Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Hans Wenke

(22.4.1903 Sangerhausen - 27.1.1971 Hamburg)
Professor für Erziehungswissenschaft, Schulsenator
Universität Hamburg (Wirkungsstätte)
Barkenkoppel 15 (Wohnadresse 1956)


Dr. Hans-Peter de Lorent verfasste dieses Profil für sein Buch „Täterprofile Band 2“.

Eine für Hamburgs Schulwesen nach der NS-Zeit wichtige Person war Professor Hans Wenke. Er wurde an der Universität Hamburg Nachfolger von Prof. Gustaf Deuchler, der, obwohl renommierter Erziehungswissenschaftler während der Weimarer Republik, schon 1933 in die NSDAP und die SA eingetreten war und fortan in SA-Uniform seine Vorlesungen und Seminare absolvierte. Wenke, ehemals Assistent von Professor Eduard Spranger, machte dann 1954 einen weiteren Karriereschritt und wurde Schulsenator, als der Hamburg-Block die SPD im Senat abgelöst hatte. In seiner Zeit wurden auch die am stärksten belasteten ehemaligen Nationalsozialisten im Schulwesen Hamburgs und aus anderen Bundesländern wieder eingestellt, die Schwierigkeiten mit der Entnazifizierung gehabt hatten. Eine Bürgerschaftswahl später wechselte Hans Wenke nach erneutem Regierungswechsel wieder als Erziehungswissenschaftler an das Pädagogische Institut der Universität Hamburg. Während der antiautoritären Studentenbewegung kam Wenke ins Gerede, nachdem ausgegraben und zum Teil veröffentlicht wurde, was er in der NS-Zeit veröffentlicht hatte. Der SDS und der Hamburger AStA riefen dazu auf, Wenkes Vorlesungen zu boykottieren, ein öffentlicher Streit entstand, in dessen Folge sich Hans Wenke pensionieren ließ. Seine Geschichte ist nie wirklich aufgearbeitet worden.

Hans Wenke wurde am 22.4.1903 in Sangerhausen als Sohn eines Gastwirts geboren. Er besuchte das humanistische Gymnasium seiner Heimatstadt, an dem er am 10.3.1921 das Abitur bestand. Von 1921 bis 1926 studierte er an der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Geschichte und Staatswissenschaften und promovierte dort am 12.10.1926.1

Danach war er zunächst am Deutschen Institut für Ausländer an der Berliner Universität tätig, leitete dann von 1929 bis 1934 den Berliner „Pädagogischen Rundfunk“ und „trug seit 1933 auch an der Volkshochschule vor“.2 Parallel zu seiner Arbeit am Institut für Ausländer übernahm er 1936 die Assistenz bei Professor Eduard Spranger am Pädagogischen Seminar der Universität Berlin. Spranger war seit 1925 Herausgeber der neu gegründeten Zeitschrift „Die Erziehung“, gemeinsam mit anderen bedeutenden Erziehungswissenschaftlern, wie Wilhelm Flitner, Theodor Litt, Hermann Nohl und Aloys Fischer. Wilhelm Flitner, der seit 1929 als Erziehungswissenschaftler in Hamburg lehrte, hatte die Funktion des Schriftleiters dieser Zeitschrift übernommen. In seinen „Erinnerungen 1889–1945“ beschrieb er die Arbeit an dieser Zeitschrift und auch die Personen der Herausgeber.3 Laut Wilhelm Flitner wurde die Arbeit für die Zeitschrift „Die Erziehung“ seit 1933 immer schwieriger: „Es war klar, daß sie den pädagogischen Tendenzen und vollends den Ideen der Nationalsozialisten stracks entgegenstand. Bliebe sie ihrer Linie treu, so waren Eingriffe vorauszusehen, zumal einer der beiden Verleger jüdischer Abkunft war und fürchtete, der Verlag könnte ihm gewaltsam genommen werden. Daher riet uns der Verlag demnächst zur Vorsicht.“4

Flitner beschrieb ausführlich den Prozess und die Diskussion unter den Herausgebern, bis alle 1937 im September die Herausgeberfunktionen kündigten. „Aber der Verlag beharrte auf seinem Eigentumsrecht und suchte eine neue Redaktion. Dazu erbot sich Sprangers Assistent Hans Wenke, und Spranger, der noch in Tokio weilte, wurde zweifelhaft, ob man die Zeitschrift eingehen lassen solle.“5 Wilhelm Flitner schrieb in seinen Erinnerungen, dass er von Zeit zu Zeit noch Beiträge an den Schriftleiter Hans Wenke sandte, aber sich ansonsten nicht mehr beteiligte. „Wenkes Redaktionstätigkeit betrachtete ich von außen, ohne mit ihm zu korrespondieren, und war oft verwundert über seine Auswahl. Ich hatte den Verdacht, daß der Verlag durch seine Lektoren Zusätze in die Manuskripte einfügte, um regimekonform zu erscheinen, und mit Erbitterung erblickte ich im Jahrgang XIV (1939) das Huldigungsblatt auf Seite 265, das Eduard Sprangers Billigung unmöglich gehabt haben kann. Auch ein Aufsatz über ‚Böhmen, Mähren und Prag‘ im Jahr der Okkupation dieser Länder war schwerlich mit der Tradition unserer Zeitschrift vereinbar. Tarnungsversuche nutzten der Zeitschrift ohnehin nicht mehr. Zwei Jahre vor dem Zusammenbruch ging sie ein, unrühmlich genug, weil ihr kein Papier mehr zugeteilt wurde.“6

Erinnerungen von Zeitzeugen und Akteuren während der NS-Zeit, insbesondere wenn deren Memoiren 50 Jahre später notiert werden, sind durchaus vorsichtig auszuwerten. Wilhelm Flitner, der zeitweise in der Weimarer Republik der SPD angehörte und im scharfen Gegensatz zu seinem Hamburger Kollegen im Fachbereich Erziehungswissenschaft, Gustaf Deuchler, stand, der bedingungslos zu den Nationalsozialisten „übergelaufen“ war, erinnerte auch manche Ungereimtheiten. Einerseits gab es in seinem Oberseminar einen Studentenkreis, dem mehrere Mitglieder angehörten, die im Kontakt zum Münchener Kreis der Weißen Rose standen7, zudem war er an der Universität nach eigenen Aussagen sehr eng mit den jüdischen Professoren Ernst Cassirer und William Stern verbunden, andererseits beschrieb Flitner einen Kreis von Kollegen, die „trotz wiederholter Aufforderung der NS-Partei nicht beitraten“8, die zusammenhielten und ein „wissenschaftliches Kränzchen“ in ihren Privathäusern veranstalteten. Zu diesen Personen zählte Wilhelm Flitner auch den Psychiater Hans Bürger-Prinz, der aus meiner Sicht zu den unangenehmsten Nationalsozialisten zählte und als SA-Mann an das Universitätskrankenhaus berufen worden war.9

Unaufgeklärt bleibt auch, ob Wilhelm Flitner auf der Unterzeichnerliste „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ stand, wie Ernst Klee in seinem „Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945“ berichtet.10 In dem Band „Hochschulalltag im ‚Dritten Reich‘. Die Hamburger Universität 1933–1945“ behauptet Hans Fischer, es gäbe Zweifel an der Authentizität der Hamburger „Unterschriften“.11

 Und merkwürdig erscheint mir, dass es Wilhelm Flitner war, der 1947 die Berufung von Hans Wenke zum Professor für Erziehungswissenschaft in Hamburg vorschlug.

Jenseits der interessanten, aber subjektiven persönlichen Erinnerungen, bleiben als wichtige und aus meiner Sicht wertvolle Arbeiten, die Dokumentationen der Forschungsstelle NS-Pädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main für den hier untersuchten Kontext relevant. Dort haben in einem Projekt über zwei Jahre Prof. Benjamin Ortmeyer und seine Kollegin Dr. Katharina Rhein fünf für diese Biografie relevante Dokumentationen zusammengestellt und herausgegeben. Es handelt sich dabei um die Wiedergabe von Schriften und Artikeln, die Eduard Spranger, Hermann Nohl, Erich Weniger, Peter Petersen und schließlich Hans Wenke in der NS-Zeit publiziert hatten.12

Eine darüber hinaus für diesen Kontext bemerkenswerte Veröffentlichung ist die Habilitationsschrift von Benjamin Ortmeyer: „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos. Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit: Eduard Spranger, Hermann Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen“, Weinheim und Basel 2010. In Bezug auf Hans Wenke interessant ist dabei insbesondere die Auseinandersetzung mit Eduard Spranger, Wenkes Doktorvater. Über Spranger resümierte Benjamin Ortmeyer:
„In der NS-Zeit referierte er im Kriegsministerium und publizierte bis 1944 in der Tagespresse. Dabei berührte er keineswegs nur abgelegene Themen wie Nohl, sondern bemühte sich, mit Fichte für den Sieg im Krieg des NS-Regimes zu agieren. 1937 betätigte er sich in Japan im Sinne der NS-Propaganda. Die Zusammenfassung seiner politisch durchgängig reaktionären Positionen von 1933 im Sammelband ‚Volk, Staat, Erziehung‘ zeigen die theoretischen Schwierigkeiten, ‚deutsche Ideologie‘ von der NS-Ideologie abzugrenzen. Sowohl inhaltlich als auch in der Terminologie sind die Überschneidungen wie die Analyse dieses Sammelbandes zeigt, erheblich. Die Quatrologie ‚Blut, Arbeit, Ordnung, Gläubigkeit‘, die Spranger 1930 formulierte, weist deutlich darauf hin, dass auch in der Geisteswissenschaft der Biologismus bereits vor 1933 Einzug gehalten hatte. Die theoretischen Arbeiten Sprangers in der NS-Zeit räumten biologistischen und zoologistischen Einflüssen in der Erziehungswissenschaft breiten Raum ein. Der Begriff der ‚Rasse‘ findet sich nun auch bei Spranger.

Sprangers politische Optionen vor und nach 1933 beinhalteten eine Zustimmung zum Bündnis der NSDAP mit den Deutschnationalen, von Hitler und Hindenburg, wobei Sprangers Akzentsetzung im Rahmen dieses Bündnisses und im Rahmen der Unterstützung des ‚großen positiven Kerns‘ der nationalsozialistischen Bewegung auf der Linie Hindenburg lag. In Bezug auf dieses Bündnis lavierte Spranger sowohl praktisch (sein Rücktrittsgesuch 1933, das er kurz darauf wieder zurücknahm), als auch theoretisch. Ob mit oder ohne Überzeugung: Spranger unterstützte sowohl in der Zeitschrift ‚Die Erziehung‘ als auch in seinen Vorträgen in Japan 1937/38 und in anderen Schriften terminologisch den Nationalsozialismus, nämlich dessen Phrase vom ‚Adel des Blutes‘ und der ‚Pflege des hochwertigen Nachwuchses (Eugenik)‘. Spranger ging sogar soweit, 1938 als das ‚wesentlichste Verdienst Adolf Hitlers‘ herauszustellen, dass es ihm gelungen sei, gegen ‚marxistischen‘ und ‚fremdstämmigen‘ Einfluss die Arbeiterschaft wieder national zu machen.“13

Das lässt vermuten, dass sich Hans Wenke inhaltlich nicht weit entfernt von Eduard Spranger bewegte. Darauf möchte ich aber erst eingehen, wenn der weitere berufliche Werdegang Wenkes dargestellt wurde. Helmut Stubbe da Luz bemerkte in seiner Kurzbiografie dazu:
„Wenke galt als Sprangers Lieblingsschüler. Aber während Spranger ein bedeutender Wissenschaftler war, handelte es sich bei Wenke, der sich 1938 aufgrund dreier Probevorlesungen habilitierte, von denen die letzte den Titel ‚Die Lehre von den Biotypen und ihre pädagogische Bedeutung‘ trug, um einen Epigonen; Spranger selbst, der ihn im Rahmen des von ihm gesponnenen akademischen Netzwerks unablässig förderte, beurteilte Wenkes wissenschaftliche Produktion als ‚auffallend gering‘, betonte aber seine praktisch-pädagogischen Fähigkeiten. Von wissenschaftlicher Forschung in Pädagogik, Psychologie und Philosophie kann bei Wenke kaum die Rede sein, schon gar nicht mehr nach 1945. Sein Werk besteht vor allem aus einer Vielzahl von Aufsätzen und Vorträgen. Hingegen war er ein umtriebiger Feuilletonist, Propagandist, politischer Programmatiker und Ideologe.“14

Als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter des bei den Nationalsozialisten wohlgelittenen Prof. Eduard Spranger und als Schriftleiter der gleichgeschalteten Zeitschrift „Die Erziehung“ waren die nächsten akademischen Karriereschritte von Hans Wenke vorprogrammiert. 1938 bekam er einen Ruf als Dozent an die Universität Erlangen, zugleich war er Vertreter des Lehrstuhls für Psychologie und Pädagogik, am 1.12.1940 erhielt er dort die Ernennung als außerordentlicher Professor für Psychologie und Pädagogik, mit der gleichzeitigen Bestellung als Direktor des Psychologischen und Pädagogischen Seminars der Universität Erlangen. 1943 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt.15

Faktisch war er von 1939 bis 1942 zur Wehrmacht eingezogen und diente als Regierungsrat der Reserve in der Funktion eines Heerespsychologen. Noch am 3.2.1945 bewilligte ihm der Reichsforschungsrat 2000 Reichsmark für eine Arbeit, die Wenke am Institut für Wehrpsychologie-Immunologie der Universität Erlangen erstellte zum Thema „Untersuchungen über die Typen der Psychopathen, ihre kriegsbedingte seelische Belastung sowie ihre Behandlung in Kriegsstrafrecht und Strafvollzug der Wehrmacht“.16

Interessant und bemerkenswert war nun, wie sich Hans Wenke nach dem Ende der NS-Herrschaft verhielt. In seiner Hamburger Personalakte und in seiner Entnazifizierungsakte liegen Dokumente vor, die das Verfahren rekonstruierbar machen. Am 8.5.1946 hatte Hans Wenke bei der amerikanischen Militärregierung einen „Meldebogen aufgrund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946“ ausgefüllt. Darin hatte er angegeben, keiner NS-Organisation angehört zu haben, außer dem Nationalsozialistischen Dozentenbund (NSDoB), in dem er die Funktion des Leiters der Universitäts-Pressestelle ab 1943, verbunden mit dem Amt Presse des NSDoB innegehabt hatte. Darüber hinaus war er seit 1941 Mitglied der NSV und seit 1937 der Reichspressekammer.17

Hans Wenke gab an, als Professor am 5.12.1945 und als Prodekan am 26.9.1945 von der Militärregierung Erlangen bestätigt worden zu sein.18

Auf Nachfrage wurde mir von dem zuständigen Staatsarchiv mitgeteilt, dass es darüber keine Dokumente gibt und auch anhand der Personalakte und der Entnazifizierungsakte von Hans Wenke in Hamburg ist dies nicht belegt. Dokumentiert sind seine politischen Mitgliedschaften, die auf einem Arbeitsblatt des Stadtkreises Erlangen von verschiedenen Dienststellen im November und Dezember 1946 abgezeichnet worden waren.19

Hans Wenke war so klug, sich fern seines alten Arbeitsplatzes, in Hamburg noch einmal entnazifizieren zu lassen. Auf seinem Personal-Fragebogen, den er am 23.1.1947 noch in Erlangen ausgefüllt hatte, nachdem ihn die Berufung nach Hamburg erreichte, strich er die Fragen 23–26 durch, die NS-Mitgliedschaften eruieren wollten, darunter auch die Frage nach der Zugehörigkeit zum NS-Dozentenbund. Wahrheitswidrig, wie man unschwer nachprüfen konnte. Bruno Snell, Hamburger Professor und Nichtnationalsozialist, Vorsitzender des zuständigen Fachausschusses und einer derjenigen, die in nicht nachzuvollziehender Weise „Persilscheine“ für fanatische nationalsozialistische Aktivisten ausstellte, schrieb am 20.1.1946: „Herr Professor Dr. Hans Wenke ist laut beiliegender Abschrift bereits als Universitätslehrer an der Universität Erlangen bestätigt. Der Fachausschuss 6a hat auf seiner heutigen Sitzung beschlossen, seine Bestätigung für die Universität Hamburg zu befürworten.“20

Über seine Veröffentlichungen hatte Wenke als Anlage zum Fragebogen angegeben: „Mein wichtigstes Publikationsorgan war die von Eduard Spranger und mir herausgegebene Monatsschrift ‚Die Erziehung‘. Hier veröffentlichte ich u. a. monatliche Berichte unter dem Titel ‚Die pädagogische Lage in Deutschland‘ von 1936–1943, als die Zeitschrift auf Beschluss der Reichspressekammer ihr Erscheinen einstellen musste, weil wir die verlangte Vereinigung mit zwei parteigebundenen nationalsozialistischen pädagogischen Zeitschriften und den Übergang in den Zentralverlag der NSDAP ablehnten“21, was tatsächlich nicht dem realen Ablauf entsprach. Darauf wird später noch genauer eingegangen werden, insbesondere aber auch darauf, was Wenke tatsächlich veröffentlichte.

