Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Felix Warlimont Dr. Felix Franz Maria Warlimont

(6.7.1879 Eupen - 31.10.1950 Hamburg)
Leiter der Norddeutschen Affinerie
Hovestraße 50 (Adressse der Norddeutschen Affinerie)
Grottenstraße 7 (Privatadresse)
Warlimontweg, Veddel (1959)


Felix Warlimont studierte nach dem Abitur an der Technischen Universität Aachen Metallhüttenkunde und wurde anschließend dort zum Dr. ing. promoviert. 1915 trat er in den Dienst der Metallbank und Metallurgischen Gesellschaft. 1918 machte ihn die Metallgesellschaft zum stellvertretenden Vorstandsmitglied. Anfang 1920 entsandte sie ihn nach Hamburg, um ein Gutachten über die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Norddeutsche Affinerie (NA, seit 2008 Aurubis) zu erstellen. Bei der NA handelte es sich um einen Betrieb zur Verhüttung von Kupfererzen zu Kupfer, die für die industrielle Produktion von erheblicher Bedeutung waren. Am 1.7.1920 übernahm er dort den Vorstandsvorsitz und reorganisierte das Unternehmen. 1925 gab er den Vorstandposten in der Metallbank und Metallurgischen Gesellschaft auf, den er noch inne hatte, und wechselte in den Aufsichtsrat. Im Jahr darauf verließ er auch den Vorstand der „Berzelius“ Metallhütten-AG. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 expandierte die NA spätestens ab 1936, da sie in den Vierjahresplan zur Erreichung der wirtschaftlichen und militärischen Kriegsfähigkeit durch Autarkie und verstärkte Aufrüstung eingebunden wurde. Infolge dessen stellte das Unternehmen mehr als 500 neue Arbeiter ein.[1]

Mit ihrer Gründung 1933 wurde Warlimont Mitglied in drei an die NSDAP angeschlossenenOrganisationen: in der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und dem NS-Bund Deutscher Technik (NSBDT).[2]. Innerhalb des NSBDT war er zudem Mitglied des Senats der Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit (RTA).[3] Präsident des NSBDT wie auch der RTA war seit 1934 SA-Obergruppenführer und ab 1940 Reichsminister für Bewaffnung und Munition Fritz Todt.[4]

Ein Eintritt in die NSDAP selbst war ab dem 19. April 1933 vorübergehend nicht möglich. Die Partei hatte aus Angst vor „Konjunkturrittern“ nach den März-Wahlen eine allgemeine Mitgliederaufnahmesperre verhängt. Diese wurde 1937 gelockert, woraufhin Warlimont am 16. Juli 1937 auch die Aufnahme in die NSDAP beantragte. Als Aufnahmedatum für alle neuen Anwärter wurde unabhängig vom Antragsdatum der 1. Mai 1937 festgelegt.[5]

1939 ernannte das Reichsministerium für Wirtschaft Felix Warlimont zum Wehrwirtschaftsführer [6], ein Ehrentitel, der vor allem an die Leiter rüstungswichtiger Betriebe vergeben wurde. Wehrwirtschaftsführer (Wehrwirtschaft bedeutete Kriegswirtschaft) erhielten innerhalb ihrer Betriebe besondere Vollmachten, um eine schnelle Lieferung ihrer Produkte und Waren garantieren zu können. Außerdem durften sie arbeitsrechtliche Bestimmungen außer Kraft setzten.[7]

Doch nicht nur durch Aufrüstung und Kriegsvorbereitung waren die NA und ihre Veranwtortlichen in die Verbrechen des NS-Regimes verwickelt. Das Unternehmen beschäftigte zudem Zwangsarbeiter und profitierte von der Verfolgung, Beraubung und Massenvernichtung der Juden.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs lief die Kriegswirtschaft weiter auf Hochtouren, doch nun fehlten ihr die männlichen Arbeitskräfte. So beutete die NA genau wie viele andere Betriebe unzählige Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus [8] –worüber Warlimont informiert gewesen sein muss, da die Unternehmen die Zwangsarbeitskräfte anfordern mussten, die zu Tausenden in kalten Hafenspeichern untergebracht waren. Außerdem wurden im Zweiten Weltkrieg Kupfererze zur Verhüttung in den von der Wehrmacht besetzten Ländern abgebaut – beispielsweise in den Kupferbergwerken von Bor in Serbien, wo Tausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen starben.[9]

