als Honorarprofessor für Sozialpädagogik seit 1930 in Göttingen, war er von den Nazis 1933 aus dieser Position vertrieben worden und arbeitete eine Zeit lang mit Martin Buber im Jüdischen Hilfswerk in Frankfurt am Main. Er wurde 1936 „von der Reichsvertretung der Deutschen Juden zum Leiter des Ausbildungslehrgutes Groß Breesen in Schlesien berufen, einer Institution, die deutsche Jugendliche aus jüdischen Familien auf die Auswanderung vorbereitete. Nach den Novemberpogromen 1938 wurde Bondy mit den anderen Groß Breesenern ins KZ Buchenwald verschleppt, aus dem die meisten der Gruppe im Dezember mit internationaler Hilfe zur sofortigen Emigration entlassen wurden. Bondy hielt sich zuerst in England und Holland auf; 1939 konnte er in die USA emigrieren, wo er im Bundesstaat Virginia eine Professur für Psychologie erhielt.“77

Curt Bondy wurde dann 1949 auf die Professur für Psychologie der Universität Hamburg berufen, war dort für Sozialpsychologie und Psychologische Methodenlehre zuständig und leitete die Entwicklung der ersten Intelligenztests für deutsche Erwachsene und Kinder, der bekannteste standardisierte Test war der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE) sowie der für Kinder (HAWIK).78

Möglicherweise war Curt Bondy beeindruckt durch Hofstätters Veröffentlichungen und sicherlich waren ihm, der nach seiner KZ-Inhaftierung zwischen 1939 und 1949 nicht in Deutschland lebte, die NS-Affinitäten von Hofstätter und deren Ausmaß unbekannt. Im Berufungsvorschlag wurde vermerkt:
„Hofstätter dürfte zurzeit der meist zitierte Psychologe in Westdeutschland sein. Besonders bekannt wurde er durch eine heftige Diskussion über Methoden-Fragen mit Wellek-Mainz. Herr Hofstätter ist einer größeren Zahl von Mitgliedern der philosophischen Fakultät als ausgezeichneter Vortragender bekannt. Er hat unter Bühler die europäische Ausbildung genossen und verbindet mit ihr eine profunde Kenntnis der amerikanischen Psychologie; er vertritt sowohl die geisteswissenschaftliche als auch die naturwissenschaftliche Psychologie; er hat sich intensiv mit Problemen der Tiefenpsychologie, der Experimental- und Sozialpsychologie beschäftigt. Die Fakultät ist der Meinung, daß Herr Hofstätter von allen deutschen Psychologen am besten den Anforderungen des Lehrstuhls entspricht und schlägt ihn deshalb an erster Stelle vor.“79

So konnte man das sehen, wenn man nicht über weitere Informationen verfügte.

Am 30.10.1959 legte der für Schulen und Hochschulen zuständige Senator Heinrich Landahl den Ernennungsvorschlag vor, dem die Deputation schon zugestimmt hatte. Seit dem 22.12.1959 war Peter Hofstätter Professor an der Universität Hamburg.80

Nach einem sehr langen Anlauf hatte er es geschafft. Er war Ordinarius an einer renommierten deutschen Universität, wurde Direktor des Psychologischen Instituts, und hatte im Laufe der Jahre eine große Anzahl von Assistenten und Mitarbeitern, die ihrerseits an deutschen Universitäten qualifizierte und zum Teil bekannte Psychologie-Professoren wurden. Darauf werde ich im Kontext der späteren Emeritierung von Peter Hofstätter noch zurückkommen.

Nun soll in diesem Zusammenhang genauer untersucht werden, wie Hofstätter außeruniversitär zu wirken versuchte. Gestärkt durch seinen späten beruflichen Erfolg und sicherlich auch durch die enorme Auflagenstärke seiner psychologischen Bücher, getrieben wohl auch durch seine Lust an der Selbstdarstellung, wurde Hofstätter auch publizistisch tätig. In fast provokativer Weise thematisierte er sensible Themen und vertrat zugespitzte Positionen.

Am 14.6.1963 veröffentlichte die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ einen Beitrag von Hofstätter unter dem Thema „Bewältigte Vergangenheit?“81

Dass es sich hierbei um einen heiklen Beitrag handeln würde, machte schon der Vorspann der Redaktion deutlich, die schrieb: „Zur Veröffentlichung seiner Fragen haben wir uns nach einigem Zögern entschlossen. Die Gefahren liegen auf der Hand. Der Artikel ist von der Art, bei der – wie Erfahrung lehrt – statt des Ganzen einzelne Sätze wirken, die dann empört abgelehnt oder mit Beifall von der falschen Seite begrüßt werden können. Auch sind wir nicht in der Lage, uns Hofstätters Schlussfolgerungen zu eigen zu machen. Aber daß seine Fragen gestellt werden – das scheint uns wichtig.“82

Die Schlussfolgerung, die Peter Hofstätter formulierte, wurde als Generalamnestie für Kriegsverbrecher verstanden. Hofstätter hatte geschrieben: „Persönlich neige ich allerdings dazu, einen Akt des Staates zu befürworten, der zwar die Schuld der Täter nicht tilgt, aber auf deren Bestrafung verzichtet. Die Täter werden sich vor Gott zu verantworten haben. Uns aber geziemt ein Bekenntnis zur unbewältigten Vergangenheit.“83

Vorher hatte Hofstätter die Frage gestellt: „Wie aber steht es um die Vergangenheit? Kann man mit ihr ‚fertig werden‘? Das geht aus mindestens drei Gründen nicht: Erstens: Die Vergangenheit folgt der Gegenwart auf den Fuß. Was wir heute tun ist in ein paar Jahren bereits selbst Vergangenheit. Zweitens: Die Vergangenheit ist nach rückwärts offen und daher nicht auszuloten. Dann und wann schlagen wir deshalb auch eine mehr oder minder dankbare Brücke von gewissen historischen Ereignissen zu den Tagesfragen der Gegenwart, so etwa von den Perserkriegen zum sogenannten Ost-West-Konflikt. ‚Fertig‘ scheinen wir in den letzten zweieinhalb Jahrtausenden noch mit gar nichts geworden zu sein. Drittens: Die Vergangenheit, die uns jetzt und dann bewußt wird, stellt eine Auswahl aus den tatsächlichen Ereignissen dar, in deren Besonderheit sich unsere gegenwärtigen Wünsche und Ängste widerspiegeln. Das Korrelat einer bewältigten Vergangenheit müßte demnach eine an der Zukunft desinteressierte Gegenwart sein. Der letzte Punkt legt eine nicht allzu schmeichelhafte Vermutung nahe: Ist das Bemühen um eine Bewältigung der Vergangenheit nicht vielleicht dazu bestimmt, uns den Blick auf eine sehr problemreiche Zukunft zu ersparen?“

Seinen nächsten Gedanken leitete Hofstätter ein mit dem Satz: „Ich bekenne daher freimütig, daß ich von nun ab meiner Sache nicht mehr sicher bin.“ Und dann entwickelte er den hypothetischen Fall:
„Was geschähe eigentlich, wenn eines Tages in irgendeinem entlegenen Winkel der nunmehr 74-jährige Adolf Hitler entdeckt würde? Natürlich gäbe es einen sehr großen Prozeß, und natürlich wurde der Angeklagte verurteilt. Ja und? Hätten wir auch nur ein Quäntchen unserer Vergangenheit bewältigt, wenn wir fortan für einige Jahre wüßten, daß in der Haftanstalt X ein Strafgefangener Nummer Y einsitzt, der früher einmal der Führer des Großdeutschen Reiches war?“

Hofstätter nannte noch ein weiteres Beispiel: „Vor einem Jahr wurde am 1. Juni 1962 in einem Gefängnis bei Tel Aviv Adolf Eichmann hingerichtet. Hat dieses Ereignis etwas zur Bewältigung der Vergangenheit beigetragen?“

Und weiter schrieb Hofstätter: „Die Generalbundesanwälte sind anderer Ansicht. Im Anschluß an ihre Konstanzer Mai-Sitzung ließen sie die Öffentlichkeit wissen, daß bei der Verfolgung von NS-Verbrechen ‚noch sehr viel auf uns zukommen‘ werde. Bei den Prozessen gegen Angehörige sogenannter Einsatzkommandos und gegen KZ-Wächter wird es vermutlich Zuchthausstrafen in der Gesamtlänge von einigen 100 oder 1000 Jahren geben. Und dann? Wird uns danach der Gedanke an Auschwitz leichter sein?“84

Der Feuilleton-Chef der „ZEIT“, Rudolf Leonhardt, der auch den Vorspann zum Hofstätter-Artikel verfasst hatte, konstatierte in der „ZEIT“ vom 6.9.1963, dass es die heftigsten Reaktionen auf Hofstätter und seine Positionen gegeben habe:
„Das Echo auf Hofstätters Provokation war zunächst – wie erwartet – berechtigter Widerspruch und immerhin begreifliche Empörung. Widerspruch all derjenigen, die im Gegensatz zu Prof. Hofstätter meinen, daß den Opfern oder den Überlebenden oder beiden damit gedient wäre, wenn in den nächsten 15 Jahren noch weitere 600 oder 6000 der Schuld Verdächtige vor Gericht gestellt werden. Eine solche Meinung kann sich freilich auch dadurch gelähmt fühlen, daß einer in Hamburg miterlebt, wie ein erwiesenermaßen übler Schinder des NS-Regimes freigesprochen werden muß, da die Delikte, die man ihm nachweisen kann, nach den Paragraphen unseres Strafgesetzbuches als ‚verjährt‘ gelten; oder durch einen Freispruch wie im Freiburger Mordprozeß, wo es hieß, ‚man habe (zitiert nach der Welt vom 13. Juli 1963) den Angeklagten die Exekutionen nicht mit letzter Sicherheit nachweisen können; außerdem sei es möglich, daß sie das Verbrecherische der Erschießungsbefehle nicht eingesehen hätten‘. Was die Empörung anbelangt, so ist sie verständlich als nahe liegende Reaktion der Opfer (oder der Angehörigen von Opfern), die ein Recht haben, hinter jeder sachlich-versöhnlichen Geste unangebrachte Beschwichtigungs- und Verharmlosungsversuche zu argwöhnen. Der Hamburger Kunstpädagoge Arie Goral, der zum Spiritus rector des ‚Falles Hofstätter‘ werden sollte, fordert ‚den nun einmal angemessenen und gegebenen Respekt …, mit dem sich zumindest deutsche Publizisten um ihres eigenes Prestige willen auf einem Boden bewegen sollten, der mit Blut und schrecklichen Erinnerungen der Juden in Deutschland und der Juden in aller Welt getränkt ist.‘ Ich halte diese Forderung für durchaus berechtigt. Schade, dass Arie Goral dann viel weiter ging und jener Hysterie Vorschub leistete, die sich nicht mehr an Tatsachen orientierte.“85

Der nächste Akt war nach Dafürhalten von Leonhardt etwas hinterhältig eingefädelt worden. Der Student Hans Kirchmann hatte als Leser der „ZEIT“ geschrieben, dass die veröffentlichten Aufsätze von Peter Hofstätter von studentischer Seite verfolgt wurden, und: „Ich selbst habe allerdings niemanden getroffen, der nicht Widerspruch angemeldet hätte, ohne daß dabei die Ehrenhaftigkeit Ihrer Absichten in Zweifel gezogen werden konnte.“86

Der formulierte Wunsch des Studenten Kirchmann an Prof. Hofstätter war, er möge „noch einmal selbst das Wort ergreifen und sich zwei oder drei Stunden Ihrer sicherlich knappen Zeit zu einer Begegnung mit uns nehmen.“87 Hans Kirchmann sprach für den LSD, den Liberalen Studentenbund Deutschlands, der eine kleine Diskussionsveranstaltung organisieren wollte. Sie fand statt am 19.7.1963. Leonhardt resümierte: „Die Diskussion selber fand keineswegs – wie von Kirchmann im Namen des LSD zugesichert worden war – ‚in nicht allzu großer Öffentlichkeit‘ statt. Hofstätter selbst hatte freilich – mit einer chevalresken Hybris, wie sie heutzutage hierzulande selten ungestraft erlaubt ist – seinen ‚Erzfeind‘ Arie Goral eingeladen. Außer ihm waren noch manche Durchaus-nicht-Studenten anwesend: unter ihnen der wohlmeinende und gerade deswegen gern über das Ziel hinausschießende Pressechef beim Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Erich Lüth.“87 Fair war es sicherlich auch nicht, wie Leonhardt berichtete, dass der LSD nach der Veranstaltung einen Zusammenhang herstellte, der da lautete: „Am Vorabend des Gedenktages der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 hat der Liberale Studentenbund Deutschlands … einen Diskussionsabend mit … Prof. Hofstätter veranstaltet.“88