Ein Blick in Wenkes Personalakte zeigt, dass der Impuls oder zumindest die Akzeptanz für die Berufung von Hans Wenke von Wilhelm Flitner kam, der für die philosophische Fakultät der Universität Hamburg am 14.8.1946 folgendes Gutachten unterzeichnete:

„Die Fakultät schlägt in erster Linie Herrn Prof. Dr. Hans Wenke in Erlangen für den zweiten Lehrstuhl der Erziehungswissenschaft vor. Herr Wenke, 1903 geboren, ist ein Schüler von Eduard Spranger, dessen Assistent er lange Zeit gewesen ist. Er hat sich einen Namen gemacht durch seine ausgezeichneten laufenden Berichte über das Erziehungswesen im In- und Ausland, die er in der Zeitschrift ‚Die Erziehung‘ regelmäßig veröffentlicht hat. Ebenso ist er als Schriftleiter der ‚Erziehung‘ in den Jahren 1937 bis 1942 tätig gewesen. Seine Dissertation behandelt das Thema: ‚Hegels Theorie des objektiven Geistes‘ und seine Habilitationsschrift ‚Entwicklung und Wandlung der deutschen Schule in Idee und Gestalt seit der Jahrhundertwende‘. Hans Wenke ist seit 1943 ordentlicher Professor der Psychologie und Pädagogik in Erlangen und hat dort mit großem Lehrerfolg beide Fächer vertreten. Die psychologischen Vorlesungen sind von Hörern aller Fakultäten besucht worden. Herr Wenke wird das Gebiet der Didaktik und der pädagogischen Psychologie (Jugendkunde, Charakterologie, Entwicklungspsychologie) vertreten und damit die dringendste Lücke im Lehrplan ausfüllen können. Seine organisatorische Geschicklichkeit wird auch der Leitung des pädagogischen Instituts und den schulpraktischen Übungen zugute kommen, und wenn er auch weiterhin seine psychologischen Vorlesungen fortführen würde, so hätte die Fakultät die Möglichkeit, bei der Berufung des Psychologen einen Vertreter der mehr naturwissenschaftlichen Richtung der Psychologie nach Hamburg zu ziehen und die Tradition von Ernst Neumann und William Stern fortzusetzen.“22

In einem Schreiben des Rektors der Universität Hamburg, Prof. Emil Wolff, an die Hochschulabteilung der Hamburger Schulverwaltung vom 27.8.1946 wurde auch der auf Rang zwei gesetzte Bewerber genannt, es war der Göttinger Professor Erich Weniger, der Assistent von Hermann Nohl gewesen war, „der selbst ein Freund von Polemik und Parteiung war“, wie Wilhelm Flitner es in seinen Erinnerungen nannte.23

Flitners Motive, ausgerechnet Hans Wenke nach Hamburg zu holen, sind unbekannt. Aber es ist bemerkenswert, dass für die Stellenbesetzung die ehemaligen Assistenten von Flitners befreundeten Kollegen Eduard Spranger und Hermann Nohl benannt wurden. Und auffällig ist auch, dass Wilhelm Flitner in seinen Erinnerungen kein positives Wort über Hans Wenke fallen ließ. Allerdings waren die Erinnerungen 1985 abschließend zu Papier gebracht worden, nachdem die Geschichte von Hans Wenke in Hamburg in den 1960er-Jahren unrühmlich zu Ende gegangen war.

Über Erich Weniger, der Alternative zu Hans Wenke bei der Besetzung des wichtigen Lehrstuhls für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg, schrieb Benjamin Ortmeyer:

„Der Rückblick auf das Werk Erich Wenigers ergibt ein widersprüchliches Bild: Er war ein belesener Erziehungswissenschaftler, in seinem ganzen Denken und Handeln von einem reformierten Militarismus, einem intellektuell anspruchsvollen Militarismus, einem pädagogisch und geisteswissenschaftlich aufbereiteten Militarismus bestimmt. Goethe und die Generäle, Clausewitz als Geisteswissenschaftler, das pädagogisierte Militär als Vorbild für die Gesellschaft – das sind Grundelemente seines Denkens, die sich in seinen Schriften in der NS-Zeit, vor allem in ‚Wehrmachtserziehung und Kriegserfahrung‘ (Berlin 1938), aber auch vor und nach der NS-Zeit als Kontinuum immer wieder aufzeigen lassen.

Erich Weniger betonte, dass er kein Militarist gewesen sei, da er immer für die Inhalte des Krieges eingetreten sei. In dieser Hinsicht war er in der Tat zumindest teilweise ein Unterstützer des NS-Staates und der NS-Politik. Aber die zentrale Rolle der Wehrmacht als Erzieherin der Nation herauszustellen, das Soldatische als Vorbild auch für das zivile Leben zu fordern, ist deutlicher Ausdruck einer Ideologie, die als Militarismus bezeichnet wird. Im Bewusstsein eines Bruchs mit der pädagogischen Tradition, bei der Erziehung im Mannesalter eigentlich aufhört, wird das Soldatische von Weniger als ‚Volkserziehung‘ definiert und begründet.

Weniger hat sich auf die ‚unzerstörten Kräfte der Rasse und des Volkes‘ berufen und betonte deutlich seine Einbindung in die Politik und Kriegsführung des NS-Staates und Adolf Hitlers. Wenigers Schriften aus der NS-Zeit zeigen nicht nur Militarismus und Unterstützung des NS-Staats, sondern auch, dass er in einer Weise Goethes Biografie bearbeitet, in der Goethe als Militarist und Nationalist erscheint. Das war das Ergebnis dessen, was Weniger ‚heroische Geschichtsbetrachtung‘ nennt.

Eine Zusammenfassung von Wenigers Schriften in der NS-Zeit ergibt, dass sich Weniger bereits 1933 für die ‚nationale Revolution‘ ausgesprochen hat. Unmissverständlich sprach Weniger 1935 vom revolutionären Erneuerungswillen‚ der ‚im Nationalsozialismus durchgebrochen‘ sei. Wie auch schon vor 1933 wurde nun die ‚Frontkämpfergeneration‘ als ‚Inbegriff der Erziehung der heranwachsenden und der künftigen Generationen‘ vorgestellt. Ausdrücklich stellte er ‚Wehrerziehung des ganzen deutschen Volkes‘ heraus, die vormilitärische ‚Ausbildung durch die Hitler-Jugend, SA, Schule und Reichsarbeitsdienst‘. Angelehnt an ein Zitat aus Hitlers ‚Mein Kampf‘ verkündete Weniger: ‚Die Wehrmacht ist nach dem Wort des Führers die ‚letzte und höchste Schule vaterländische Erziehung‘. 1944, in seiner letzten Publikation in der NS-Zeit, ließ Weniger ‚keinen Zweifel‘ an seiner Position zum NS-Staat: ‚Denn da kann es keinen Zweifel geben. Er ist der Feldherr, der will und entscheidet. Dieser Wille der obersten Führung muss absoluten Gehorsam verlangen, er muss sich unter allen Umständen durchsetzen.‘“24

Mit Fassungslosigkeit liest man diese Zusammenstellung in Benjamin Ortmeyers Habilitationsschrift 2010. Ein belesener Erziehungswissenschaftler wie Wilhelm Flitner muss zumindest einen größeren Teil der Aussagen und Schriften von Erich Weniger gekannt haben, der als Assistent seines Freundes Hermann Nohl in seinem unmittelbaren beruflichen Umfeld agierte. Aber das Problem war offenbar, dass es 1945 kaum renommierte Erziehungswissenschaftler mit ausgewiesenen wissenschaftlichen Publikationen gab, die nicht belastet waren.

So wurde die Berufung von Hans Wenke mit einem Vermerk vom 28.10.1946 vorbereitet. „Die Hochschulabteilung wird sich bei der Erlangung der Zuzuggenehmigung für die Familie (Ehefrau, ein Kind, eine Hausgehilfin) nach Kräften einsetzen und ihm auch bei der Erlangung einer geeigneten Einzelwohnung behilflich sein.“25

Das weitere Verfahren war bemerkenswert. Am 14.11.1946 schrieb Hans Wenke, der in einem „Meldebogen aufgrund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ angegeben hatte, dass seine Wohnung „durch die US-Army seit April 1945 besetzt“ sei26, dass er seinen Wechsel nach Hamburg regeln konnte:

„Ich habe unmittelbar mit Herrn Minister Dr. Fendt konferiert und bei ihm mehr Verständnis gefunden, als ich je gehofft hatte. Er war bemüht, mir jede Komplikation zu ersparen, und teilte mir mit, dass auf meine Anfrage hin der zuständige Erziehungsoffizier mir die freie Entschließung überlasse. Die hiesigen Universitätsstellen (Rektor und Dekan) schließen sich der Haltung des Herrn Ministers an. Die Frage meines Ausscheidens ist bereits geregelt, und ich kann die Beendigung meiner hiesigen Verpflichtungen mit ausdrücklicher Genehmigung des Herrn Ministers jederzeit durchführen.“27

Am 3.2.1947 veröffentlichte „Die Neue Zeitung“ einen groß aufgemachten Artikel mit der Überschrift „76 Entlassungen an der Erlanger Universität“ und im Untertitel „Säuberung auf Anordnung der Militärregierung“. Darin hieß es: „In einem Brief an das bayerische Kultusministerium hat die amerikanische Militärregierung für Bayern die sofortige Entlassung von 76 Professoren, Assistenten und anderen wissenschaftlichen und administrativen Hilfskräften der Universität Erlangen angeordnet. Dieser Befehl ist das Ergebnis einer Untersuchung aller Angestellten der Universität durch eine Sonderkommission der Militärregierung, die bereits früher ähnliche Entlassungen an der Münchner Universität angeordnet hat. Den Entlassenen wurde verboten, weiterhin Amtswohnungen, Büros, Laboratorien und andere Einrichtungen der Universität zu benutzen. In einem Brief an das Kultusministerium stellt die Militärregierung fest, daß die verantwortlichen Stellen der Universität die Bestimmungen des Säuberungsgesetzes nicht mit der erforderlichen Initiative in die Praxis umgesetzt haben und ermahnte sie, in Zukunft die Bestimmungen dieses Gesetzes gewissenhaft zu befolgen. Die Universität Erlangen habe die Möglichkeit gehabt, ihren Lehrkörper allmählich zu entnazifizieren und so eine Gefährdung des Unterrichts zu vermeiden. Sie habe jedoch diese Möglichkeiten nicht wahrgenommen und dadurch die Militärregierung zum Eingreifen gezwungen.“28

Das nächste Schreiben von Hans Wenke war vom 4.2.1947 datiert, erreichte den Ministerialrat Dr. Hans von Heppe in der Hamburger Hochschulabteilung allerdings erst am 28.2.1947. Das kann an den Postverbindungen gelegen haben, möglicherweise gab es auch andere Gründe, was ich eher glaube.

Neben ein paar Bemerkungen über Absprachen mit Wilhelm Flitner über seinen zukünftigen Einsatz an der Hamburger Universität, schrieb Wenke, dass es in der „Neuen Zeitung“ vom 3.2.1947 einen Artikel gegeben hätte über eine Entlassungsliste von Erlanger Hochschullehrern, in der auch sein Name aufgelistet worden wäre. Wenke gab lapidar wieder, was in dieser Liste über ihn notiert war:

„Prof. Dr. Hans Wenke, Psychologe, Pressewart, Hochschullehrer-Gruppenwalter und Gaukassenwalter im NSDoB (ist bereits aus dem Verband der Universität ausgeschieden).“29

Hans Wenke hatte diese Hinweise eingeleitet mit dem Satz: „Heute habe ich Anlass, unverzüglich auf folgende Angelegenheit einzugehen“, um dann zu erklären: „Hierzu habe ich bereits dem Herrn Rektor der Universität Erlangen eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass ich

1.       niemals Hochschullehrer-Gruppenwalter war,

2.       niemals Gaukassenwalter im NSDoB war.

Es bleibt lediglich die Tätigkeit des Pressewarts, genauer gesagt des Leiters der Universitäts-Pressestelle, zu dem ich vom Rektor der Universität ernannt wurde (Hierüber enthält mein in Hamburg ausgefüllter Fragebogen die näheren Angaben).

