Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Hermann Lau

Kaufmann, profitiert von „Arisierung“ der Optikerfirma Alfred Henschel Bergstraße 3
Eidelstedter Weg 9 (Privatadresse)


Ingo Wille schreibt in seiner Biografie über Alfred Henschel (8.12.1869 Berlin-10.2.1944 in Bad Blankenburg in Thüringen in Polizeigewahrsam) unter www.stolpersteine-hamburg.de über die „Arisierung des Optikgeschäftes von Alfred Henschel in der Bergstraße 3 gegenüber der St. Petri Kirche.

„In welchem Ausmaß das Optikgeschäft des Ehepaares Henschel von den Diskriminierungen der Geschäfte jüdischer Inhaber durch die Nationalsozialisten schon im Jahre 1933 betroffen war, ist nicht überliefert. Belegt ist der Versuch eines Konkurrenten aus dem Jahre 1934, Alfred Henschel unter Hinweis auf seine jüdische Abstammung zu schaden. Ein Optiker, der in der Mönckebergstraße unweit der Bergstraße 3 ein neues Geschäft eröffnet hatte, beantragte seine Zulassung bei der Behörde mit dem Hinweis darauf, dass die Inhaber der zwei nächstgelegenen Optikergeschäfte ‚Nichtarier‘ seien. Für den auch gemeinten Alfred Henschel blieben Konsequenzen zunächst aus. Doch die Verwaltung war spätestens jetzt auf ihn aufmerksam geworden. Wie auch andere Optikgeschäfte verkaufte Alfred Henschel Brillen an Bedürftige und ließ sich die Kosten von der Fürsorgebehörde erstatten. Anfang 1936 verhandelte ein Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung des Fürsorgewesens mit dem Obermeister der Innung für Optiker und Feinmechaniker mit dem Ziel eines Ausschlusses von ‚nichtarischen‘ Firmen von der Belieferung von Unterstützungsbedürftigen. Dem eifrigen Mitarbeiter des Fürsorge­wesens war ein Erlass des Reichswirtschaftsministers (Erlass vom 4.1.1935 – IV 23971/35) nicht bekannt, wohl aber der Optiker-Innung. In diesem Erlass hatte der Reichswirtschaftsminister jede wirtschaftliche Maßnahme gegen ‚nichtarische‘ Geschäfte verboten. Anscheinend war die Weisung ergangen, weil zu dieser Zeit die in jüdischem Besitz befindlichen Unternehmen zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung noch ge­braucht wurden. Vom Obermeister der Optiker-Innung auf die Weisung aufmerksam gemacht und in Sorge, sich zu weit vorgewagt zu haben, suchte der erschrockene Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung des Fürsorgewesens sich abzusichern. Er bat mit Rücksicht darauf, ‚dass die Angelegenheit eine politische‘ sei, um Vorgaben für das weitere Vorgehen. Fast zwei Jahre blieb jedoch alles beim Alten. Hartnäckig unternahm derselbe Mitarbeiter Anfang 1938 einen neuen Anlauf, ‚nichtarische‘ Optikgeschäfte aus der Zulassungsliste der Fürsorgebehörde zu streichen. Er teilte dem Obermeister der Optiker-Innung telefonisch mit, ‚dass beabsichtigt sei, die drei optischen Betriebe [gemeint waren Campbell & Co., Neuer Wall 30, S. Broches in der Grindelallee 115 und Alfred Henschel] von der Belieferung der Hilfsbedürftigen auszuschließen. [...] Ich erwähnte dabei, dass es nicht zweckmäßig sei, die Ausschließung einem weiteren Personenkreis bekannt zu geben‘. Der Obermeister der Optiker-Innung und NSDAP-Mitglied Hermann Schönberg fürchtete Widerstand der Angestellten der drei Geschäfte und verlangte eine schriftliche Anweisung. Dazu waren weder die Fürsorgebehörde noch die damalige Behörde für Handel, Schiffahrt und Verkehr bereit. Der zögerliche Obermeister der Optiker-Innung wurde zur Behörde für Handel, Schiffahrt und Verkehr vorgeladen und ‚über die Richtigkeit der mündlichen Erledigung des Falles unterrichtet‘. Das Ziel war erreicht. Von nun an durften die Firmen Campbell & Co., S. Broches und Alfred Henschel Hilfsbedürftige nicht mehr gegen Erstattung durch die Fürsorgebehörde beliefern.
Ein weiterer Schlag traf Alfred Henschels Geschäft mit der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938, die die Anlegung öffentlicher Verzeichnisse aller ‚jüdischen Gewerbebetriebe‘ anordnete. Es wurde zudem in Aussicht genommen, dass ‚die Gewerbebetriebe, die in dem Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe eingetragen sind, von einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt ab ein besonderes Kennzeichen führen müssen‘.
Mit der ‚Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben‘ vom 12. November 1938 wurde Juden ‚vom 1. Januar 1939 ab der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen [...] untersagt‘. Auf Vorgabe des Obermeisters der Optiker-Innung Schönberg musste Alfred Henschel sein Geschäft in der Bergstraße 3 Hals über Kopf an das NSDAP-Mitglied Hermann Lau}}, Hamburg, Eidelstedter Weg 9, veräußern, nachdem es vierzig Jahre in seinem Besitz gewesen war. Für das Geschäft (die Firma) selbst wurde nichts bezahlt, lediglich für Waren und Inventar. Der Preis wurde massiv gedrückt. Angeblich waren viele Gegenstände für den Erwerber nicht von Interesse. Der Käufer {{nolink: Hermann Lau erfasste das Inventar nur zum Teil und die Waren wegen angeblicher teilweiser Unverkäuflichkeit weit unter Wert. Von einem Optiker-Kollegen erfuhr Martha Henschel aber später, dass alle Waren restlos zum vollen Preis, also mit großem Gewinn, verkauft worden waren. Laut Kaufvertrag vom 23. Dezember 1938 erhielt das Ehepaar Henschel für Inventar und Warenbestand 9344,46 RM. Frau Henschel gab den Umsatz für das Jahr 1938 später mit 22.000 RM an.
Nach dem Verlust ihres Geschäftes verfügten die Eheleute über kein Einkommen mehr. Alfred Henschel durfte seinen Beruf als Optiker nicht mehr ausüben. Er wurde nun dauerhaft körperlich und seelisch krank. Auch Martha Henschel war psychisch stark belastet. Die Eheleute lebten von dem Verkaufserlös für das Optikgeschäft und von Martha Henschels Ersparnissen. Alfred Henschel erhielt die reduzierten Lebensmittelkarten für Juden. Nun teilte Martha Henschel ihre Lebensmittelrationen mit ihrem Ehemann. (…) Alfred Henschel reagierte auf die Diskriminierungen mit einem starken Nervenzucken im Unterkiefer. (…).“ [1]