Für diesen Zusammenhang aber entscheidender ist, was Peter Hofstätter auf dieser Veranstaltung sagte, wie er sich verhielt. Immerhin schaffte Hofstätter, nicht nur in die nationalen Schlagzeilen zu kommen und für den „SPIEGEL“ in der Ausgabe 38/1963 ein Interviewpartner auf sieben Seiten zu werden. Unter der Überschrift: „Sind die ermordeten Juden gefallen?“ zitierten die „SPIEGEL“-Redakteure die wesentliche These, die Hofstätter während der Veranstaltung aufgestellt hatte und die zu einem Sturm der Entrüstung geführt hatte: „Hitler habe den Juden den Krieg erklärt – Konsequenz: Die getöteten Juden sind ‚gefallen‘, nicht ermordet worden –, eine Amnestie für NS-Verbrechen sei notwendig.“89

Hofstätter behauptete in dem Gespräch, nicht mehr mit Sicherheit sagen zu können, was er und wie er genau formuliert hatte. Er zitierte die Erinnerung des Hamburger Senatspressesprechers, Erich Lüth, der im „Hamburger Echo“ Hofstätters Aussage so wiedergegeben hatte: „Für Hitler war die Vernichtung der Juden eine Kriegshandlung.“ Und Hofstätter bestätigte: „Den Satz kann ich durchaus gesprochen haben. Das war nämlich der Versuch einer Rekonstruktion des Sachverhalts in der Denkweise von Adolf Hitler.“90

Kurz zuvor hatte Hofstätter in einem Leserbrief an die „Deutsche NationalZeitung“ geschrieben, „daß ich das Soldatentum stets hoch gehalten habe. Ich war selbst sowohl Heerespsychologe als auch Soldat im Fronteinsatz. Alle mir bekannten Männer der Familie Hofstätter waren ebenfalls Soldaten. Die mir zur Last gelegten Behauptungen, daß nämlich die NS-Täter die Uniformen des Dritten Reiches trugen, sowie daß ‚Hitler und der nationalsozialistische Staat den Juden quasi den Krieg erklärt‘ haben, halte ich für schlichte Tatsachen. Wenn einzelne ‚Soldaten des Führers‘ sich vergangen haben, so hat dies nichts ‚mit der Ehre des anständig gebliebenen Wehrmachtoffiziers oder Soldaten‘ zu tun“.91

Hofstätter argumentierte im „SPIEGEL“-Gespräch noch einmal, dass es Krieg zwischen den Juden und Deutschland gegeben hätte. Als Beleg nannte er eine Rede von Chaim Weizmann aus dem August 1939, wo dieser als Präsident des Zionistischen Kongresses eine Kriegserklärung gegen das Deutsche Reich formuliert hätte. „Er hat alle Juden zum Kampf gegen Deutschland aufgerufen.“ Und Hofstätter zitierte auch die Reichstagsrede von Adolf Hitler vom 30.1.1939, in der er sagte: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis … die Vernichtung der jüdischen Rasse (sein).“92

Es stand also die These, oder besser die Aussage, im Raum, dass die Vernichtung der Millionen Juden in der NS-Zeit keine Morde gewesen waren, sondern Tötungen im Kriege, sozusagen Opfer eines von zwei Seiten erklärten Krieges. Dieses im Kontext mit der Forderung einer Generalamnestie der Täter war eine für viele unerträgliche Mischung von Aussagen eines Hamburger Psychologieprofessors.

Peter Hofstätter fand offenbar Gefallen an dem öffentlichen Interesse an seiner Person. Zumindest in der ersten Zeit. Nach seiner Leserzuschrift an die vom rechtsextremen Journalisten und Verleger Gerhard Frey herausgegebene „Deutsche National-Zeitung“, gab er dieser Zeitung zum 30.8.1963 ein großes Interview. Auf die Frage: „Warum, Herr Professor, läßt man nun die Kontinuität bei der Betrachtung des Dritten Reiches ganz und gar außer acht?“93 antwortete Hofstätter: „Das ist eine ganz und gar unsinnige Art von Geschichtsbetrachtung. Man versteht die Ereignisse der Jahre 1930 bis 1933 nicht und natürlich ebenso wenig die darauffolgenden, wenn man nicht 200 bis 300 Jahre zurückblickt. Adolf Hitler sprach ja nicht eine ganz neue Sprache. Ganz und gar unmöglich ist es, den Ersten Weltkrieg und seine Folgen auszuklammern. Es mag natürlich sein, daß man sich darum vor der ‚Bewältigung‘ jener Zeit scheute, weil es für manche blamabel wäre.“94

Die „National-Zeitung“ fragte weiter: „Sie, Herr Professor, haben, und das hat eigentlich den Sturm gegen Sie entfesselt, offen eine Generalamnestie auch für alle deutschen Kriegsverbrecher gefordert. Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Sie verzichteten damit auf die Sühne für die begangenen Verbrechen und auf die Bestrafung der Täter.

Hofstätter: Die Gesellschaft kann keine Untaten sühnen. Sie soll durch Erziehung und andere Maßnahmen und Taten vorbeugen.“95

Und weiter:
„National-Zeitung: Nach Meinung Ihrer Gegner dürfen diese Argumente nicht gelten für jene, die an Judentötungen beteiligt waren. Die Judenmorde seien, so sagen sie, in der Weltgeschichte ohne Beispiel.

Prof. Hofstätter: Aber das stimmt gar nicht! Sogar nach 1945 sind Massenmorde geschehen, die denen der Judentötung nicht nachstehen. Als Indien und Pakistan selbständig wurden, sind, wie die pakistanische Regierung veröffentlichte, 4,5 Millionen Mohammedaner und 1,5 Millionen Hindus in den Religionsauseinandersetzungen gemordet worden.“96

Auf eine weitere Frage, ob das deutsche Volk gegen eine Generalsamnestie sei, antwortete Hofstätter:

„Aber nein! Ich habe den Eindruck – und die vielen Briefe, die ich jetzt bekommen habe, bestätigen diese Meinung –, daß die Mehrheit unseres Volkes es nicht versteht, daß immer noch deutsche Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden. Sie hat diese Prozesse satt. Diese Kriegsverbrecherprozesse sind der leichtere Weg: Man hat einen eng begrenzten Kreis von Schuldigen, und alle anderen sind also unschuldig und brauchen sich also um die Probleme nicht zu kümmern. – Diese These vertritt übrigens Jaspers auch.“97

Am Ende des Gesprächs sagte Peter Hofstätter: „Und ich danke der National-Zeitung. Sie war die einzige Zeitung, die mich nicht angegriffen hat.“98

Der „SPIEGEL“ schrieb, als Gerhard Frey, 80-jährig, 2013 starb, über die National-Zeitung, diese „befriedigte das Informationsbedürfnis konservativer Kleinbürger, greiser Weltkriegskämpfer und unbeirrbarer NS-Nostalgiker.“99

Ich habe jetzt beschrieben, wie Peter Hofstätter sich mit den Reaktionen auf seine Äußerungen auseinandersetzte. Jetzt soll noch ein Blick geworfen werden auf die genannte Podiumsdiskussion und auf die Reaktion der Hochschulbehörde. Die Reaktionen in allen wichtigen Presseorganen und von Einzelpersonen könnten ein eigenes Buch füllen. Der Leiter der Hamburger Pressestelle, Erich Lüth, hatte an der Veranstaltung selbst teilgenommen, ebenso wie der jüdische Maler und Publizist Arie Goral. Beide waren auch mit Wortbeiträgen in Erscheinung getreten und dokumentierten später die Auseinandersetzungen mit Peter Hofstätter. Arie Goral verfasste eine Dokumentation: „Fall Hofstätter 1963/1978, Bd. 1. Aus dem Leben eines Rechts-Sympathisanten“.100

Erich Lüth hatte eine Handakte angelegt, die heute im Hamburger Staatsarchiv einsehbar ist und die alle wesentlichen Zeitungsberichte sowie seine persönliche Korrespondenz enthält.101 Auch diese Handakte umfasst Material für ein ganzes Buch und soll nur im zulässigen Rahmen und auszugsweise mit einigen wesentlichen Aussagen und Hinweisen zitiert werden.

So verfasste Peter Hofstätter einen Leserbrief an das „Sonntagsblatt“, in dem er erklärte:
„Den Leserbrief an die National-Zeitung schrieb ich, weil die ‚Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland‘ in ihrer Nummer vom 16.8. ‚die ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht‘ zu einer Aktion gegen mich aufgerufen hatte. Ich mag mich in diesem Punkt täuschen, jedoch glaube ich, daß die National-Zeitung von allen deutschen Zeitungen weitaus am meisten ‚aus Verbänden und Veranstaltungen‘ ehemaliger Wehrmachtangehöriger berichtet.“102

Unter den zahlreichen Leserbriefen, die von der ZEIT abgedruckt wurden, fand ich bemerkenswert das Schreiben von Prof. Gösta von Uexküll aus Hamburg, in dem er unter anderem feststellte:
„Hätte Hitler wirklich einen Krieg gegen die Juden geführt, wie Prof. Hofstätter behauptet hat, dann wären die Juden nach einem leicht errungenen Sieg seine Kriegsgefangenen gewesen. Seit wann aber ist es erlaubt, Kriegsgefangene auszurotten? Nicht einmal Feinde darf man ausrotten. Man darf gegen sie nur ‚so viel Gewalt gebrauchen wie notwendig ist, um ihren Widerstand zu brechen‘. Aber folgen wir der unsinnigen These Prof. Hofstätters noch einen Schritt weiter. Die Genfer Konvention von 1925 verbietet die Verwendung von Giftgas selbst gegen Feinde. Also zum mindesten in der Ausrottung der ,feindlichen Juden‘ mithilfe von Gas müßte auch Prof. Hofstätter ein Verbrechen sehen. Aber natürlich war es kein Krieg, sondern ein Pogrom. Kein schlampiges Pogrom slawischer Untermenschen, sondern ein perfekt organisiertes, gründliches, mit einem Wort ein deutsches.“ Und zu Hofstätter sagte von Uexküll: „Übrig bleibt bei nüchterner Betrachtung die schlichte Tatsache, daß Professor Hofstätter damals wie heute etwas unsinniges gesagt hat. Seit wann aber ist es verboten, Unsinn zu sagen? Auch Professoren haben ein Recht darauf. Gottlob, denn wo kämen wir sonst hin!“103

Der Journalist und Berichterstatter von vielen Gerichtsverfahren der Nachkriegszeit, Gerhard Mauz, der ab 1964 beim „SPIEGEL“ arbeitete, verfasste am 29.8.1963 einen Artikel in der „Welt“, Überschrift: „Bewältigte Vergangenheit – gibt es das?“ Mauz, Jahrgang 1925, der selbst Psychologie studiert hatte und Sohn eines Tübinger Psychiaters gewesen war, schrieb einen Artikel, für den er ein längeres Gespräch mit Peter Hofstätter geführt hatte und immer wieder betonte, dass dieser seine Intentionen in dem Gespräch viel deutlicher und klarer zum Ausdruck gebracht hatte, als in seinen veröffentlichten Statements und den völlig verunglückten Aussagen bei der Veranstaltung: „Daß Hofstätter für eine Beendigung der Prozesse wegen der von 1933–1945 begangenen Verbrechen, nicht etwa aus Sympathie für die Verbrecher eintritt, sondern weil er in diesen Prozessen eine Versuchung für die Deutschen sieht, sich selbst auf Kosten einzelner zu entlasten, macht er mündlich klarer als er es schriftlich tat.“104

Der ehemalige Psychologiestudent Mauz war offensichtlich von der Person Hofstätter in gewisser Weise beeindruckt und, was dessen Biografie betraf, nicht richtig informiert. So bezeichnete er Hofstätter als einen „im Dritten Reich gefährdeten Gelehrten“, „einen international geachteten Psychologen“, „anerkannten Kollegen der Bühler“, „Nachfolger Sterns und Bondy in Hamburg“, der somit „unmöglich ein Faschist und Antisemit, ein Anwalt autoritärer Systeme und ihrer Verbrechen sein kann“.105 Damit war er offensichtlich ein wenig der von Hofstätter aufgebauten Legende erlegen.

