Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Isestraße in der NS Zeit

Isestraße


Isestraße in der NS Zeit

Wer heute durch die Straße geht, kann die zehn Quadratzentimeter großen Messingsteine, die in das Pflaster vor den Häusern eingelassen sind, kaum übersehen. Mehr als 200 werden es bald sein, mehr als 200 Menschen allein aus dieser einen Straße wurden während der nationalsozialistischen Herrschaft in den Tod geschickt, die meisten innerhalb eines knappen Jahres, zwischen dem 25. Oktober 1941 und Juli 1942. Nur vier von ihnen waren keine Juden.

Die Isestraße liegt am Rande des Grindelviertels, in dem vor 1933 vierzig Prozent der in Hamburg ansässigen fast 17.000 Juden lebten.[1] Von den engeren Straßen mit den vielen kleinen, oft jüdischen Geschäften um den Grindelhof und den Synagogen am Bornplatz und in der ehemaligen Beneckestraße, gelangte man, die Hallerstraße überquerend, durch die prachtvolle Parkallee oder die Brahmsallee durch den Innocentiapark in die Isestraße. Man war in der „besseren“ Gegend.

Es existieren keine Statistiken, die speziell über die Zusammensetzung der Bewohner dieser Straße Aufschluss geben. Eine Momentaufnahme bietet uns die Volkszählung vom 17. Mai 1939, bei der Personen jüdischer Herkunft eine Ergänzungskarte ausfüllen mussten. [2] Dabei galt nicht die Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde, sondern die Einstufung nach den rassistischen Kriterien der Nürnberger Gesetze. Für die Isestraße wurden 730 Personen erfasst, darunter 473 „Volljuden“, das heißt Menschen mit zwei jüdischen Großelternpaaren. Die anderen galten als „Mischlinge“, hatten also einen nichtjüdischen Elternteil. Auch die nichtjüdischen Ehepartner, die mit einem Juden oder einer Jüdin in einer „Mischehe“ lebten, sind in dieser Zahl enthalten. Wenn man sich vorstellt, dass in der Isestraße insgesamt 146 meist vierstöckige Wohnhäuser standen und in jeder Wohnung wenigstens zwei Personen lebten, kommt man auf mehr als 2.000 Einwohner in der Straße. Folglich machten die jüdischen Bewohner 1939 grob geschätzt zwischen 20 und 40 Prozent aus.

Das Jahr 1939, aus dem diese Zahlen stammen, markiert in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur, zum einen, weil bis dahin, besonders nach dem Novemberpogrom, bereits viele Juden ausgewandert, beziehungsweise geflüchtet waren, zum anderen, weil im April der Mieterschutz für Juden aufgehoben worden war. Das heißt, gekündigte jüdische Mieter suchten sich eine neue Bleibe, oft genug eine Teilwohnung oder ein Zimmer zur Untermiete, und fanden sie in den großbürgerlichen Etagenwohnungen der Isestraße. (…)

Unter den ersten Einwohnern finden wir Juden und Nichtjuden gleichermaßen, von denen die meisten aus dem Mittelstand kamen. Die Erschließung des Viertels fiel zusammen mit der Auflösung des alten Hamburger „Judenviertels“ um die Große Elbstraße und die Kohlhöfen Synagoge. Das neue Quartier zog viele Juden an, die ihr altes Zuhause verlassen mussten, und später kamen auch diejenigen hinzu, die es als gesellschaftlichen Aufstieg ansahen, aus den engeren Straßen im Zentrum des Grindelviertels in die Isestraße zu ziehen. Diese Juden gehörten zur zweiten Generation nach der Emanzipation, das heißt der rechtlichen Gleichstellung, die ihnen die Chance eröffnet hatte, uneingeschränkt am bürgerlichen Leben teilzuhaben und im Beruf – sei es in der Wirtschaft oder im Staatsdienst – aufzusteigen. Es war die Generation der Vaterlandstreuen, deren Kindern der Direktor der Talmud Tora Schule bei der Einweihung des neuen Gebäudes zurief: „Werdet tüchtige Juden, tüchtige Deutsche, tüchtige Hamburger! Das walte Gott.“[3]