Ebenso war Warlimont mit Sicherheit über die erfolgreichen Bemühungen seines Unternehmens informiert, spätestens ab Mai 1940 einen Teil des von Jüdinnen und Juden in Deutschland und den besetzen Gebieten erpressten sogenannten Judengolds verarbeiten zu dürfen.[10] Die Degussa, deren Aufsichtsrat er zudem von 1933 bis 1945 angehörte,[11] profitierte sogar am meisten von der Ausraubung, Deportation und Ermordung der Jüdinnen und Juden durch die Scheidung des Leihhausgoldes. Auch war sie an der „Arisierung“, also dem Übergang jüdischen Eigentums an „rein deutsche“ Unternehmen und Personen beteiligt. Vor allem aber lieferte eine ihrer Tochterfirmen, die Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH), das Pestizid Zyklon B für den fabrikmäßigen Massenmord im Vernichtungslager Auschwitz.[12] Dass die Verantwortlichen der Degussa über die Lieferung von Zyklon B durch ihre Tochterfirma nach Auschwitz informiert waren, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit belegen, es erscheint aber wahrscheinlich.[13]

Felix Warlimont trat zum 31.12.1942 auf eigenen Wunsch als Vorstandsvorsitzender zurück und übernahm ab dem 1.4.1943 den Vorsitz im Aufsichtsrat der NA. Diesen hatte er bis zu seinem Tod inne.[14]

Bei Kriegsende im Mai 1945 arbeitete Warlimont bei der Hamburger Niederlassung der Chemischen Fabrik J. E. Devrient, Alsterterrasse 2, einer Tochterfirma der NA. Dort wurde Warlimont im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens durch die Britische Militärregierung am 10. Juni 1946 entlassen. Der Grund waren seine Mitgliedschaften in der NSDAP, der DAF, der NSV und dem NSBDT.[15] Er legte Widerspruch ein und erklärte in einem ausführlichen Schreiben [ursprüngl. auf Englisch, Übers. durch d. Verf.]:

„Ich stamme aus einer katholischen Familie aus dem Rheinland. Meine Vorfahren waren alle Rechtsanwälte, Kaufleute oder Landbesitzer. Die juristische und religiöse Tradition meiner Familie ebenso wie das kulturelle Umfeld, in dem ich aufwuchs, machten mich immun gegen nationalsozialistische Einflüsse. Das Gleiche gilt für alle meine Familienmitglieder. Weder meine Frau, noch meine Geschwister, noch deren Ehefrauen oder Ehemänner waren Parteimitglieder. Mein Schwager Franz van de Loo, Rechtsanwalt in Kleve, wurde aufgrund seiner ausgesprochen ablehnenden Haltung zweimal von der Gestapo verhaftet. Hinzu kommen meine zahlreichen internationalen Kontakte im Zusammenhang mit meiner Position als langjähriger Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie, durch die ich häufig auch ins Ausland reisen musste, was ebenfalls nicht dazu beitrug, mich den Nationalsozialisten gewogen zu machen. So habe ich stets versucht, meine Familie und mich ebenso wie das Unternehmen, für das ich tätig war, vor nationalsozialistischer Einflussnahme zu bewahren. Vor allem habe ich nie der Entlassung von Firmenangehörigen aus antifaschistischen Gründen zugestimmt. Ich habe meine jüdischen Kollegen so lange wie möglich geschützt. Wenn sie schließlich doch zurücktreten mussten, habe ich sie so gut es ging unterstützt und ihnen durch meine internationalen Kontakte geholfen, im Ausland eine neue Anstellung zu finden. Das betraf beispielsweise Leopold Moller, der jetzt bei Smelting Co., Avonmouth, arbeitet, Julius Levisohn, jetzt bei Rothschild, London, Arthur Ellinger, früher Vorstandmitglied der Metallgesellschaft in Frankfurt/Main, jetzt in England.

Außerdem half ich Dr. ing. Alfred Petersen, Vorstandmitglied der Metallgesellschaft in Frankfurt/Main, der von der Gestapo inhaftiert wurde und jetzt wieder seine frühere Position innehat, und Dr. Richard Merton, jetzt in England.

Ich habe unverzüglich meine Stelle als Aufsichtsratsmitglied des Vereins Deutscher Metallhütten- und Bergleute gekündigt, als meine Bemühungen, die erzwungene Kündigung der jüdischen Mitglieder zu verhindern, scheiterten.