Interessant war auch noch der Verweis auf Karl Jaspers, von Hofstätter eingebracht, „der 1961 in einem Gespräch zum Eichmann-Prozess sagte, es handle sich bei Eichmann und seinesgleichen nicht um Mörder „aus einem egoistischen Motiv und um irgendeines Nutzens willen“, sondern um Leute, die „nicht aus all den anderen Motiven gewöhnlicher Mörder gehandelt haben.“106

Da nach einer Strafanzeige von Arie Goral und Walter Hähnel gegen Hofstätter auch disziplinarrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden waren, wurde der Direktor der Staatlichen Pressestelle, Erich Lüth, am 24.9.1963 vernommen. Lüth hatte sich auch im „Hamburger Echo“ zu dem Fall geäußert107, aber sicherlich ist seine Einlassung in diesem Rahmen die sachlichere Variante, um den Ablauf bei der Veranstaltung aufzuklären. Lüth sagte, dass zu Beginn der Veranstaltung der Versammlungsleiter Kirschmann vom Liberalen Studentenbund über die beiden Hofstätter-Artikel referiert und den Psychologieprofessor dann gebeten hatte, dazu Stellung zu nehmen. Lüth erklärte dann weiter:
„Hofstätter lehnte das mit einer hochmütigen, arroganten Geste nach einigen kurzen Erklärungen ab und bat, Fragen an ihn zu stellen, so weit das gewünscht würde. Ich war einer der ersten, der ihn fragte. Ich hielt ihm den krassen Widerspruch vor, der darin liege, daß er sich für eine Bestrafung der kleinen Mörder einsetzte, die großen jedoch straffrei ausgehen lassen wolle. Um dieses Problem wurde etwa eine halbe Stunde lang diskutiert. Im Verlaufe dieser Diskussion nahm Prof. Hofstätter dahin Stellung, daß Hitler spätestens 1939 den Juden den Krieg erklärt habe, und daß die Vollstrecker seiner Ausrottungsbefehle glauben konnten, eine Kriegshandlung zu vollziehen. Vor 1939 mögen, so äußerte er sich, die Ausschreitungen gegen die Juden wohl Morde gewesen sein, nach 1939 aber Tötungen in Konsequenz der Hitlerschen Kriegserklärung. Es mag sein, daß Hofstätter sich die These von einem völkerrechtlichen Krieg zwischen Hitler und den Juden nicht zu eigen machen wollte, sondern nur die Ideen Hitlers und die Vorstellungen der Vollstrecker seiner Mordbefehle interpretieren wollte. Das wurde jedoch keineswegs aus seinen Ausführungen eindeutig klar. Als Herr Goral und Herr Hähnel mit längeren Ausführungen in die Debatte eingriffen, antwortete Hofstätter ihnen äußerst zynisch und vertrat die These, daß die weitere Verfolgung der Kriegsverbrecher die Haltung der Unbelehrbaren nur noch trotziger werden ließe. Damit antwortete Hofstätter auch auf andere Diskussionsbeiträge. Ich fand es auch wenig geschmackvoll, daß er die Morde des Hitlerregimes in Parallele zu kriegerischen Vorgängen in der jüdischen Geschichte setzte. Dabei, und bei vielen anderen Äußerungen, ließ er jegliches Verständnis für die seelische Situation der überlebenden Juden und der verfolgten Nicht-Juden vermissen. Auch zeigte er nach meiner Überzeugung keinerlei Verständnis für den demokratischen Rechtsstaat. Diese Einstellung führte bei den Teilnehmern der Versammlung zu äußerster Empörung und Verbitterung. Im Verlaufe der immer hitziger werdenden Debatte nannte Herr Hofstätter dann schließlich Herrn Goral oder Herrn Hähnel einen ‚Quatschkopf‘. Daraufhin verließ eine größere Gruppe der Versammlungsteilnehmer, insbesondere Herr Goral, einige Schulräte und ich die Versammlung. Die Ausführungen Hofstätters während der Diskussion erweckten bei jedem, der ihn nicht kannte, den Anschein, als bagatellisierte er die Ausrottungsmaßnahmen des Nazismus. Ich darf meiner Meinung dahin Ausdruck geben, daß ein Mann, der so delikate und komplexe Fragen, wie sie in seinen beiden Aufsätzen und der Diskussion vom 19. Juli behandelt worden sind, so taktlos, zynisch und verständnislos anpackt, auf einem Universitätslehrstuhl fehl am Platze ist, insbesondere soweit er etwa an der Ausbildung künftiger Lehrer teilnimmt.“108

Wer einen Stein ins Wasser wirft, muss damit rechnen, dass sich Ringe bilden und dass ernstzunehmende Kontrahenten reagieren. Arie Goral verfasste gemeinsam mit Walter Hähnel am 26.7.1963 eine Strafanzeige gegen Professor Peter Hofstätter „wegen Verunglimpfung und Verleumdung der Opfer des Nationalsozialismus“. Darüber hinaus begann er nachzuforschen, ob Hofstätter eine nationalsozialistische Vergangenheit hatte. Und in der Tat, Arie Goral fand den Hofstätter-Aufsatz aus dem Jahre 1941 und veröffentlichte diesen in Auszügen.109 Arie Goral war nicht der einzige gewesen, der recherchiert hatte. So verfasste Valeska von Roques im „Vorwärts“ vom 11.9.1963 unter der Überschrift „Der Wahrheit den Krieg erklärt“ einen Artikel, für den sie akribisch einzelne Stationen von Hofstätters Wirken nachgeprüft hatte. Sie leitete ein mit Hofstätters Aktion gegen das aufmüpfige Studentenblatt seiner ersten deutschen Hochschulstation: „Als Rektor der Hochschule für Sozialwissenschaften witterte er unter seinen Studenten ‚anarchistische Umtriebe‘ und ersann recht ungewöhnliche Mittel, sie zu bekämpfen. Jetzt hat er selber Bomben gelegt.“110 Sie hatte auch seine Habilitationsschrift ausgegraben, „Ruf und Bestand“, mit der er die Lehrbefugnis erlangte, ohne eine Stelle an der Universität zu bekommen, aber immerhin die Beförderung zum Regierungsrat als Wehrpsychologe. Valeska von Roques fand Hofstätters Schrift in der Zeitschrift für angewandte Psychologie, Bd. 60 aus dem Jahr 1940 und fasste zusammen, was er dort verbreitete: „Die Vorurteile, die wider die Burgenländer im südlichen Österreich gehegt würden, seien wegen deren minderer Erbmasse durchaus begründet. Hofstätter leitete daraus – der nationalsozialistischen Rassentheorie folgend – ab, daß Vorurteile, weil dem gesunden Volksempfinden entspringend, die tatsächlichen Merkmale einer Gruppe widerspiegeln. Hofstätter rechtfertigte damit ein weit aktuelleres Vorurteil, das sich für 6 Millionen Juden tödlich auswirkte. Auf diese waghalsige Theorie wollte Hofstätter auch beim Neuaufguß dieses Elaborates im Jahre 1954 nicht verzichten: nur war nach dem Kriege am geringen Intelligenzquotient der Burgenländer nicht mehr ihre mindere Erbmasse, sondern ihre geringeren Bildungschancen schuld.“111 Ein wendiger Wissenschaftler.

Der Rat im „Vorwärts“: „Vielleicht tut der Hamburger Senat, der zur Zeit die letzte Affäre überprüft, gut daran, auch die Tätigkeit Hofstätters als Rassentheoretiker und Zeitungszensor zu überprüfen.“112

Und auch über die Auseinandersetzung um die Studenten-Zeitung an der Wilhelmshavener Hochschule gab es durch einen Leserbrief in der „ZEIT“ vom 13.9.1963 eine interessante Information, die eine andere Seite des Charakters von Peter Hofstätter beleuchtete. So schrieb Jürgen Schiers aus Bremen, dass der „erste Fall Hofstätter“ stattfand, als Hofstätter Rektor der Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven war. „Zur gleichen Zeit wurde an der Hochschule das ‚Zoon Politikon‘, eine Studentenzeitschrift von einer Gruppe Wilhelmshavener Studenten herausgegeben. Als einer der Mitherausgeber im ‚Zoon Politikon‘ die Meinung vertrat, der Begriff des Vaterlandes sei für ihn ebenso überholt wie die wilhelminische Ära, mißfiel das dem Rektor. In dem Bestreben, dem Mitherausgeber das Handwerk zu legen, griff er zu drastischen Maßnahmen. Unter anderem fragte er mittels Rundschreiben die Wilhelmshavener Einzelhändler, die in der Zeitschrift zu inserieren pflegten, ob sie es vertreten könnten, dieses Blatt weiterhin mit ihrem ‚Anzeigengeld zu unterstützen‘. Die Zeitschrift – so schrieb Hofstätter – sei nämlich gegen das Vaterland und gefährde damit auch die Wiedervereinigung. Die Herausgeber der Zeitschrift und eine große Zahl der Studenten wandten sich empört gegen die Handlungen des Rektors. Hofstätter erwies sich in dieser Situation nicht nur als unfähig, seine unbestritten phänomenalen Kenntnisse auf dem Gebiete der Psychologie praktisch einzusetzen, d.h. etwa eine klärende Diskussion einzuleiten. Er zeigte auch in der Sache selbst ein fanatisches Verfechten formaler Autorität und einen entsprechenden Mangel an demokratischem Bewußtsein. So sprach er zum Beispiel denjenigen Studenten, die sich gegen ihn gestellt hatten (meistens Angehörige der Geburtsjahrgänge 1935 und älter), die politische Urteilsfähigkeit ab, weil ihnen das Erlebnis einer intakten staatlichen Ordnung nicht zuteil geworden wäre …“113

In der Diskussion um den Psychologen Hofstätter wurde immer wieder die Frage gestellt, ob er eine für die Lehrerausbildung in Hamburg geeignete Person sei. Hofstätter selbst beschäftigte sich und die Öffentlichkeit durchaus mit Fragen der Schulpolitik. So hatte er schon eine Woche nach seinen umstrittenen „ZEIT“-Artikel sich erneut in der „ZEIT“ zu Worte gemeldet: „Was verspricht man sich vom Schulfach Zeitgeschichte?“114 Hofstätter riet darin davon ab, sich mit der jüngeren, gerade zurückliegenden „Zeitgeschichte“ zu beschäftigen und bezeichnete es als „eine Illusion, nämlich die der in aller Form zum Schulpensum erhobenen Bewältigung der Vergangenheit“.115

Im Weiteren schrieb er: „Von allen denkbaren Zeitabschnitten eignen sich dazu aber jeweils die letzten 30 oder 50 Jahre – der Spielraum der Zeitgeschichte also – am schlechtesten.“ Hofstätter forderte „den ruhigen Blick auf historische Ereignisse, an denen wir nicht mehr emotional engagiert sind, die uns also zeitlich genügend fern liegen. So betrachtet, ist für die Franzosen Napoleon heute schon ein legitimer Gegenstand der Geschichte, Hitler ist es für uns Deutsche bestimmt nicht.“116

Das passte durchaus mit der Realität nicht nur an Hamburger Schulen in den 1950er- und 1960er-Jahren zusammen, in denen der Geschichtsunterricht sehr häufig kaum den Ersten Weltkrieg erreichte. Aber darüber wurde offenbar im Kontext der Einführung eines Faches Zeitgeschichte gerade nachgedacht. Hofstätter: „Ich frage mich allerdings, inwieweit es klug ist, das Trauma, das wir Erwachsenen von heute erlitten haben, auch unseren Kindern, die nach 1945 geboren wurden, zu vermitteln. Sind wir selbst schon nicht eben einfallslos in der Betätigung von Abwehrmechanismen – einer davon ist die Phrase der als bewältigbar gedachten Vergangenheit –, so könnte ich unseren Kindern in dieser Hinsicht auch einiges zutrauen. Vielleicht spielen sie eines Tages statt ‚Indianer und Trapper‘ den ‚Warschauer Aufstand‘ … Dann doch lieber ‚Perserkriege‘.“117

Ganz abgesehen davon, das die als launig gemeinten Formulierungen wohl nicht nur auf mich völlig geschmacklos wirken, hier ist auch an der psychologischen Kompetenz des Psychologieprofessors zu zweifeln, der als Student zwar zum 80. Geburtstag von Sigmund Freud ein Fest organisiert, aber offenbar keine Vorstellung davon hatte, wie mit Traumata und Abwehrmechanismen hilfreich umgegangen werden sollte.

Erich Lüth stand auch in Korrespondenz mit dem Philosophieprofessor Karl Jaspers, dem Doktorvater von Hannah Arendt. Jaspers hatte am 2.9.1963 bei Lüth angefragt, ob Hofstätter tatsächlich das gesagt hatte, was die Medien, in diesem Fall auch die „Stuttgarter Zeitung“, am 22. August 1963 berichtet hatte. „Will man in solchem Falle sich öffentlich äußern, ist es wichtig, die Aussagen des Anzugreifenden genau zu kennen.“118

Lüth, der Jaspers anlässlich einer Begegnung in dessen Wohnung nach einem von Lüth gehaltenen Vortrag vor der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Basel kennengelernt hatte, antwortete ausführlich und gab die Aussagen Hofstätter wider. Er schrieb:
„Im weiteren Verlauf der Diskussion wies Herr Hofstätter immer wieder darauf hin, daß durch Prozesse gegen nationalsozialistische Mitwirkende der Judenvernichtung nichts im Sinne einer Bewältigung der Vergangenheit erreicht würde. Im Gegenteil, unbelehrbare Nazis würden in ihrem Trotz nur bestärkt. Auf Vorhaltungen, daß alle Gewaltverbrechen vor das Gericht gehören und nach dem Gesetz abgeurteilt werden müssen, ging Herr Hofstätter nicht ein. Auch weitere Vorhaltungen aus dem Kreise der Diskussionsteilnehmer, daß die Prozesse der historischen Wahrheitsfindung zu dienen hätten, schlug Herr Hofstätter in den Wind. Immer wieder sprach er jedoch von Anhängern des Nationalsozialismus, auf die durch Fortführung der Prozesse keine belehrende oder heilende Wirkung ausgeübt werden könne. Psychotherapeutisch sei das, was man mache, falsch, umso mehr, als auch im Alten Testament grauenhafte Vernichtungsmaßnahmen registriert worden seien, ohne daß die Kirche oder die Synagoge sich von ihnen distanziere.“119 Lüth kannte inzwischen auch Hofstätters Aufsatz in der Zeitschrift „Deutschlands Erneuerung“ aus dem Jahre 1941, aus dem er für Jaspers zitierte.