Wie in der Pressenotiz vermerkt ist, war ich bereits aus dem Dienst ausgeschieden. Dies geschah aus folgendem Anlass:

Als ich nach meinen Verhandlungen in Hamburg dem Herrn Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Fendt mündlich über meine Pläne Bericht erstattete, suchte er mich zu bestimmen, im Bayerischen Hochschuldienst zu bleiben. Angesichts der gerade bevorstehenden umfangreichen Entlassungen von Dozenten der Münchner Universität, unter denen sich zahlreiche Nicht-Parteigenossen befanden, mit denen ich mich als Nicht-PG. im Vergleich setzen konnte und musste, stellte ich die Frage, ob der Herr Minister seine Absicht, mich im dortigen Hochschuldienst zu halten, mit der Gewähr einer unangefochtenen Lehrtätigkeit verbinden könne. Diese Frage musste er in der damals gegebenen Situation verneinen. Daraufhin bat ich ihn um die Genehmigung meines Ausscheidens aus dem bayerischen Hochschuldienst, die er mir unter dem Datum des 5. November 1946 erteilte. Die beglaubigte Abschrift füge ich bei.“30

Man kann feststellen, dass Hans Wenke einer äußerst geschickten Strategie folgte. Nachdem er über nicht dokumentierte Aussagen in Hamburg eine Stelle als Professor für Erziehungswissenschaft und Psychologie zugesprochen bekommen hatte, kündigte er in Erlangen, so dass die kurz darauf ausgesprochene beabsichtigte Entlassung gar nicht wirksam werden konnte und auch das Verfahren nicht weiter verfolgt wurde. Damit wurde auch die Frage, welche Funktion Wenke im Nationalsozialistischen Dozentenbund innegehabt hatte, nicht weiter überprüft. Nach der Veröffentlichung in der „Neuen Zeitung“ wandte er sich mit diesem Schreiben an die Hochschulabteilung in Hamburg, vorgeblich am 4. Februar 1947 datiert, also einen Tag nach dem Erscheinen des Artikels, aber erst 24 Tage später in Hamburg angekommen. Bei allen Wirren der Nachkriegszeit und Schwierigkeiten der Postbeförderung, bleiben bei mir Zweifel, ob die Datierung richtig war. Wenke schrieb in dem Brief außerdem: „Außer jener Pressemeldung vom 3.2.1947 habe ich bis jetzt nichts erfahren. Eine amtliche Zustellung habe ich nicht erhalten, sie kann nach der Auffassung der hiesigen amtlichen Stellen, insbesondere des Herrn Rektors und des Herrn Dekans der philosophischen Fakultät auch nicht erfolgen, da ich, wie die Pressemeldung selbst andeutet, nicht mehr im Bayerischen Hochschuldienst stehe. Somit bestand streng genommen für mich kein Anlass, von diesem Vorgang zu berichten. Da ich jedoch annehmen muss, dass in mannigfacher Abwandlung und ohne Angabe der näheren Umstände, vor allem aber ohne die hier notwendigen Richtigstellungen jene Pressenachricht in Hamburg amtlich bekannt wird, halte ich es für geboten, unverzüglich über die Vorgänge und über die verwaltungsrechtliche Seite der Angelegenheit einen genauen Bericht zu erstatten.“31

Die Pressenachricht war in Hamburg bekannt geworden. Am 21.2.1947 schrieb Ministerialrat von Heppe an Hans Wenke:

„Leider haben wir aus einer Zeitungsnotiz ersehen, daß Sie auch zu den von der amerikanischen Militärregierung entlassenen Dozenten der Erlanger Universität gehören. Bei dieser Sachlage kann leider trotz der inzwischen erfolgten Bestätigung durch die englische Militärregierung Ihre vereinbarte und vorbereitete Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Hamburg zur Zeit noch nicht erfolgen. Derartige Maßnahmen einer Besatzungsmacht wirken auch über eine Zone hinaus und müssen von uns anerkannt und berücksichtigt werden. Ich darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie die Möglichkeit haben, gegen die Maßnahme dort vorzugehen und wäre Ihnen für eine gelegentliche nähere Unterrichtung darüber dankbar.“32

Hans Wenke antwortete darauf am 3.3.1947 und bedauerte, dass sein Schreiben vom 4.2.1947 offenbar noch nicht vorgelegen hätte. „Da sie eine nähere Unterrichtung wünschen, darf ich auf jenen Bericht verweisen, der alles zur Sache Gehörende enthält. Ich kann heute jene Darstellung dahin ergänzen, dass die Entlassungsschreiben an die übrigen Kollegen inzwischen ausgehändigt wurden, mir aber aus den im Schreiben vom 4. Februar genannten Gründen kein solcher Bescheid zugestellt wurde.“ Dies war offenkundig eine Lüge, weil es ein solches Schreiben, datiert vom 6.2.1947, tatsächlich gab.33

Es ergab sich nun die Notwendigkeit, der britischen Militärregierung in Hamburg das Verfahren zu erklären. Dies übernahm im Auftrag Ministerialrat Dr. von Heppe:

„Prof. Dr. Hans Wenke, Erlangen, ist auf den zweiten Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft berufen worden. Er hat den Ruf angenommen und sich bereit erklärt zum Sommersemester 1947 seine Tätigkeit an der Universität Hamburg aufzunehmen. Professor Wenke ist durch die Entscheidung der Militärregierung am 6. Februar 1947 bestätigt worden. Nachträglich ist aus einer Pressemitteilung hier bekannt geworden, dass Professor Wenke unter den 76 Lehrkräften der Universität Erlangen sich befindet, die auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung entlassen worden sind. Professor Wenke hat dazu mitgeteilt, dass er bereits im November vorigen Jahres wegen seiner Berufung nach Hamburg aus dem bayerischen Hochschuldienst ausgeschieden ist und dass außerdem die in der Presse aufgestellten Behauptungen, er sei Hochschullehrer-Gruppenwalter und Gaukassenwalter im NS Dozentenbund gewesen, nicht zutreffen. Das Ausscheiden von Professor Wenke aus dem bayerischen Hochschuldienst im November 1946 wird von dem Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus bestätigt. Für die Richtigkeit seiner politischen Angaben gibt Herr Professor Wenke eine eidesstattliche Erklärung ab. Bei dieser Sachlage wird angefragt, ob Professor Wenke seine Tätigkeit zum Sommersemester 1947 an der Universität Hamburg aufnehmen kann.“34

 Bei der Sachlage erfolgte ohne weitere Überprüfung am 8.3.1947 der Ernennungsvorschlag, unterschrieben von Senator Landahl, der auch für den Hochschulbereich zuständig war.35

Wie trickreich Hans Wenke vorging, zeigt ein Schreiben, das im Universitätsarchiv Erlangen vorliegt. Wenke hatte verschwiegen, dass er tatsächlich eine Mitteilung des Bayerischen Staatsministers vom 6.2.1947 bekommen hatte, in dem ihm im Namen der Militärregierung Bayern mitgeteilt wurde, dass er „mit sofortiger Wirkung aus dem Dienst entlassen“ werde, da er „im Rahmen der neuerlichen Überprüfung des Lehrkörpers der Universität Erlangen für die Verwendung an der Universität als ungeeignet erachtet wurde“.36 Nur seine vorherige Kündigung nach erhaltener Zusicherung der Berufung in Hamburg verhinderte ein ordentliches Entnazifizierungsverfahren in Bayern.

Schon knapp zwei Jahre später folgte Hans Wenke einem Ruf auf ein Ordinariat an der philosophischen Fakultät in Tübingen, an der inzwischen auch Eduard Spranger lehrte.37

Verglichen mit der Entnazifizierungspraxis im Lehrerbereich ist auffällig, wie einfach dies vonstatten ging. Bei Hans Wenke reichten Erklärungen, die er abgab, eine eidesstattliche Versicherung, die nicht vor Ort überprüft wurde. Überhaupt war der Wechsel von einer Universität zur nächsten eine gute Möglichkeit, weniger überprüfbar zu sein, keine personenbezogene Expertise vor Ort zu haben und in der Regel über ein gut funktionierendes Netzwerk mit kollegial befreundeten anderen Hochschullehrern zu verfügen. Dabei hätte ein Blick in die Veröffentlichungen genügt, um die notwendigen Informationen zu erhalten.

Hans Wenke hatte zum 60. Geburtstag von Professor Eduard Spranger am 27.6.1942 eine Festschrift herausgegeben, zu der er selbst auch einen Beitrag beisteuerte. Sein Thema: „Zur Philosophie des totalen Krieges“, wobei er anmerkte: „Nach Vorträgen, die in der Ortsgruppe der Deutschen Philosophischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften in Berlin und auf dem Gau-Appell des NS-Rechtswahrerbundes in Düsseldorf gehalten wurden.“38

Hans Wenke führte aus: „Dieser Krieg, so sagt man, ist ein totaler Krieg. Es gibt keine Stimme, die das bestreitet. Indem es nun aber alle sagen, hat die Philosophie ein Recht, danach zu fragen, ob sich auch alle dabei etwas denken. Es besteht freilich kein Zweifel, daß für viele das einprägsame Wort vom totalen Krieg allein ausreicht, um ein Bild, vielleicht sogar eine Vision vor ihre Seele zu stellen. Sie bedürfen keiner begrifflich-analysierenden Klärung. Sie erfüllen aus dem Schwung des Herzens, aus der Kraft des Gefühls die Forderungen des totalen Krieges in Haltung und Tat auf das genaueste und bis ins kleinste und letzte. Ja, es gibt viele Kriegssituationen in denen dies und nicht das Nachdenken entscheidend ist.“39

Dennoch befragte und zitierte Hans Wenke im Weiteren ausführlich die Philosophen zu diesem Thema, Kant, Fichte, Hegel, Nietzsche, um dann zu schreiben:

„Die Kriegsphilosophie wird den Krieg nicht denaturieren, sondern in seiner wahren Natur verdeutlichen, wenn sie sich in gründlicher Einzelarbeit darum bemüht, die irrationalen und die rationalen Faktoren seines Wesens genauestens aufzuspüren und zu sondern.“40

An anderer Stelle hielt Wenke fest:

„Der Begriff des Feindes hat sich als ein besonderes schwieriges Problem der Kriegsphilosophie herausgestellt. Daneben wäre es eine lohnende Aufgabe der Kriegsphilosophie, dem deutschen Volke einprägsam zu demonstrieren, wie wichtig es ist, überhaupt den Blick scharf und unverwandt auf den Feind zu richten und sich ein klares Bild seines Wesens und seiner Welt zu machen. Damit wird zugleich eine große Aufgabe politischer Erziehung sichtbar, die nicht nur den Schulunterricht angeht.“41

Zum Abschluss dieses Aufsatzes schrieb der fast 40-jährige Hans Wenke, inzwischen Professor in Erlangen, zu einem Zeitpunkt, als der reale Krieg sich 1942 im dritten Jahr befand:

„Deutschland hat die Verwirklichung des totalen Krieges auf einem gänzlich anderen Wege als England gesucht. Es hat getreu einer tieferen Auffassung seiner Philosophie und Weltanschauung, die Totalität als die wahre Einheit in der Vielheit verstanden und verwirklicht; d.h. es hat den totalen Krieg auf das breite und feste Fundament des eigenen Volkes in allen seinen Teilen und Gliedern gestellt. Dieser totale Krieg beherrscht unsere Zeit. Da ist es am Platze, an Hegels tiefes Wort zu erinnern: ‚Die Philosophie ist ihre Zeit, in Gedanken erfaßt.‘ Wenn sie heute das Bild des totalen Krieges zu klären unternimmt, arbeitet sie entscheidend an dieser großen, von Hegel vorgezeichneten Aufgabe mit, die nicht endet, die jede Zeit, jede schöpferische Epoche von neuem zu lösen hat.“42

Allein für diesen Text hätte man aus meiner Sicht Hans Wenke 1946 verwehren müssen, für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrer nach Ende der Naziherrschaft in Hamburg verantwortlich zu sein.

Erst einmal war Hans Wenke also 1949, nachdem ihm Hamburg die Möglichkeit gegeben hatte, nach Ende der Naziherrschaft wieder Ordinarius einer Universität zu sein, nach Tübingen gewechselt, wo er 1953 zum Rektor der Universität gewählt wurde. Als dann in Hamburg 1953 bei den Bürgerschaftswahlen die SPD von einem konservativen „Hamburg-Block“ abgelöst wurde, der aus CDU, FDP, Deutscher Partei (DP) und dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) bestand, suchte der neue Bürgermeister Kurt Sieveking einen neuen Schulsenator. Im Wahlkampf hatte es heftige Auseinandersetzungen um die zuvor eingeführte sechsjährige Grundschule gegeben und die CDU hatte angekündigt, diese im Falle eines Wahlerfolges rückgängig zu machen. Dafür benötigte Sieveking möglichst einen wissenschaftlich renommierten und parteilosen Kandidaten. Als die Hamburger Medien davon erfuhren, dass Hans Wenke als künftiger Schulsenator im Gespräch war, reagierten sie überaus positiv. Im „Hamburger Anzeiger“ wurde an Wenkes Tätigkeit als Erziehungswissenschaftler in Hamburg erinnert: „Seine Mittagsvorlesungen im Hörsaal A waren ständig überfüllt. Mit Bedauern sahen ihn Studenten und Universität zum Wintersemester 1949/50 einem Ruf nach Tübingen folgen, wo er bald wieder zu den populärsten Professoren gehörte. In Presse und Rundfunk und zahlreichen akademischen Veranstaltungen bemühte er sich vor allem um eine lebendige Beziehung zwischen Universität und Öffentlichkeit, Wissenschaft und Erziehung. Im September 1953 wurde er zum Vorsitzenden des neu geschaffenen ‚Deutschen Ausschuss für das Erziehung- und Bildungswesen‘ gewählt.“43

 Und das „Hamburger Abendblatt“ notierte unter der Überschrift „Schulsenator in Sicht“: „In den Jahren 1947–1949 wirkte er als ordentlicher Professor an der Universität Hamburg. Das war zu einer Zeit, als die Einführung der vierjährigen Grundschule in Hamburg schon zur Debatte stand. Wenke hat mit dem damaligen Rektor der Universität Hamburg, Harteck, dem Prorektor Laun und den Professoren Sieverts, Zeiger und Remy die viel erörterte Denkschrift verfaßt, in der vor der Schulreform, wie sie dem Senator Landahl vorschwebte, ernst gewarnt wurde. In dem Sondergutachten von Wenke stehen die Sätze: ,Vom psychologischen, physiologischen und pädagogischen Standpunkt aus ist der Übergang des Kindes von der Grundschule zur Oberschule im zehnten Lebensjahr als Regelfall zu bejahen. Die Erfahrungen eines Zeitraums von mehr als einem Jahrhundert haben keine Momente ergeben, die dagegen sprechen oder auch nur den Verdacht einer Verfrühung nahelegen.‘“ Weiter wusste das Abendblatt zu vermelden: „Er ist nicht ein in Gelehrsamkeit eingeschlossener Professor. Er ist bestrebt, von der Universität aus ins Weite zu wirken, auch in die Politik hinein, soweit es sich um Schulpolitik handelt.“44

In sämtlichen Zeitungsmeldungen zu Wenkes Berufung zum Senator gab es erwartungsgemäß keinen Hinweis auf irgendetwas, was mit seiner Tätigkeit in der NS-Zeit zu tun hatte. Im Gegenteil. Vermeldet wurde: „Außer den Studenten werden auch die Rundfunkhörer, die jeden zweiten Sonntag am Radio Stuttgart saßen, den Wechsel bedauern. Als Sprecher der sieben Hochschulen und Universitäten des Landes Baden-Württemberg hat Wenke in seinen kulturpolitischen Kommentaren immer wieder Worte der Aufmunterung oder der Mahnung gefunden.“ So die „Welt“ am 17.3.1954, dem Tag als er in Hamburg Senator wurde. Und: „Für das deutsche Schulwesen gilt er als Sachkenner ersten Ranges. In zahlreichen Gremien wußte und weiß man seine Konzilianz und sein klares, sicheres Urteil zu schätzen. Als Sprecher der Universität im weitesten Sinne des Wortes hat er es auch verstanden, mit Erfolg die finanziellen Mittel und um das Verständnis für die Förderung der Universität zu werben. Ein Programm für den Hamburger Bereich? Davon möchte er einstweilen absehen. ‚Erst muß ich mich gründlich über alles orientieren.‘ Man wird ihm mit Fragen zusetzen. Aber es besteht kein Zweifel, daß er sich höflich, heiter und souverän aus der Affäre ziehen wird.“45 Was zu überprüfen sein wird.

