Korsetthaus Gazelle
„Korsetthaus Gazelle“ nannte sich eines der größten jüdischen Filialbetriebe in Hamburg – eine Einzelhandelsfirma für Damenwäsche und Korsetts, die allein in Hamburg über achtzehn Filialen verfügte. Ihr Inhaber Ferdinand Isenberg (1875–1939) hatte seinen Betrieb seit 1907 schrittweise zu einem der reichsweit größten Unternehmen der Branche ausgebaut. Im Jahre 1938 wurde die Firma – wie viele andere auch – „arisiert“ und teilweise zerschlagen.
Das Wort „Arisierung“ bezeichnete im engeren Sinne den Besitztransfer zwischen „Juden“ und „Ariern“ unter nationalsozialistischer Herrschaft, im weiteren Sinne steht es für die wirtschaftliche Existenzvernichtung von Jüdinnen und Juden – ein Prozess, der 1933 einsetzte und sich in den Folgejahren schrittweise radikalisierte: Boykottaufrufe der NSDAP, antijüdische Straßenaktionen und gezielte Machenschaften nichtjüdischer Konkurrenten trieben die Entwicklung voran. Im Jahre 1938/39 erreichte die „Arisierung“ ihren Höhepunkt, als sie staatlich systematisiert und nach kurzer Zeit zum Abschluss gebracht wurde.
Zu dieser Zeit existierten in Hamburg noch 1201 Unternehmen in jüdischem Besitz. Die Hälfte von ihnen befand sich in der Innenstadt, ein weiteres Viertel im Kreis Eimsbüttel, in dem am Grindel auch der Hauptwohnbereich der Hamburger Jüdinnen und Juden lag.
Nur selten wurde bei „Arisierungen“ ein angemessener Preis gezahlt, der dem tatsächlichen Wert des Unternehmens entsprach. Dafür sorgte schon der Umstand, dass entsprechende Kaufverträge dem NSDAP-Gauwirtschaftsberater zur Genehmigung vorgelegt werden mussten. So durfte der eigentliche Firmenwert seit 1938 nicht mehr vergütet werden, so dass die jüdischen Inhaber oft lediglich Zahlungen für Inventar und Warenlager erhielten, die sich zudem am niedrigen „Konkurswert“ orientierten.
Als nach dem Novemberpogrom 1938 zahlreiche jüdische Unternehmer verhaftet und in Konzentrationslager abtransportiert waren, zogen Treuhänder in die verwaisten Firmen ein, die sie nun ohne Zustimmung des jüdischen Besitzers verkaufen konnten, dessen Rechte sich auf die Unterzeichnung des Kaufvertrages reduzierten.
Zu den Hauptprofiteuren der „Arisierung“ zählte keineswegs die Großindustrie – wie man oft meint –, sondern in erster Linie die mittelständische Wirtschaft, vor allem auch Existenzgründer, die sich mit Hilfe der „Arisierung“ selbstständig machten. Im Interesse der mittelständischen Wirtschaft wurden vor allem Einzelhandelsgeschäfte und Handwerksbetriebe oft nicht „arisiert“, sondern ohne Verkauf kurzerhand liquidiert, um den Konkurrenzdruck in einzelnen Branchen zu mindern. So kam es, dass Anfang 1939 allein in Hamburg 2000 Ladenlokale leer standen. So genannte „Filialbetriebe“ mit einem Stammunternehmen und zahlreichen Verkaufsstellen wurden in der Regel nicht geschlossen „arisiert“, sondern zerschlagen und filialweise verkauft.
Dies geschah auch mit dem „Korsetthaus Gazelle“: Ein nach dem Novemberpogrom eingesetzter Treuhänder verkaufte Anfang 1939 elf Ladenlokale an ehemalige Verkäuferinnen, darunter auch die Filiale in der Dammtorstraße 36. Die restlichen sieben Filialen wickelte er ohne Verkauf ab. In vier Fällen wurde der Verkauf durch branchenfremde private Geldgeber finanziert, die sich auf diesem Wege an den Unternehmen beteiligten, ohne selbst eine formale Übernahmegenehmigung einholen zu müssen. Die in allen Fällen sehr niedrigen Verkaufspreise setzten sich aus dem Liquidationswert des Inventars und der minderbewerteten Warenlager zusammen. Der völlig ausgeplünderte Firmeninhaber Ferdinand Isenberg wurde 1938 unter dem Vorwurf der „Rassenschande“ im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, wo er am 18. Februar 1939 Suizid beging. Nachdem die Nationalsozialisten Isenbergs Lebenswerk zerstört, ihn enteignet und in den Tod getrieben hatten, nahmen sie dem toten Firmeninhaber mit posthumen Verleumdungen auch noch die Würde: Zwei Tage nach seinem Tod hielt es das „Hamburger Tageblatt“ für angebracht, der Öffentlichkeit in großer Aufmachung den Suizid des als „Rasseschänder“ apostrophierten „Israel Isenberg“ (sic!) unter der Überschrift „Das Ende eines Schacherjuden“ mitzuteilen.
Text: Frank Bajohr