Jaspers antwortete darauf:
„Was die Sache betrifft, so bin ich natürlich durchaus Ihrer Ansicht. Nur würde ich in der öffentlichen Diskussion trennen die Person (etwa den Ausdruck ‚Wirrkopf‘ meiden) von den Ungeheuerlichkeiten, in deren gedanklichen Entfaltung der Mann sich verfangen hat. Für diese hat er einzustehen.“ Er schrieb aber auch: „Trotzdem bin ich besorgt wegen der verborgenen Instinkte und wegen der Unklarheit der Gefühle in breiten Kreisen.“120

Am 17.9.1963, nachdem ihm Erich Lüth noch einiges Material gesandt hatte, stellte Karl Jaspers fest:
„Es ist erschreckend, was Sie mir mitteilen: dass junge Menschen, gar Teilnehmer eines christlichen Vereins, sich schon gegen die Fortsetzung der Kriegsverbrecherprozesse erklären. Hofstätter ist, wie mir deutlich wird, nur ein Anlass. Die Sache selber ist für uns Deutsche von allergrößter Bedeutung. Es sieht doch so aus, dass die Sache jetzt grundsätzlich durchgekämpft werden muss, geistig in der Publizität, in Bezug auf Hofstätter als Symptom, wie sich Universität und Staat in einem solchen Falle verhalten. Die Sache ist nach dem Gefühl sehr vieler Menschen ohne weiteres klar. Aber es scheint nicht einfach, sie deutlich zu formulieren. Das habe ich daran gemerkt, dass Hofstätter mich als Zeuge für sich genannt hat und die Soldatenzeitung das wiederholt. Man sieht, welche fast unbegreifliche Verdrehungen möglich sind, wenn Menschen nicht mehr denken.“121

Zwischenzeitlich hatte sich auch der Hamburger GEW-Vorsitzende, Wolfgang Neckel, der ebenfalls bei der Veranstaltung mit Hofstätter anwesend gewesen war, an Lüth gewandt und festgestellt, „daß gerade die Arroganz und die Nonchalance Herrn Prof. Hofstätter für mich als betrübliches Ergebnis der damaligen Aussprache in Erinnerung geblieben sind“.122

Inzwischen hatte sich Bürgermeister Paul Nevermann zu dem Fall geäußert und erklärt, er würde disziplinarrechtlich untersucht. Für die Vorermittlungen wurde Landgerichtspräsident Dr. Clemens beauftragt.123

Bevor ich auf das disziplinarrechtliche Untersuchungsverfahren eingehe, noch ein paar Sätze zu Erich Lüth. Erich Lüth, geboren am 1.2.1902 in Hamburg, war Schüler der Oberrealschule Eppendorf gewesen und begann 1923 als Volontär der Hamburger Redaktion des Ullstein-Verlags seine Ausbildung. Anschließend arbeitete er als Redakteur beim „Hamburger Anzeiger“, war Vorsitzender der Hamburger Jungdemokraten, seit 1928 für die DDP Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft. Parallel dazu gehörte er der Deutschen Friedensgesellschaft an und war in seiner Partei Teil des linken, pazifistischen Flügels, 1930 trat er aus der DDP aus. 1932 schrieb er einen Artikel, indem er die falsche Heldenverehrung Adolf Hitlers anprangerte, was zur Gestapo-Verhaftung seines Bruders führte, weil auf dessen Schreibmaschine der Artikel geschrieben worden war. 1950 machte Erich Lüth deutschlandweit Furore, als er schon „Staatsjournalist“ war, wie er später selber sagte. Der „SPIEGEL“ schrieb dazu in einem Nachruf zwei Wochen nach seinem Tod: „Weltweite Schlagzeilen machte der streitbare Publizist nach dem Krieg, als er das Come-back des NS-Filmers Veit Harlan in der Bundesrepublik verhinderte. Der Regisseur des Hetzfilms ‚Jud Süß‘ versuchte 1950, sich mit dem Streifen ‚Unsterbliche Geliebte‘ neu zu etablieren – Lüth protestierte und rief zum Boykott auf. Produzent und Verleihfirma verklagten den Hamburger Senatsdirektor, und ein Landgericht verurteilte Lüth wegen ‚sittenwidriger Aufforderung zum Boykott‘. Fast ein Jahrzehnt kämpfte Lüth gegen diesen Spruch an und erhielt erst beim Bundesverfassungsgericht recht: die freie Meinungsäußerung, so entschieden die Karlsruher Richter in ihrem ‚Lüth-Urteil‘, habe Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen einzelner. Der Staat Israel benannte in Jerusalem einen Wald nach Erich Lüth, der nach dem Krieg auch für die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen kämpfte.“124

Am 21.11.1963 gab Erich Lüth für die staatliche Pressestelle Hamburg unter der Überschrift: „Senat missbilligt das Verhalten Prof. Hofstätters“ das Schreiben von Senator Drexelius wieder, das er im Namen des Senats an Peter Hofstätter gerichtet hatte. Darin hieß es:
„Nach dem Ergebnis der gegen Sie durchgeführten Vorermittlungen hat der Senat das Verfahren gegen Sie (…) eingestellt, da er eine Disziplinarstrafe nicht für angezeigt hält. Er hat von einer Disziplinarstrafe trotz Ihrer Entgleisung gegenüber dem Teilnehmer an der Diskussion vom 19. Juli 1963, Arie Goral, und trotz Ihres allgemeinen Verhaltens in dieser Diskussion abgesehen, da ihm eine rein juristische Reaktion auf zwei begrenzte Sachverhalte nicht dem besonderen Charakter Ihres Verhaltens adäquat zu sein scheint. Wenn der Senat nicht nur Ihr Verhalten auf dem Diskussionsabend am 19. Juli, sondern die ganze Art kritisiert, in der Sie in den letzten Monaten besonders brennende Fragen unseres politischen Zusammenlebens behandelt haben, geschieht das in voller Respektierung der verfassungsrechtlich garantierten Lehr- und Meinungsfreiheit. Diese Verfassungsbestimmung schützt wertvolle Rechtsgüter. Sie befreit aber gerade einen Hochschullehrer nicht von der Verpflichtung abgewogener, taktvoller und fundierter Behandlung von Problemen. Das gilt insbesondere für Fragestellungen, die nicht auf eine rein wissenschaftliche Erörterung beschränkt bleiben, sondern das persönliche Schicksal breiter Bevölkerungskreise berühren und die in der Öffentlichkeit behandelt werden. Der Senat muß leider feststellen, daß Sie durch Ihr Verhalten diesen Anforderungen nicht gerecht geworden sind und damit auch dem Ansehen der Universität geschadet haben. Der Senat hat mich beauftragt, Ihnen deshalb eine Mißbilligung auszusprechen. Der Senat befindet sich dabei in Übereinstimmung mit maßgebenden Vertretern der akademischen Selbstverwaltung unserer Universität und auch der politisch interessierten Öffentlichkeit, wie die vielen Reaktionen auf Ihre mündlichen und schriftlichen Äußerungen gezeigt haben. Es darf der Erwartung Ausdruck gegeben werden, daß Sie sich künftig in ihren Äußerungen und ihrem Auftreten größere Zurückhaltung auferlegen werden.“125

Landgerichtspräsident Dr. Clemens hatte seit dem 13.9.1963 disziplinarrechtliche Vorermittlungen durchgeführt, beginnend mit einer ausführlichen Vernehmung von Peter Hofstätter und anschließend einer Reihe von Zeugen. Allein die Zeugenaussagen sind auf mehr als 50 Seiten dokumentiert. Am 14. Oktober 1963 legte Clemens seine Bewertung der durchgeführten Vorermittlungen vor, die einerseits das Ergebnis hatte, sich gegen ein Disziplinarverfahren auszusprechen und andererseits zum Teil vernichtende Aussagen über den Charakter und die Professionalität von Prof. Peter R. Hofstätter enthielt. So schrieb Clemens zu Hofstätters Artikel „Bewältigte Vergangenheit?“:

„So abwegig es nach meiner Meinung auch ist, eine Amnestie für diejenigen zu fordern, die an den Vernichtungsaktionen des nationalsozialistischen Regimes teilgenommen haben, so wird man es doch angesichts des verfassungsmäßig garantierten Grundrechts der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) einem Beamten nicht als Pflichtwidrigkeit anrechnen können, daß er diese Forderung vertritt. Das dürfte umso mehr gelten, als der Justizminister des Landes Niedersachsen, Dr. Avid von Nottbeck, in einem Rundschreiben an die Justizminister und -senatoren der übrigen deutschen Länder und an den Justizminister Anfang dieses Jahres den Gedanken einer Amnestie verfochten hat.“126

Zu Hofstätters Forderung nach einer Generalamnestie schrieb Clemens:
„Eine andere Frage ist, ob die Befürwortung einer Amnestie für die furchtbarsten Verbrechen der deutschen Geschichte durch Hofstätter deshalb, weil sie in einer weit verbreiteten und vielgelesenen Wochenzeitung erfolgt ist, als Dienstvergehen zu werten ist. Das mußte, wie für jedermann, jedenfalls für einen Hochschullehrer, vorauszusehen war, zwangsläufig in weiten Kreisen, insbesondere bei den noch lebenden Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes und den Hinterbliebenen der Ermordeten, auf entschiedene Ablehnung stoßen und in der Presse und bei den Regierungen ausländischer Staaten für die Bundesrepublik Deutschland ungünstige politische Reaktionen auslösen. Es wäre daher zweifellos verantwortungsbewußter und taktvoller gewesen, den Gedanken einer Amnestie nur in privatem Kreis zu erörtern oder in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zur Diskussion zu stellen. Da jedoch Art.5GG jedermann – für Beamte sind insoweit keine Einschränkungen ersichtlich – das Recht gibt, seine Meinung zu verbreiten, kann meines Erachtens die unglückliche Erörterung des mehr als heiklen Problems einer Amnestie in einer Wochenzeitung nicht als Dienstvergehen gewertet werden.“127

In seiner Bewertung dieses Artikels war Clemens mehr als deutlich:
„Hofstätter behandelt in diesem Artikel das komplexe Problem der unbewältigten Vergangenheit höchst oberflächlich und unwissenschaftlich, ja journalistisch im schlechten Sinne. Er offenbart auch durch die Art der Behandlung einen erschreckenden Mangel an politischem Instinkt, zumal er jede Auseinandersetzung mit den auf der Hand liegenden Gegenargumenten vermissen läßt und eine klare Distanzierung von den Verbrechen des NS-Regimes unterläßt.“128

Hofstätters Einlassungen bei der Diskussionsveranstaltung am 19. Juli 1963 wertete Clemens „anders und ernster“. Clemens bedauerte, dass die Diskussion nicht auf Tonband aufgenommen oder mitstenographiert worden war, so dass es widersprüchliche Angaben über das tatsächlich Gesagte gegeben hatte. „Wenn Hofstätter, wie man nach einigen Presseverlautbarungen über die Diskussion annehmen musste, die von ihm in die Debatte geworfene These, die Tötungen der Juden seien zumindest ab 1939 Kriegshandlungen gewesen (mit der logischen Folge ihrer objektiven Rechtmäßigkeit), als eigene Auffassung vertreten hätte, so wäre darin zweifellos ein ungewöhnlich schweres Dienstvergehen zu erblicken, das meines Erachtens mit der schärfsten Disziplinarstrafe, der Entlassung aus dem Dienst, geahndet werden müßte. Das ist jedoch nicht nur als nicht erwiesen, sondern als widerlegt anzusehen. Zwar scheint Hofstätter sich, als er diese These in die Debatte warf, unverständlicher- und bedauerlicherweise so wenig klar ausgedrückt zu haben, daß wenigstens einige Diskussionsteilnehmer zunächst meinten, er wolle die These als eigene verfechten. Indessen kann aufgrund mehrerer Zeugenaussagen, an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln kein Anlaß besteht, die sichere Feststellung getroffen werden, daß Hofstätter im Laufe der weiteren Diskussion die Frage eines Diskussionsteilnehmers, ob er sich die These vom Kriegszustand zwischen Hitler und den Juden zu eigen machen wolle, klar verneint und dadurch eindeutig zu erkennen gegeben hat, daß er lediglich hatte zum Ausdruck bringen wollen, daß nach seiner Meinung Hitler der Auffassung gewesen sei, die Vernichtung der Juden sei eine Kriegshandlung gewesen.“129