Die Schulsenatorenzeit von Hans Wenke verlief verhältnismäßig unspektakulär. Die sechsjährige Grundschule wurde abgewickelt und nach drei Jahren war die Zeit des Hamburg-Blocks vorbei und Heinrich Landahl wurde wieder Hamburger Schulsenator. Hans Wenke hatte vorgesorgt, kehrte als Hochschullehrer und dann 1957 als Direktor des Seminars für Erziehungswissenschaft an die Hamburger Universität zurück. 1960 berief man ihn als Vorsitzenden der Kommission zur Beratung der Bundesregierung und ein Jahr später wurde er Vorsitzender des Gründungsausschusses der Ruhr-Universität Bochum. „Wenke avancierte im Laufe seiner Tätigkeit 1963 auch zum Gründungsrektor der Universität Bochum, als hier die Verwaltung installiert worden war und seine Beratungstätigkeit ständig vor Ort benötigt wurde.“46

Hans Wenke konnte so manches unter einen Hut bringen. Nachdem er aus dem Amt des Schulsenators wieder an die Universität wechselte, schrieb das „Hamburger Abendblatt“ am 10.10.1957: „Was kann der Mensch mit der vielen Freizeit anfangen, die ihm die 45-Stunden-Woche beschert? Mit dieser wichtigen Frage, die man in den Gewerkschaften und in der Industrie der ganzen Welt erörtert, wird sich auch Hamburgs Schulsenator Prof. Hans Wenke demnächst sehr gründlich befassen. Sie ist eines der Hauptthemen für das UNESCO-Institut für Pädagogik, dessen Leitung er am 1. August 1958 für drei Jahre übernimmt. Professor Wenke hat schon mehr als ein schwieriges Problem gemeistert. Der 54-jährige konnte zum Beispiel in weniger als drei Jahren den Hamburger Schulkonflikt (‚hie vier-, hie sechsjährige Grundschule‘) zur Zufriedenheit der Hansestadt lösen. Nach diesem Erfolg wird er nun mit dem Ende der Legislaturperiode im November aus dem Senat ausscheiden. Der weltbekannte Pädagoge will auch untersuchen, welche pädagogischen Methoden und welche Lehrpläne in der ganzen Welt angewandt werden. Eins liegt ihm besonders am Herzen: ‚Die Arbeit des Instituts darf sich nicht nur auf den Westen beschränken.‘ Mehr als bisher werden während seiner Amtszeit Vertreter des Ostblocks an dem Institut in der Hamburger Feldbrunnenstraße arbeiten.“47

Parallel zu seiner Tätigkeit als Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg war Wenke dann „1963 vom nordrhein-westfälischen Kultusminister Paul Mikat (CDU; 1943–45 NSDAP) als Gründungsrektor der in Bochum geplanten Universität eingesetzt. Das rief an einigen Orten der Bundesrepublik Proteste hervor, und in der Presse wurden eine Reihe von politisch belastenden Zitaten aus der NS-Zeit präsentiert. Als Wenke dann Partei für den Gründungsrektor der Universität Regensburg, Götz von Pölnitz, ergriff, den er aus Erlangen kannte und dem noch umfangreichere Äußerungen aus der NS-Zeit vorgehalten wurden, veranlasste der Düsseldorfer Ministerpräsident Heinz Kühn die Wahl eines neuen Bochumer Gründungsrektors.“48

Ausgangspunkt war ein Artikel von Wendula Dahle im „Spandauer Volksblatt“ vom 18.11.1964. Unter der Überschrift: „Kompetent für ‚Rassenpflege‘“ wurde „Fragwürdige Literatur aus der Feder des künftigen Rektors für Bochum“ präsentiert. Darin hieß es:

„Im nächsten Jahr wird es in Bochum die Neueröffnung einer Universität geben. Schon lange bevor sie mit ihrer Arbeit begonnen hat, ist der Rektor der Öffentlichkeit bekannt geworden. Weiß sie auch, wer dieser Rektor ist? Noch hat man Zeit, dem zukünftigen Rektor, Prof. Hans Wenke von der Universität Hamburg, Fragen zu stellen. Man sollte sie jetzt stellen, um der neuen Universität vielleicht Peinlichkeiten zu ersparen. Nach herrschender Meinung war auch Hans Wenke 1934 mit 31 Jahren noch sehr jung. Damals schrieb er in der Zeitschrift für Deutschkunde Rezensionen unter der Rubrik ‚Geschichte und Rassenkunde‘. In der Nummer des Jahres 1934 finden sich auf den Seiten 595ff. 22 von Hans Wenke besprochene Bücher mit Titeln wie: ‚Die Führerpersönlichkeit in der deutschen Geschichte.‘ ‚Ewiges deutsches Volk.‘ ‚Deutsche Bauerngeschichte.‘ ‚Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege.‘ ‚Vorschule der Rassenkunde.‘ usw. Er empfiehlt diese Bücher Geschichts- und Deutschlehrern zur Lektüre. Freilich: Glaubensbekenntnisse schwärmerischer Art finden sich auch bei ihm nicht.“49

Wendula Dahle nannte noch andere Beispiele: „Zu dem Buch von Hermann Reiße, ‚Sieg-Heil SA‘, schreibt er unter anderem: ‚Diese Festigkeit der Gesinnung ist die stärkste Grundlage der nationalsozialistischen Bewegung. Das Buch erfüllt seinen Zweck, wenn es in seiner einfachen eindringlichen Art diese Erkenntnis vertieft.‘ In derselben Nummer dieser Zeitschrift findet sich auch ein recht langer und ausführlicher Beitrag von Hans Wenke mit dem Titel: ‚Die Wesensbestimmung des politischen Menschen‘. Dieser ‚politische Mensch‘ war für ihn 1934 ein ‚Kämpfer‘ und ein ‚Held‘, der ‚Willensantrieb‘ besitzt und der sein ‚Kämpfertum‘ und ‚Heldentum‘ treu in den Dienst ‚in und an der Gemeinschaft‘ stellt (S. 125). Das sind Sätze, die der Autor vielleicht auch heute noch vertreten wird, aber man muß wissen, was man damals unter ‚Kämpfer‘ und unter ‚Gemeinschaft‘ zu verstehen hatte. Im folgenden wird Wenke noch sehr viel präziser: ‚Der politische Mensch des völkischen Staates vereinigt die grundständige völkische Gesinnung mit einem nüchternen Blick für die politischen Notwendigkeiten …‘ (S. 123).“50

Die Journalistin Dahle stellte dazu fest: „Die politischen ‚Notwendigkeiten‘ waren 1934 jedem klar: Sie bedeuteten freiwillige Aufgabe der Freiheit und Unterwerfung unter das damalige Regime. Einige Seiten vorher hatte der Autor diese Notwendigkeit bereits erwähnt: ‚Die wichtigste Aufgabe, die hiernach dem Staate zufällt, besteht darin, der Selbstverwirklichung des Volkstums zu dienen. Dieser Dienst widerspricht nicht dem Wesen des totalen Staates, insofern, als er sich – um seinen Dienst am Volksganzen zu erfüllen – mit Totalitätsanspruch dem einzelnen gegenüber durchsetzen muß. Wir belegen diesen Gedankengang mit einigen Sätzen aus Hitlers Buch ‚Mein Kampf‘ …‘ (S. 59)“51

Und Dahle schrieb dazu: „Auch das hier erwähnte ‚Völkische‘, das mit der Zeit zu einem Zentralbegriff der nationalsozialistischen Ideologie wurde, wird von Hans Wenke genauer definiert. Das Völkische steht nach seiner Ansicht ‚dem Menschen näher als das im engeren Sinne ‚Politische‘, weil es zum Urbestande seiner leiblichen, seelischen und geistigen Natur gehört; es ist enthalten in rassischer Zugehörigkeit, in Sprache, Heimat und in einem aus dem Blute und den geschichtlichen Schicksalen des Volkes hervorgegangenen Erbe, das jedem einzelnen mitgegeben ist’ (S. 122).“52

Dahle kommentierte: „Mit diesen Sätzen bekennt der Autor sich zu den irrationalen Kräften, die bis 1945 als Grundlage des Deutschtums angesehen und propagiert wurden. Es mußte ihm damit klar sein, auf welcher Seite er schrieb und in wessen Dienst er sich damit begab.“53

Es bedurfte offenbar einer neuen Generation, um sich in dieser Weise mit Wissenschaftlern, Autoren, renommierten Politikern und deren Veröffentlichungen in der NS-Zeit auseinanderzusetzen.

Wendula Dahle hatte auch die von Hans Wenke herausgegebene Festschrift für seinen Protegé Eduard Spranger gelesen und darin Wenkes Beitrag „Zur Philosophie des totalen Krieges“, aus dem sie einige Zeilen zitierte. Sie knüpfte daran die Bemerkung:

„Vielleicht ist es erlaubt, den zukünftigen Rektor der Bochumer Universität zu fragen, ob er die Werte der Totalität des totalen Krieges und der totalen Anstrengung eines Volkes, wie er sie in dem von Hitler und dem deutschen Volk geführten Eroberungskrieg verwirklicht sah, etwa als Leitbilder der Bundeswehr auch heute anerkennen würde. Das sind Fragen, die Studenten gerade seines pädagogischen Seminars interessieren müßten. Denn es stimmt uns Jüngere doch nachdenklich, wenn diejenigen, die im Dritten Reich ohne Mühe tüchtig sein konnten, auch heute wieder an hervorragender Stelle repräsentieren.“54

Und sie schloss:

„Als Kulturpolitiker war er schließlich noch während des CDU-Interims in Hamburg Senator für das Schul- und Hochschulwesen. Mit dieser Aktivität steht Herr Professor Wenke sicher in dem Ansehen, sich um den demokratischen Aufbau unseres Staates verdient gemacht zu haben.“55

Es ist schon berichtet worden, dass Hans Wenke nach dieser Veröffentlichung nicht Gründungsrektor der Universität Bochum bleiben konnte. Überraschend ist, wie gering die Resonanz darauf in Hamburg war. In der „Bild-Zeitung“ erschien ein kleiner Artikel mit der Überschrift „Buchbesprechungen aus der NS-Zeit veröffentlicht“ und darin wurde über Hans Wenke berichtet: „Er soll den nationalsozialistischen Rassenwahn verherrlicht haben! Er hat jetzt das ihm angebotene Amt abgelehnt, erster Rektor der neuen Ruhr-Universität in Bochum zu werden.“56 Es war wohl eher andersherum, die Ablehnung erfolgte von politischer Seite. Für die „Bild“ positiv: „Prof. Wenke bleibt in Hamburg und wird als international anerkannter Pädagoge und Philosoph weiterhin den Lehrernachwuchs ausbilden.“ Zitiert wurde auch der damalige Schulsenator Drexelius: „Wir werden keine Maßnahmen gegen Professor Wenke wegen seiner früheren Veröffentlichungen ergreifen. Ich persönlich war tief betroffen, als ich davon hörte!“57 Haug von Kuenheim schrieb dazu in der „Zeit“: „Hamburgs Senator Drexelius meinte damals in einem Telefonat mit der ‚Stuttgarter Zeitung‘: ‚Vielleicht können Sie Ihren Kultusminister veranlassen, daß Wenke wieder einen Ruf nach Schwaben bekommt, dann wären wir eine Sorge los.‘ Inzwischen hat der Senator die inkriminierten Werke seines Professors gelesen und lesen lassen. ‚Sie waren noch gerade eben tragbar‘, lautet sein Kommentar heute.“58

Und auch die „Hamburger Morgenpost“ brachte gleichzeitig einen kleinen Artikel ähnlichen Inhalts unter der Überschrift „Skandal um die Kritik“.59

Ganz anders äußerte sich ein Kollege und Freund seit gemeinsamer Tübinger Zeiten von Hans Wenke, der Hamburger Theologieprofessor Helmut Thielicke, der einen Kommentar in der „Welt am Sonntag“ veröffentlichte. Er pries die Kompetenzen von Hans Wenke, der wie kein zweiter geeignet wäre Gründungsrektor einer neuen Universität zu werden:

„Ich wüßte niemanden in Deutschland, der das so hätte bewältigen können wie er. Denn in seiner Person treffen jene vielfältigen Eigenschaften zusammen, deren Kombination hier gefordert war: Er ist ein Gelehrter von Rang und Namen, der das geistige Profil einer Universität zu prägen vermag. Er kennt die Geheimnisse und Finessen akademischer Selbstverwaltung; denn er war selber Rektor, und zwar in Tübingen. Als ehemaliger Hamburger Schulsenator und insofern als Kultusminister verfügt er über die Erfahrung als Chef einer staatlichen Aufsichtsbehörde. Und endlich: Er brachte und bringt die Bereitschaft auf, durch Jahre hin seiner nicht übermäßig robusten Gesundheit ein männermordendes Doppelamt abzuringen: nämlich Professor in Hamburg zu sein und gleichzeitig die unzähligen Fäden des Bochumer Riesenunternehmens in der Hand zu behalten, zu reisen und zu verhandeln.“60

Wie nun ging Helmut Thielicke mit den konkreten Kritikpunkten um?

