Friedrich Lichtenauer
(11.3.1908 Stettin – 11.10.1969 Andeer/Schweiz)
Arzt (Chirurg), Universitätsprofessor
Frenssenstraße 13 (Wohnadresse 1949, Straße 1986 umbenannt in Anne-Frank-Straße)
Eißendorfer Pferdeweg 48a (1952 Eißendorf)
Lichtenauerweg (1973 benannt in Eißendorf)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof, Grablage: X 33, 1-10
Friedrich Lichtenauer wurde im März 1908 in Stettin als Sohn von Leonore und Kurt Lichtenauer, letzterer Chirurg und Chefarzt am örtlichen Diakonissen-Krankenhaus Bethanien, geboren. Von 1914 bis 1926 besuchte er dort das Marienstiftgymnasium.[1] Seit 1927 studierte er Medizin an Universitäten in Lausanne, München, Rostock und Berlin. Am 5. Januar 1933 bestand er schließlich in München das medizinische Staatsexamen.[2] Einer politischen Partei gehörte er vor 1933 laut eigenen Angaben in der Entnazifizierung nicht an, sein Vater war Mitglied der linksliberalen DDP.[3]
In den ersten Monaten des Jahres 1933 war Lichtenauer mit 24 Jahren als Medizinal-Praktikant an der gynäkologischen Poliklinik in München tätig. Zum 1. April 1933 zog er nach Hamburg, wo er ein Jahr im Allgemeinen Krankenhaus Barmbeck sowie am Pathologischen Institut der Universität Hamburg-Eppendorf als Volontärarzt arbeitete, bevor er am 1. April 1934 eine Stelle als Assistenzarzt in der Chirurgie in Lübeck annahm. 1934 wurde er an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zur „Chirurgie der arteriellen Embolie“ promoviert. Zum Oktober 1936 wechselte er als Assistenzarzt an die Chirurgische Universitätsklinik in Rostock, wo er bis Oktober 1942 angestellt war. Am 1. November 1938 wurde er zum Beamten auf Widerruf ernannt.[4]
Am 20. Juli 1937 beantragte Lichtenauer seine Aufnahme in die NSDAP, die rückwirkend zum 1. Mai 1937 erfolgte.[5] Seit 1934 hatte er zudem dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) angehört, in dem er den Rang eines Sanitätsobertruppführers einnahm. Seit 1935 gehörte er der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) an und seit 1937 dem NSD Ärztebund, der NS Altherrenschaft und der Reichsdozentenschaft.[6]
Im August 1939 wurde gegen Lichtenauer vor dem NSDAP-Gaugericht Mecklenburg ein Verfahren eröffnet, in dem er beschuldigt wurde, „eine ehrenrührige Handlung begangen und den Bestrebungen der Partei zuwidergehandelt zu haben“.[7] Hintergrund war ein Konflikt mit dem Oberarzt und Gauführer im NS-Dozentenbund Dr. Heinrich Gißel, den Lichtenauer – protegiert offenbar von seinem Vorgesetzten, dem Direktor der Chirurgischen Klinik, Prof. Johann Lehmann – der Unehrlichkeit und des Betruges beschuldigte. Michael Buddrus und Sigrid Fritzlar, die die Biographie Gißels untersucht haben, sprechen mit Blick auf Lehmann von „Intrigen anderer Oberärzte“, die bereits 1938 Gißels Berufung zum außerplanmäßigen Professor verhindert hätten.[8] In der Hauptverhandlung vor dem Parteigericht am 22. August 1939 wurde Lichtenauer zudem vorgeworfen, im Bekanntenkreis über das Verfahren gesprochen zu haben, was ihm untersagt worden war. Schließlich beantragte Gauleiter Friedrich Hildebrandt angesichts des Kriegsausbruchs und „im Interesse einer Befriedung der Verhältnisse“ an der Klinik die Einstellung des Verfahrens, die im Juni 1940 erfolgte.[9] Indizien dafür, dass hinter diesem Konflikt politische Motive standen, gibt es keine.[10]
Im August 1939 war Lichtenauer als Sanitätsoffizier zum Wehrdienst eingezogen worden, den er bis zu einer Erkrankung im März 1941 im Feld verbrachte. Anschließend hielt er sich im Reservelazarett V in Hamburg auf. Im Dezember 1940 wurde er mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ausgezeichnet.[11]
Lichtenauer gab später an, aufgrund seines Verfahrens vor dem Parteigericht 1939 aus dem NSKK und der Reichsdozentenschaft ausgeschlossen worden zu sein – diese Angabe ließ sich nicht verifizieren. Zudem erklärte er, im Oktober 1942 auf Anweisung des Gauleiters „aus politischen Gründen entlassen“ worden zu sein, außerdem sei ihm eine Habilitation verwehrt worden.[12] Sicher ist, dass das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im Januar 1941 verfügte, Lichtenauer nur bis Ende September 1941 weiter zu beschäftigen, maximal bis zum Abschluss seiner Facharztausbildung.[13] Lichtenauer erhob dagegen Einspruch beim Mecklenburgischen Staatsministerium, verwies u.a. auf seine Parteimitgliedschaft und seine Rolle als „Familienvater“ von drei Kindern und sprach von einer „unbillige[n] Härte“. Die Entscheidung sei „dem Zeitgeist nicht entsprechend“.[14] Das Staatsministerium unterstützte sein Anliegen und das Reichsministerium stimmte daraufhin einer Weiterbeschäftigung bis Kriegsende zu.[15] Im Juni 1942 schaltete sich jedoch Reichsstatthalter Hildebrandt ein und erklärte, ihm erscheine „eine dauernde Rückkehr des Dr. Lichtenauer an die Chirurgische Klinik nicht als tragbar“.