Die Haltung Hofstätters bei dieser Diskussionsveranstaltung sei laut Clemens aber nicht zu billigen gewesen. Dass er „den Zeugen Goral mit ‚Quatschkopf‘ tituliert hat“ bezeichnete Clemens als „ein zumindest fahrlässiges Dienstvergehen“. Und: „Das Gesamtverhalten Hofstätters in der Diskussion vom 19. Juli 1963 war mehr als unerfreulich. Er hat sich nicht nur, wie er selbst zugibt, bisweilen eines absichtlich kühlen Tones befleißigt, sondern sich nach den glaubhaften Aussagen sämtlicher Zeugen (…) hochmütig und arrogant, widerspruchsvoll, taktlos und zynisch verhalten, hat keinerlei Verständnis für die vom nationalsozialistischen Regime Verfolgten gezeigt und ist aalglatt klaren Stellungnahmen ausgewichen. Als besonders bedenklich ist eine zynische Bemerkung: ‚Es war halt Krieg, da gehen halt welche drauf‘, vor zumindest einem verfolgten des Naziregimes (Goral) und Studenten anzusehen.“ Clemens stellte fest, „daß Hofstätter, der nach seinem durch die Zeugenaussagen bewiesenen Verhalten und dem Eindruck, den er bei seinen Vernehmungen durch mich hinterlassen hat, zwar ungewöhnlich (abstrakt) intelligent, aber nicht klug, geltungsbedürftig und überheblich ist und menschliche Wärme, politischen Instinkt und Takt vermissen lässt, sich möglicher-, ja wahrscheinlicher Weise des provozierenden Charakters seines Verhaltens nicht bewusst gewesen ist.“130

Auch das Interview für die „Deutsche National- und Soldaten Zeitung“ und den „SPIEGEL“ könnten, laut Clemens, nicht als Dienstvergehen gewertet werden, es beweise aber „angesichts des allgemein bekannten rechtsradikalen, wenn nicht neonazistischen Charakter dieses Blattes erneut, daß es ihm an politischem Instinkt völlig mangelt. Aber weder dieser Mangel noch die zum Teil völlig abwegigen Ansichten, die Hofstätter in dem Interview vertreten hat, dürften als Dienstvergehen gewertet werden können. Gleiches gelte für das „SPIEGEL“-Interview, vor dem ihn, laut Clemens, „insbesondere der Rektor der Universität dringend (...) gewarnt hatte“. Für Clemens war die Bereitschaft für das „nicht gerade günstig verlaufende Interview mit zahlreichen – zumindest äußerst bedenklichen – Erklärungen wohl nur aus seinem starken Geltungsbedürfnis zu erklären“.131

Zwar gab es kein Disziplinarverfahren, sondern lediglich eine schriftliche Missbilligung für Hofstätters Personalakte – aber welch desaströse Gesamtbeurteilung von Hofstätters Aktivitäten. Er konnte froh sein, dass diese den Senat „vertraulich und verschlossen“ erreichte und nie veröffentlicht wurde.

Während der Vernehmung gab es noch ein paar Informationen, die bisher nicht bekannt gewesen waren. Hofstätter war von Landgerichtspräsident Clemens auf seinen Aufsatz „Die Krise der Psychologie“ im November Heft 1941 der Zeitschrift „Deutschlands Erneuerung“ angesprochen worden und hatte dazu erklärt: „Etwa im Jahre 1961 hat einer meiner ‚wohlmeinenden‘ Kollegen nicht nur dieses Zitat („Ich bin aber der Meinung, daß die Psychologie dazu berufen ist, an die Stelle der konfessionellen Seelsorge zu treten … Es ist bestes deutsches Brauchtum, daß die Seelsorge Vorrecht und Verpflichtung des Führers ist.“), sondern den gesamten Aufsatz ‚Die Krise der Psychologie‘ zum Gegenstand einer Agitation gegen mich gemacht. Diese sollte offenbar darauf abzielen, mich zum Nationalsozialisten abzustempeln. Ich habe nach dieser Tagung den Artikel, von dem ich noch einen Sonderdruck besitze, im hiesigen Institut in Umlauf gebracht mit folgendem Beischreiben: ‚Gelegentlich der Frankfurter Tagung ist, wie ich höre, auf einen älteren Aufsatz von mir hingewiesen worden. Ich glaube, diesen meinen Mitarbeitern nicht vorenthalten zu sollen, da er in der Tat Wendungen enthält, die heute nicht anders als peinlich wirken können. Ich bitte aber zu bedenken, daß der Aufsatz während des Krieges (1941) geschrieben und veröffentlicht wurde, und daß damals der Fortbestand der deutschen Psychologie ernstlich gefährdet schien.‘“132

Bei der Vernehmung durch Dr. Clemens gab Hofstätter noch einen weiteren Grund für den „damals üblichen nationalsozialistischen Jargon“ an. Er habe die Befürchtung gehabt, dass nach dem 1939 verabschiedeten „Heilpraktiker-Gesetz“ die Behandlung von psychischen Leiden nur noch Ärzten und Heilpraktikern gestattet würde und Psychologen dabei völlig ausgeschaltet wären. „Ich bezweckte mit meinem Aufsatz, auch der Psychologie die Betätigungsmöglichkeit auf diesem Gebiet zu eröffnen. Es handelt sich, soweit ich nationalsozialistischen Jargon verwendet habe, um eine captatio benevolentiae, gerichtet an die Adresse des damaligen Staates, der nur in seinem eigenen Jargon irgendwie ansprechbar war.“133 Er hatte mit dem Artikel also den „guten Willen“ der Nationalsozialisten ansprechen wollen, wohl auch für seine eigene Hochschullehrerkarriere.

Auch mit Prof. Curt Bondy führte Dr. Clemens am 1.10.1963 ein Gespräch, in dem dieser einige wichtige Anmerkungen machte:

„Ich habe Hofstätter erstmalig etwa im Jahre 1955 in Washington D.C. persönlich kennengelernt. Er war damals Psychologieprofessor an der Catholic University in Washington. Wissenschaftlich kannte ich ihn bereits erheblich früher. Soweit meine Erinnerung reicht, habe ich erstmalig Wissenschaftliches von ihm nach dem letzten Weltkrieg gelesen. Ich gewann in den Jahren nachdem wir uns in Washington kennengelernt hatten, immer mehr die Überzeugung, dass Hofstätter der tüchtigste deutsche Psychologe sei, zumal der psychologische Nachwuchs in Deutschland während des ‚Dritten Reiches‘ außerordentlich spärlich gewesen war und Hofstätter den großen Vorzug hatte, eine profunde Kenntnis der amerikanischen Psychologie zu besitzen. Auf meine Anregung hin wurde Hofstätter vor etwa vier Jahren auf das hiesige Ordinariat für Psychologie berufen.“134

Zu dem von Hofstätter verfassten Artikel „Bewältigte Vergangenheit?“ erklärte Curt Bondy, er sei damit „zwar nicht einverstanden, hielte es aber im Rahmen der verfassungsmäßig garantierten Meinungsfreiheit für durchaus zulässig, sich auch publizistisch mit derartig heiklen Problemen wie dem der ‚unbewältigten Vergangenheit‘ zu befassen. Ich hätte allerdings gewünscht, daß der Verfasser, bevor er zur Feder griff, sich eingehender mit den behandelten Problemen befaßt hätte.“135 Auch zum zweiten Artikel Hofstätters in der „ZEIT“ zum Thema „Zeitgeschichte“ erklärte Bondy, „war und bin ich nicht einverstanden“.136 Und weiter:
„Richtig ist allerdings, daß Hofstätter in seinem 1941 erschienenen Aufsatz über ‚Die Krise der Physiologie‘ in unschöner Weise sich des nationalsozialistischen Jargons bedient und zumindest einen antisemitischen Satz hat einfließen lassen. Ich glaube jedoch nicht, daß sich daraus auf eine innere antisemitische und nationalsozialistische Einstellung schließen läßt, und zwar um so weniger, als er im Jahre 1961 diesen Aufsatz aus eigenem Antrieb seinen sämtlichen Mitarbeitern im Psychologischen Institut mit einer kleinen Notiz zur Kenntnis gebracht hat, in der er selbst zugibt, daß dieser Aufsatz Wendungen enthält, die heute nicht anders als peinlich wirken können. Vorher war mir der Artikel nicht bekannt. Auch wenn er mir vorher bekannt gewesen wäre, hätte mich das nicht davon abgehalten, die Berufung Hofstätters nach Hamburg anzuregen; denn zugunsten von Herrn Hofstätter muß mildernd berücksichtigt werden, daß er bei Abfassung des Artikels 28 Jahre alt war und seinerzeit immer noch um die Erteilung der venia legendi kämpfte.“137

Abschließend erklärte Curt Bondy:
„Ich muss allerdings feststellen, daß ich es für durchaus falsch hielt und halte, daß Hofstätter sich auf eine Korrespondenz und auf ein Interview mit der deutschen National- und Soldaten-Zeitung eingelassen hat. Wenn ich auch meine, daß Hofstätter in seinem eigenen Interesse sich größerer Zurückhaltung bei der Abgabe von Erklärungen (…) hätte befleißigen können, so sehe ich doch keinen Grund, die bisherige gedeihliche Zusammenarbeit im Psychologischen Institut der Universität nicht fortzusetzen oder einzuschränken. Dazu sehe ich mich umso weniger veranlaßt, als ich auch jetzt noch der festen Überzeugung bin, daß die bedauerlichen Vorfälle keinesfalls den Beweis dafür erbracht haben, daß Hofstätter Antisemit oder Nationalsozialist ist.“138

Auch die von Arie Goral und Walter Hähnel eingereichte Strafanzeige vom 26.7.1963 „wegen Verunglimpfung und Verleumdung der Opfer des Nationalsozialismus“ blieb erfolglos. Der leitende Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht Hamburg, Dr. Christian Koch, begründete: „Ihre Anzeige bietet keine zureichenden Anhaltspunkte für den Verdacht einer strafbaren Handlung und gibt mir daher keinen genügenden Anlaß zu einem Strafverfahren gegen den Beschuldigten.“ Der zentrale Satz in seiner Begründung lautete:
„Wenn er – als juristischer Laie – die Meinung vertritt, die im Kriege von Uniformierten zwecks Ausrottung des ‚jüdischen Feindes‘ begangene massenhafte Tötung von Juden sei als ‚Kriegshandlung‘ und daher nicht als ‚Mord‘ im juristischen Sinne zu werten, und wenn er – insoweit als psychologischer Fachmann – die strafgerichtliche Verfolgung der Täter für psychotherapeutisch unzweckmäßig erklärt, so bedeutet das noch nicht, daß er jenes massenhafte Umbringen jüdischer Menschen gutheißt, ihm zustimmt und sich damit moralisch hinter die Täter stellt.“139

Oberstaatsanwalt Koch kam zu dem Schluss:
„Die Ausführungen des Beschuldigten sind so, wie sie von Ihnen wiedergegeben werden, sicher geeignet, Befremden zu erregen und Widerspruch zu provozieren, besonders bei den überlebenden Opfern des NS-Regimes und den Hinterbliebenen der toten; strafbar sind sie nicht. Ihre Beantwortung ist daher nicht Aufgabe der Strafjustiz, sondern wäre allenfalls Sache der einschlägigen Publizistik.“140

Die „einschlägige Publizistik“ in Person der Wissenschaftlerin Regina Schmidt, Mitarbeiterin des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt, das von den Professoren Horkheimer und Adorno geleitet wurde, schrieb 1963 einen Offenen Brief an Prof. Hofstätter.141

Sie zitierte darin aus der Rede des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, die er 1961 unter dem Titel „Das Problem der Schuld im Strafprozeß mit politischem Hintergrund“ in Loccum gehalten hatte „und in der er ausdrücklich darauf hinweist, daß die nationalsozialistischen Verbrecher sehr wohl zur Verantwortung zu ziehen seien, weil zwar der einzelne die Vernichtung von Millionen Menschen nicht aufhalten konnte, er dem totalitären Staat seinen Anteil an dieser Vernichtung aber versagen konnte. Keiner wurde im Nationalsozialismus gezwungen, Karriere zu machen und Machtpositionen zu übernehmen. Dazu gab es – nach Bauer – genügend Bereitwillige.“142