„Wenige Monate, bevor es soweit ist, werden nun in einer Studentenzeitung einige Worte ausgegraben, die Wenke als junger Mann während des Dritten Reiches geschrieben hat, vor allem in zwei- bis dreizeiligen Buchrezensionen. Diese Worte lesen sich heute, wo wir über die Erfahrung gebrannter Kinder verfügen, nicht angenehm. Sie verherrlichen allerdings nicht, wie übertreibend gesagt wurde, das Regime. Sie sind nur, für dieses Stadium der Zeitgeschichte vielleicht begreiflich, unkritisch. Dieser vergleichsweise kümmerliche Fund genügte, um in Presse und Fernsehen einen Mann dieses Ranges und dieser einsamen und einzigartigen Leistung als alten Nazi abzustempeln. In der bei uns üblich gewordenen kollektiven Vergangenheitsneurose war plötzlich alles aber auch alles hinwegretuschiert, was dieser Mann seit zwei Jahrzehnten ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit, öffentlich und noch mehr im Verborgenen, für unser Land getan hat, oder man ist unverfroren genug, es aus ehrgeizigen Motiven zu erklären. Ich erlaube mir angesichts dessen ein vernehmliches Pfui auszurufen und stelle die Frage, in welchem Lande Derartiges möglich wäre. Leute, die sich so unkontrolliert dem Gefälle von Emotionen hingeben, würden in einer neuen Tyrannei die ersten sein, die ihren Blendungskünsten nicht gewachsen wären. Sollte es denn mit uns so weit kommen, daß die Deutschen in zwei Lager zerfielen: in die hysterischen Sündenbocksucher auf der einen und in die Indifferenten, die Wurstigen – die nur vergessen und verdrängen wollen – auf der anderen Seite? Gott bewahre uns vor dieser Alternative! Aber vieles spricht dafür, daß unser Kompaß dahin zeigt. Der Fall Wenke kann uns eine Warnung sein. Aber er warnt in einem anderen Sinne, als gewisse Pharisäer in unserem undankbaren Volk es wahr haben möchten.“61

Starke Worte. Und sicherlich hatte Helmut Thielicke Recht damit, dass es hier eine Unverhältnismäßigkeit gab, im Vergleich zu anderen Personen, die in der NS-Zeit in ganz anderer Weise agiert und in Nachkriegsdeutschland Karriere gemacht hatten. Unverhältnismäßig erschien die Reaktion auf Wenke auch deswegen, weil in den Jahren zuvor gar nichts mehr thematisiert worden war, was Personen in Wissenschaft, Publizistik, Schule und Politik in der NS-Zeit gemacht, gesagt oder geschrieben hatten. Insofern erwies sich die Reaktion auf den Artikel im „Spandauer Volksblatt“ und eine anschließende Fernseh-Glosse über Wenkes Vergangenheit62 als ein erster Wendepunkt in der Reaktion und Aufarbeitung der NS-Geschichte im Laufe der 1960er-Jahre. Verstärkt wurde dies durch einen Artikel im „SPIEGEL“, der weitesgehend die im „Spandauer Volksblatt“ zitierten Passagen aus Wenkes Schriften und der Spranger-Festschrift wiedergab und feststellte: „Bei so viel Pflichterfüllung blieb der Lohn nicht aus: 1941 erhielt Wenke einen Lehrstuhl für Pädagogik, Psychologie und Philosophie in Erlangen.“63

Da Helmut Thielicke sich im Kontext der Auseinandersetzung mit Hans Wenke an der Hamburger Universität noch einmal deutlich äußerte, möchte ich an dieser Stelle aufgreifen, was Benjamin Ortmeyer in seiner Auseinandersetzung mit den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit aus den 1984 veröffentlichten Erinnerungen von Helmut Thielicke aufgriff. Zu seiner eigenen Haltung während der NS-Zeit, im Spannungsfeld von Anpassung und der Bewahrung eines gewissen Rückgrats, hatte Thielicke geschrieben:

„Ich wählte folgende Lösung: Ich nahm mir bestimmte Dinge vor, die ich auf gar keinen Fall tun würde. Ich würde nie, trotz allen Drängens und trotz aller Versprechungen, in die Partei eintreten. Und ich würde nie – weder mündlich noch schriftlich oder gar gedruckt – irgendein Bekenntnis zu diesem Regime oder auch nur eine positive Zensur zum Ausdruck bringen. Denn viel schlimmer als eine organisatorische Angliederung oder ein formelles Mitmachen empfand ich jeden Verrat am Wort und mit Worten. Die bekennende Aussage musste etwas sein, an dem der Vertreter eines Gesinnungsberufes, ein ‚Professor‘, seine Glaubwürdigkeit zu bewahren hatte; Zugeständnisse waren hier unmöglich. Ich konnte einem Freund die Parteizugehörigkeit verzeihen, wenn wenigstens sein Wort unantastbar blieb. Umgekehrt verachtete ich die, die einen äußeren Anschluss zwar vermieden, in ihren Worten aber hemmungslos opportunistisch waren. Ein Professor muss nach seinen Worten beurteilt werden; sie sind seine Taten. Nach dem Krieg hat es mich deshalb oft verdrossen, wie töricht die Kriterien waren, nach denen man einstige Schuld bemaß, wie man ein HJ-Abzeichen als diffamierend, eine organisatorische ‚Jungfräulichkeit‘ aber als heroischen Status erachtete, statt die einzig sachgemäße Frage zu stellen: ‚Was hast du gesagt und was hast du publiziert?‘“64

Darauf werde ich zurückkommen, wenn ich mich noch mit einigen Schriften von Hans Wenke aus der NS-Zeit beschäftige. Zwischenzeitlich aber muss referiert werden, wie die antiautoritäre Studentenbewegung auf Wenke reagierte. Erstaunlicherweise hatte es auf die Veröffentlichungen 1964 in der Hamburger Studentenschaft keine sichtbare oder dokumentierte Resonanz gegeben. Dies änderte sich im Jahre 1967. Es begann mit einem Artikel in der vom AStA der Universität Hamburg herausgegebenen Studentenzeitschrift „Auditorium“, in der der damals 24-jährige Pädagogikstudent und Mitglied im SDS, Reinhold Oberlercher, unter der Überschrift „Wenke – oder die Unmöglichkeit einer Rezension“ gegen Hans Wenke polemisierte.65 Es war zeitgleich zu einer spektakulären Aktion im Auditorium Maximum der Universität Hamburg gekommen, als die beiden Studenten Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer bei dem Rektorenwechsel am 9. November 1967 mit dem Transparent „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ vor den Spektabilitäten in das Audimax einmarschierten.66 Diese Aktion war der Beginn einer tiefgreifenden Erschütterung des akademischen Establishments.

Reinhold Oberlercher hatte vor seinen Artikel ein Zitat aus einem Beitrag von Hans Wenke in der von ihm in der NS-Zeit als Schriftleiter verantworteten pädagogischen Zeitschrift „Die Erziehung“, 17. Jahrgang 1942, Seite 154 vorangestellt, in dem es hieß: „In Grenzfällen ist ein Bericht des zuständigen Beauftragten des rassenpolitischen Amtes der NSDAP über die erbbiologischen und rassischen Verhältnisse des Schülers und seiner Sippe einzuholen.“67

Oberlercher schrieb: „Allen Ernstes war geplant, Wenkes Vorlesung ‚Der Aufbau des Erziehung- und Bildungswesens‘ und sein Seminar über ‚Kultur- und bildungspolitische Probleme der Gegenwart‘ zu rezensieren. Aber: Den Anspruch der Wissenschaft, die an sich erst kritisch und somit auch kritikwürdig wäre, stellt Wenke gar nicht. Seine beiden Veranstaltungen sind unter aller Kritik. Über sie trotzdem zu schreiben ist nicht Kritik, sondern Deskription eines pathogenen Syndroms im akademischen Betrieb.“68

Und weiter: „Wenke ist kein ‚Grenzfall‘, er ist keineswegs extrem. In einem Land, wo KZ-Erbauer, Renegaten und Alt-Nazis die höchsten Regierungsposten besetzen, ist ein alternder Ideologe des pädagogischen Hitlerismus, ein fast gemütlicher Normalfall. Nicht Wenke beunruhigt, sondern seine Hörer; nicht monologisierende Paragrafenalchemie ist verhängnisvoll, sondern ein Audimax voller geduldiger Adepten.

Was treibt junge Leute dazu, anderthalb Stunden schulbürokratisches Räsonnement über sich ergehen zu lassen? Ist es die ausführliche Paraphrasierung der Frage nach der rechten Gehaltsgruppe, oder die frisch von der Massenpsyche kommende Feststellung, daß man wieder einmal sehe, ‚wie das Gute und das Schlechte immer so beieinander liegt‘? Oder füllen Wenkes flüssiger Vortragsstil ihm den Hörsaal, die Witzchen und Anekdötchen aus dem lustigen Schulalltag, mit denen er den alten und neuen Gesetzesmuff garniert?“69

Oberlerchers Fazit:

„Bleibt zu konstatieren die totale Verschulung des Wenkeschen Hauptseminars, seine perfekte Technik, kritische Äußerungen zu ignorieren, im Keim zu ersticken oder lächerlich zu machen. Die Diskussion ist zum infantilen Frage-und-Antwort-Spiel geschrumpft. Jede Frage, die Wenke stellt, genügt bereits, denn er will immer nur das wissen, was er schon weiß. Darauf angesprochen, gibt Wenke die Verschulung seines Hauptseminars zu, versichert jedoch, in seinem Doktorandenseminar herrsche bei 10 Teilnehmern ein freier und sachlicher Arbeitsstil. Eine empirische Überprüfung dieser Behauptung lehnte er rundweg ab und verlangte, ihm zu glauben.“70

Oberlerchers Konsequenz: „Angesichts des ritualisierte Vorurteils, des zum System sozialer Institutionen verfestigten Totalidiotismus muß Vernunft, so sie überhaupt noch etwas ausrichten will, ihrer geschichtlichen Dimension sich erinnern und zur revolutionären Gewalt greifen. Akademische Zumutungen vom Schlage Wenkescher Vorlesungen sind nur dadurch zu kritisieren, daß man sie sprengt.“71

Hans Wenke hätte diese Einlassung in einer nicht sonderlich professionellen und übermäßig gelesenen Studentenzeitung ignorieren können. Zumal nur ein geringer Teil der etwa 700 Studierenden, die regelmäßig seine Vorlesungen besuchten, von Oberlercher als „geduldige Adepten“ bezeichnet, was eigentlich „kritiklose Deppen“ heißen sollte, sich von dieser Rezension irritieren ließen.

Wenke entschied anders und initialisierte damit eine Erschütterung, die am Ende dazu führte, dass er resigniert die Universität verließ. Der Reihe nach.

Prof. Hans Wenke schloss den Studenten Oberlercher am 30.11.1967 aus seinem Hauptseminar aus. Dagegen protestierte der Fachschaftsrat Erziehungswissenschaft und forderte Wenke auf, „den sachlich ungerechtfertigten Rauswurf rückgängig zu machen und sich bei dem betroffenen Kommilitonen öffentlich zu entschuldigen“.72 Wenke erklärte dazu: „Meine Aufforderung an Herrn Oberlercher, den Raum meiner Seminarübung zu verlassen ist die Konsequenz eines Faktums. Dieses Faktum ist der in der vom AStA herausgegebenen Zeitschrift ‚auditorium‘ Nummer 50 veröffentlichte Artikel von Reinhold Oberlercher mit dem Titel ‚Wenke – oder die Unmöglichkeit einer Rezension‘. Ich bitte alle, diesen Artikel genau zu lesen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Ich beteilige mich nicht mit Erklärungen an dieser Urteilsbildung, die jedem einzelnen überlassen bleibt.“73

In einer der ersten Dekanekonferenzen, die der neue Rektor der Universität, Professor Dr. Werner Ehrlicher nach der geschilderten Amtseinführung im Audimax durchführte, wurde auch über diesen Fall berichtet. Neben dem Fachschaftsrat hatten auch der AStA und der SDS Prof. Wenke aufgefordert, sich bei Oberlercher zu entschuldigen, „andernfalls werde er in seiner Vorlesung am 7. Dezember ‚zur Rede gestellt werden‘“. Daraufhin hatte Wenke seine Vorlesung ausfallen lassen: „Dabei habe es sich gezeigt, daß wesentlich mehr Studenten erschienen seien, als die Vorlesung Hörer habe; unter den Studenten haben längere Diskussionen stattgefunden.“74 Rektor Ehrlicher erklärte seine Absicht, den Widerspruch von Oberlercher zurückzuweisen „und zwar vornehmlich wegen des in dem Zeitungsartikel enthaltenen Aufrufs, die Vorlesungen von Professor Dr. Wenke zu stören“.75

Am 10.12.1967 schrieb der Hamburger GEW-Vorsitzende, Hanspeter Schlesiger, an Hans Wenke:

„In der Zeitung habe ich von Ihrer Auseinandersetzung mit dem Studenten O. gelesen. Anhand der sehr ausführlichen Darstellung in WELT und Abendblatt kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben völlig richtig gehandelt! Auch ich hätte mir eine solche Beleidigung nicht gefallen lassen, weder von einem Studenten noch irgendeinem anderen Menschen. Die Stellungnahme des AStA hingegen beweist, daß man hier offenbar völlig verdrehte Vorstellungen von Recht und Unrecht besitzt. Ich bin, wie Sie wissen, der Meinung, daß vieles gerade in unserem Bildungswesen reformbedürftig ist. Die Art aber, in der gewisse Kreise unserer Studenten agieren zu müssen glauben, ist empörend und in höchstem Maße würdelos. Es war meines Erachtens höchste Zeit, daß ein Hochschullehrer sich einmal in aller Deutlichkeit gegen solche Rüpeleien verwahrte. Und ich möchte Ihnen ganz einfach dafür Dank sagen, daß gerade Sie, einer der angesehensten Wissenschaftler unserer Universität, das getan haben. Ich sage das nicht nur als Ihr ehemaliger Schüler, sondern als in verantwortlicher Arbeit stehender Pädagoge und Schulpolitiker, der Sie in vielen Bereichen ihrer Tätigkeit seit 20 Jahren erlebt hat und der weiß, was die Arbeit an der Jugend für Sie bedeutet und was Ihre Arbeit auch für unsere Jugend bedeutet. Bitte lassen Sie sich durch Torheiten einiger unreifer Lümmel nicht beirren! Sie können, wenn Sie mich brauchen, immer auf mich rechnen!“76

Die GEW sollte Diskussionen mit den „unreifen Lümmeln“ wenige Jahre später auch noch bekommen.

Am 7.12.1967 verteilte der SDS ein Flugblatt mit der Überschrift: „Wer ist Wenke?“ Darin hieß es:

„Im Dritten Reich propagierte Wenke leidenschaftlich den Faschismus:

‚Sie (viele Menschen) bedürfen keiner begrifflich-analytischen Klärung. Sie erfüllen aus dem Schwung des Herzens, aus der Kraft des Gefühls die Forderungen des totalen Krieges in Haltung und Tat auf das genaueste und bis ins kleinste und letzte.‘ (Wenke, Hans, Zur Philosophie des totalen Krieges, in: Festschrift für Eduard Spranger, Leipzig 1942, S. 268)

Nach 45 passte Wenke sich geschickt der neuen Strömung an. Schnell kam er wieder zu Amt und Würden. Schnell konnte er wieder seinen Mief verbreiten! Wenke ist der typische Vertreter des karrieristischen und akademischen Schleimscheißers, der sich in jedes Verhältnis fügt, der bei den Nazis die Universitäten zu Hochburgen des Faschismus machte, und der gegenwärtig am heftigsten die überkommenen feudalen Strukturen der bestehenden Universität verteidigt, wohlwissend, dass er das erste Opfer einer Demokratisierung der Hochschule sein würde.