Aus folgenden Gründen wurde ich Mitglied der NSDAP:
1937 besuchte der Kreisleiter die Norddeutsche Affinerie und bedeutet uns, dass sich die Dinge ändern müssten. Dass er – vor allem angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Norddeutsche Affinerie – nicht mehr länger tolerieren könne, dass keiner der Vorstandsmitglieder („Betriebsführer“) in der Partei sei. Um Zeit zu gewinnen und um uns zu erkundigen, antworteten wir ausweichend. Danach erfuhren wir, dass diese Forderung nicht nur an uns herangetragen worden war, dass wir nur ein Glied in der Kette eines Rumdumschlags der Nazis waren, all jene dazu zu bringen, in die Partei einzutreten, die sich bislang fern gehalten hatten, und sie aus Propagandagründen dazu zu zwingen, Mitglied zu werden. Der frühere Ratsherr Ludwig Wirtz, mit dem ich bekannt war und den ich bat, beim Gauleiter in dieser Angelegenheit nachzufragen, berichtete danach, dass ein weiteres Ausweichen unsererseits nicht mehr gestattet würde, und so entschieden unser Geschäftsführer Dr. Brill und ich uns, Ende 1937 die Mitgliedschaft zu beantragen, die dann rückwirkend auf den 1.5.1937 datiert wurde.

Ich erwähnte meine Mitgliedschaft möglichst selten öffentlich, da ich nur im Interesse der Firma Mitglied geworden war. Ich nahm nie an Parteiversammlungen teil und hatte nie Kontakt zu wichtigen oder herausragenden Mitgliedern der nationalsozialistischen Partei. Im Gegenteil, ich vermied möglichst jeden Anlass, bei dem ich solche Leute treffen würde. Ich zahlte lediglich den Mitgliedsbeitrag und spendete ansonsten nichts.

Zusätzlich zu meiner grundsätzlichen, bereits oben erwähnten Einstellung muss ich sicher kaum noch hinzufügen, dass ich niemals irgendwelche militaristischen Neigungen hatte oder den Besatzungsmächten gegenüber feindlich eigenstellt war.

Ich habe nie jemanden ermutigt oder bevorzugt, der Verbindungen zu den Nationalsozialisten oder zum Militarismus hatte, noch habe ich von diesen Bewegungen profitiert.

Schließlich bitte ich darum, das Zeugnis der Witwe meines früheren jüdischen Kollegen Dr. Heinrich Wohlwill, früherer leitender Techniker der Norddeutschen Affinerie, ebenso wie die Zeugnisse früherer Angestellter und Arbeiter der Norddeutschen Affinerie zu berücksichtigen. Außerdem habe ich einen Brief hinzugefügt, den ich im Mai 1946 von Herrn A. Ellinger aus London erhielt, und einen Brief des Hamburger Bürgermeisters Rudolf Petersen.“[16]

Zu den von Felix Warlimont in seinem Schreiben erwähnten Personen:
Über Leopold Moller ist aus seiner Wiedergutmachungsakte bekannt, dass er von 1922 bis 1938 bei der Norddeutschen Affinerie tätig war – erst als Ingenieur, ab 1926 als Betriebsleiter – und im Januar 1939 nach England floh, wenige Wochen später gefolgt von seiner Frau. Die neue Stellung bei der National Smelting Corporation Ltd. in Bristol, so sein Rechtsanwalt, sei in keiner Weise eine Lebensstellung wie bei der Norddeutschen Affinerie gewesen. Auch verdiente er dort deutlich weniger und hatte durch seine erzwungene Ausreise zudem die Pensionsanwartschaft bei der NA verloren. Er hatte sich, um überhaupt die Flucht für sich und seine Frau bezahlen zu können, seine Einzahlungen in die Pensionskasse auszahlen lassen müssen, da sein Sparkassenkonto durch die Nationalsozialisten gesperrt war und er auch seine Wertpapiere nicht mehr frei verkaufen konnte. „Der Antragsteller“, so sein Rechtsanwalt, „hat nach dem 8. Mai 1945 weder auf Versorgungsleistungen gegenüber der Norddeutschen Affinerie verzichtet, noch ist er für diese Leistungen abgefunden worden.“[17]