Regina Schmidt schrieb weiter: „Und auch Jaspers, den Sie für Ihre Forderung nach Generalamnestie in Anspruch nehmen, sagte eindeutig in seinem Interview, das kurz nach Beginn des Eichmann-Prozesses veröffentlicht wurde: ‚Niemand leugnet, daß im Fall Eichmann ein Verbrechen vorliegt. Jeder Staat, jeder Mensch, der öffentlich dazu das Wort ergreift, anerkennt den verbrecherischen Charakter der Taten, um die es in diesem Prozeß geht.‘ Der unlösbare Konflikt, daß das Ausmaß der Taten jede gerechte Linie durch eine Urteilsfindung ausschließt, verführt Jaspers jedoch nicht dazu, der Schwierigkeit elegant aus dem Wege zu gehen und mit großmütiger Geste, die allenfalls den Opfern anstünde, Generalamnestie für diese Verbrecher zu fordern. Im Gegenteil: er schlägt vor, die Schuldigen durch internationale Gerichte – eine ‚Menscheninstanz‘ – aburteilen zu lassen.“143

Interessant auch die Ergebnisse einer Umfrage, die das Institut für Sozialforschung in Frankfurt zur Zeit des Eichmann-Prozesses an einer nach dem Zufallsprinzip ausgewählten repräsentativen Stichprobe der erwachsenen Bevölkerung der Bundesrepublik und Westberlin durchgeführt hatte:
„Die Mehrheit der Bevölkerung beurteilt den Prozeß insofern positiv, als man entweder Israel das Recht zuerkennt, den Prozeß zu führen, oder dafür plädiert, die Bundesrepublik hätte Eichmann aburteilen sollen, um ihre Abwendung von der Vergangenheit zu dokumentieren (53%). Weitere 15% lehnen nicht den Prozeß als solchen ab, fordern vielmehr als Ort der Urteilsfindung Deutschland, weil sie eine Propaganda-Hetze von Seiten Israels befürchten. Nur 15% sprechen sich eindeutig dagegen aus, vergangene Dinge wieder aufzurühren.“144

Auch Peter Hofstätter befasste sich in seiner „Selbstdarstellung“, 1992, mit dieser Zeit, „Der ‚Fall‘“ war dieses Kapitel überschrieben:
„Die Sozialpsychologie als bloßen Elfenbeinturm zu betrachten, ist mir nie eingefallen. Da jedoch wissenschaftliche Arbeiten von politischen Stellungnahmen freigehalten werden müssen, ging ich gern auf das Angebot einzelner Redakteure des Rundfunks und der Presse ein, mich gelegentlich in diesen Medien mit Tagesfragen zu beschäftigen. Nachdem die ‚Zeit‘ einige Artikel von mir gebracht hatte, geriet ich im Juni 1963 mit einem Aufsatz über den Begriff der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ ernsthaft ins Gedränge. In meinen Augen ist die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches selbstverständlich dazu verpflichtet, für die von diesem angerichteten Schäden zu haften und daher so gut wie möglich Wiedergutmachung zu leisten. Auf der gleichen Basis erschien es mir aber als unmöglich, daß sie Einzelpersonen wie kriminelle Einzeltäter behandelt, die ohne Regierungsverantwortung im Dienste und mit Wissen der Reichsregierung in den von dieser eigens errichteten Lagern Untaten begangen haben. Die Siegermächte hätten die Täter verurteilen können, auch Ausschreitungen des rächenden Volkszorns, wie beispielsweise in Frankreich und in Italien, wären zu verstehen gewesen. Aber die Rechtsnachfolgerin kann im Interesse ihrer eigenen Respektabilität nicht so tun, als ob die bis zum Kriegsende international anerkannte Regierung, zu der auch die Kriegsgegner keine Exilregierung eingesetzt hatten, eine Räuberbande mit Phantasieuniformen gewesen wäre, deren sämtliche Anweisungen und Maßnahmen deshalb einer die Staatsbürger verpflichtenden Rechtsgrundlage entbehrten. Da auch der Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch Soldaten im Effekt grausam und unmenschlich ist, wären auch diese Soldaten Kriminelle, wenn man die Legitimation der ihren Einsatz befehlenden Regierung nicht anerkennt und – wie beim deutschen Einmarsch in Polen und in der Sowjetunion – noch kein Kriegszustand besteht. Obwohl ich die Scheußlichkeiten, wie sie in den Konzentrationslagern geschehen sind, durchaus nicht entschuldigen wollte und obwohl ich für die Täter, von denen ich keinen persönlich kannte, nicht die geringste Sympathie hegte, schien mir eine Generalamnestie geboten, wie sie Frankreich nach dem Algerienkrieg de jure und die Sowjetunion nach der Entstalinisierung de facto praktizierten.“145

Die Verbitterung schien in den Erinnerungen 30 Jahre später noch durch: „Wenig später und nachdem ich in einer überaus hitzigen Diskussion jemanden einen ‚Quatschkopf‘ genannt hatte, war ich der ‚Fall Hofstätter‘, den Hamburgs Erster Bürgermeister auf der Kopfleiste des Parteiblattes für ‚untragbar‘ erklärte, und von dem viele Kollegen umso schneller abrückten, je mehr sie sich selbst mit der NSDAP und deren Gliederungen – zum Beispiel als höhere HJ-Führer – eingelassen hatten.“146

Mit dem „höheren HJ-Führer“ meinte Hofstätter den neuen Rektor der Universität, Prof. Rudolf Sieverts, der am 12.11.1963 bei der feierlichen Rektoratsübergabe im Auditorium Maximum der Universität in seiner Rede ausführlich auf den Fall Hofstätter eingegangen war. Sieverts hatte, ohne Hofstätter namentlich zu nennen, darauf hingewiesen, dass dieser Fall hohe Wellen im In- und Ausland geschlagen hatte und er immer wieder genötigt gewesen wäre, Erklärungen darüber abzugeben, dass es an der Universität Hamburg keinen Antisemitismus geben würde. Auf den konkreten Fall bezogen, hatte er unter anderem gesagt:
„Ich hätte aber die begründete Hoffnung, daß sich dabei die Behauptung einiger Ohren- und Augenzeugen, der betreffende Kollege habe mit seinen Äußerungen die Verbrechen der nationalsozialistischen Funktionäre verharmlosen oder gar als Kriegsrecht rechtfertigen wollen, als Mißverständnis herausstellen werde. Ein Mißverständnis, zu dem er bei seinen aus dem Stehgreif einer Diskussion erfolgten Darlegungen allerdings wohl selbst durch einige mißdeutbare Formulierungen und durch das Verfehlen des dem erschütternden Ernst des Gegenstandes angemessenen Tones sehr beigetragen habe. (…) Der von dem Kollegen als seine ganz private Ansicht durch Zeitungsartikel und Interviews in der Presse, Rundfunk und Fernsehen unterbreitete Vorschlag, ob man nicht eine Generalamnestie für diese Verbrechen erwägen solle, wenn über die Täter das Strafurteil rechtskräftig gefällt sei, findet bei seinen Hochschulkollegen und bei den Studenten keinen Anklang. Denn für Jeden, der, wenn auch nur aus der Gerichtsberichterstattung der Presse über die Strafprozesse gegen jene Täter, die nicht nur in ihrer Massenhaftigkeit zu Tage getretene Ungeheuerlichkeit ihrer Taten zur Kenntnis genommen hat, ist dieser Gedanke nicht weiter verfolgbar.“147

Rudolf Sieverts, 1903 in Meißen geboren, seit 1934 Professor für Strafrecht, Kriminologie und Jugendrecht an der Universität Hamburg, war tatsächlich während der NS-Zeit höherer HJ-Funktionär, als Bannführer, gewesen, hatte der Kolonialärztlichen Akademie der NSDAP angehört, war nach dem Krieg bis 1946 im Internierungslager Neuengamme interniert worden.148 Er wurde, aus meiner Sicht schwer nachvollziehbar, ohne große Probleme entnazifiziert, blieb Jura-Professor an der Universität Hamburg und war dann von 1961 bis 1963 Rektor der Universität Hamburg und von 1964 bis 1967 Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz. Dass Hofstätter Sieverts NS-Verstrickung, im Vergleich zu seiner eigenen Biografie, als gravierender ansah, ist ohne Weiteres nachvollziehbar. Was Hofstätter vermutlich zusätzlich erboste, war die gefühlte Distanzierung durch Sieverts, der bei seiner Vernehmung durch Dr. Clemens am 25.9.1963 erklärt hatte, Hofstätter erst aus Anlass der „hier infrage stehenden Vorgänge kennengelernt“ zu haben. Hofstätter gab dazu am 9.10.1963 die Erklärung ab, dass er Prof. Sieverts bereits „im Juni oder Juli 1960 kennengelernt“ hatte. „Damals fand in seiner Wohnung in Rissen über die bevorstehende Rektoratswahl eine Unterhaltung statt, an der auch die Professoren Bondy und Wenke teilgenommen haben. Dabei sind wir von Frau Sieverts in freundlicher Weise bewirtet worden.“149 In Streitsituationen werden manchmal Netzwerke unverhofft offengelegt.

Peter Hofstätter bot in seinen Erinnerungen einen Einblick in seine seelische Verfassung, die überrascht. Er schrieb: „Ich war 50 Jahre alt, verletzt und menschlich sehr einsam. Zunächst verordnete ich mir eine Opern-Kur mit womöglich nicht weniger als drei Aufführungen pro Woche. So gut das tat, war mir doch klar, daß mein Leben einen kritischen Wendepunkt erreicht hatte. Wenige Monate nach meiner sogenannten ‚Rehabilitierung‘ trafen wir einander wieder, meine zweite Frau und ich – noch einmal: Gott sei Dank! – obwohl mein Horoskop fast recht zu behalten schien, als der Scheidung ein letztlich aussichtsloser Kampf um den Kontakt mit meinen vier Töchtern aus erster Ehe folgte.“150

Wenn Peter Hofstätter offenbar aus der Krise Konsequenzen für sein persönliches Leben zog, an seinem Verhalten an der Universität änderte sich nichts.

Als am 8.11.1967 wieder ein Rektorenwechsel an der Universität Hamburg stattfinden sollte, gab es im Auditorium Maximum eine spektakuläre Studentenaktion:
„Auf der großen Bühne spielte das Universitätsorchester eine Bach-Ouvertüre, während die im Talar gekleideten Professoren gemessenen Schrittes in den Saal einzogen: gemeinsam an ihrer Spitze der bisherige Rektor, der Mediziner Karl-Heinz Schäfer, und sein Amtsnachfolger, der Ökonom Werner Ehrlicher. Als sich zwei Studenten, unvermutet wie ungehindert, vor diesen Zug setzten und ein Transparent mit der Aufschrift ‚Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren‘ entrollten, konnten die dahinter zur Bühne schreitenden Professoren jenen dann bald bekanntesten Slogan der westdeutschen Studentenbewegung nicht lesen – und wurden insofern buchstäblich vor-geführt. Das Foto, das diese Situation dokumentiert, ging durch die Medien und wird seither, vielfach reproduziert, als Symbol verstanden: für eine Zeitenwende an den deutschen Universitäten Ende der 1960er-Jahre – und für die ‚68er-Bewegung‘ schlechthin.“151 Die meisten Ordinarien empfanden das studentische Verhalten als „respektlose Entgleisung und geradezu als persönliche Kränkung“. Bei ihrem Auszug aus dem Audimax fiel von einem zunächst nicht identifizierten Professor der erregte Ausspruch: „Ihr gehört alle ins KZ!“152

Während die Studenten für ein modernes Hochschulgesetz mit angemessenen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Studentenschaft streiten wollten, wurde zugleich nach dem nicht identifizierten Ordinarius gefahndet. Am 14. November 1967 „erklärte Prof. Bertold Spuler, Direktor des Seminars für Geschichte und Kultur des vorderen Orients in einem Brief an den Schulsenator, er sei es gewesen, der sich ‚in der Erregung‘ zu diesem Zuruf an ‚die randalierenden Studenten‘ habe ‚verleiten‘ lassen. Zugleich beantragte der als erzkonservativ bekannte Spuler ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, das bis April 1968 dauerte. Seine Äußerung wurde schließlich vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg mit einem Verweis förmlich bestraft: Spulers Entgleisung habe das Ansehen der Beamtenschaft und speziell der Hochschullehrer an der Universität Hamburg in der Öffentlichkeit schwer geschädigt; sein Ausruf aber sei, so der Abschlussbericht, nicht als Ausdruck nationalsozialistischer Gesinnung anzusehen.“153

Prof. Rudolf Sieverts hatte eine Ehrenerklärung für Spuler abgegeben und warb zudem für Verständnis mit der Erklärung: „Vielen Kollegen ist am 9. November 1967 eine Welt zusammengestürzt, deren Verläßlichkeit ihnen bis dahin selbstverständlich war. Es wäre sonderbar gewesen, wenn in diesem psychischen Ausnahmezustand spontane, empörte Äußerungen aus dem Kreis meiner Kollegen ganz unterblieben wären. Ich habe selbst gehört, daß einer der bedeutendsten Gelehrten unserer Universität beim Auszug der Professoren den Studenten zurief: ‚Ihr gehört alle totgeschossen‘.“154