Für Karrieristen und Schleimscheißer ist in der Universität kein Platz! Sie müssen schnell verschwinden. Wie können wir Wenke am schnellsten in den Ruhestand versetzen? Da nicht zu hoffen ist, dass der Rektor Wenke relegieren wird, müssen wir seine Vorlesungen und Seminare boykottieren. Boykottiert seine Vorlesungen und Seminare!“77

Die Konflikte schienen unauflösbar. Die Positionen beider Seiten waren verhärtet. Helmut Thielicke solidarisierte sich erneut mit Hans Wenke, ließ sein Kolleg im Auditorium Maximum ausfallen und verlas stattdessen eine Erklärung unter der Überschrift „Armes Deutschland“. Darin verglich er die gerade erlebte Situation mit dem, was er in der Nazizeit zu ertragen gehabt hatte. Den Studenten Oberlercher nannte er einen „ordinären Schmutzschleuderer mit psychopathischen Zügen“.78

Ein großer Teil der Studierenden von Hans Wenke war genervt von den ständigen Störungen, aber es gab keine einzige Veranstaltung, ohne dass Hans Wenke zu seiner Vergangenheit und zu der Auseinandersetzung mit Reinhold Oberlercher gefragt oder kritisiert wurde. Interessant war dabei, dass die Assistenten wie auch Professor Helmut Thielicke behaupteten, Oberlercher hätte das Zitat auf seinem Flugblatt aus der Zeitschrift „Die Erziehung“ als von Hans Wenke stammend gefälscht. Darauf werde ich im nächsten Abschnitt noch etwas genauer eingehen, denn die von Hans Wenke in dieser Zeitschrift seit 1934 verfassten Beiträge „zur pädagogischen Lage in Deutschland“ waren so verfasst, dass sie über neue Entwicklungen, Ordnungen, Richtlinien etc. in Nazideutschland berichteten, mit Hinweisen auf die Quellen, aber in großem Umfang ohne Zitate als Zitate auszuweisen, so dass nicht deutlich wurde, inwieweit Hans Wenke sich das Beschriebene zu eigen gemacht hatte. So auch in den von Oberlercher zitierten Sätzen.

Inzwischen hatte der SDS auch die Wenke-Zitate aus dem „Spandauer Volksblatt“ gefunden und brachte sie als Sonderinfo in die Universitätsöffentlichkeit, was wieder dazu führte, dass Hans Wenke dazu aufgefordert wurde, Stellung zu beziehen. Am 14.3.1968 vermeldete das „Hamburger Abendblatt“, dass Reinhold Oberlercher gegen die Suspendierung aus den Seminaren von Hans Wenke klagen würde. Gleichzeitig erklärte Wenke, nach dem abgeschlossenen Wintersemester keine Vorlesungen mehr halten zu wollen.79

Und so kam es auch. Hans Wenke führte zum ersten Mal am 20.3.1968 mit Bildungssenator Wilhelm Drexelius ein Gespräch über die Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit, das er am 12.7.1968 fortsetzte. Drexelius verfasste dazu einen internen Vermerk, in dem er festhielt:

„Herr Professor Wenke teilte mir mit, dass er sich nach sehr sorgfältiger Überlegung nun doch entschlossen habe, seine vorzeitige Emeritierung zum 30. September 1968 zu beantragen. Zugleich teilte er mir mit, dass er sich nicht bereit erklären könnte, sich selbst bis zur Wiederbesetzung des Lehrstuhls zu vertreten. Als Begründung führte Herr Professor Wenke als wesentlichen Punkt an, daß er nicht mehr die Kraft und den Ausweis für viele Aufgaben habe, deren Erledigung er sich vorgenommen habe. Auch sei durch die Ereignisse des Wintersemesters 1967/68 seine Unbefangenheit im akademischen Lehrbetrieb genommen worden, d.h. auch wenn es nicht zur Fortsetzung der Störungen kommen sollte, so könne er doch nicht mehr das alte Verhältnis zu den Studenten und zum Lehrbetrieb wiedergewinnen.“80 Wenkes Pensionierung zum 30.9.1968 wurde von Bürgermeister Herbert Weichmann unterschrieben.81

In die Debatte um Hans Wenke und die „braune Vergangenheit“ mischte sich auch Hamburgs jüdischer Schriftsteller und Maler Arie Goral ein, der ein paar Jahre zuvor die Entgleisungen des Psychologen Peter Hofstätter angeprangert hatte und der in den Jahren der politisierten Studentenbewegung ein häufiger Gast und Diskutant auf dem Hamburger Campus war. Arie Goral machte zu der beschriebenen Auseinandersetzung ein paar wichtige Anmerkungen:

„Ob nun das studentische enfant terrible Reinhold Oberlercher der geeignetste Vertreter einer geistes- und gesellschaftskritisch fundierten und ausgerichteten, politisch wie pädagogisch grundsätzlich analysierenden und argumentierenden Auseinandersetzung, die uns weiterbrächte, ist, werden wohl selbst manche seiner SDS-Genossen bezweifeln. Seine Diktion und Rhetorik ist oft ebenso stimulierend wie enervierend. Ich weiß nicht, ob er ideologisch überhaupt einen festen Standpunkt hat, ob er beispielsweise als Mitglied des SDS Sozialist ist. Ich vermute, dass er selbst es nicht weiss. Müsste ich ihn einordnen, so würde ich sagen, er ist ein nach rechts tendierender ‚linkelnder‘ Anarchist. Aber es geht hier nicht um ihn, sondern um Prof. Wenke.

Man muss sich entscheiden ob man für den Stein des Anstoßes, nämlich Prof. Wenke, oder für denjenigen ist, der diesem Stein einen deftigen Tritt gab. Ungeachtet meiner Vorbehalte, abgesehen von verschiedenen Einwänden, die ich gegenüber Oberlercher und dem SDS zu machen hätte, stehe ich auf Seiten des Studenten, weil er die gerechtere, freiheitlichere und demokratischere Sache vertritt.“82

Arie Goral weiter: „Ob er für seine Kritik die richtige Form gefunden hat, das ist eine andere Frage. Aber Leute wie Wenke und Hofstätter, die in einer Zeit, in der es für andere um Tod und Leben ging – zumeist nur noch um den Tod, – die in jener Zeit wissenschaftlich, methodisch, stilistisch und nicht zuletzt menschlich skrupellos jede Norm und Form anständigen Verhaltens als Sachwalter des Geistes verrieten, sie sollten doch heute, da sie wieder einmal in aller Sicherheit mit von der Partie sind, nicht so ‚pingelig‘ sein, nicht so auf ‚die Würde der Universität‘ pochen. Vor allen Dingen sollten nicht diejenigen nach der Inquisition gegen einen Studenten rufen, der rebellierte, die in der Zeit, in der es galt, die Würde der Universität zu wahren und zu beweisen, nicht nur zu feige zur Rebellion waren, sondern sich zusätzlich sogar würdelos bei jenen anbiederten, die die Freiheit des Geistes nicht nur in den Universitäten unterdrückten. Wenn sie schon nicht Rede und Antwort stehen, so sollten doch wenigstens diejenigen schweigen, die damals intellektuell legitimierten, dass Menschen in Gaskammern getrieben wurden. Dass sie aber heute Erzieher kommender Erzieher sind, das müssen diejenigen verantworten – so weit sie das können! –, die sie zu dem machen, was zu sein sie behaupten: Repräsentanten des Geistes und der Wissenschaft an deutschen Universitäten.“83

Die Charakterisierung von Reinhold Oberlercher durch Arie Goral als „nach rechts tendierender ‚linkelnder‘ Anarchist“ hatte etwas Prophetisches. Oberlercher driftete im Laufe der Jahre in das rechtsradikale Milieu ab. Felix Krebs schrieb schon 1996 in der „Konkret“ unter der Überschrift „Schulungsleiter der nationalen Intelligenz“ wo Oberlercher später landete, bei den „Republikanern“, in der NPD, als Freund des ebenso nach rechts gewendeten ehemaligen „APO-Anwalts“, Horst Mahler: „Oberlerchers ‚100-Tage Programm‘ das den Vergleich mit dem 25-Punkte-Programm der NSDAP nicht zu scheuen braucht, fand viel Anklang im neofaschistischen Spektrum. Seit Februar 1995 kann die nationale Intelligenz Oberlerchers zuletzt genannten Texte in didaktisch aufbereiteter Form in Berlin bestellen. Neben dem Einführungskurs ‚Reichsbürgerkunde‘ bietet das Nazi-Kolleg Aufbau- und Führungskurse an. Im Bericht des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz heißt es, Oberlercher wolle mit ‚dem umfangreichsten und radikalsten Schulungsprogramm einen heterogen Kreis aus Neonazis, studentischen Gruppen, neuen Rechten und rechten Altparteien ansprechen und politische Kader schmieden‘.“84

Reinhold Oberlercher ist laut Internet bis heute in rechtsradikalen Kreisen aktiv und verbreitet nationalsozialistisches Gedankengut. Oberlercher, Jahrgang 1943, befindet sich also da, wo er Hans Wenke 1967 wähnte, über den er, als dieser 64 Jahre alt war, spöttisch sagte: „Das ist ein netter alter Opa, der mir sympathisch ist.“85

Welch Ironie der Geschichte.

 

Ich möchte mich zum Ende damit auseinandersetzen, was durch Benjamin Ortmeyer erst 2014 systematisch gesichtet wurde. Ortmeyer hatte sich im Kontext seiner Forschung über die Erziehungswissenschaftler Eduard Spranger, Hermann Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen auch intensiv mit Hans Wenke beschäftigt. Wenke war seit 1937 Schriftleiter der Zeitschrift „Die Erziehung“, seit 1939 mit Eduard Spranger zusammen zugleich auch deren Herausgeber. In dieser Zeit veröffentlichte Wenke in der Rubrik „Kleine Beiträge, Kritiken und Berichte“ in der Zeit von Februar 1934 bis Mai 1942 insgesamt 55 Berichte unter der Überschrift „Die pädagogische Lage in Deutschland“. Benjamin Ortmeyer hat die 55 Berichte in einer Dokumentation zusammengestellt und mit einer Vorbemerkung und einem Überblick zur Artikelserie veröffentlicht.86

In seiner Vorbemerkung schrieb Ortmeyer:

„Hans Wenke, der Schriftleiter der Zeitschrift ‚Die Erziehung‘, war nach der Analyse von Klaus-Peter Horn eine zentrale Stütze, um die Zeitschrift auch gegen Anfeindungen aus den Reihen der NSDAP hindurchzusteuern. Dahinter steht die Tatsache, dass die alte, traditionelle Zeitschrift ‚Die Erziehung‘, mit Eduard Spranger als Symbolfigur, zwar politisch sehr rasch auf den Kurs des NS-Regimes einschwenkte, aber dennoch die sogenannten ‚geisteswissenschaftlichen Traditionen‘ bewahren und in die NS-Ideologie einarbeiten wollte. Wenke hatte eine Vermittlerfunktion, galt als untadeliger Nationalsozialist und konnte so durch seine regelmäßige Mitarbeit die Loyalität gegenüber dem NS-Staat deutlich dokumentieren. Seine kontinuierlichen Bemühungen, das Erlass-Chaos ein wenig übersichtlicher zu gestalten – was zunehmend schwieriger wurde – hatte einen unzweifelhaften Wert während der NS-Zeit.“87

 Ich habe alle Beiträge von Hans Wenke in dieser 388-seitigen Dokumentation gelesen und stimme der Schlussfolgerung von Benjamin Ortmeyer absolut zu: „Wenke war also ohne Frage auch ein propagandistischer Unterstützer des NS-Regimes und des NS-Erziehungssystems.“88 Er hatte sich in Hinsicht auf das – oftmals nur als Dschungel zu bezeichnende – ausgesprochen umfangreiche Erlassmaterial als eine Art formal-organisatorischer Verwaltungsfachmann spezialisiert, der sich bemühte, „der Leserschaft der Zeitschrift ‚Die Erziehung‘ wenigstens die Grundzüge der technischen und organisatorischen Veränderungen nahe zu bringen“.89 Wenkes Arbeit bestand darin, „das NS-Regime politisch loyal zu unterstützen, auch in seinen Maßnahmen verwaltungstechnischer Art, die ausdrücklich begrüßt wurden. Aber dies geschah in der Rolle eines loyalen Bündnispartners.“90

Wie Hans Wenke konkret arbeitete, soll an dem Beispiel gezeigt werden, das Reinhold Oberlercher in seinem Artikel in der Studentenzeitschrift „Auditorium“ Nummer 50, 1967 anführte. Oberlercher zitierte:

„In Grenzfällen ist ein Bericht des zuständigen Beauftragten des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP über die erbbiologischen und rassischen Verhältnisse des Schülers und seiner Sippe einzuholen.“ Dies stand genau so in dem Bericht von Hans Wenke: „Die pädagogische Lage in Deutschland“ in Heft 7/8 aus dem April/Mai 1942 auf Seite 154. Es war nicht als Zitat, in Anführungszeichen gesetzt. In dem gesamten Text hatte Wenke allerdings darauf hingewiesen, mit Quellenangabe, dass es einen Erlass über „Schülerauslese für die Hauptschulen“ vom 3. Juli 1941 gegeben hätte.91 So arbeitete er. Er fasste zusammen, möglicherweise paraphrasierte er auch, machte aber nur in wenigen Fällen deutlich, wenn er zitierte, so dass nie klar wurde, was eigene Texte waren, Identifikationen, oder nur die originale Wiedergabe von Teilen der Richtlinien, Erlasse, Bestimmungen. In Oberlerchers Auseinandersetzung mit dem Artikel hatten elf Assistenten des Fachbereichs Erziehungswissenschaft dem Studenten vorgeworfen, er hätte Wenke einen Satz untergeschoben, der aus einem Erlass lediglich zitiert worden wäre.92 Und auch Helmut Thielicke hatte in seiner Rede „Armes Deutschland behauptet: ,Man war offenbar auch bereit, jede Fälschung in Kauf zu nehmen. Denn über dem Anti-Wenke-Artikel stand als Motto ein schockierendes, massives Nazi-Zitat, für das Herr Wenke als Urheber bezeichnet wurde, während es in Wirklichkeit nur den Wortlaut einer nazistischen ‚Verordnung‘ zitierte und als diese Zitierung auch in Wenkes Referat mit genauem Fundort gekennzeichnet war. Nicht so aber in jenem ‚Auditorium‘-Artikel. Wie gesagt: Fälschungen dieser Art, die man unmöglich als bloßes Versehen erklären kann, ließ man ungerügt durchgehen. Der aber, der das Opfer von Fälschungen und Rüpeleien war, wie sie in der deutschen Universitätsgeschichte wohl einmalig sind, sollte sich bei diesem Herren entschuldigen! Man fragt sich angesichts dessen, ob denn allmählich alle durchdrehen.“93

Hier irrte der Theologieprofessor, es war Hans Wenkes Methode gewesen, nicht eindeutig zu zitieren, das konnte man nicht dem Studenten Oberlercher vorwerfen und ihn der Fälschung bezichtigen.

