Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Hans Adolf Kagel

(20.7.1900 Hamburg – ?)
Betriebsleiter bei der Firma Hans Still
Uferstraße 69 (Wohnadresse)


Seinem Entnazifizierungsfragebogen ist Folgendes zu entnehmen:
Beruf/Tätigkeit: Ingenieur; 1925-1940: Betriebsleiter bei Hans Still; 1940-1945: Betriebsdirektor bei Hans Still; ab 1946 Ingenieur ohne Weisungsrecht Dritten gegenüber bei Firma Franz
NSDAP: seit 1.5.1937
NS-Verbände: DAF seit 1.1.1934; NSV seit 1.8.1935; NS Bund dt. Technik seit 1937
Militärdienst: zurückgestellt, weil er kriegswichtige Tätigkeit im Betrieb ausübte.
Auszeichnungen: 1941 und 1944 Kriegsverdienst Kreuz II und I Kl. für technische Leistungen; 1943 Schwerter zum KVK II für Brandbekämpfung bei Bombenangriffen
Ämter in Partei und anderen Organisationen: 1940-1945 Gauwirtschaftskammer: Mitarb. f. Berufsausbildung: 1943-1945 Amt f. Technik: Beratung beim Einsatz v. Werkzeugmaschinen; 1944-1945 Bezirksarbeitseinsatzingenieur: Beratung in Arbeitseinsatzfragen; 1938-1945 Wehrwirtschaftsinspektion: Stellvertretung für den Betriebsabwehrbeauftragten.
Im Fragebogen Action Sheet: Report of Advisory Board: „ein zweifelhafter Fall“ (17.11.1945)

In einer Anlage (1) zum Entnazifizierungsfragebogen vom September 1946 unternimmt Kagel den Versuch zu erklären, dass er kein überzeugter Nationalsozialist gewesen sei, indem er einen Betriebsvorfall beschreibt, den er als Betriebsdirektor verschleppte, um einen Mitarbeiter, der sich negativ über den Nationalsozialismus geäußert hatte, nicht weiter zu gefährden. Er schreibt in dieser „Erklärung“: „Etwa Dezember 1944/Januar 1945 erhielt ich von einem Schreiben, das Adolf Holst, ehemaliger Angestellter bei der Firma Still, an die Kreisleitung der Deutschen Arbeitsfront in Wandsbek gerichtet hat, Kenntnis. Er führt aus, dass er sich veranlasst sähe, auf Zustände im Eisenwerk Wandsbek der Firma Hans Still hinzuweisen. Es fänden dort regelmässig in der Belegschaft Aussprachen statt, in denen besonders von den Angestellten Baasch und Bruns defätistische Äusserungen getan würden. Der Zellenobmann Baasch berichtet auf diesen Zusammenkünften, was der Londoner Sender am Abend vorher gebracht hat. Bruns hätte in Bezug auf eine Einberufung zur Wehrmacht geäussert, er wäre nicht so dumm, dass er sich zur Schlachtbank führen liesse. Holst griff diese Äusserung des Bruns schärfstens an und forderte Massnahmen gegen Bruns. Er kommt in seinem Brief in langatmigen Redensarten immer wieder auf die allgemeinen Zustände und im besonderen auf abfällige Äusserungen der beiden Genannten (Baasch und Bruns) zurück und fordert Verfolgung der Angelegenheit. Er fühle sich verpflichtet, das Verhalten dieser beiden anzuzeigen.