Beim Disziplinarverfahren war übrigens herausgekommen, das Bertold Spuler von 1929 bis 1930 dem NS-Schülerbund angehört hatte, 1933 in die SA eingetreten war und von 1937 bis 1945 Mitglied der NSDAP gewesen war, zeitweilig als Blockleiter tätig. „Alle Mitgliedschaften, so Spuler, sei er nur aus beruflichen und wirtschaftlichen Gründen eingegangen; dem Nationalsozialismus, bestätigten Zeugen, sei er ‚innerlich nicht verhaftet gewesen‘.“155

Der „SPIEGEL“ berichtete unter der Überschrift „Muff im Talar“ von dem Fall und zitierte Spulers Assistenten Werner Ende: „Wenn eine konservative Grundhaltung wie die Spulers schon einen Mann disqualifiziert, könnte man die ganze Universität dichtmachen.“156

Peter Hofstätter war selbst als Ordinarius an dieser Veranstaltung beteiligt. Er versuchte, seinen Kollegen Spuler zu entlasten. „Hofstätter sagte aus, er habe auf dem Podium neben Spuler gesessen und sei beim Auszug neben ihm gegangen. Beide seien empört gewesen über die Studenten und Ausrufe wie ‚Es lebe die Kulturrevolution!‘. Beim Hinausgehen sei zwischen ihnen die Bemerkung gefallen, ‚dass die Ruhestörer in Staaten des Ostblocks sicher sehr schnell eingesperrt würden‘. In diesem Zusammenhang habe Spuler dann gesagt: ‚Ihr gehört alle in eure Konzentrationslager!‘ Diese abenteuerliche Umdeutung, die nach Hofstätters Ansicht den Sachverhalt wesentlich änderte, sagte mehr über den Zeugen aus als über Spuler, der sich selber an die genaue Formulierung nicht mehr zu erinnern vermochte.“157

Man kann es Umdeutung nennen, faktisch war es wohl der ziemlich dreiste Versuch, einen Kollegen aus der Bredouille zu bringen und sich dabei zu einer Falschaussage hinreißen zu lassen.

Peter R. Hofstätter war kein Freund der Demokratisierung der Universitäten. Seine Analyse lautete:
„Aus der Nähe gesehen, bedurfte der sogenannte Studentenaufstand, an dem sich kaum jemals mehr als 10 Prozent beteiligten, einer Kooperation des akademischen Mittelbaus mit der Ministerialbürokratie, der es an der Zeit schien, das überhöhte Berufsprestige der Professoren durch eine plötzliche Vermehrung ihrer Stellen und eine nicht allzu sorgfältige Auswahl der Inhaber abzubauen. Die Studenten waren eigentlich nur dazu da, um den Reformen der Bürokraten die Legitimation von Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung zu sichern. Gleichzeitig schienen die jungen Leute von 1968 den Traum ihrer aus der Jugendbewegung von 1913 stammenden Mentoren zu erfüllen, das nun ‚vielleicht die seit Jahrhunderten fällige deutsche Revolution‘ kommen würde. Während Mitscherlich und andere meinten, daß das für sie ‚ein Trost‘ wäre, habe ich es für meine Pflicht gehalten, die Öffentlichkeit auf journalistischem Wege vor einer solchen Entwicklung zu warnen. Im ganzen hat die sogenannte Studentenbewegung der Studentenschaft weit mehr geschadet als genützt. Sie veranlaßte die politischen Parteien und den Staat zu einem Programm der Verschulung der Universitäten und – aus Gefälligkeit gegenüber den Jungwählern – zu einer Senkung der intellektuellen Ansprüche, ohne daß die jungen Leute dieses Entgegenkommen durch eine erhöhte Bereitschaft honoriert hätten, sich für ihren Staat einzusetzen und ihn im Ernstfall zu verteidigen.“158

Die antiautoritäre Studentenbewegung hatte die Auseinandersetzung um Hofstätter 1963 nicht vergessen. In der Schrift „Das permanente Kolonialinstitut“, 1969 vom AStA der Universität Hamburg herausgegeben, wurde Hofstätter ein ganzes Kapitel gewidmet. Darin befand sich auch eine Auseinandersetzung mit seiner Arbeit von 1963–1968. Hofstätter hatte 1967 als offizieller Vertreter des Hamburger Psychologischen Institutes der Rhodes University in Grahamtown/Südafrika einen zweimonatigen Besuch abgestattet. Die Autoren der Schrift berichteten:

„Da wohl zwischen Hofstätter und den südafrikanischen Psychologen keine politischen Differenzen bestanden, konnte er getrost als ‚external examiner‘ für eine Dissertation ,The measurement of group differences in social concepts‘ von Frau G.W.L. Morsbach herangezogen werden. In dieser Arbeit geht es um die Beurteilung von Stereotypen folgender sechs Gruppen: ‚Afrikans-sprechende Weiße, Englisch-sprechende Weiße nicht jüdischer Abkunft, Englisch-sprechende Juden, Mischlinge und Schwarze.‘ Die Arbeit selbst ist den Verfassern bislang nicht zugänglich gewesen, jedoch läßt die aus dem Briefwechsel bekannte stereotype Bildung schon auf eine rassistische Arbeit schließen.“159

Peter Hofstätter blieb also im Fokus zumindest der politisch aktiven Studentenschaft. Als er seinen 80. Geburtstag feierte, schrieb das „Hamburger Abendblatt“: „Die Studentenunruhen bedeuteten für ihn harte Zeiten, denen er mit kompromißlosem Konfrontationskurs begegnete. Die Studenten riefen zum Boykott seiner Veranstaltungen auf, Hofstätter setzte kämpferische Ausdauer dagegen. Seine Frau habe ihm damals sehr geholfen: ‚Wir haben das ganz gut durchgestanden, nicht ohne einen gewissen kämpferischen Spaß zu erleben. Die Universität war damals so schwach, sich von Leuten dirigieren zu lassen, die nichts verstanden hatten.‘“160

Peter Hofstätter rechnete 1969 mit der neuen politischen Studentengeneration ab, der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und schrieb Artikel, über die sich die APO lustig machte: „Peter R. Hofstätter besticht in jüngster Zeit durch originelle Beiträge zur deutschen Publizistik, die langgehegte Vorurteile über die APO nun auch wissenschaftlich untermauern. Seine scharfsinnigen Analysen unterschieben der APO politische Kochrezepte, an denen sie schon längst zugrunde gegangen wäre, hätte sie sich jemals an sie gehalten.“161

Führende Medien hielten Hofstätter später als Autor in den späten 1960er-Jahren für verbrannt.162 Dem „SPIEGEL“ diente er als Beispiel für Hochschullehrer mit „brauner“ Vergangenheit, dessen Sätze aus Veröffentlichungen in der NS-Zeit beispielhaft zitiert wurden, ebenso wie die seines Hamburger Pädagogik-Kollegen Hans Wenke.163

Immerhin hatte sich Peter Hofstätter dazu bemüßigt gefühlt, am 9.2.1968 eine eindeutige Stellungnahme abzugeben, die sich auf seine früheren Veröffentlichungen bezog und die Aussagen aus dem Jahre 1963 klarstellte. Diese persönliche Stellungnahme erschien in den „Informationen des Zentralrats der Juden in Deutschland“ und lautete:

„Ich erteile eine eindeutige und bestimmte Absage an alle Aussagen in meinen Werken aus der nationalsozialistischen Ära, die als Unterstützung der rassistischen und faschistischen Ideologie gelten können. Ich vertrete entschieden folgenden Standpunkt:

1. Jede faschistische Rassentheorie ist wissenschaftlich und moralisch unhaltbar.

2. Eine Psychologie, die sich in den Dienst einer solchen Theorie stellt, ist verwerflich.

3. Es ist gegen das Interesse eines Fortschritts jeder Wissenschaft und auch der angewandten Psychologie, wenn diese sich einem ideologisch-totalitären System unterordnet und es damit zu konsolidieren versucht.

Zu meinen Äußerungen im Jahre 1963 über die Bewältigung der Vergangenheit erkläre ich:

1. Es war nie meine persönliche Meinung, die Vernichtung der Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft als Kriegshandlungen im Sinne des damals geltenden Völkerrechts anzusehen.

2. Den Gedanken einer Amnestie im Zusammenhang mit den Massenmorden im Dritten Reich habe ich zur Diskussion gestellt, nicht um diese Verbrechen zu verharmlosen, sondern um auf die Unzulänglichkeiten des geltenden Strafrechts hinzuweisen, das nur von der Schuld des einzelnen ausgeht. Dadurch werden hier Sündenböcke geschaffen, wodurch sich andere ungerechtfertigt moralisch entlastet fühlen.“164

Die Formulierungen schienen juristisch beraten worden zu sein. Seine Hauptkontrahenten von 1963, Arie Goral, und der Bergedorfer SPD-Bezirksabgeordnete und ehemalige KZ-Häftling, Walter Hähnel, stellten dazu fest:

„Wir sehen in der Stellungnahme von Prof. Hofstätter zwar einen Sieg der besseren Argumente jener, die ihn kritisieren, aber keineswegs eine gelungene und überzeugende Rechtfertigung. Eine endgültige Klärung des Falles Hofstätter steht nach wie vor aus. Die Forderung nach seiner Abberufung bleibt.“165

Vermutlich war Peter Hofstätter durch einen Vortrag von Arie Goral am 11.1. 1968 unter Druck geraten, den er im Rahmen der „Kritischen Universität“ gehalten hatte und in dem er „besonders auf den faschistischen und nazistischen Autor Hofstätter“ eingegangen war. Daraufhin hatte die Fachschaft Psychologie der Universität Hamburg eine Stellungnahme abgegeben, in der es hieß:
„Die Fachschaft Psychologie an der Universität Hamburg erteilt eine eindeutige und bestimmte Absage an alle mißverständlichen Aussagen in Hofstätters Werken aus der faschistischen Ära.

Darüber hinaus muß für die gesamte deutsche Psychologie der Hitlerzeit folgendes festgehalten werden:

– Die nazistische Rassentheorie ist wissenschaftlich und moralisch unhaltbar.
– Eine Psychologie, die sich in den Dienst einer solchen Theorie stellt, ist verwerflich.
– Es ist gegen das Interesse eines Fortschritts jeder Wissenschaft und auch der angewandten Psychologie, wenn diese sich einem ideologisch-totalitären System unterordnet und es zu konsolidieren versucht.“166

Unter zahlreichen Psychologen, die als Studierende oder Assistenten bei Hofstätter der Universität Hamburg gearbeitet hatten und die bundesweit und in Österreich Karriere machten und Psychologieprofessoren wurden, war Hofstätter hoch geschätzt. Zu seinem 65. Geburtstag würdigten sie ihn in der von ihm mitgegründeten Zeitschrift „Psychologie und Praxis“. Besonders wiesen sie auf den Erfolg seiner Publikationen hin. Das im Fischer-Lexikon erschienene Buch „Psychologie“ war 1978 in der 24. Auflage 621000 mal verkauft worden. Ein Student, Alfred Gebert, schrieb „stellvertretend für alle seine Studenten“: „In seinen Prüfungen verlangte er viel und gab dennoch nicht, so wie manche anderen Professoren, nur gute Noten. Gerade weil er nicht jeden Modetrend mitmachte und auch den Mut hatte, unpopulär zu sein, imponierte er vielen von uns damaligen Studenten.“167

Auch politisch kritisch eingestellte ehemalige Studenten und Assistenten von Hofstätter erinnern einen anderen Psychologieprofessor und Doktorvater als man es erwartet hätte. So etwa Sabine und Axel Hirsch, die beide mehrere Jahre unter dem „Chef Hofstätter“ gearbeitet hatten, nachdem ihr Bereich vorher von Curt Bondy bis zu dessen Emeritierung geleitet wurde. Sie schrieben über Hofstätter: „Zu spüren war dieser Chef nie, außer einem wertfreien Interesse und persönlicher Neutralität bis Wohlwollen. Auch als Doktorvater hatte er diesen Ruf. Es genügte ihm, dass wissenschaftliche Standards eingehalten wurden, ohne sich inhaltlich einzumischen. Er äußerte uns gegenüber keine Wünsche oder gab Anweisungen. So konnte man eigentlich zu jedem Treffen gehen, ohne mit Konflikten rechnen zu müssen. Tatsächlich hatten aber auch wir selten Ansprüche an ihn. Von seiner prinzipiellen Unterstützung konnte man ausgehen. Das war möglicherweise in seinem engeren Arbeitsbereich, dem wir nicht angehörten, anders. Aber wir kannten ja dort auch alle Kollegen, und über ihn als Person wurde selten geredet. Er hielt sich heraus und gab uns keine Signale für von ihm gewünschte emotionale Beziehungen. Wir konnten uns nur vorstellen, dass er mit langjährigen Mitarbeitern etwas mehr Nähe praktizierte. Es gab auch Gerüchte über Animositäten, aber nach außen wurde auch dies nicht deutlich.“