Im Folgenden werde ich jetzt aus den 55 Berichten zur „pädagogischen Lage in Deutschland“ ein paar Beispiele anführen, die belegen, warum Benjamin Ortmeyer Hans Wenke als „NS-Autor“ bezeichnete, der „ohne Frage auch ein propagandistischer Unterstützer des NS-Regimes und des NS-Erziehungssystems“ gewesen war.94

So schrieb Hans Wenke im Februar 1934:

„Die nationalsozialistische Bewegung hat, wenn sie ihr innerstes Wesen bezeichnen wollte, darauf hingewiesen, daß sie vom Geist der jungen Generation erfüllt sei, und sie erwartet von der jetzt heranwachsenden Jugend die Erfüllung ihres Willens und die Vollendung ihres Werkes. Die politische Formung der gesamten deutschen Jugend gehört deshalb zu den höchsten Zielen des Nationalsozialismus; es wird zugleich als das schicksalsschwerste empfunden. Das ist nicht nur deshalb der Fall, weil man den Satz für richtig hält: ‚Wer die Jugend hat, hat die Zukunft‘, sondern auch darum, weil man überzeugt ist, daß die Jugend ihrem ewigen Wesen nach die Kräfte der Begeisterung und der echten Gesinnung am reinsten zu entfalten und zu bewahren vermag, ohne die der Bau des Neuen Reiches nicht möglich wäre. Wie der Nationalsozialistische Lehrerbund der Lehrerschaft neue Formen gab, so hatte diese Aufgabe von vornherein die Jugendorganisation der Partei, die Hitler-Jugend, zu erfüllen. Sie stellte sogleich ihre Arbeit auf das Endziel der Einheit von Nationalsozialismus und Staat ein: Die fortschreitende organisatorische Zusammenfassung der deutschen Jugend ist für sie gleichbedeutend mit dem Weg zur deutschen Staatsjugend.“95

Hier wurde nicht zitiert, dies konnte schon als loyales Bekenntnis gewertet werden.

Dass Wenke auch anders arbeiten konnte und sich nicht alle Aussagen zu eigen machte, zeigte er in einem anderen Beispiel. So schrieb er:

„Das wirksamste Mittel aber, die Fürsorgeerziehung vor Diffamierung zu schützen, sieht die NSV in der Ausscheidung der völlig minderwertigen und asozialen Jugendlichen. Diesen Zweck soll ein neu zu schaffendes ‚Bewahrungsgesetz‘ erfüllen, ‚in dem die Möglichkeiten für die Unterbringung gesellschaftsfremder und unverbesserlicher Elemente in geschlossenen Anstalten geregelt werden und auch die Möglichkeiten dafür geschaffen werden sollen, derartige Fürsorgezöglinge, die als für die menschliche Gesellschaft verloren erscheinen müssen, bei ihrem Eintritt in die Volljährigkeit in eine andere geschlossene Anstalt zu überführen‘.“96 Hier zitierte Hans Wenke und gab auch in der Fußnote direkt die Quelle an.

Ein Beispiel dafür, wie Berichte und persönliche Identifikation mit Aussagen ineinander gingen, bietet folgendes Beispiel: Wenke berichtete über den neu ernannten Führer der Reichsschaft der Studierenden an den deutschen Hoch- und Fachschulen, Andreas Feickert, und eine Verfügung über die Kameradschaftserziehung, sowie Aufsätze, die von der Deutschen Studentenschaft ausgingen und in der Tagespresse veröffentlicht worden waren. Er schrieb: „Sie gehen von dem Leitgedanken aus, daß eine nationalsozialistische Hochschule notwendig ist, um später eine nationalsozialistische Akademikerschicht zu haben. Die Reform der Hochschule muß von unten her und von Anfang an durchgeführt werden; d. h. der Einsatz muß bei den Studenten der gegenwärtig ersten Semester planmäßig und lückenlos geschehen. Gerade sie sind geeignet, weil sie nach der nationalsozialistischen Revolution die Schule verlassen haben und teilweise bereits der Hitlerjugend oder der SA angehörten, in jedem Falle aber durch den Arbeitsdienst hindurch gegangen sind. So erscheint die Kameradschaftserziehung zugleich als das dritte Glied eines weitgespannten Ausleseprozesses, der mit der Zuerkennung der Hochschulreife beginnt, die nur als Vorauslese zu gelten hat, und dessen zweite Stufe der Arbeitsdienst ist. Die Auslese findet dann in einer vierten Stufe, im Lager der Studenten ihre Ergänzung.“97 Hier setzte Wenke nichts in Anführungszeichen, er wies lediglich in einer Anmerkung darauf hin, dass es eine „ausführliche Darlegung dieser Forderung“ in einer genannten Schrift von Feickert gebe und in einem Aufsatz in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ mit konkreter Angabe der Veröffentlichung. Was er woraus zitierte oder zusammenfasste und was seine eigene Position war, blieb völlig offen. Offenbar sicherte er damit seine Loyalität mit dem System und seinen Organisationen.

Im Juni 1936 schrieb Wenke: „Eine neue Vereinbarung über den SA-Dienst der Studenten wurde zwischen der obersten SA-Führung und der Reichsführung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes getroffen, die neben organisatorischen Einzelregelungen folgende Weisungen für die Zusammenarbeit von Studentenschaft und SA enthält: Der NSDStB wird eine besonders geschulte Mannschaft aufstellen der als besondere Aufgabe die Durchdringung von Studium und Hochschule mit dem nationalsozialistischen Gedankengut zufällt. Solche ‚Stamm-Mannschaften‘ werden in einer Höchststärke von 60 Mann gebildet. Die Mitglieder einer solchen Mannschaft, die der SA angehören, werden für die Dauer dieses besonderen Studentendienstes, jedoch unter Anrechnung dieser Zeit als SA-Dienst, beurlaubt. Der NSDStB übernimmt für diese Zeit die Verpflichtung, die Studenten so auszubilden, daß sie nicht hinter den SA-Männern zurückbleiben. Außerdem verpflichtet er sich, darauf hinzuwirken, daß sämtliche deutschen Studierenden einer der Gliederungen der Partei (SA, SS, NSKK, HJ) angehören.“98 Hier notierte Wenke in einer Anmerkung, dass die Vereinbarung von der „Nationalsozialistischen Parteikorrespondenz“ mitgeteilt wurde und in Tageszeitungen Anfang Mai 1936 berichtet wurde.

Im Kontext des ländlichen Schulwesens schrieb Wenke, ohne zu zitieren:

„Der völkische Unterricht hat für Knaben und Mädchen verschiedene Ausgangspunkte. Sippe und Heimat in dem einen Fall, die Familie im anderen. Das Ziel besteht darin, über eine kurze Darstellung der Geschichte des Bauerntums, den Schüler zum Wesen, zur Entwicklung und zum Wirken des Nationalsozialismus zu führen. Den Mädchen soll von der Familie aus ein Gesamtbild des völkischen Gemeinschaftslebens entwickelt werden. Die nationalsozialistische Ausrichtung des Unterrichts kommt aber auch darin zum Ausdruck, dass die Schüler angehalten werden, am politischen Leben ihres Dorfes und ihrer Heimat innerhalb der NS-Organisationen, die für sie infrage kommen, teilzunehmen.“99

Im Oktober 1937 stellte Hans Wenke, ganz ohne sich auf Erlasse oder Verordnungen zu beziehen, fest:

„Ebenso sieht der Nationalsozialismus, wie wir eben an Einzelbeispielen darlegten, in der politischen Erziehung das Kernstück der geistigen Formung des Volkes. Alle Bemühungen der politischen Erziehungsarbeit zielen auf die Idee der Erziehung zur Gemeinschaft. In ihr kündigt sich nichts anderes an als Förderung und Verwirklichung des großen Planes der Volksgemeinschaft mit pädagogischen Mitteln. Die politische Führung hat diesen schwersten Weg zur Volkswerdung gewählt – es gibt gewiß einfachere, die auf Erziehung verzichten und sich mit der Konstatierung äußerer Uniformität zufrieden geben! – Sie hat es aber getan in der Überzeugung, daß der mühsame Weg der Erziehung zugleich die Gewähr der Dauer und Festigkeit in sich schließt. Die pädagogischen Probleme müssen deshalb heute stets in diesem großen Rahmen unserer völkischen und staatlichen Existenz gesehen werden.“100

Auch im März 1938, als Hans Wenke über Richtlinien zur Neuordnung des höheren Schulwesens berichtete, gab er einen Überblick, ohne zu zitieren, Bericht und eigene Stellungnahme waren nicht zu unterscheiden. So schrieb Hans Wenke unter der Überschrift „Leitsätze über Bildung und Bildungsziel“:

„Alle echte Bildung stammt aus dem Leben, und Leben kann nur durch Leben entzündet werden. Wenn der Nationalsozialist den Vorrang des Lebens und der Tat vor allen Systemen der Erziehung und der Bildung behauptet, dann spricht er das Gesetz der Entwicklung jeder großen Kultur aus. Politisches Handeln ist die Stiftung einer neuen Ordnung. Bevor von einer neuen Erziehung die Rede sein kann, muß die Ordnung, der überzeugende Kraft innewohnt, geschaffen sein.

Die nationalsozialistische Revolution der Weltanschauung hat eine Erziehungsordnung aufgebaut, die sich aus der Gemeinschaft des wirklichen Kampfes entwickelt hatte. Nur aus dem Geiste dieser politischen Zucht kann auch echte Bildung als die zentrale Aufgabe der kommenden Schule erwachsen, die die Begeisterungsfähigkeit des jungen Deutschen nicht lähmt, sondern steigert und zur Einsatzfähigkeit fortführt. Jede Bildung, die abseits von dieser nationalsozialistischen Erziehungswirklichkeit erfolgt, bleibt abstrakt und volksfremd, weil sie, selbst wenn der völkische Charakter des Bildungsgutes feststeht, nicht den Menschen in seiner Wirklichkeit, sondern als bloßes Verstandeswesen entspricht. Aufgabe der deutschen Schule ist es, Menschen zu erziehen, die in echter Hingabe an Volk und Führer fähig sind, ein deutsches Leben zu führen, ihre geistigen Kräfte zu entfalten und zur höchsten Leistungsfähigkeit zu entwickeln, damit sie an ihrer Stelle die Aufgaben meistern, die Deutschland gestellt sind.“101

Hans Wenke schrieb zwar einleitend: „Es entspricht auch der Aufgabe unseres Berichtes am ehesten, wenn wir diese Leitgedanken möglichst in der von der Unterrichtsverwaltung festgelegten Formulierung wiedergeben.“102 Was heißt „möglichst“ und warum zitierte Wenke nicht, was die „festgelegte Formulierung“ war? Hier verschwammen Bericht und Propaganda, Informationen und Loyalität.

Erstaunlich, dass diese Berichte erst 2014 wieder ausgegraben wurden.

In seiner umfangreichen Untersuchung: „Pädagogische Zeitschriften im Nationalsozialismus. Selbstbehauptung, Anpassung, Funktionalisierung“ hatte sich Klaus-Peter Horn 1996 auch intensiv mit der Geschichte der Zeitschrift „Die Erziehung“ beschäftigt.103 Darin lenkte er natürlich auch den Blick auf Hans Wenke und seine Rolle als Schriftleiter und späterer Mitherausgeber. Horn stellte fest, dass „mit Hans Wenke als Schriftleiter“ die Zeitschrift „noch einmal ihr Gesicht änderte“. Insbesondere war seit 1937 „eine Zunahme direkter politischer Bezüge zu vermerken, die vor allem von Wenke ausgingen“.104 Unter Wenkes Schriftleitung zierte die erste Seite des April-Heftes 1939 ein Geburtstagsgruß: „Adolf Hitler, dem Oberhaupt des Großdeutschen Reiches, dem Führer und Beschützer des deutschen Volkes, dem Verkünder nationalsozialistischer Ideale, zum 50. Geburtstag, Glück und Segen.“105 Darüber hatte sich Wilhelm Flitner noch in seinen Erinnerungen 1985 aufgeregt und geschrieben: „Das Huldigungsblatt auf Seite 265, das Eduard Sprangers Billigung unmöglich gehabt haben kann. Auch ein Aufsatz über ‚Böhmen, Mähren und Prag‘ im Jahr der Okkupation dieser Länder war schwerlich mit der Tradition unserer Zeitschrift vereinbar.“106

Horn wies darauf hin, dass „Die Erziehung“ in solchen Fragen früher sehr zurückhaltend gewesen war. „Unter dem Schriftleiter Wenke änderte sich das. Nicht nur wurden die Anordnungen des RMVP (Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, de L.) sehr ernst genommen. Wenke saß sogar an der Quelle solcher Anordnungen. In seiner Eigenschaft als verantwortlicher Schriftleiter erhielt Wenke auch nach dem Ende der Zeitschriftenkonferenzen Informationen aus dem RMVP“, die er mit Hinweis auf deren „Vertraulichkeit“ an Autoren der Zeitschrift weitergab.107

Könnte man bei der Schriftleiter-Arbeit für „Die Erziehung“ noch davon sprechen, dass Hans Wenke einen gewissen Balanceakt zu absolvieren hatte, zeigt sein Aufsatz „Die Wesensbestimmung des politischen Menschen“ in der „Zeitschrift für Deutschkunde“ aus dem Jahr 1934, wie Hans Wenke nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten dachte, zumindest eindeutig schrieb. Ich habe den Aufsatz, aus dem schon im „Spandauer Volksblatt“ 1964 zitiert worden war, erst kürzlich in der gut sortierten Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte gefunden und zitiere einige wichtige Passagen.108

Zu Beginn schrieb Hans Wenke: „Wir wollen aber zunächst das Neue und Einmalige, das diesen politischen Menschen der Gegenwart von allen früheren Formen unterscheidet, bestimmen; hierfür ist der konkrete Ausgangspunkt eindeutig gegeben: er liegt, wie oben ausgeführt, in der Idee des völkischen Staates, die das deutsche Leben in allen seinen Bezirken bestimmt und umspannt. Diese Idee, die die Einheit von Staat und Volk ausspricht, bedeutet jedoch im Hinblick auf Deutschland – denn davon allein ist die Rede – nicht die Bezeichnung einer realen geschichtlichen Größe, sie ist vielmehr der kurze Ausdruck für eine ungeheure Aufgabe, die der Nationalsozialismus den Deutschen in der Gegenwart gestellt hat.“109

In diesem Aufsatz machte Hans Wenke eindeutige Aussagen. Er paraphrasierte nicht, seine Ausführungen waren seine Gedanken und Zitate als solche gekennzeichnet, sie unterstrichen, was er zu diesem Zeitpunkt als Unterstützung seiner Positionen ansah.