H. verweist auch auf den Fall des Meisters Holst, der von ihm bereits vor Monaten der Betriebsleitung wegen antinationalsozialistischer Einstellung angezeigt worden sei. Ich, damals Betriebsdirektor bei der Firma Still, habe die Sache verschleppt. Er, Holst, sei bei seinen Rückfragen immer von mir vertröstet worden. Er habe mich persönlich in meiner Wohnung angerufen, wobei ich ihm mitteilte, er möge beruhigt sein: die Angelegenheit des Meisters Holst sei bei mir in den besten Händen. Da aber nach Wochen immer noch nichts gegen den Meister Holst unternommen worden sei, habe er, Holst mich persönlich aufgesucht, um Massnahmen gegen Meister Holst zu fordern. Ich (hier fiel eine Bezeichnung wie: „dieser eigenartige Parteigenosse“) habe ihn vertröstet, wie bisher, mit der gleichen Auskunft, dass die Angelegenheit liefe. Als er sich von mir verabschiedete, habe ich bezeichnenderweise auf seinen festen Gruss „Heil Hitler“ mit einem fröhlichen „auf Wiedersehen“ geantwortet Nach weiterem Warten und Verschleppen der Angelegenheit zeige sich endlich der Erfolg: Meister Holst wird zur Wehrmacht, den Ehrendienst am deutschen Volke, einberufen, an statt der Gestapo übergeben zu werden. Er, Holst, bitte darum, mich einmal näher zu betrachten.

Er, Holst, beschuldigte mich weiter wegen meines kollegialen Einvernehmen mit dem von ihm angegriffenen Walter Bruns unter besonderem Hinweis darauf, dass Bruns Freimaurer war.

Ich habe mich bereits vor Kenntnisnahme von dem erwähnten Schreiben dafür eingesetzt, die Vorgänge nicht zur Kenntnis einer Partei- oder Polizeidienststelle gelangen zu lassen, da ich aus Presseveröffentlichungen wusste, dass die Beschuldigten dann das Schwerste zu befürchten hätten und nahm damit die für mich als Mitwisser entstehende Gefahr eines Verfahrens gegen mich auf mich  

Adolf Holst versuchte ich zu beruhigen und zu vertrösten, Meister Holst, Baasch und Bruns habe ich unter vier Augen über die Gefahr, in der sie schwebten, aufgeklärt, sie gewarnt und ihnen Ratschläge für die Abwendung schlimmer Folgen gegeben.

Nach der Verhaftung von Baasch und Bruns habe ich mich persönlich bei der Gestapo für deren Freilassung eingesetzt und bei jeder Gelegenheit günstige Auskünfte über beide abgegeben.

Kurz nach Kenntnisnahme von dem erwähnten Schreiben wurde ein Verfahren der Kreisleitung der NSDAP gegen mich eingeleitet, welches mit meiner Vernehmung durch den Kreisobmann Hopp, welche im Büro des Herrn Still stattfand, begann. Ich konnte eine Verzögerung dieses Verfahrens nur dadurch erzielen, dass ich gleichzeitig ein Verfahren gegen Adolf Holst wegen Verleumdung und falscher Anschuldigung beim damaligen Kreisleiter Morisse beantragte. Diese Möglichkeit hatte ich nur, weil ich selbst Mitglied der NSDAP war. Zur Durchführung beider Verfahren ist es wegen der mit dem bevorstehenden Zusammenbruch bereits einsetzenden Desorganisation nicht mehr gekommen.

Nach der Verhaftung von Bruns stellte ich anlässlich einer Vorsprache bei der Gestapo, die der Entlastung Bruns‘ dienen sollte, fest, dass man mich selbst verdächtigte, mir verfängliche Fragen stellte und hinter meinem Rücken unbemerkt ein stenografisches Protokoll anfertigen liess. Ich habe heraus geschlossen, dass auch die Gestapo bereits Kenntnis von der gegen mich erhobenen Anklage hatte.

Die benannten Zeugen Walter Bruns, Hamburg, Osterkamp 56 (Mitglied des Komitees ehemaliger politischer Gefangener (…) und Hans Behnke, Hamburg-Rahlstedt I Parkstraße 4, sind bereit, die Richtigkeit der von mir gemachten Angaben, soweit sie damals zu ihrer Kenntnis gelangt sind, zu bestätigen.“ 1) (Quelle: Entnazifizierungsfragebogen)

In der vom Betriebsrat der Firma Hans Still in der Nachkriegszeit verfassten „Namentliche Liste über Belegschaftsmitglieder deren Zugehörigkeit zur NSDAP und deren Gliederungen feststeht“ 2) gibt es die Bemerkung: „Kagel ist der Mann, der dem Betrieb das politische Gesicht gegeben hat. In seinen Reden und Taten unbedingt zuverlässige Stütze der NSDAP“.