Trotz der vergleichsweise vielen jüdischen Einwohner gilt für die Isestraße gewiss auch, was Berichte über das ganze ehemalige Grindelviertel überliefern, nämlich, dass es nie ein „Getto“ gewesen sei, die Juden nie isoliert gelebt hätten.[4] Über das enge Zusammenleben mit den jüdischen Nachbarn gibt es manche Zeugnisse, sei es, dass Anwohner sich erinnern, dass Überlebende in Wiedergutmachungsakten darüber schreiben oder dass in Biographien das gute Verhältnis zwischen jüdischen Mietern und ihren nichtjüdischen Hausangestellten zum Ausdruck kommt. [5]

Seit 1912 fuhr die Hochbahn über das Viadukt zwischen Eppendorfer Baum und Hoheluftbrücke. Die Juden nannten es schnell den „Shabbes-Schirm“. Die Frommen unter ihnen konnten nun am Sabbat, wenn ihnen das Gesetz jegliche Arbeit, auch die, einen Regenschirm zu tragen, verbietet, ein Stück ihres Weges trockenen Fußes zurücklegen. Es reichte, um Freunde am anderen Ende der Straße zu besuchen. Zur Hauptsynagoge am Bornplatz oder zur Neuen Dammtor Synagoge war es jedoch nur ein kleines Stück trockenen Weges. Jacob Sonderling, bis 1923 Rabbiner, und Henry Chassel, Vorsteher der Neuen Dammtor Synagoge, wohnten in der Isestraße. [6]

Eine kleine Synagoge stand ganz in der Nähe, in der Hoheluftchaussee 25. [7]

 „Wir sind zur Synagoge gegangen in der Hoheluftchaussee. Da war eine kleine Synagoge im Hinterhaus. Das war vor dem Ersten Weltkrieg ein Pferdestall, Hoheluftchaussee, nicht weit von der Bismarckstraße. Wenn man von Hoheluft kam, auf der rechten Seite … Der Rabbiner, bis er starb, war ein Rabbiner Jakobson“, erinnerte sich Ludwig Baruch 1992.[8]

In der Isestraße 130, an der Ecke zum Nonnenstieg, steht ein kleines rot geklinkertes Stadthaus. Es gehörte eine Zeit lang dem Kaufmann Leo Mendelsohn. Im Adressbuch von 1923 ist dort außerdem der „Verein zur Bekleidung armer Schüler der Talmud Tora Schule“ eingetragen, ein Beispiel für das weit verbreitete private jüdische Hilfswesen. Aber vor allem: „Dann war in der Isestraße 130 die Leo-Mendelsohn-Synagoge, die wir am Sabbat und an unseren Festen besuchten. Ich hatte große Ehrfurcht vor heiligen Dingen. Damals als Kind dachte ich, daß die Synagoge die ,Schul von Opa Levy‘ sei. – Moritz Levy und seine Frau Hetty, geborene Adler, wohnten nämlich in der Isestraße 119 …“, berichtete Manfred Bundheim. [9]

1931 kam in der näheren Umgebung der Neubau der liberalen Synagoge des Neuen Israelitischen Tempelvereins in der Oberstraße hinzu, und noch einmal fünf Jahre später feierten die portugiesischen Juden die Einweihung ihrer Synagoge in der Innocentiastraße 37, in unmittelbarer Nähe der Isestraße.

Über das Miteinander der Juden in der Isestraße wissen wir wenig. Der jüdischen Tradition entsprechend, trafen sich die großen Familien bestimmt am Sabbat und an den Feiertagen. Aber spielte es eine Rolle, in welche Synagoge man ging, respektierte man die Unabhängigen, die Nichtgläubigen und die, die, oft in einer Mischehe, zum Christentum übergetreten waren, beziehungsweise zählten sie sich selbst überhaupt zu den Juden? Die Kinder, die miteinander zur Schule gingen, fanden sich schnell zusammen, einige von ihnen erlebten eine geborgene Kindheit. Lassen wir wieder Manfred Bundheim sprechen: „Die Kinderzeit am nahen Isekanal war sehr schön. Die vielen verstreuten Grünanlagen auf beiden Ufern, die Untergrundbahn, die dort aus dem Tunnel hochfuhr, die Hochbahn, die Isebek-Brücke mit frisch geflochtenem Gitter, all diese Dinge sind mir in guter und froher Erinnerung.“[10]