Und sie ergänzten in Bezug auf die Auseinandersetzung der Studentenbewegung mit Peter Hofstätter:
„Das entspricht etwa den Eindrücken von studentischen Fachschaftsräten in der Psychologie, sogar noch in der Streiksituation 1968/69. Er war auch dort eher wohlwollend, und man sah keinen Grund, ihm an den Wagen zu fahren (bis auf den SDS, der das aus dem Stand konnte). In einer Stellungnahme der Studenten gegenüber Hofstätter während der Institutsbesetzungen 68/69, als wir selbst auch noch studierten, wurde in einem interpretativen Protokoll einer Institutsversammlung satirisch formuliert, dass Hofstätter die ‚angemessene Studenten-Mittelbau-Professoren-Hierarchie verschlampt hatte‘, während Pawlik und Tausch dafür sorgten, die Hierarchie wieder herzustellen. Ein Papier des Fachschaftsrats ‚Zur Diskussion mit Prof. Hofstätter‘, das sich u. a. gegen Anfeindungen des SDS wegen einiger wissenschaftlicher Artikel Hofstätters während der Nazizeit richtete, kritisiert diese Artikel auf eine ähnliche Weise als zumindest missverständlich, sagt aber zur Person, dass H. trotz seiner konservativen Haltung eine offene und tolerante Haltung gegenüber den fortschrittlichen Studenten zeigte. Hofstätter habe sich Diskussionen nicht entzogen und ist Aufforderungen des SDS zur Diskussion gefolgt. Man kannte wohl seine konservative Gesinnung, aber er hat sich meist aus politischen Diskussionen herausgehalten.“168

Als Peter Hofstätter am 15.2.1979 emeritiert wurde, hielt Unipräsident Dr. Peter Fischer-Appelt im Gästehaus der Universität Hamburg die Verabschiedungsrede. Im Manuskript dieser Rede, von einem Mitarbeiter vorgelegt, finden sich die Sätze:
„Den Studentenprotesten und vielfachen Störungen der ausgehenden sechziger Jahre traten Sie unerschüttert und mit dem Mut zur Unpopularität entgegen. Gegenüber Aggression und unfruchtbarer Kritik vertraten Sie unentwegt das Recht der eigenen freien Meinungsäußerung, ohne die wissenschaftliche, aber auch jede andere Arbeit nicht gedeihen kann, die darüber hinaus Grundrecht und Bedingung jedes freien Staates ist.“169

Es ist nicht verbrieft, ob Fischer-Appelt sich tatsächlich an dieses Manuskript gehalten hatte, zumindest bedankte sich Hofstätter bei ihm am 23.4.1979 für „die freundlichen Worte“ und kündigte an, „auch weiterhin als Psychologe in unserer manchmal ratlosen Gesellschaft zu wirken, denn zum bloßen Ruhen habe ich nicht viel Talent“.170

Ich hatte schon erwähnt, dass einer der wichtigsten Artikel 1963 vom damals noch nicht beim „SPIEGEL“ beschäftigten Gerichtsreporter Gerhard Mauz stammte. Mauz hatte sich mehrere Stunden mit Hofstätter unterhalten und versuchte, zu verdeutlichen, was Hofstätter seiner Meinung nach zu sagen versucht hatte. Er gab auch wieder, was Hofstätter ihm über Arie Goral und dessen Beteiligung an der Diskussion in der Uni-Mensa am 19. Juli 1963 erzählt hatte. Bei Mauz las sich das so, dass Sympathien für Hofstätter entstanden:
„Ein erregter Bürger hatte ihn in einem Brief attackiert und angedroht, er werde den Professor einen ‚Feigling‘ nennen, wenn er sich ihm nicht zu einem Streitgespräch stelle. Der Ton des Schreibens ließ keinen Zweifel daran, daß der Absender durch die Thesen Hofstätters zu aufgewühlt war, um sich an einer nüchternen Diskussion beteiligen zu können. Trotzdem lud Hofstätter ihn zu dem Abend ein. Warum? ‚Einen Feigling lasse ich mich von niemandem nennen.‘ Hofstätter stammt aus einer Offiziersfamilie, von daher kommt der Intelligenz dieses Mannes, der über die menschliche Seele weiß, was man nur wissen kann, einiges in die Quere. Sympathisch, aber in diesem Falle fatal.“171

Auch hier wurde eine Legende gesponnen. Arie Goral hatte vielleicht gedroht, Hofstätter einen „Feigling“ zu nennen, falls sich dieser der Diskussion entziehen würde. Aber die Teilnahme Gorals erfolgte nicht auf Einladung Hofstätters. In seinem „Bericht zum ‚Fall Hofstätter‘ beschrieb Goral, dass er an der Planung und Durchführung der Veranstaltung von Beginn an beteiligt gewesen war. Er schrieb: „Der Mann Hofstätter interessierte mich nie. Ich gebe zu, daß er mir bereits unsympathisch war, bevor ich wußte, wer er war. In einer Fernsehsendung sah und hörte ich ihn in der ihm eigenen arroganten Art zu sprechen, wußte aber nicht, um wen es sich handelte. (…) Man sagte mir damals, ich sei der ‚Hauptfeind‘ von Hofstätter gewesen. Ich war sein beharrlichster Kritiker. Ich war es, weil ich von Anfang an den über den psychologischen Fachbereich hinausgehenden politischen Aspekt seiner Thesen erkannte und darauf drängte, ihn, seine Thesen und publizistisch vertretenen Vorstellungen politisch anzugehen, die dementsprechend politisch zu diskutieren, da sie ihrer Natur und ihrer Tendenz nach auch politisch ausgerichtet waren.“172

Worum ging es Arie Goral im Kern? „Politisch Informierte stellten sich aber 1963 die Frage, was und wer Hofstätter veranlaßt haben mochte, als exponierter Universitätsprofessor, zumal der Universität einer Stadt, die so prononciert auf ihr progressives Demokratieverständnis besonders gern auch gegenüber dem Ausland hielt, was und wer ihn bewog, für damalige Verhältnisse sich so auffällig auf eine immerhin riskante Reise ins risikoreiche Nazi-Hinterland zu begeben? Der Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner Artikel war nicht zufällig: es war die Zeit des in Vorbereitung befindlichen Auschwitz-Prozesses in Frankfurt, dem andere NS-Verbrechen-Prozesse vorausgingen und weitere folgen sollten.“173

Und: „Ich weigerte mich mitzumachen: AUSCHWITZ zu ‚psychologisieren‘, zu verabsolutieren, zu abstrahieren von noch präsenten und funktional potenten Machtstrukturen, Interessenmechanismen und Gesellschaftstendenzen. Gerade das aber wollte Hofstätter! Das wollten auch diejenigen, die ihn als Sprachrohr benutzten.“174

Arie Goral war auf jeden Fall alles andere als ein „Quatschkopf“.

Als Hofstätter am 13.6.1994, 80-jährig starb, gab es den kritischsten Nachruf in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Dort stand:
„Bekannt geworden ist er durch seine Thesen über das Dritte Reich. Der Rundfunk hatte einen Vortrag, in dem Hofstätter für eine Amnestie von Kriegsverbrechern plädiert hatte, nicht senden wollen. Er wandte sich an die ‚Zeit‘, die den Text wirklich, wenn auch mit einigen distanzierenden Zusätzen abdruckte. Die Resonanz bewies, daß der Psychologe die Mechanismen der öffentlichen Meinung, über die er immerhin ein eigenes Buch geschrieben hatte, nur unzureichend kannte.

Temperamentvoll und impulsiv, liebte Hofstätter den Widerspruch. Zur Klärung trug das allerdings nur selten bei, schon gar nicht bei den sensiblen Themen der deutschen Geschichte, die von Kriegsverbrechen handelten und vom Judenmord.

Zu einer öffentlichen Debatte, die aus der ‚Zeit‘-Publikation hervorgegangen war, hatte er Arie Goral, den Wortführer seiner Gegner, persönlich eingeladen. Aber Goral war ähnlich veranlagt wie Hofstätter selbst, er war scharfzüngig und leidenschaftlich, und so entspann sich zwischen den beiden eine Auseinandersetzung, die schnell bis an die Grenze der Beleidigung führte. In der Sache geklärt wurde natürlich nichts.

Was immer Hofstätter später anfaßte, sein Name blieb mit diesem Fall verbunden.“175

Nachtrag:
Ich korrespondierte über meine Biografie über Peter Hofstätter mit Horst Gundlach, der den von Hofstätter 1941 geschriebenen Aufsatz für eine amerikanische wissenschaftliche Zeitschrift aufbereitet und kommentiert hatte. Er schrieb mir:

„Ihr Aufsatz zu Hofstätter ist sehr eindrucksvoll. Sie haben reichlich Material verwerten können. Ihr Beweisgang zielt darauf, zu zeigen, dass Hofstätter ein Nationalsozialist war. Ich bin nicht ganz überzeugt. Ich halte ihn für viel zu arrogant und von seinem Selbstwert überzeugt, als dass er sich als Nazi hätte sehen können.

Unbekannt ist uns, ob er sich in der Zeit der NS-Herrschaft irgendwie widerständig und entlastend verhalten hat. Dass er unter den gegebenen Umständen eine Karriere anstrebte, ist deutlich. Dass er in der Wahl der Mittel nicht wählerisch war, ist klar. Doch ebenso muss nach dem bisher bekannten gesagt werden, dass er nach dem Vorbild anderer Personen noch ganz andere Mittel hätte einsetzen können, sich lieb Kind zu machen.

Seine Bemerkung, mit dem Krisen-Aufsatz habe er etwas für das Fach Psychologie tun wollen, ist nicht ohne weiteres zu widerlegen. Dass er glaubte, auf diesem Wege etwas für die Psychologie und damit auch für sich zu erreichen, erscheint aber eigenartig. Es ist leider nicht einfach, sich in die Lage jemandes hineinzuversetzen, der ab 1938 mit Psychologie sich und seine Familie ernähren wollte. Der berüchtigte Nazi-Meyer, des Lexikons achte Auflage, dessen Texte von diversen Parteistellen überprüft wurden, sagt immerhin unter dem Lemma Psychologie über die Psychologie des 20. Jahrhunderts: Dabei gewannen jüdische, liberalistisch-intellektuelle, konstruktive und lebensfremde Haltungen einen so vorherrschenden Einfluss … Da lag es nahe kundzutun, dass man damit nichts zu tun hatte.

Hofstätters Beiträge in den 1960er Jahren zeigen wieder dieses Profil des sich allem und allen weit überlegen Glaubenden, wortgewandt, intelligent, hochnäsig, provokant und auf Sieg spielend, selbst dort, wo er auf verlorenem Posten steht.

Überzeugte Nazis im Staatsdienst hätten ab 1945 sich anders verhalten.

Das macht Hofstätters Verhalten keineswegs schöner. Doch für ihn waren die meisten Menschen eben Quatschköpfe. Was in Ihrer Darstellung der 1960er und 1970er Jahre wirklich einprägsam erscheint, ist ein anmaßender Querulant, der seine Überlegenheit paradieren lassen will, weniger der unverbesserliche Nazi. Diese Einschätzung seines Auftretens hatte mich damals veranlasst, im Text des Krisis-Artikels auch verkappten Spott und Hohn herauszuhören (den nach seiner Einschätzung die Blödmänner und Quatschköpfe aus der Partei nicht verstehen).“176

Horst Gundlachs Schreiben machte mir deutlich, dass ich meine eigene Erkenntnis der Persönlichkeit Hofstätters in der NS-Zeit nicht eindeutig genug auf den Punkt gebracht hatte. Ich antwortete:
„Ich habe Hofstätter als eitlen Selbstdarsteller kennengelernt. Ich stimme durchaus mit Ihnen überein. Hofstätter war wohl kein überzeugter Nationalsozialist. Er war nur von sich selbst überzeugt. Er war eine Art Spieler, der gerne einen Stein ins Wasser warf, um mal zu sehen, was passierte. Mit einem Tsunami, wie 1963, hatte er allerdings nicht gerechnet.“177

Und Horst Gundlach antwortete darauf:
„Ihr Bild mit dem Stein, der ins Wasser geworfen wird, und dem Tsunami, der dadurch ausgelöst wird, finde ich sehr treffend.

Hofstätter war ja allen Widrigkeiten zum Trotz Lehrstuhlinhaber geworden, hatte also mehr erreicht als sein Vater oder sein Stiefvater Fritz Hansgirg. So etwas kann schon ein Gefühl der Erhabenheit hervorrufen oder unterstützen. Was an verschiedenen Stellen zu lesen oder hören war, dass H. einen ungeheuren Ehrgeiz an den Tag legte. Er wollte, ja musste Sieger werden. Das hat aus den Wellen eben den Tsunami gemacht.“178

Das Buch von Hans-Peter de Lorent: Täterprofile, Band 2, Hamburg 2017 ist in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg erhältlich.