Gustav Gründgens
(22.12.1899 Düsseldorf – 7.10.1963 Manila)
Schauspieler, Regisseur, Intendant
Gründgensstraße, Steilshoop seit 1971: Gustaf Gründgens (1899-1963)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof, Grablage: 0 6, 5
Auf der Gottbegnadeten-Liste (Führerliste) der wichtigsten Künstler des NS-Staates, Reichskultursenator. „1934 Intendant des Preußischen Staatstheaters Berlin unter Göring. In der NS-Zeit in 14 Filmen als Schauspieler, in vier Filmen als Regisseur. Unter anderem 1935 im antibritischen Monumentalfilm ‚Das Mädchen Johanna‘. (…) Kurator des Emmy-Göring-Stifts für alte arische Schauspieler in Weimar. (…) Von Göring 1934 zum Staatsschauspieler und 1936 zum Preußischen Staatsrat ernannt. Präsidialrat der Reichstheaterkammer. (…) er habe aber vielen Künstlern geholfen und viele, die bereits ausgeschaltet waren, wieder durchgesetzt. (…) Juli 1948 Hauptentlastungszeuge in Emmy Görings Entnazifizierungskomödie, nachdem er von deren Anwalt Ebermayer im Frage- und Antwortspiel präpariert worden war. In seinem Auftritt unter Eid versicherte er, er habe sie ‚unzählige Male (…) tagsüber oder mitten in der Nacht‘ wegen Hilfe für jüdische Künstler angerufen und sie habe ‚in jedem Fall‘ geholfen. März 1949 Entlastungszeuge für Veit Harlan in dessen Prozess vor dem LG Hamburg. (…)“. [1]
Als Gustaf Gründgens 1932/33 in Berlin als Goethes Mephisto auf der Bühne stand, sah ihn Hermann Göhring und war begeistert von ihm. „Von nun an hielt der Nationalsozialist seine schützende Hand über Gründgens. Und nicht nur das: Göring bot ihm 1934 die Intendantur des Preußischen Staatstheaters an. Gründgens akzeptierte. Manche - gerade Literaten aus dem Exil - warfen dem Theatermann deshalb vor, der eigenen Karriere wegen ‚mit dem nationalsozialistischen Ungeist kollaboriert‘ zu haben. Klaus Mann schmähte Gründgens 1936 durch seinen Schlüsselroman ‚Mephisto‘ als gewissenlosen Mitläufer.“ [2]
„Offenbar eingeschüchtert durch die ‚Säuberungsaktionen‘ des Gestapo-Sonderkommandos in der Berliner Homosexuellenszene, reichte er Ende 1934 sein Rücktrittsgesuch [als Intendant des Preußischen Staatstheaters] ein. In seiner Begründung gab er indirekt, aber doch unmissverständlich zu verstehen, dass dieser Schritt mit seiner homosexuellen Veranlagung zusammenhängt: ‚Der einzig zwingende Grund sind die wiederholten Aktionen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen, mit denen ich mich keineswegs identifiziere, mit denen man mich aber identifiziert. Und ich würde mich eher in Stücke hauen lassen, ehe ich in dieser Sache ein Wort zu meiner Verteidigung über die Lippen brächte. Zehn Jahre meines Lebens – in denen die Kunst nur die Hilfe und der Ausgleich war – galten der Beherrschung meines privaten Menschen; und daß ein Mensch wie ich durch alles durch muß, um es zu erkennen, ist klar.‘
Nachdem Göring ihm persönlichen Schutz zugesichert hatte, blieb er Intendant. Zwei Jahre später ging er eine Ehe mit seiner Bühnenpartnerin Marianne Hoppe, ein. Später erzählte Marianne Hoppe, dass sie nicht geheiratet hätten, wenn der äußere Druck nicht so groß gewesen wäre. Es war in erster Linie eine Scheinehe, um Gründgens vor dem NS-Verfolgungsapparat zu schützen. (…)
Gründgens konnte die NS-Zeit unbeschadet überstehen und in der Nachkriegszeit seine Karriere bruchlos fortsetzen. Beim Entnazifizierungsverfahren wurde er freigesprochen, da sich ehemalige Kollegen für ihn verbürgten. Er hatte sie mit ihren jüdischen Ehepartnern vor der Deportation bewahrt. Von 1955 bis 1963 war er Generalintendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.“ [3]
Die Autorin Carola Stern hat sich in ihrer Biografie über Gustaf Gründgens sehr ausführlich mit seiner Haltung zum NS-Staat auseinandergesetzt. Im folgenden einige Zitate aus ihrem Buch: „Was ist das für ein Mann, der sich mit verbrecherischen Politikern einlässt, um das Theater so weit wie möglich herauszuhalten aus der Politik? Dieser Gründgens ist ein Spieler, sagen jene, die ihn kennen, und wollen das nicht nur für die Bühne gelten lassen. (…) [Er] liebt das Risiko, gewinnt aus der Gefährdung Kraft und geht Schwierigkeiten nicht aus dem Weg – zumal deren Überwindung Produktivität erzeugt. Er versteht sich auf Winkelzüge und den Bluff und scheut auch vor Erpressung nicht zurück. Aber wie so viele Intellektuelle und Künstler hat auch dieser Spieler eine Lindenblattstelle – die Verführung durch Macht. (…)
Und nun trägt Görings Günstling (…) seine Gesuche vor. Vielleicht bittet er um die Zurücknahme des Verbots für ‚Rausch‘, des in den Spielplan aufgenommenen Strindberg-Stücks. Vielleicht fragt er nach einer ‚Sondergenehmigung‘ für einen anderswo entlassenen Schauspieler, den er in sein Ensemble holen will. Vielleicht setzt er sich für einen ob seiner Homosexualität in Haft genommenen Kollegen ein. Eine Bitte wird gewährt, eine andere verworfen, auf eine dritte das Versprechen abgegeben, man werde sehen, was zu machen sei.
