Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Aufklärungsausschuss der Handelskammer

Börse, Adolphsplatz 1


Seit 1924 hatte der verdeckt arbeitende »Aufklärungsausschuss«, an dem sich seit 1931 auch die Bremer Handelskammer beteiligte, über ein großes Netz von Vertrauensleuten zehntausende von Propagandaartikeln in die ausländische Presse lanciert, um das nach dem verlorenen Krieg gesunkene Ansehen Deutschlands durch positiv gefärbte Berichte zu verbessern. In den Artikeln spielten u.a. die Leistungskraft der deutschen Wirtschaft und die Qualität der deutschen Produkte einerseits, die Restriktionen des Versailler Vertrages und die Widerlegung der vermeintlichen »Kriegsschuldlüge« andererseits eine wichtige Rolle.

  So kam in der Arbeit des Aufklärungsausschusses bereits vor 1933 eine unkritische Identifikation mit nationalen Mythen und Legendenbildungen zum Ausdruck, die weniger der »Aufklärung« als vielmehr der Vernebelung historischer Verantwortung dienten. Angesichts dieser Grundhaltung verwundert es nicht, dass nach 1933 ausländische Berichte über Judenverfolgung und Konzentrationslager auf einen eingeübten Abwehrreflex stießen, der nicht einmal zu prüfen bereit war, ob die vermeintliche »Greuelpropaganda« nicht doch auf realen Tatsachen basierte. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten geriet der Ausschuss vollständig in das Fahrwasser der NS-Propaganda und entwickelte sich zum wichtigsten Auslandsnachrichtendienst des Dritten Reiches,[1] der mit dem Reichspropagandaministerium in vertraglich geregelter Beziehung stand.[2]

  Als Geschäftsführer des Aufklärungsausschusses fungierte seit seiner Gründung der ehemalige Hamburger Gymnasiallehrer Dr. Kurt G. Johannsen,[3] der sich nach 1933 als fanatischer Nationalsozialist entpuppte. In seiner Tätigkeit konnte Johannsen auf eine große Zahl illustrer Mitarbeiter und vor allem die Auslandskontakte der Hamburger Wirtschaft zurückgreifen. Einer der Mitarbeiter, Graf Zeppelin, begründete seine Mitarbeit mit dem Anliegen, den »Leutchen« im Auslande zu zeigen, »daß nicht, wie sie glauben, deutsche Wissenschaft und Intelligenz mit den Juden aus Deutschland verschwunden sind, sondern daß wir auch ohne diese fähig sind das zu erhalten, was uns Deutsche vor dem Kriege auf der ganzen Welt bekannt und berühmt gemacht hatte«.[4] Hamburger Firmen waren insofern in die Arbeit des Aufklärungsausschusses involviert, als sie u.a. Berichte über jüdische Boykottaufrufe im Ausland anfertigten, die der Ausschuss umgehend an das Reichspropagandaministerium und das Auswärtige Amt weiterleitete.[5] Im Gegenzug erhielten sie Argumentationshilfen »gegen den Boykott des deutschen Außenhandels«, die Geschäftsführer Dr. Johannsen durch Exzerpieren der antisemitischen Standardliteratur angefertigt hatte.

  Ein erhalten gebliebenes Exemplar, das im »Verein Hamburger Rheder« kursierte, rechtfertigte die »jetzigen Vorgänge« - gemeint war der Boykott am 1. April – als »eine Reaktion gegen die seit 1918 erfolgte Entwicklung«[6]. Einerseits verbreitete sich Johannsen über den angeblich großen Einfluss der Juden auf Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft in Deutschland, den er auf eine »hohe Zahl von jüdischen Abgeordneten und Parteifunktionären bei der sozialdemokratischen und kommunistischen Partei« zurückführte.[7] Andererseits versuchte Johannsen die »Minderwertigkeit« der Juden nachzuweisen, indem er in seinem Pamphlet über die »Juden als Verbrecher« und die »weitgehende rassische Degeneration des Judentums« sinnierte.[8] In einer wichtigen Institution der Hamburger Handelskammer äußerte sich damit ein primitiver, dumpfer Antisemitismus, der deutlich machte, dass derartige Einstellungen keineswegs auf die Parteibasis der NSDAP und mittelständische Kreise beschränkt blieben.

Text: PD. Dr. Frank Bajohr mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen aus seinem Buch: „Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945. 2. Aufl. Hamburg 1998, S. 52-54.