[16] Lichtenauer wurde daraufhin zum 1. November 1942 wieder zur Wehrmacht einberufen – ein geplanter Antrag, ihn als „unabkömmlich“ vom Kriegsdienst zu befreien, wurde „auf Wunsch des Kuratoriums“ der Klinik fallengelassen und sollte stattdessen Gißel zugutekommen.[17] Die genauen Hintergründe dieser Vorgänge lassen sich aus den Akten nicht erschließen, aber offenbar war es nach der Einstellung des Gaugerichtsverfahrens zu weiteren Konflikten mit Gißel gekommen. Eine Mitte 1940 gestellte Anfrage, an der Universität Rostock zu habilitieren, wurde nach wenigen Monaten von Lichtenauer bzw. seinem Professor wieder zurückgezogen.[18] Lichtenauer wollte daraufhin nicht in Rostock, sondern an der Universität Greifswald die Habilitation beantragen. Seine Anfrage wurde jedoch von der dortigen Medizinischen Fakultät – nach Intervention des Rostocker Professors Walther Fischer, der Lichtenauer „ueble Machenschaften“ gegen Gißel vorwarf – im Januar 1943 abschlägig beschieden.[19]
Zum 1. November 1942 wechselte Lichtenauer als Chefarzt an das Diakonissenkrankenhaus „Bethanien“ in seiner Heimatstadt Stettin, wo sein Vater als Direktor wirkte. Aus den vorliegenden Quellen geht nicht hervor, ob er damit die Einberufung zur Wehrmacht abwenden konnte. Sein Einkommen stieg nun laut eigenen Angaben deutlich, etwa um das Fünffache. Bis zum Kriegsende bzw. zur Aufgabe der Stadt durch die Wehrmacht am 25. April 1945 war er in Stettin beschäftigt.[20]
Vor dem sowjetischen Einmarsch in Stettin scheint Lichtenauer nach Hamburg geflüchtet zu sein. Hier wurde er 1946 entnazifiziert und von der Militärregierung als unbedenklich eingestuft. Bekannte bescheinigten ihm, aus einem „liberal-demokratisch eingestellten“ Elternhaus zu stammen und „stets zu den unbedingten Gegnern des Nationalsozialismus“ gezählt zu haben.[21] Lichtenauer selbst gab an, dass auf seine Intervention hin 1943 vier Medizinstudenten aus den Niederlanden aus dem „KZ“ Amersfoort entlassen worden seien. Einer der vier Betroffenen, ein Jan van Bergh, bestätigte diese Geschichte, wenn auch mit abweichender Datierung. Er sei nach seinem Abtauchen 1942 in Holland ein Jahr später inhaftiert und im August 1944 in das „KZ“ Amersfoort verbracht worden. Friedrich Lichtenauer sei die Person gewesen, „through whose activity three dutch students and myself were released to Germany from the concentrationcamp“. Zudem habe Lichtenauer ihm in der Folge eine Stelle als Assistent im Krankenhaus verschafft und ihn öfter zu sich nach Hause eingeladen. Darüber hinaus bescheinigte van Bergh ihm, Polen und Russen im „Bethanien“ behandelt zu haben („treated them as his own countrymen“), obwohl dies strikt verboten gewesen sei.[22]
Bei dem Polizeilichen Durchgangslager Amersfoort handelte es sich um ein Internierungslager der SS in den Niederlanden.[23] Wie Lichtenauer aus Stettin die Freilassung dort Inhaftierter erreichen konnte und woher er die vier Inhaftierten überhaupt kannte, bleibt unklar. Nachforschungen der Gedenkstätte Amersfoort ergaben, dass ein Sanitäter Joh. Jac. v. d. Berg (Jg. 1918) und ein Krankenpfleger Boltjens Tj. Kingma (Jg. 1921) wirklich nach einem Schreiben des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Pommern von Ende Dezember 1943 am 21. Januar 1944 aus dem SS-Lager entlassen und zum ärztlichen Dienst für die pommerschen Krankenhäuser nach Stettin gebracht wurden. Das gleiche erfolgte zwei Monate später mit dem inhaftierten Krankenpfleger Rudolf C. Wennekers, der explizit zur „Orthop. Heil- und Pflegeanstalt Bethesda“ nach Stettin geschickt wurde.[24] Auch wenn die genauen Namen und Daten teilweise nicht übereinstimmen und die Hintergründe weiterhin unklar bleiben, werden die Angaben Lichtenauers im Entnazifizierungsverfahren damit doch im Wesentlichen bestätigt. 1948 erfolgte eine erneute Überprüfung Lichtenauers mit dem Ergebnis, das er in Kategorie V eingestuft wurde.[25]
1946 übernahm Lichtenauer die Leitung der Chirurgischen Abteilung des Hilfskrankenhauses Blankenese. 1948 habilitierte er sich an der Universität Hamburg und wurde im folgenden Jahr Chefarzt der Chirurgischen Klinik in Hamburg-Harburg. Von 1958 bis 1963 war Lichtenauer Vorsitzender der Vereinigung Nordwestdeutscher Chirurgen, für die er in den Folgejahren als Schriftführer wirkte. Von 1964 bis 1967 war er Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Im Frühjahr 1969 wurde er zum stellvertretenden Ärztlichen Direktor des Krankenhauses Harburg ernannt. Im Oktober 1969 verunglückte er bei einem Autounfall im Urlaub im Kanton Graubünden in der Schweiz.[26] In einer Traueranzeige ehrte ihn die Gesundheitsbehörde mit den Worten, sich um den „Aufbau und Ausbau der Chirurgie“ des Krankenhauses Harburg „große Verdienste“ erworben zu haben.[27] 1973 wurde ein Weg im Harburger Stadtteil Eißendorf nach ihm benannt.[28]
Text: David Templin