Henry Graumann
(3.2.1890 Hamburg-Ochsenwerder-29.3.1960 Hamburg-Ochsenwerder)
Landwirt, Gemeindevorsteher in Ochsenwerder, Deichvogt des Deichverbandes der Vier- und Marschlande von 1933-1960.
Graumanntwiete, benannt seit 1972 in Hamburg-Ochsenwerder
Henry Graumann kam in Ochsenwerder (damals noch Ochsenwärder) als Sohn von Ernst Amandus und Ida Graumann, geborene Kock, zur Welt. [1] Von 1896 bis 1900 besuchte er die Gemeindeschule Ochsenwerder, danach bis 1905 die Volksschule. Außerdem erhielt er Privatunterricht. Anschließend wurde er Landwirt, genau wie schon sein Vater, dessen Bauernhof er 1914 übernahm. Früh betätigte er sich ehrenamtlich im Kirchenvorstand und in der Gemeindeverwaltung seines Geburtsortes. [2] Ab 1923 war er Vorsitzender der Spar- und Darlehenskasse. [3] Von 1924 bis 1933 hatte er das Amt des Gemeindevorstehers Ochsenwerders inne. 1933 wurde er Vorsitzender aller Hamburger Gemeindevorsteher; [4] außerdem war er seit 1932 als Standesbeamter und seit 1933 auch als Deichvogt tätig. Als 1942 die Deichverbände der einzelnen Gemeinden in den Vier- und Marschlanden einen Gesamtdeichverband gründeten, wurde er der erste Deichvogt dieses Zusammenschlusses. Das Amt übte er bis zu seinem Tod aus. [5]
Als Mitglied der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) kandidierte er als Spitzenkandidat für die „Bürgerlichen“bei den Wahlen zu den Hamburger Gemeindevertretungen am 23.10.1927 in Ochsenwerder und wurde zum Gemeindevertreter gewählt. [6] Am 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP ein. Seine Mitgliedsnummer lautete 3040053. [7] Die DVP löste sich im Juni 1933 selbst auf.
Seit 1936 war Graumann zudem Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). [8] Diese unterstand dem Hauptamt für Volkswohlfahrt bei der NSDAP-Reichsleitung und der Finanzaufsicht des NSDAP-Reichsschatzmeisters. Ihren Status und ihre Aufgabe schrieb Hitler selbst im Mai 1933 in einer Verfügung fest: „Die NS-Volkswohlfahrt (e. V.) wird hiermit als Organisation innerhalb der Partei für das Reich anerkannt. Sie ist zuständig für alle Fragen der Volkswohlfahrt und Fürsorge und hat ihren Sitz in Berlin.“[9] Die NS-Wohlfahrtspflege war unter anderem für das Hilfswerk „Mutter und Kind“, für Kindertagesstätten, die Jugendhilfe und das „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes“zuständig. Sie hatte die Erziehung der Bevölkerung zur „Volksgemeinschaft“zum Ziel und war damit auch klar eugenisch ausgerichtet. Dies formulierte der Leiter des NSV-Amtes für Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe, Hermann Althaus, 1936 in seiner Schrift „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“unmissverständlich: „Aus dieser weltanschaulichen Einstellung heraus ist eine Wohlfahrtspflege nationalsozialistischer Prägung grundsätzlich erbbiologisch und rassenhygienisch orientiert. (…) Sie übt keine aussichtslose, das Volksvermögen verschleudernde Fürsorge der Erbkranken, sondern eine aufbauende Vorsorge für die Erbgesunden. (…) Um der Gesunderhaltung unseres Volkes willen muss darum eine nationalsozialistische Volkswohlfahrt eine Befürwortung Minderwertiger ablehnen bzw. auf ein Mindestmaßeinschränken unter gleichzeitiger Abdrosselung des kranken Erbstromes.“[10]
Ebenfalls 1936 trat Henry Graumann dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) bei. [11] Das DRK zählte zu den „Sonstigen Organisationen“, deren Mitgliedschaft im Entnazifizierungsfragebogen der britischen Besatzer ebenfalls abgefragt wurde. Es war 1933 gleichgeschaltet worden, geschäftsführender Präsident war seit 1937 der SS-Oberführer Ernst Robert Grawitz [12], der als Reichsarzt SS mitverantwortlich zeichnete für Menschenversuche an KZ-Häftlingen. [13] Grawitz hatte die Hilfsorganisation nach dem Führerprinzip umorganisiert und anschließend mitgeteilt: „Heute steht ein neues, schlagkräftiges Deutsches Rotes Kreuz, in soldatisch-straffer Form organisiert und nationalsozialistisch geführt, zu jedem Einsatz bereit.“[14] So gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des DRK seit der Neuschaffung der Wehrmacht 1935 die Mobilmachung. Spätestens ab 1938 lässt sich zudem eine enge Verbindung der DRK-Führungsspitze zur SS feststellen: Von den 29 Mitgliedern der gesamten DRK-Führung waren 18 hohe SS-Führer. [15]
Dem Entnazifizierungsbogen, den Henry Graumann im September 1949 ausfüllte, legte er zwei „Persilscheine“bei, Gefälligkeitsgutachten, mit denen er eine befürchtete negative Kategorisierung durch seine NS-Aktivitäten verhindern wollte. Eine dieser Bescheinigungen stammte von dem damaligen Ochsenwerder Pfarrer Friedrich (Fritz) Schade. Darin schrieb dieser unter anderem: „(…) Die Tätigkeit von Herrn Graumann war unseres Erachtensimmer in erster Linie von sachlichen und nicht parteilich-politischen Gesichtspunkten bestimmt. Der Unterzeichnete hat ausserdem manches Gespräch in jenen Jahren mit Herrn Graumann geführt, aus dem seine sehr kritische bzw. ablehnende Haltung gegenüber nationalsozialistischen Ansichten und Massnahmen hervorging. (…) So sind wir der Meinung, dass Herr Graumann durch die ganze Art seines Denkens und Handelns dem politischen und weltanschaulichen Fanatismus und Terror jener Tage sehr entgegen arbeitete, als dass er ihn etwa unterstützte.“[16] Fritz Schade war von Oktober 1932 bis November 1952 Pastor in Ochsenwerder. Während des NS-Regimes „soll [er] KZ-Häftlinge in Neuengamme mit Kleidung versorgt haben. Seine Meinung zum Nationalsozialismus äußerte er auch in seinen Predigten. Das ist historisch belegt“, so die Bergedorfer Zeitung zur Einweihung des Fritz-Schade-Wegs in Ochsenwerder 2012. [17]
1949 vertrat Henry Graumann erstmals die SPD als Abgeordneter in der Bergedorfer Bezirksversammlung und wurde 1953 sowie 1957 wiedergewählt. 1950 erhielt er für „langjährige ehrenamtliche Mitarbeit in der Verwaltung“die Medaille „für treue Arbeit im Dienste des Volkes“aus den Händen des damaligen Zweiten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Paul Nevermann (SPD). [18] Zu der Zeit wurde vor der Verleihung der Medaille noch eine etwaige „Zugehörigkeit zu NSDAP“des Kandidaten bzw. der Kandidatin überprüft. Bei Graumann lautet dazu der Vermerk in der Akte: „Graumann hat der NSDAP seit 1933 angehört, weil er das Amt des Deichvogtes ausübte. Eingeordnet in die Kategorie 5“. [19] 1958 verlieh der damalige Bundespräsident Theodor Heuss Henri Graumann das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse am Bande. [20]
Text: Frauke Steinhäuser