Außerdem wurde handschriftlich vermerkt: Spionageabwehrbeauftragter, Gestapo-Agent?

In einer anderen „Liste der PG – der NSDAP“ (Stand vom 30.11.45), erstellt vom damaligen Betriebsrat der Firma Hans Still 3) heißt es zu Kagel: „Verbindungsmann zur Gestapo“.

Während des Zweiten Weltkriegs forderte Kagel die Belegschaft zu höherer und schnellerer Leistung auf und rechtfertigte dies so: „Wenn ein Gerät, das früher einen Arbeitsinhalt von 1900 Stunden hatte, jetzt in 1100 Stunden fertiggestellt werden kann oder ein anderes, für das früher 1200 Stunden gebraucht wurden, jetzt gar nur 600 Stunden erforderlich sind, so ist das nicht das Ergebnis einer rücksichtslosen Knochenarbeit, sondern der Erfolg sinnvoller Gemeinschaftsarbeit.“ (Abschrift: 1. Tagung – Leistungsertüchtigung 1940. 23.1.1940, Vortragender: Oberingenieur Kagel).

Kagel beschrieb in einem Bericht an die „Deutsche Arbeitsfront-Gauverwaltung Hamburg- Kreisleitung Hamburg IV – an der Alster 22“ die Leistungssteigerung im Jahr 1942: „Um die Leistungssteigerung in der Gefolgschaft noch weiter erheblich zu steigern, wurden folgende Massnahmen durchgeführt:

a)    Schulung der ganzen Gefolgschaft in Betriebsappellen.

b)    Schulung der Unterführer und Vormänner in vierteljährlichen Schulungstagungen.

c)    Ausrichtung der gehobenen Unterführer durch Tagungen und Besprechungen in zwangloser Reihenfolge.

d)    Einflussnahme auf die Gefolgschaft durch Rundsprüche, Bekanntmachungen, Aushänge und Bilder.

e)    Versorgung der Gefolgschaft mit den neuesten militärischen und politischen Nachrichten durch Rundspruch, und zwar in der 9 Uhr Pause. Uebertragung des Nachrichtendienstes in der 16 Uhr Pause, Wiederholung des Wehrmachtsberichtes.

f)     Hebung der Stimmung durch regelmässige Musikübertragungen Grundsätzlich wird jeder Abschnitt der Arbeitszeit mit Marschmusik eingeleitet, und zwar um 7 Uhr bei Beginn der Arbeit und um 9, 10 Uhr, 12,30 Uhr und 16,10 Uhr nach Abschluss der Pausen.

g)    Erziehung der Gefolgschaft durch Anwendung des Wettkampfgedankens durch Veranstaltung von Wettkämpfen, z. B. Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz u.s.w.“  

Auch forderte Kagel z. B. 1941 zur Meldung nicht linientreuer Arbeiter auf Dies geht aus der Besprechungsniederschrift der Besprechung der Meister und Untermeister am 30.6.1941 hervor. Kagel sagte dort: „Durch die politischen Ereignisse können wir u. U. damit rechnen, dass die kommunistische Tätigkeit wieder auflebt. Es sind verschiedene Arbeitskameraden dabei, die nicht nationalsozialistisch denken, sondern bei jeder Gelegenheit ihren Unwillen oder ihre Ablehnung zur Schau tragen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Arbeitskameraden wieder einmal Gelegenheit nehmen, Schmierereien zu veranstalten oder Sabotage vorzubereiten, oder Verbindung mit russischen Nachrichtenstellen aufzunehmen.

Alle Unterführer werden aufgefordert, diese Vorgänge besonders aufmerksam zu beobachten und vor allen Dingen sofort Meldung an Kagel zu machen. Wir wollen versuchen, ob es gelingt, jemand dazu zu ertappen.
Die Meldungen der Betriebsleiter und Meister sind unverzüglich an Kagel zu machen, bei dessen Abwesenheit an Herrn Still, um sofortige Untersuchung einzuleiten.“ 4)

Siehe mehr im Eintrag: Firma Still