Für die Erwachsenen wird der Alltag weniger unbeschwert gewesen sein. Der Antisemitismus war mit der Emanzipation nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil, schon in den zwanziger Jahren gab es Angriffe gegen Juden, die sich mitunter nur wenig von denen späterer Zeiten unterschieden. [11] Ein erschreckendes Beispiel für Antisemitismus von staatlicher Seite finden wir in der Einbürgerungsakte von Henry Chassel. Im Jahre 1925 wurden Bedenken erhoben, ihm die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen. Es wurde bezweifelt, dass ihm eine Anpassung an „die deutsche Eigenart“ im „Hinblick auf seine Abstammung überhaupt möglich“ sei. Selbst gegen die Einbürgerung seiner in Deutschland geborenen Tochter, die hier Medizin studierte, wurden Bedenken erhoben, es galt, „eine allmähliche Durchdringung der deutschen Kultur mit wesensfremden, der Aufrechterhaltung der deutschen Eigenart schädlichen Elementen“ zu „verhüten“. [12] Ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr der Boden für das, was kommen sollte, schon bereitet war.

Blättert man in den alten Adressbüchern, tauchen bekannte Namen auf, 1913 ist in der Isestraße 88, der Iseburg, der „Israelitisch-Humanitäre Frauenverein zu Hamburg“ (IHFV) und „Werner, S., Lehrerin“, eingetragen. Sidonie Werner zählte zu den bedeutenden Frauenrechtlerinnen der „ersten Generation“. Neben ihrem Eintreten für politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frau, insbesondere auch in der jüdischen Gemeinschaft, setzte sie sich vehement für die sozialen Belange jüdischer Kinder und Jugendlicher ein. [13] Unter anderem war sie Mitglied im Jugendamt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg, dem auch die Lehrerin Recha Lübke angehörte. [14]

 1919 kandidierte Sidonie Werner für die Hamburger Bürgerschaft, allerdings auf einem aussichtslosen Listenplatz der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Sidonie Werner blieb es erspart, die Machtergreifung der Nationalsozialisten zu erleben, sie starb im Dezember 1932 im Alter von 72 Jahren.

Im selben Jahr liest man unter Isestraße 21: „Jessner, L., Schauspieler“, ein bescheidener Eintrag in einem vergleichsweise bescheidenen Haus. Leopold Jessner war zu dieser Zeit Oberspielleiter des Thalia Theaters und blieb diesem Theater auch treu, als er in anderen Städten Direktor, Intendant und schließlich Generalintendant der Schauspielbühnen des Staatstheaters Berlin wurde. Er war Jude, und so brach seine Karriere nach dem 30. Januar 1933 jäh ab. 1934 kehrte er von einem Gastspiel im Ausland nicht zurück und emigrierte 1935 nach Palästina. Von dort ging er in die USA, wo er nicht mehr als Regisseur, sondern im Hintergrund der Filmproduktion als Lektor arbeitete. Er starb 1945 in Hollywood. [15]

Ein anderer berühmter Künstler hatte 1933 im großbürgerlichen Haus Isestraße 119 eine ganze Etage gemietet – im selben Haus, in dem die von Manfred Bundheim erwähnten Großeltern Levy einst lebten. Das war: „Böhm, K., Generalmusikdirektor“. Karl Böhm war ein glühender Verehrer Adolf Hitlers und machte unter dessen Protektion eine steile Karriere, die sich auch nach 1945 ungebrochen fortsetzte. „Gewiss, der heute neuerlich umstrittene Dirigent war weder ein antisemitischer Plärrer noch ein Sprachrohr der braunen Bonzen. Bloß ein Dienstfertiger, der, wie so viele aus dem Reich der Musen dem barbarischen Regime zu Verfügung stand, um der Welt als auch dem eigenen Volk eine kultivierte Fassade vorzugaukeln. Ob aus Überzeugung oder Opportunismus, das ändert heute wenig an den historischen Tatsachen“, hieß es über Karl Böhm 2005 in der ZEIT. [16]

Aber steht er nicht gerade für die Vielen, die sich arrangierten, wegsahen, nichts wissen wollten?

Spätestens seit dem 1. April 1933 war nicht mehr zu übersehen, was mit den Nachbarn geschah. Hatten zunächst Juden wie nichtjüdische Gegner der Nationalsozialisten gehofft, dass der „Spuk“ ein rasches Ende nehmen würde, wurden sie an diesem „Boykott-Tag“ eines Schlechteren belehrt. Wenn auch vielleicht in der Isestraße keine Schaufenster beschmiert und Scheiben eingeschlagen wurden, so brachten diejenigen, die vom Einkaufen oder von der Arbeit aus der Stadt zurückkamen, doch die Kunde mit. Berufsverbote und Einschränkungen trafen Viele schon im April. Am 15. Mai brannten die Bücher nur etwa einen Kilometer kanalaufwärts – am Kaiser-Friedrich-Ufer.

Was mögen die „Arier“ gedacht haben, als ihre jüdischen Nachbarn eines Morgens nicht mehr zur Arbeit aufbrachen, als immer wieder einmal ein Möbelwagen, später ein „Lift“ vor der Haustür beladen wurde, weil jemand auswanderte? Bis 1935 waren es nur Wenige, die sich entschieden, Deutschland zu verlassen, darunter etliche Zionisten, für die Palästina schon vor 1933 die Heimat war, der sie zustrebten. Nach dem 9. November 1938 nahmen die Versuche auszuwandern zu. Aber Viele konnten Deutschland bis zum Beginn des Krieges nicht mehr verlassen, als die meisten Aufnahmeländer ihre Tore für deutsch-jüdische Flüchtlinge schlossen. Ab Oktober 1941, als die Massendeportationen begannen, verbot der NS-Staat die Auswanderung generell. (…)

Seit 1936 häuften sich die Umzüge. Wer die Miete hier nicht mehr aufbringen konnte, wechselte in weniger „teure“ Straßen. Andere zogen zu, weil die Wohnung oder die Teilwohnung hier preiswerter war als ihre vorherige. Einige kamen, besonders nach der Pogromnacht 1938, aus kleineren Städten hierher, weil sie hofften, in der Anonymität einer Großstadt der Verfolgung nicht so direkt ausgeliefert zu sein. Familien rückten zusammen, wohl auch, um sich die Miete zu teilen. Andere nahmen Untermieter auf, oft allein stehende Frauen und Männer, die kaum noch über eigene Einkommen verfügten. Aber auch wohlhabende Witwen besserten als Untermieterinnen das Einkommen eingesessener Familien auf. Wie bereits erwähnt, stieg dann 1939, als den Juden jeglicher Mieterschutz genommen war, die Zahl neu Zugezogenen in der Isestraße stark an.

Gleichzeitig verloren die jüdischen Hauseigentümer ihren Besitz im Zuge der „Arisierung“. (…)

Das Haus Isestraße 69 befand sich im Besitz des Kaufmanns John Hausmann. 99.000 RM bekam er am 1. Mai 1939 von einem „arischen“ Kollegen aus Blankenese dafür, überwiesen auf ein „Sicherungskonto“, zu dem er keinen Zugang hatte. Die Brüder Arthur und Georg Fraenkel, nicht identisch mit den gleichnamigen Brüdern in der Biographie zur Isestraße 23, besaßen die „Augustenburg“, Isestraße 76 bis 84 und die benachbarte „Iseburg“, Isestraße 86 bis 94. 1938 gehörte die „Augustenburg“ Mary Fraenkel, Arthur Fraenkels Witwe. Sie musste diese typische Hamburger „Wohnburg“ an einen „Arier“ verkaufen. Der Erlös auf dem „Sicherungskonto“ nützte ihr ebenfalls nichts. Sie, die selbst nicht in der Isestraße wohnte, wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Das große Eckgrundstück Oderfelder Straße 17/Isestraße 96/98 hatte der Jurist Dr. Simon Rudolf Brach an das NS-Fliegerkorps Berlin zu verkaufen, es gelangte also in den Besitz der NSDAP. Eine ehemalige Bewohnerin der Isestraße erinnert sich, dass sich im „Hermann-Göring-Haus“, wie es nun genannt wurde, nationalsozialistische Dienststellen befanden und dass sich deutsche Familien im Krieg in der Oderfelder Straße 17 versammelten, um von dort aus wegen der Bombenangriffe per Lastwagen aufs Land evakuiert zu werden. [17] Das Eckhaus beherbergt heute das Hotel Smolka und in der Isestraße 96 befinden sich nach wie vor Privatwohnungen. Alle drei Häuser wurden nach 1950 an die Erben der jüdischen Vorbesitzer zurückgegeben. [18]