Der Potentat gefällt sich in der Rolle, die ihm der Kollaborateur ermöglicht: Gnade walten zu lassen, am Morgen zu bestrafen, am Abend großmütig zu sein. Die Allmacht hat ein doppeltes Gesicht: Sie teilt Mordbefehle und Begnadigungen. Herr über Leben und Tod zu sein – das ist der Inbegriff der Macht. Hier mit einem Federstrich unzählige Menschenleben zerstören und drei, fünf davonkommen lassen.
Aber nicht nur der Potentat, auch der Kollaborateur hat ein doppeltes Gesicht, jedenfalls, dieser [Gründgens]. Er verachtet jene, denen er durch seine Repräsentationspflicht dient, denen er für ihre Feiern und Empfänge die Türen seines Hauses öffnet. Er macht ein glänzendes Theater, das der deutschen Kultur ebenso wie der Propaganda dient. Er spielt ihr Spiel und spielt sein Spiel mit ihnen, stellt sich der damit verbundenen Gefahr, nicht umzukommen, sondern zu obsiegen. Seine Verbindung mit den Mächtigen, bestehend aus Annäherung und Distanz, raffiniert gespielter Naivität, List, Berechnung, Disziplin, bietet Menschen, die sonst hilflos und verlassen wären, eine Überlebenschance. (…)
Aber wie weit hat Gründgens seine eigene Rolle im Hitler-Staat jemals ausführlich reflektiert? (…) Man ‚darf mir nicht zum Vorwurf machen, dass ich mich nicht freiwillig nach Buchenwald gemeldet habe, sondern lieber versuchte, Menschen vor Buchenwald zu retten‘, heißt es trotzig in einem seiner Verteidigungsbriefe. ‚Und sollte ich (das) Elend der Emigranten noch um einen unnützen Esser vermehren?... Wer hätte sich um mich gekümmert?‘
Was hat Gründgens für das, was er an Positivem tat, bezahlen müssen? Welche Zugeständnisse bedauert er im Rückblick? Was hätte er anders machen müssen? Wie weit trug sein häufiger Auftritt zusammen mit den Mächtigen, seine herausgehobene Rolle dazu bei, besonders junge Menschen von der Legitimität eines Systems zu überzeugen, das augenscheinlich den großen und bewunderten Mimen überzeugte? Auf alle diese Fragen bleibt Gründgens eine Antwort schuldig. (…)
Hätte der Künstler und der Bürger Gründgens doch irgendwann in seinem Leben Zeit und Mut gefunden, Zeugnis abzulegen, was es hieß, Theater in einem totalitären Staat zu machen, was seine Bühne für Opfer und für Täter, Mitläufer und Verweigerer im Hitler-Reich bedeutet hatte. Was er, der Kollaborateur, gerade deshalb, weil er Zugang zu den Mächtigen hatte, für Menschen in Bedrängnis tat. Wie weit er sich dabei selbst gefährdete, um anderen Gefährten zu helfen. Hätte er doch zugleich eingestanden, dass gerade sein Theater trotz allem als Kulturfassade diente und zur Bemäntelung der Diktatur beitrug. Und damit: Wo und wann er Kompromisse schloss, die er lebenslang bedauerte …
Uneinsichtige hätte Gründgens nicht belehren, aber vielen Menschen helfen können, ihn nicht nur als einen der großen Schauspieler zu verehren, sondern auch als einen aufrechten, vorbildlichen Menschen.“ [4]