Wenke: „Auf diesem geschichtlichen Hintergrunde wird erst wahrhaft deutlich, vor welche große Aufgabe die Idee des ‚völkischen Staates‘ die Deutschen der Gegenwart stellt und welche starken moralischen Kräfte in allen, die zur Lösung dieser Aufgabe mitberufen sind, vorausgesetzt werden müssen. So empfängt von dieser Zielsetzung aus die ethische Gestalt des politischen Menschen ihre besonderen Wesenszüge. Die historische Betrachtung läßt außerdem erst ganz klar erkennen, welche ungeheure Synthese der Nationalsozialismus im Aufbau des völkischen Staates vollbringt. Der Zug zur Synthese ist im höchsten Maße charakteristisch für das Wesen des Nationalsozialismus und er wird sich für die Bestimmung des politischen Menschen als besonders wichtig erweisen.“110

Hans Wenke unterstützte diesen Gedanken mit einem Zitat von Hans Grimm, der „einmal das völkische Wesen des neuen Reiches in geschichtlicher Schau eindrucksvoll mit folgenden Worten dargestellt hat“: „Das Erste Reich, das tausend Jahre war, ist ein Stück Geschichte ohne und gegen das Volk und gegen Germanentum und gegen die Deutschheit. Das Zweite Reich ist daran zu Grunde gegangen, daß es den Weg zum deutschen Volke nicht ganz wagte und also auf dessen völkischer Notwendigkeit nicht neu entstand. Das Dritte, das heilige unverletzliche eine Reich der Deutschen im Glauben, im Geiste und zugleich in Wirklichkeit wird entstehen aus dem Volke, das sich zu seiner Deutschheit als seiner Verpflichtung und als seinem Rechte und als seiner Hoheit bekennt und das heißt zu sich und der Steigerung seines ureigensten Wesens.“111 Hans Grimm (1875–1959) war einer der Lieblingsschriftsteller von Adolf Hitler gewesen. Grimms Buchtitel „Volk ohne Raum“ wurde zum Motto der nationalsozialistischen Expansionspolitik.112

Hans Wenke schrieb weiter: „Der Ansatzpunkt hierzu liegt im Völkischen. Es steht dem Menschen näher als das im engeren Sinne ‚Politische‘, weil es zum Urbestande seiner leiblichen, seelischen und geistigen Natur gehört; es ist entstanden in rassistischer Zugehörigkeit, in Sprache, Heimat und in einem aus dem Blute und den geschichtlichen Schicksalen des Volkes hervorgegangenen Erbe, das jedem einzelnen mitgegeben ist.“113

Und etwas später: „Das Volkstum muß zu hellem Bewußtsein emporgehoben werden, weil nur so Willenskräfte an geeigneter Stelle angesetzt werden können zum zielsicheren politischen Handeln, das in nichts anderem besteht als im Dienst für das Volk, für die überlegte, machtvolle Durchsetzung seiner Lebenswerte und für die Sicherung seines Lebensraumes. Ein nur in den Tiefen webendes Volkstum wäre bald vernichtet. Wenn das Völkische die Grenze des Unbewußten überschreitet, muß es natürlich in seiner Wesenhaftigkeit erhalten bleiben. Das ist auch durchaus möglich, wenn man nicht gerade zersetzende Aufklärungsmethoden anwendet.“ Dies gab Gelegenheit für einen Seitenhieb auf einen gewissen Intellektualismus: „Der berechtigte Kampf gegen den für das Volksleben gefährlichen, wurzellosen, auf keinen großen Gegenstand gerichteten und deshalb zersetzenden Intellektualismus darf unter keinen Umständen, wie es unglücklicherweise oft geschieht, zu einer Verachtung der Vernunft und der Verstandeskräfte führen.“114

Hans Wenke stellte fest: „Im politischen Menschen der Gegenwart hat der völkische Staat in seinem Totalitätsanspruch von dem gesamten Dasein der Person Besitz ergriffen und sie auf diese Weise aus ihrer Vereinzelung herausgehoben.“ Die Rolle der Pädagogik ordnete er dem unter: „Es ist auch heute noch notwendig, vor der Überschätzung bildungsmäßiger Möglichkeiten zu warnen, die sich auf die aufklärerische Meinung gründet, daß man das Politische in das Pädagogische hineinziehen und darin aufgehen lassen könne. Es ist in Wahrheit genau umgekehrt: Bildung und Erziehung empfangen heute ihren Sinn vom Politischen und haben ihm gegenüber eine dienende Stellung einzunehmen. Die Entscheidung über die Zukunft unseres Volkes liegt bei der politischen Führung.“115

Über die Rolle des Deutschunterrichts schrieb Wenke:

„Für die völkische Erziehung steht der Deutschunterricht im Mittelpunkt. Seine wichtigsten Gegenstände: Sprache, Dichtung, volkhaftes Brauchtum sind der reinste und unmittelbarste Ausdruck des Volkstums, das die ‚Lebensmitte‘ aller Menschen des völkischen Staates ist. In seiner Arbeit wird also auch die völkische Gesinnung ihre klarste Ausprägung und ihre höchste Bewußtheit erfahren.“ Als Beispiel führte er Paul Fechter an. Fechter „hat in einer geistvollen Betrachtung ‚Vom Wilhelm Meister zur SA‘ gezeigt, daß die nationalsozialistische Bewegung die in Goethes Wilhelm Meister zur Darstellung gebrachte Idee von Bildungs- und Erziehungswert des Schauspielerischen in ihre politische Erziehungsarbeit mit größtem Erfolg eingeführt und damit eine Seite menschlichen Wesens lebendig gemacht habe, die in der Schulerziehung nicht klar genug gesehen worden ist.“116

Am Ende schrieb Hans Wenke: „Wir haben gesehen, welche große Bedeutung das Bild des Kämpfers und des Helden für die Gestaltung des politischen Menschen hat. Dem Zögling, dessen Blick zunächst auf das Konkrete und Persönliche gerichtet ist, müssen ohne überflüssige Reflexionen die Lebensbilder politischer Kämpfer vor Augen gestellt werden. Mit den Darstellungen der Gestalten der Vergangenheit stehen die der politischen Kämpfer der Gegenwart auf der gleichen Stufe, psychologisch gesehen sogar auf einer höheren als jene, denn sie stehen dem auf das Hier und Jetzt gestellten Erleben der Jugendlichen näher und beeinflussen ihre Haltung zu Staat und Volk eindringlicher als die Heroen der Geschichte.“117 Als beispielhaft für diesen Zweck nannte Hans Wenke zwei Bücher, „die diese Aufgabe der Weckung politischer Willenskräfte im Zögling auf vorbildliche Weise lösen: Czech-Jochberg: Unser Führer. Ein deutsches Jungen- und Mädchenbuch. Stuttgart 1933, und Peter Hagen: Die Straße zu Hitler. Berlin 1932. Diese Bücher vereinigen in einer jedem verständlichen Sprache und Bildhaftigkeit die Begeisterung echter Gesinnung mit dem nüchternen Blick für die Dinge des Alltags.“118

Zur politischen Erziehung gehörte für Hans Wenke auch, dass der im Werden begriffene politische Mensch „schon in früher Entwicklung in enge seelisch-geistige Berührung, mit dem, was Männer, die am politischen Leben gestanden haben oder stehen, literarisch überliefert haben.“119 Und auch dafür bot Hans Wenke Literatur an, zum Beispiel Ernst Moritz Arndts politische Schriften, die Staatsschriften des Freiherrn vom Stein, Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, und: „In eben diese Reihe gehört Adolf Hitlers Buch ‚Mein Kampf‘.“120

Wenn der SDS 1968 diesen Aufsatz gefunden hätte, wäre die damalige Auseinandersetzung noch ganz anders verlaufen.

Trotz aller Anpassungsbereitschaft von Hans Wenke, die sicherlich auch seinen Ambitionen geschuldet war, eine Professur zu erlangen, waren die dienstlichen und politischen Beurteilungen Wenkes äußerst widersprüchlich, wobei sie auch immer vor dem Hintergrund der Tatsache erfolgten, dass Wenke als Assistent von Eduard Spranger gesehen wurde und somit Kritik an Spranger auch auf ihn übertragen wurde. Dies zeigte sich besonders, als Hans Wenke, der seit 1939 eine Professur für Psychologie und Pädagogik an der Universität Erlangen vertrat, „v.a. aufgrund der positiven Voten der Dozentenschaft der Universität Erlangen 1940 zum außerordentlichen, 1943 zum ordentlichen Professor ernannt“ wurde. Horn berichtete, dass der Amtsleiter des Amtes Wissenschaft der Dienststelle Rosenberg, Alfred Baeumler, in einem Schreiben an den NS-Dozentenbund in München Einspruch dagegen erhoben hatte. Er schrieb u. a.:

„Aus den schriftlich vorliegenden Veröffentlichungen Dr. Wenkes ist weltanschaulich nichts zu entnehmen, außer dass er ein Schüler von Eduard Spranger ist. Dr. Wenke gibt jedoch seit Jahren im Auftrage Sprangers auch die Zeitschrift ‚Erziehung‘ heraus. Er hat diese Zeitschrift im Sinne der geistigen Opposition gegen die nationalsozialistische Weltanschauung redigiert und darin Artikel von Theodor Litt abgedruckt, die sich vor allem gegen den Rassenbegriff richteten. Es soll damit dem anpässlichen Dozenten Dr. Wenke kein besonderer Vernichtungswille gegenüber dem neuen Reiche zugeschrieben werden. Seine Redaktionstätigkeit ist jedoch ein eindeutiger Beweis dafür, dass er sich für die nationalsozialistische Weltanschauung nicht aus Überzeugung einzusetzen vermag. Es würde unverständlich sein, wenn man einem solchen Manne einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft anvertrauen würde.“121

Dass auch Gustaf Deuchler, der in Hamburg im scharfen Gegensatz zu Wilhelm Flitner stand und dessen Lehrstuhl Hans Wenke 1947 übernehmen sollte, eine Abneigung gegen die Macher der „Erziehung“ hatte, war anzunehmen und führte zu einer entsprechenden Äußerung, die zeigte, welche Konkurrenzen und Eitelkeiten hier eine dominierende Rolle spielten:

„Wie ich höre, soll Wenke für Psychologie und Pädagogik nach Erlangen kommen. Das ist doch eigentlich unmöglich: für Psychologie ist er in gar keiner Weise ausgewiesen; außerdem gehört er in den Kreis der Zeitschrift ‚Die Erziehung‘, die ja in keiner Weise mehr eine Existenzberechtigung hat; denn es ist ja doch die Zeitschrift im großen und ganzen der Leute, die im Grunde genommen der nationalsozialistischen Bewegung feindlich gegenüberstehen, mögen sie auch ihre Verbeugung vor der augenblicklichen Geschichte und ihrer Führung machen oder gar Parteiabzeichen tragen.“122

Während das Hauptamt Wissenschaft der Dienststelle Rosenberg die Habilitationsschrift von Hans Wenke negativ bewertete, da der Verfasser den Eindruck „völliger Standpunktlosigkeit“ vermittle, beurteilten sowohl der NS-Dozentenbund als auch das Reichssicherheitshauptamt und die Gauleitung der NSDAP-Franken Wenke positiv.123

Klaus-Peter Horn bemerkte zu diesen Widersprüchen: „Was aus Sicht der selbst ernannten Hüter der Reinheit der nationalsozialistischen Lehre als nicht nationalsozialistisch genug wahrgenommen wurde, war und ist für den rückschauenden Betrachter oftmals eben eindeutig nationalsozialistisch.“124

Hans Wenke starb am 27.1.1971 in Hamburg.125

 

Seine Vergangenheit holte ihn zu einem späten Zeitpunkt seiner politischen und akademischen Karriere ein. Offenbar konnte er sich davon nicht wieder erholen.

Arie Goral hatte zum Thema „Prof. Hans Wenke und die ‚braune Vergangenheit‘“ 1967 geschrieben:

„Unverständlich bleibt nur, warum Prof. Wenke nun für einen Sachverhalt attackiert wird, der seit langem bekannt und nicht einmal so singulär ist. Warum hält man ihm jetzt seine ‚braune Vergangenheit‘ vor, die er doch mit einer großen Zahl seiner Kollegen teilt? Wie er denkt und lehrt, denken und lehren die meisten der Professoren an den meisten Universitäten. Nicht nur das: die ‚braunen‘ Flecke auf seiner so bieder-demokratisch weissen Weste, sie sind doch ,nur‘ Schönheitsfehler, die nachgerade im engsten und weitesten Kollegenkreis völlig legitim sind. Warum sollte bei ihm nicht recht sein, was an anderen Fakultäten – und nicht nur der hiesigen Universität – schon längst billig ist. Nimmt man es in ‚brauner Couleur‘ genau, so ist der Herr Wenke doch nur ein kleiner Fisch, der munter im allgemeinen Strom mitschwimmt. Alors, pourquoi tant de bruit pour une omelette?“126

Die Nachrufe zeigten Empathie für Hans Wenke und klammerten aus, was noch 1971 verschwiegen, ummäntelt oder tabuisiert wurde. So schrieb Bernd Nellesen in der „Welt“ unter der Überschrift „Aus der Schule Spranger. Zum Tode Hans Wenkes“: „Die Nachricht von seinem Tod vor nahezu vier Wochen kam erst jetzt, weil er nicht wollte, daß ihm Gedenkreden an seinem Grab oder wo auch immer, gehalten werden sollten. Ist die Vermutung so abwegig, daß auch in diesem Wunsch nach totaler Stille noch die in Resignation umgeschlagene Verbitterung des einst heiteren, zu jedwedem forensischen Gefecht aufgelegten Professors nachschwang, der die letzten Jahre seiner Professur im Feuer studentischer Rebellenzirkel stand? Prof. Hans Wenke, Erziehungswissenschaftler und Psychologe, der von Eduard Spranger herkam, hat seine Aufgabe nie im Elfenbeinturm einer gesellschaftsfernen Universität zu erledigen getrachtet. Universität und Öffentlichkeit, Schul- und Hochschulreform waren seine Themen auch schon in den fünfziger Jahren, als er in Tübingen lehrte. Lange stand er dem ‚Ausschuss für das Erziehung- und Bildungswesen‘ vor; drei Jahre amtierte er als Schulsenator in Hamburg, wo er dann als Direktor des Erziehungswissenschaftlichen Instituts der Universität blieb. Daß er Anstöße gab für die Erneuerung der Lehrerausbildung und der Erwachsenenbildung, bleibt sein fortwirkendes Verdienst, auch wenn rebellische SDS-Zirkel an der Hamburger Universität ihn 1967 mundtot zu machen suchten und die von Wenke nie bestrittene Dozententätigkeit während der nationalsozialistischen Zeit zum Vorwand nahmen, seine pädagogischen Prämissen zu treffen. Vor drei Jahren, als 65-jähriger, hatte er sich emeritieren lassen – müde der Auseinandersetzungen und der Angriffe der letzten Jahre, die er wohl nicht mehr verwand.“127

Es war nicht die „Dozententätigkeit während der nationalsozialistischen Zeit“, die man Wenke vorgehalten hatte.

 Das „Hamburger Abendblatt“ schrieb: „Als er vor drei Jahren von seinem Ordinariat für Erziehungswissenschaften an der Hamburger Universität aus Altersgründen entpflichtet wurde, stand er mitten im Kreuzfeuer der Angriffe radikaler Studenten. Er hatte nie die wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung gescheut, stets unumwunden Stellung bezogen und Meinung geäußert, sich auch für Reformen eingesetzt.“128 Auch das war nicht der Konfliktpunkt gewesen. Aber in Nachrufen ist man in der Regel gnädig und weder der Nationalsozialismus noch die antiautoritäre Studentenbewegung waren zu diesem Zeitpunkt Themen rationaler Aufarbeitung.

Das Profil ist nachzulesen in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile, Band 2. Hamburg 2017. Das Buch ist erhältlich in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg.