Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Versteigerungshallen des Gerichtsvollzieheramtes

Drehbahn 36
Gebäudekomplex der Justizbehörde


Während der NS-Zeit bereicherten sich viele Hamburgerinnen und Hamburger an den konfiszierten Möbeln und anderen Gegenständen von deportierten und ausgewanderten Jüdinnen und Juden und Sinti und Roma. Auch in den Versteigerungshallen des Gerichtsvollzieheramtes im Hof des Justizgebäu­des Drehbahn 36 wurden diese Sachen und Güter versteigert.

Seit 1941 trafen zahlreiche Transporte mit konfiszier­tem Besitz von Juden in Hamburg ein. Vor allem Ein­richtungsgegenstände aller Art wurden an Kaufinteressenten aus Hamburg und seiner norddeutschen Umgebung verkauft und versteigert. Die öffentlichen Versteigerungen, die teilweise durch gewerbliche Auktionatoren, teilweise durch Gerichtsvollzieher durchgeführt wurden, begannen in der Hansestadt im Februar 1941, als die Gestapo auf Anweisung des Reichsstatthalters das Umzugsgut jüdischer Auswanderer beschlagnahmte, das durch den Kriegsbeginn 1939 nicht mehr hatte verschifft werden können. Es umfasste etwa 3000–4000 containerähnliche „Lifts“, die bis dahin im Hambur­ger Freihafen gelagert hatten. In ihnen befand sich das Umzugsgut von jüdischen Auswanderern aus allen Teilen Deutschlands, weil die meisten jüdischen Emigranten über den traditionellen Auswandererhafen Hamburg ausgereist waren. Die erzielten Versteigerungserlöse wanderten auf ein Konto der Gestapo bei der Deutschen Bank und erreichten bis Anfang 1943 eine Höhe von 7200000 RM. Auch der Besitz deportierter Sinti und Roma wurde öffentlich an die Bevölkerung versteigert: So fand beispielsweise am 5. Dezember 1942 an der Drehbahn eine öffentliche Versteigerung von Schmucksachen „umgesiedelter Zigeuner“ statt, die zuvor in der Tagespresse angekündigt worden war.

Ziel der Versteigerungen war es, „die Waren zu angemessenen Preisen in möglichst weite Kreise der Bevölkerung zu bringen“, versicherten die beteiligten Dienststellen in der Presse. Eine bevorzugte Behandlung erfuhren dabei Ausgebombte, junge Ehepaare und Rückwanderer nach Deutschland, die von der Auslandsorganisation der NSDAP betreut wurden. Darüber hinaus bedienten sich zahlreiche Dienststellen des Staates und der NSDAP aus dem so genannten „Judengut“: Die Sozialverwaltung legte sich einen entsprechenden Fundus an Möbeln und Hausratsgegenständen an, der Oberfinanzpräsident und der SD-Leitabschnitt Hamburg komplettierten ihre Ausstattung mit Büromöbeln, eine Kommission der Hamburger Kunsthalle übernahm Gemälde aus dem Umzugsgut, und die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen bereicherten sich an Privatbibliotheken von Juden.

Von Februar 1941 bis zum April 1945 verging in Hamburg kaum ein Tag, an dem nicht jüdisches Eigentum öffentlich angeboten und versteigert wurde. Für den ausreichenden Nachschub sorgte zum einen die „Vermögensverwertungsstelle“ des Hamburger Oberfinanzpräsidenten, die den Versteigerern ab Herbst 1941 die Wohnungseinrichtungen deportierter Hamburger Juden zuführte. Zum anderen gelangten große Mengen jüdischen Besitzes nach Hamburg, die in Westeuropa im Rahmen der „Aktion M“ (Möbel-Aktion) beschlagnahmt worden waren.

Die Hamburger Bevölkerung, die vom Bombenkrieg besonders stark betroffen war, profitierte von den Lie­ferungen der „Möbel-Aktion“ in besonderem Maße. So gelangten auf dem Wasserwege mehrere Tausend Wohnungseinrichtungen deportierter niederländischer Juden in die Hansestadt. Der Gesamtumfang des „Judenguts“, das von März 1942 bis Juli 1943 allein von Holland nach Hamburg transportiert wurde, betrug 45 Schiffsladungen mit insgesamt 27227 Tonnen an Möbeln, Einrichtungsgegenständen, Kleidung etc. Darüber hinaus transportierte die Deutsche Reichsbahn bis 1944 insgesamt 2699 Eisenbahnwaggons mit jüdischem Besitz nach Hamburg. Insgesamt dürfte allein in Hamburg in den Jahren 1941–1945 das gesamte Eigentum von mindestens 30000 jüdischen Haushalten aus Hamburg, Deutschland und Westeuropa öffentlich versteigert worden sein. Da nach den erhalten gebliebenen Listen der Versteigerer auf den Besitz eines einzelnen Juden ungefähr zehn Erwerber kamen, dürften – berücksichtigt man eine Vielzahl von Mehrfacherwerbungen – in den Jahren 1941–1945 mindestens 100000 Bewohner Hamburgs und der unmit­telbaren norddeutschen Umgebung entsprechen­de Gegenstände ersteigert haben. Insgesamt reichte der Abnehmerkreis dieses jüdischen Besitzes von der „einfachen Hausfrau“ aus Hamburg bis zu Kaufhäusern aus dem Emsland, die sich bei den Versteigerern regelmäßig nach neuen Lieferungen erkundigten. Ein ehemaliger Auktionator erklärte nach 1945, dass die Gegenstände aus jüdischem Besitz „meist zu Schleuderpreisen weggegangen“ seien und insbesondere bei „Wertgut“, wie Möbeln, Teppichen und Pelzen, eine erheb­liche Diskrepanz zwischen tatsächlichem Wert und dem Versteigerungserlös bestanden habe.

Die ehemalige Hamburger Bibliothekarin Gertrud Seydelmann [geb. 1913] berichtete in ihren autobiographischen Aufzeichnungen, in welch großem Umfang die Bevölkerung an der „Heimatfront“ von den Raubzügen – insbesondere von der Versteigerung jüdischen Besit­zes – profitierte: „Wir hatten noch keine Versorgungsnöte. Noch rollten ja aus dem ganzen, von uns überfallenen und ausgeplünderten Europa die geraubten oder mit wertlosem Papiergeld bezahlten Güter auf uns zu. Noch wurden ja unsere Lebensmittelkarten, Kleiderkarten, Schuhbezugsscheine korrekt eingelöst. Noch brachten die Männer auf Urlaub aus den besetzten Gebieten Fleisch, Wein, Textilien, Tabak nach Hause. Noch lagen im Hafen die Schiffe mit dem beschlagnahmten jüdischen Eigentum aus Holland. Die einfachen Hausfrauen auf der Veddel trugen plötzlich Pelzmäntel, handelten mit Kaffee und Schmuck, hatten alte Möbel und Tep­piche aus dem Hafen, aus Holland, aus Frankreich. Es war das geraubte Eigentum holländischer Juden, die – wie ich nach dem Krieg erfahren sollte – schon in die Gaskammern abtransportiert waren. Ich wollte damit nichts zu tun haben. Auch in meiner Ablehnung musste ich bei den primitiven, sich raffgierig bereichernden Menschen, insbesondere bei den Frauen, vorsichtig sein. Ich durfte meine wahren Gedanken nicht ausdrücken. Nur einige, nicht so euphorische Frauen, von denen ich wusste, dass ihre Männer gestandene Sozialdemokraten waren, konnte ich vorsichtig beeinflussen, indem ich sie aufklärte, woher diese Schiffsladungen voll bester Haushaltsgegenstände kamen und ihnen das alte Sprichwort sagen: ,Unrecht Gut gedeihet nicht.‘ Und sie richteten sich danach.“ [1]

Nach 1945 mussten die ersteigerten Gegenstände den jüdischen Besitzern bzw. ihren überlebenden Nachfahren nicht wieder zurückgegeben werden, weil die Bundesrepublik finanzielle Entschädigungszahlungen leistete. Noch heute dürften sich daher – oft ohne Wissen der jetzigen Besitzer – in zahlreichen Hamburger Wohnungen Gegenstände befinden, die im Zeitraum von 1941–1945 bei entsprechenden Versteigerungen erworben worden sind.

Text: Frank Bajohr