Ludwig Erhard
(1897-1977)
Bundesminister für Wirtschaft, Bundeskanzler
Ludwig-Erhard-Straße, Altstadt (1991)
Ludwig Erhard wurde in diese Datenbank aufgenommen, weil nach ihm in Hamburg eine Straße benannt wurde.
„Er war 1945 bis 1946 Wirtschaftsminister in Bayern, 1948 bis 1949 Direktor für Wirtschaft des vereinigten Wirtschaftsgebiets und von 1949 bis 1963 Bundesminister für Wirtschaft. Er gilt als Vater des ‚deutschen Wirtschaftswunders‘“ und des als Soziale Marktwirtschaft bezeichneten Wirtschaftssystems der Bundesrepublik Deutschland. Von 1957 bis 1963 war er Vizekanzler und von 1963 bis 1966 der zweite Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. 1966 bis 1967 war er Adenauers Nachfolger als CDU-Bundesvorsitzender.“[1]
In der NS-Zeit und davor war Erhard von 1928 bis 1942 Assistent und später stellvertretender Leiter des Instituts für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware an der Handelshochschule in Nürnberg. In Wikipedia heißt es über u. a. über seine Aktivitäten in dieser Zeit. „In der Zeitung des Instituts äußerte sich Erhard beispielsweise positiv über die nationalsozialistische Zwangskartellierung, denn sie beuge den Schäden des ‚artfremden Preiskampfes‘ vor (…) Seit 1933 wirkte er als Lehrbeauftragter an der Nürnberger Handelshochschule. (…) In den Kriegsjahren war Erhard als wirtschaftspolitischer Berater zur Integration der annektierten Gebiete Österreich, Polen und Lothringen tätig. (…) Von 1942 bis 1945 leitete er das von ihm gegründete Institut für Industrieforschung, das von der Reichsgruppe Industrie finanziert wurde. Ab Ende 1942 beschäftigte sich Erhard hier mit der ökonomischen Nachkriegsplanung. (…) 1944 verfasste er im Auftrag der Reichsgruppe Industrie für das Institut seine Denkschrift Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung, in der er Überlegungen zum Neuaufbau der Wirtschaft nach dem Krieg anstellte und u.a. einen Währungsschnitt empfahl. Die Endfassung der Denkschrift übergab er an SS-Gruppenführer Otto Ohlendorf, der im Wirtschaftsministerium unter dem Schutz Himmerls seit Ende 1943 die Planungen für die Wirtschaft nach dem Krieg leitete. Ob ein Exemplar der Schrift, das er im Juli 1944 an Carl Friedrich Goerdeler gesandt hatte, in dessen Hände gelangte, ist umstritten (…).“[1]
Die Wirtschaftsredakteurin der Tageszeitung die „taz“, Ulrike Herrmann, hat in ihrem 2019 erschienenen Buch „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“ auch über Ludwig Erhards Stellung und Einstellung im Nationalsozialismus geschrieben. Dieses, auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung erhältliche Buch, wurde auf der Website der Ludwig Erhard Stiftung kritisch kommentiert. Zum Ludwig Erhard als Profiteur des NS-Regimes heißt es dort: Ein weiterer Hauptgegner von Frau Herrmann ist Ludwig Erhard, den sie als unfähig, selbstdarstellerisch und NS-Profiteur darstellt. Dabei folgt sie weitgehend den gehässigen Pfaden, die von Volker Hentschel in seiner Erhard-Biografie von 1996 getreten wurden, ergänzt um dazu passende neuere Literatur. Was nicht ins Bild passt, wird dagegen weggelassen, zum Beispiel das 2015 erschienene Buch von Horst Friedrich Wünsche, das sich ausführlich mit den ordnungspolitischen Vorstellungen Ludwig Erhards auseinandersetzt.“[2]
Ulrike Herrmann selbst hat über Ludwig Erhard in der „Hamburger Morgenpost“ einen Artikel veröffentlicht unter dem Titel „Darf nach ihm eine Straße benannt sein? Ludwig Erhard war ein Profiteur der Nazis.“[3] Mit Erlaubnis der Autorin soll hier der Text wiedergegeben werden: „Wie viele deutsche Städte besitzt auch Hamburg eine ‚Ludwig-Erhard-Straße‘: sechsspurig verbindet sie en Rödingsmarkt mit dem Millerntor. Die meisten Hamburger wissen nur, dass Erhard erst Wirtschaftsminister und dann Bundeskanzler war. Es ist weithin unbekannt, dass Erhard ein Profiteur des NS-Regimes war und hochbezahlte Gutachten für Gauleiter und Himmler-Behörden verfasst hat.