Eine fast groteske Randnotiz betrifft das Haus Isestraße 1, heute ein Neubau der Hamburger Sparkasse. Es gehörte der „Isehaus G.m.b.H.“. In der Annahme, dass es sich dabei um einen jüdischen Gewerbebetrieb handelte, verlangte der „Reichsstatthalter“ durch sein „Sprachrohr“, Senator von Allwörden, die „Entjudung“. Der jüdische „Konsulent“ Dr. Alexander Bachur konnte jedoch nachweisen, dass die „G.m.b.H.“ eine Wohnungseigentümergemeinschaft war, bei der sich lediglich 25 Prozent des Eigentums in jüdischem Besitz befanden. Die jüdischen Eigentümer konnten daraufhin zunächst noch in ihren Wohnungen bleiben. [19]

 Mit dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurde der Alltag der Juden weiter durch drastische Maßnahmen eingeschränkt. Seit dem 19. September mussten sie den „Judenstern“ tragen. Wie reagierten die Nachbarn, wenn sie den so Stigmatisierten im Treppenhaus oder auf der Straße begegneten? Fiel ihnen auf, dass ihre jüdischen Nachbarn abends nicht mehr auf die Straße gehen, dass sie nicht mehr mit der Hochbahn fahren durften? Was für ein Gefühl war es, wenn sie ihnen später den Zutritt zu ihrem Teil des Luftschutzkellers verwehrten? Und wie war den jüdischen Bewohnern des Hauses Nr. 96 zumute, als sie ihre Miete dem NS-Fliegerkorps Berlin überweisen mussten? [20]

Am 25. Oktober 1941, im dritten Kriegsjahr, begannen die Deportationen. Darüber berichtet Linde Apel in ihrem Beitrag: „Hier war doch alles nicht so schlimm“.

Als am 6. Dezember 1941 der Zug nach Riga abgefahren war, wohnten nur noch wenige Juden in der Isestraße. Zurückgeblieben waren vor allem die über 65-Jährigen. Viele von ihnen standen allein, weil die Kinder aus-, oder aber „abgewandert“ waren, wie die verschleiernde Umschreibung für „deportiert“ in der Amtssprache hieß. Sie alle wurden in den nächsten Monaten unter Zwang in die „Judenhäuser“ gebracht, nachdem einige, so zum Beispiel Nathan Peltesohn, fast 30 Jahre im selben Haus, in derselben Wohnung gelebt hatten. Für einige Zeit lebten sie noch zusammengepfercht in diesen Gemeinschaftsunterkünften. Im Juli 1942 wurden die meisten von ihnen nach Theresienstadt deportiert, ins sogenannte Altersgetto. Ihnen wurde suggeriert, sie kämen in ein Altersheim. Sie mussten einen „Heimeinkaufsvertrag“ mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland abschließen, in dem sie meist ihr gesamtes Vermögen überschrieben. Die Reichsvereinigung hatte diese Gelder an den NS-Staat abzuführen, angeblich für die Unterhaltung von Theresienstadt. Doch dort starben Viele bald, weil ihnen die Kraft fehlte, sich an die unmenschlichen Lebensbedingungen im Lager zu gewöhnen und sich dagegen zu behaupten. Andere wurden von dort aus nach Auschwitz und Treblinka in den Tod geschickt.

1939 hatten in der Isestraße mehr als 700 Juden und „Halbjuden“ gewohnt. Von nur zweien wissen wir mit Gewissheit, dass sie hier in ihrem eigenen Zuhause den Krieg überlebten: Otto Anker, der mit seiner „arischen“ Frau und deren Schwester in der Isestraße 21 wohnte und durch seine „Mischehe“ geschützt war, und Inge Pein, später Inge Hutton (…).[21]

Text von Christa Fladhammer aus dem Buch von Christa Fladhammer und Maike Grünwaldt: Stolpersteine in Hamburg Isestraße. Biographische Spurensuche. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Hamburg 2010.

Als Ergänzung zu diesem Artikel über die Isestraße siehe auch den Artikel von Hans Michael Kloth "Mein Nachbar der KZ-Kommandant"  aus dem "Spiegel" vom 21.1.2008, unter: www.spiegel.de/geschichte/stadtgeschichte-a-949057.html