Julius Levisohn wiederum war zum 13. Februar 1939 aus rassischen Gründen entlassen worden; er hatte bei der NA gelernt, war dann als Kaufmann dort beschäftigt und von 1930 bis 1935 stellvertretendes Vorstandsmitglied gewesen. Nachdem er aus rassischen Gründen aus dem Vorstand ausscheiden musste, arbeitete er bei der NA wieder als Kaufmann. Nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 war er, wie Tausende andere jüdische Männer aus Hamburg auch, im KZ Sachsenhausen unter grauenhaften Bedingungen inhaftiert worden. Er wurde am 19.12.1938 entlassen, lag danach monatelang im Krankenhaus und litt seither unter einem Nierenleiden sowie unter chronischer Bronchitis. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Ende Juni 1939 floh er mit seiner Frau und ihrem sechsjährigen Sohn nach England. Julius Levisohn klagte nach Kriegsende gegen die NA, weil sie seine Pensionsansprüche einbehalten bzw. auf ein Konto eingezahlt hatte, das vom Deutschen Reich nicht in Anspruch genommen wurde. In England konnte er seine Familie jahrelang nur notdürftig ernähren. Erst ab 1949 verdiente er wieder ausreichend. Die gerichtliche Auseinandersetzung endete mit einem Vergleich.[18]

Die Witwe Heinrich Wohlwills, der 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort am 31. Januar 1943 ermordet wurde, stellte Felix Warlimont für sein Entnazifizierungsverfahren ein gutes Leumundszeugnis aus. Sie schrieb, dass ihr Mann Warlimont sehr geschätzt hätte, für seine Professionalität und für seine soziale Einstellung den Mitarbeitern gegenüber. Ihr Mann beschloss 1933 als Jude pro forma aus dem Vorstand der NA auszuscheiden. Gleichwohl führte er die Geschäfte weiter bis zum 1. Januar 1937. Anschließend erfüllte er – für ein nach und nach geringer werdendes Gehalt – beratende Funktionen, bis er schließlich ganz ausschied. Warlimont besuchte sie und ihren Mann bis zu seiner Deportation dann noch mehrmals zu Hause, obwohl dies unter Strafandrohung für ein NSDAP-Mitglied verboten war.[19]

Auch elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NA stellten Warlimont ein gutes Zeugnis aus; einige von ihnen gehörten dem Entnazifizierungsausschuss der Firma an, andere waren Betriebsratsmitglieder. Er hätte stets Verständnis für ihre kleinen und großen Sorgen gehabt und hätte alles versucht, den aus politischen und aus rassischen Gründen entlassenen Kolleginnen und Kollegen zu helfen. Auch sei er nur unter Druck in die NSDAP eingetreten und durch seine Haltung und Lebenseinstellung niemals ein Nationalsozialist gewesen. Er sei nur Parteimitglied geworden, um sein Lebenswerk, die NA, zu retten.[20]

Arthur Ellinger wiederum drückt sein Bedauern für den großen Verlust aus, den Warlimont und seine Frau persönlich durch den Krieg erleiden mussten. Warlimont, der so vielen Menschen in der Vergangenheit half, sei nun so schwer geprüft.[21]

Schließlich stellte ihm auch der damalige (Juli 1946) Hamburger Bürgermeister Rudolf Petersen eines der oft als „Persilscheine“ zum Weißwaschen bezeichnete Zeugnisse aus. Sein Bruder, Alfred Petersen, war Vorstandsvorsitzender der Metallgesellschaft gewesen und damit ein Kollege Warlimonts. Er hatte jüdische Großelten, galt damit nach den rassischen Kategorien des NS-Regimes als ”Mischling ersten Grades“ und wurde im September 1938 von der Gestapo verhaftet, weil er angeblich seine Kollegen Richard und Alfred Merton aus dem Vorstand der Metallgesellschaft drängen wollte. Nacht acht Monaten wurde er aus der Haft entlassen und zog sich nach Kronberg im Taunus zurück.[22] Laut Rudolf Petersen hätte Warlimont versucht, seinen Bruder frei zu bekommen und auch andere Personen vor den Nationalsozialisten zu schützen.[23]

Der Fachausschuss, der im Rahmen des Entnazifzierungsverfahrens über Warlimonts Einspruch befinden musste, entschied am 30. Mai 1949: unbedenklich, Einstufung in Kategorie V (Entlastete – Personen der vorstehenden Gruppen I–IV, die vor einer Spruchkammer nachweisen konnten, dass sie nicht schuldig waren).[24]

Text: Frauke Steinhäuser