Erhard war Volkswirt und ab 1933 Geschäftsführer beim Nürnberger ‚Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware‘. Eigentlich betrieb man dort Marktforschung, aber ab 1938 arbeitete Erhard eng mit Josef Bürckel zusammen, der erst Gauleiter in Wien und dann in Lothringen war. Für Bürckel verfasste Erhard unter anderem eine Studie darüber, welche ‚Gesichtspunkte‘ bei der ‚Verwertung des volksfeindlichen Vermögens zu beachten‘ seien. Damit war das Eigentum von deportierten Juden und missliebigen französischen Politikern gemeint.
1940 tat Erhard zudem einen weiteren Großkunden auf – die ‚Haupttreuhandstelle Ost‘, die im annektierten Polen tätig war. Erhard sollte ein wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept entwerfen, wie sich der ‚neue deutsche Ostraum‘ entwickeln ließe.
Im Sommer 1941 war der Vorbericht fertig, in dem es nicht an rassistischen Klischees fehlte. So schrieb Erhard beispielsweise: ‚Das polnische Volk hat weder die Gestaltungskraft noch den Gestaltungswillen, die es zu so wahrhaft kultureller Leistung befähigt.‘ Erhard implizite Botschaft lautete also: Die Polen konnten froh sein, dass sie von den Deutschen enteignet worden waren, denn nun übernahm der germanische Sachverstand.
Erhard dachte in völkischen Kategorien, blieb aber dennoch pragmatisch: Für ihn war es schlicht ineffizient, die Polen zu ermorden, zu vertreiben oder verhungern zu lassen, wenn sie doch als Arbeitskräfte und als Kunden benötigt wurden. Erhard plädierte daher dafür, dass die polnischen Arbeiter nicht viel weniger verdienen sollten als die deutschen: ‚Eine in materieller Hinsicht allzu starke Differenzierung zwischen Deutschen und Polen muss sich in einer Leistungsminderung niederschlagen und erhöht zudem die sozialen und politischen Spannungen.‘
Diese pragmatische Haltung war im NS-Staat weit verbreitet. Viele überzeugte Nazis waren höchst unglücklich, dass Hitler und Himmler dringend benötigte Arbeitssklaven in die Konzentrationslager schickten oder verhungern ließen. Der Vorbericht wurde daher breit gestreut, und besonders stolz war Erhard, dass sogar Reichsmarschall Hermann Göring einen Lobesbrief unterschrieben hatte: ‚Für Ihre erfolgreiche Arbeit spreche ich Ihnen meine ganze besondere Anerkennung und meinen Dank aus.‘
Himmlers Dienststellen hingegen waren weniger erfreut. Die SS monierte, dass bei Erhard jeder Hinweis fehlte, dass die Polen ‚zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem deutschen Volkskörper und aus der deutschen Wirtschaft ausgemerzt‘ werden müssten. Diese Vorbehalte hinderten Himmlers Gefolgsleute jedoch nicht daran, im Mai 1943 Erhard einen eigenen Auftrag zu erteilen.
Die SS machte daher klare ‚volkspolitische Vorgaben: Erhards neue Studie sollte davon ausgehen, dass sämtliche Polen deportiert würden. Da Erhard das Warthegau mehrfach intensiv bereist hatte, musste er wissen, dass es für die Polen den sicheren Hungertod bedeutete, wenn sie in den Osten abgeschoben wurden. Dennoch war
Erhard gern bereit, eine Expertise für die Himmler-Behörde zu erstellen, und verlangte dafür üppige 6000 Reichsmark.
Diese Ergänzungsstudie hat Erhard nie fertiggestellt. Denn er hatte so viele NS-Aufträge akquiriert, dass er sie gar nicht alle abarbeiten konnte. In einem Entschuldigungsbrief schrieb Erhard am 28. Oktober 1943: ‚ich war indessen nahezu die ganze Zeit zwecks Durchführung kriegswichtiger Aufgaben verreist, sodass ich mich auch der Erstellung dieses Gutachtens noch wenig widmen konnte.‘
Bereits diese Beispiele zeigen: Erhard war ein Nazi-Profiteur. Hat er wirklich eine Straße in Hamburg verdient?“.[3]