Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Walter Schlenzig

(4.1.1902 Gera - 1962)
Industrieller, förderte gemeinnützige Einrichtungen in Wilhelmsburg
Reiherstiegdeich 156 (Wohnadresse)
Schlenzigstraße, Wilhelmsburg, benannt 1969


Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen und Kontextualisierungen aussprechen sollte.

Zur Schlenzigstraße gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung, den Straßennamen mit weiterführenden Informationen kritisch zu kontextualisieren, z. B. mittels eines Erläuterungsschildes unter dem Straßennamenschild. Folgende Begründung gab die Kommission: „Als Direktor der Hamburger Wollkämmerei A.G. war Schlenzig am Einsatz von Zwangsarbeitern beteiligt. Dies sollte mit einem Erläuterungsschild deutlich gemacht werden.“ (Abschlussbericht der Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg, Feb. 2022, www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda98/data/empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen.pdf)

 

Geboren wurde Walter Schlenzig am 4.1.1902 in Gera. Von Beruf war er Ingenieur und hatte von 1930 bis 1941 die Stelle des Direktors der Leipziger Wollkämmerei inne. Der Grund für die Beendigung seines Dienstverhältnisses benannte Schlenzig in seinem Entnazifizierungsfragebogen mit: Berufung zur Hamburger Wollkämmerei, wo er dann von 1941 bis nach der Befreiung vom Nationalsozialismus als Direktor der Hamburger Wollkämmerei A.G. tätig war.

In der NS-Zeit trat er der NSV und der DAF 1935 bei. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP.

Im „Fragebogen/Action Sheet“ vom 29.4.1947 heißt das Ergebnis der Entnazifizierung: „Report and Recommandation of Advisory Committes: no objectiens politische Tätigkeit nicht erkennbar, siehe auch beiliegende Schreiben.“[1]

Die Angestellten der Hamburger Wollkämmerei entlasteten Schlenzig in ihrem Schreiben vom 21.2.1947 an den Entnazifizierungsausschuss. Darin heißt es: „Im Jahre 1941 hat Herr Direktor Schlenzig die Leitung unseres Betriebes der Hamburger Wollkämmerei übernommen und seit diesem Zeitpunkt seine ganze Kraft an seine Erhaltung gesetzt.

Er ist uns stets ein vorbildlicher Betriebsleiter gewesen, der alle seine Handlungen unter die Idee des Sozialismus stellte. So hat er sich in jeder Weise für unsere sozialen Bedürfnisse eingesetzt und eine seiner ersten Maßnahmen war beispielsweise die Einrichtung einer Unterstützungskasse für die ausscheidenden Arbeitskollegen, welche die Altersgrenze erreicht hatten.

Ferner hat er dafür Sorge getragen, daß ein großer Teil der Belegschaft des Betriebes, der durch Kriegseinflüsse die Wohnungen verloren hatten, neue Unterkunftsmöglichkeiten erhielt und zu diesem Zweck Behelfsheime errichtet. Sowie Betriebsräume zu Wohnzwecken zur Verfügung gestellt. (…)

Für eine anständige Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte, die der Betrieb während des Krieges beschäftigen musste, ist er stets eingetreten mit dem Erfolg, daß diese Menschen sich mit allen ihren Angelegenheiten in erster Linie an ihn wandten. So ist uns nicht bekannt, daß er sich in irgendeiner Weise aktiv für den Nationalsozialismus betätigt hat. Selbst auf den Betriebsappellen hat er stets davon abgesehen, irgendwie im Sinne des Nationalsozialismus das Wort zu ergreifen oder gar politische Propaganda zu treiben. Seine Haltung erweckte eher den Eindruck eines Demokraten als den eines Nationalsozialisten. Daß unser Betrieb heute wieder in bescheidenem Maße produzieren kann und damit einer größeren Anzahl Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, ist in erster Linie sein Verdienst.

Somit können wir Herrn Schlenzig sowohl als Leiter unseres Betriebes als auch als Menschen das beste Zeugnis ausstellen und bestätigen dieses Schreiben als freie Gewerkschaftler mit unserer Unterschrift.“[1] Es unterschrieben 35 bei Schlenzig beschäftigte Arbeitnehmer.

Und noch andere „Leumundszeugnisse“ bekundeten Schlenzig ein einwandfreies demokratisches und soziales Verhalten während der NS-Zeit. Sein Eintritt in die NSDAP sei nur „widerwillig und auf Grund von Aufforderungen erfolgt“.

Die Hamburger Wollkämmerei AG hatte zwei Zwangsarbeiterlager in der damaligen Kanalstraße 62 (heute Industriestraße 62). Im einen Lager waren „Ostarbeiter“ untergebracht. Dies Lager mit eigener Küche bestand im November 1944 und im Mai 1945 mit nachgewiesenen 138 Essensteilnehmern. Das andere Lager bestand im Oktober 1944 mit eigener Küche und 35 Essensteilnehmern. (Siehe dazu die interaktive Zwangsarbeiterkarte von Hamburg unter: www.zwangsarbeit-in-hamburg.de/

In den „Hintergrundinformationen zur Publikation Zwangsarbeit in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945.“[2] heißt es zur Lage der „Ostarbeiter“: „Verpflegt wurden sie meist von Werksküchen oder großen Fernverpflegungsküchen. Das Essen war in Menge und Qualität unzureichend, insbesondere für die osteuropäischen Arbeitskräfte; ständiger Hunger und Unterernährung waren die Folge. Der Einsatz der osteuropäischen Arbeitskräfte erfolgte im Spannungsfeld von wirtschaftlicher Notwendigkeit und rassenideologischen Bedenken. So wurden die Lebensbedingungen der sowjetischen und polnischen Arbeitskräfte durch strenge Anweisungen und Regeln bestimmt. Sie mussten Abzeichen auf ihrer Kleidung tragen, die sie auf den ersten Blick als Ausländerinnen und Ausländer erkennbar machten: Die polnischen Arbeitskräfte trugen ein ‚P‘, die sowjetischen Arbeitskräfte ein Zeichen mit den Buchstaben ‚OST‘ (Ostarbeiter). Es bestanden strenge Auflagen, ob und wann das Lager verlassen werden durfte, Kontakte zur deutschen Bevölkerung waren streng verboten (Liebesbeziehungen zu Deutschen wurden meist mit dem Tod bestraft), es durften keine Gottesdienste besucht werden und für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel war eine Genehmigung erforderlich. Bei so genannter Arbeitsbummelei, Fluchtversuchen oder Diebstahl wurde die Gestapo eingeschaltet. Neben Gefängnisstrafen konnten die befristete Einweisung in das Arbeitserziehungslager ‚Langer Morgen‘ in Hamburg-Wilhelmsburg oder die unbefristete Überstellung in ein Konzentrationslager verfügt werden. Wurde ein Verhalten als Rebellion oder Sabotage ausgelegt, kam es zu Erschießungen durch die Gestapo.“[3]

Margret Markert schreibt über Walter Schlenzig: „Der Industrielle förderte gemeinnützige Einrichtungen in Wilhelmsburg und war nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich für den Wiederaufbau der stark zerstörten Wollkämmerei zuständig. 1953 arbeiteten bereits wieder 800 Beschäftigte in dem Betrieb.“[4]